Schutz für Kreative und Investitionen – oder Diebstahl von Allgemeingut? Über die Frage, was das Urheberrecht ist, was es bewirken und wovor es schützen soll, scheiden sich die Geister. Wie viel Schutz fürs geistige Eigentum brauchen wir wirklich?
Schon das Wort löst bei manchen heftige Reaktionen aus, lässt die Emotionen kochen. Das ist auch kein Wunder, denn es geht um Geld und Freiheit. Großes wird da heraufbeschworen: „Urheberrecht schafft die Grundlage für die totale Überwachung der Netze!“, rufen die einen. „Investitionen müssen durch starke Rechte gesichert werden, nur so schafft man Anreize für kreatives Wirken“, halten die anderen entgegen. Wissen, Kunst und Kultur als Verschlusssache – das Urheberrecht als Zugangscode? Auf den ersten Blick bedenklich, also doch am besten abschaffen? Oder: vielleicht lieber erst mal nachdenken. Das moderne Urheberrecht ist mehr als ein Zugangskontroll- oder Marktregulierungsmechanismus für die Verwertungsindustrie.
„Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes“ – sagt jedenfalls das Urheberrechtsgesetz. „Urheberrecht ist Eigentum“, sagt das Bundesverfassungsgericht und definiert damit gleichzeitig die zweite Dimension des Urheberrechts, die im Grundgesetz verankert ist. Im Artikel 14, Absatz 2 steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Damit ist im Grunde alles klar: Das Urheberrecht soll einen Ausgleich schaffen zwischen den Interessen der Allgemeinheit an der möglichst ungehinderten Nutzung wertvoller Inhalte einerseits und denen der Rechtsinhaber an Kontrolle und wirtschaftlicher Verwertung andererseits – denn Autoren, Komponisten und Filmemacher wollen auch leben.
Das deutsche Urheberrecht behält dem Berechtigten vor, über jede Art von Verwertung zu entscheiden und hieran wirtschaftlich teilzuhaben. Man muss also grundsätzlich erst fragen und zahlen, wenn man geschütztes Material vervielfältigen will. Vervielfältigen heißt kopieren, also CDs brennen, Bilder downloaden, Sendungen aufzeichnen, Videos überspielen. Auch bevor man ein Werk online anbieten will, muss die Erlaubnis eingeholt und Geld für Lizenzen gezahlt werden. Das Recht am Werk geht weit und erfasst jede Art wirtschaftlich relevanter Verwertung.
Das Werk und sein Wert
Werke sind alle denkbaren Arten von schöpferischen geistigen Leistungen. Der Begriff ist amorph. Darunter fallen gleichermaßen die Opern von Richard Strauss, Parabeln von Max Frisch, Plastiken von Auguste Rodin und Songs von DJ Bobo, das Anagramm „Adolf Hitler – Folterhilda“ oder die „Fettecke“ von Joseph Beuys. Auch moderne Schöpfungen wie Computerprogramme jeder Art, Filme, Datenbanken und Web-Grafiken werden geschützt. Die Anforderungen an die Schutzfähigkeit sind angesichts der Tatsache, dass ein Werk bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers geschützt wird, bemerkenswert gering. Berechtigt ist im deutschen Urheberrecht immer zunächst der Schöpfer selbst. Der vergibt die Rechte zur Verwertung dann meist in Form exklusiver Lizenzen an einen Verwerter, etwa einen Verlag und vereinbart dafür eine Vergütung.
Weil das Urheberrecht ein sozial eingebundenes Recht ist, enden die Befugnisse der Berechtigten dort, wo Interessen Dritter ins Spiel kommen – die vom Gesetz geregelten „Schranken“. Zur Tagesberichterstattung ist die Übernahme einzelner Artikel erlaubt, Zitate sind möglich, und für das Abspielen von Platten auf der Geburtstagsparty muss auch keine Erlaubnis eingeholt werden. Besonders wichtig für den Konsumenten aber ist, dass Kopien zum privaten Gebrauch angefertigt werden dürfen, ohne jemanden zu fragen. CDs brennen ist also erlaubt, wenn man dies für sich selbst macht und die Kopien höchstens an Freunde weitergibt. Ob „napstern“ auch darunter fällt, ist umstritten. Dass all dies nicht umsonst geschieht, wird vom Gesetz voraus- und von den Verwertungsgesellschaften – etwa der Gema (siehe brand eins 07/2001) – umgesetzt. Die Verwertungsgesellschaften sammeln Abgaben auf Kopiervorrichtungen wie Scanner und Kopierer und auf Leermedien wie Kassetten und CD-Rohlinge ein, die als Kompensation für die private Vervielfältigung gezahlt werden. Damit heißt „Schranke“ meist nur Erlass der Erlaubnis-, nicht aber der Zahlungspflicht; vor 20 Jahren schien das dem Gesetzgeber noch zeitgemäß. Eins noch: Urheberrecht ist nicht Copyright. Diese beiden Begriffe kennzeichnen vielmehr zwei sich erheblich unterscheidende Rechtsfamilien. Das Urheberrecht verkörpert die Vorstellung der Kontinentaleuropäer vom Schutz der Kreativen. Maßgeblich geprägt durch eine ideelle Komponente, genannt Urheberpersönlichkeitsrecht, geht das Urheberrecht davon aus, dass zwischen dem Urheber und seinem Werk ein „geistiges Band“ besteht. Geschützt sind nur „persönliche geistige Schöpfungen“. Das klingt metaphysisch-philosophisch und ist auch ein bisschen anachronistisch. Copyright dagegen ist pragmatischer. „What is worth copying is worth protecting“, formulierte einst ein englischer Richter die Devise des Copyright. Copyright ist vor allem das Recht der Industrie, von Disney, Warner, Universal und anderen. Urheberrecht? Na ja, das ist eben das Recht des Urhebers.
Der Wandel des Urheberrechts
Doch Urheberrecht und Copyright nähern sich einander an. Zurückzuführen ist dies in erster Linie auf die europäische Integration. Das Urheberrecht muss nach Ansicht der europäischen Markthüter vereinheitlicht werden, damit keine Hemmnisse für den Binnenmarkt auftreten. Dabei ist die schwierige Aufgabe zu lösen, die Wertvorstellungen des Copyright (das britische Recht) und des Urheberrechts in Einklang zu bringen. Ergebnis wird ein weitgehend entideologisiertes, kommerzialisiertes „Copyurheberright“ sein, das einer eigenen Identität harrt. Alt, verflochten und im Detail verzwickt sind die Grundsatzstreitigkeiten über das Urheberrecht, vor allem zwischen den Verfechtern der freien Nutzung und den Industrievertretern. Wem hat das Urheberrecht zu dienen – nur den Kreativen und Verwertern oder auch dem freien Informationsfluss? Nehmen wir die Privatkopie. „Copy kills music“, skandiert die Musikindustrie seit Erfindung des Tonbandgeräts. Das einzige Mittel gegen unkontrollierbares Zirkulieren illegaler Angebote im Netz ist nach Ansicht der Verwerterlobby die Abschaffung der Privatkopie-Schranke. Das lässt bei den Verbraucherschützern die Alarmglocken läuten, die hierin eine Beeinträchtigung der Konsumenten sehen.
Und wie verhält sich der Gesetzgeber? Er verändert erst einmal die Dimension des Urheberrechts. In Zukunft werden neben dem Werk auch „technische Schutzmaßnahmen“ geschützt. Damit soll die Umgehung, das Knacken und Hacken von Kopierschutz- oder Zugangskontrollmechanismen unter Strafe verboten sein. Das ist im Grundsatz nicht auf den deutschen Gesetzgeber zurückzuführen, sondern auf internationale und europarechtliche Vorgaben. Weiteren Raum für Diskussionen eröffnet die Frage, was denn nun aus der Privatkopie-Schranke werden soll.
Das Dilemma ist einfach auf den Punkt zu bringen: Wenn das Werk technisch vor Vervielfältigungen gesichert, zugleich aber die Privatkopie erlaubt und die Geräte- und Leermedienabgabe bezahlt ist, geht dann das Umgehungsverbot oder das Kopierrecht vor? Konkreter: Müssen die Rechtsinhaber dafür sorgen, dass ich noch eine CD fürs Auto brennen kann und dafür zum Beispiel einen Dekodierschlüssel beilegen, der mir das Kopieren ermöglicht? „Nein“, sagt der Gesetzgeber in der Entwurfsfassung des Reformgesetzes und gibt damit dem Drängen der Industrie nach.
Das Problem: Kopierschutz ist im Kommen. Die Anwendung solcher Systeme obliegt der alleinigen Entscheidung der Inhaltsanbieter. So gäbe der Staat die Möglichkeit, per Gesetz den gerechten Ausgleich der Interessen herbeizuführen aus der Hand. Was das Urheberrecht ist, müsste dann wohl wieder neu definiert werden.
Dieser Artikel erschien zuerst in
brand eins Ausgabe 5/2002“. Copyright © 2003 brand eins Verlag GmbH & Co. oHG, Alle Rechte vorbehalten.
Till Kreutzer ist Rechtsreferendar in Hamburg, Leiter des Referates Urheberrecht im Institut für Rechtsfragen der freien und Open Source Software
(ifrOSS) und Mitglied des Wissenschaftskollegiums des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg.
Erschienen am 09.01.2003
|