Über den Schlüsselbegriff der ehemaligen New Economy streiten sich noch heute die Gelehrten. Eine Tagung des Zentrums für Medien und Interaktivität in Gießen fragt nach den Grenzen der Interaktivität.

Interaktivität war über Jahre hinweg ein Zauberwort der New Economy, und mit dem allmählichen Verschwinden der boomenden Branche verblasste auch die Sogkraft des Begriffs. Und doch findet Interaktivität immer wieder Eingang in den populären Diskurs über neuere und neueste Medien: kürzlich nahm sogar Günter Jauch des „I-Wort“ in den Mund: Seinen Quotenrenner „Wer wird Millionär?“ bezeichnete der Showmaster als „eine wirklich interaktive Fernsehsendung“. Doch was hat er damit gemeint? Die Rücksprache der Probanden mit ihren telefonischen Helfern? Den Dialog mit dem Publikum? Oder vielleicht doch die gebührenpflichtige RTL-Hotline zur Kandidatenauswahl? Nicht allein der Quizmaster der Nation tappt im Dunkeln, wenn es um die Hintergründe, Bedeutungen und Reichweiten des Begriffs der Interaktivität geht – auch die Forschung ist sich darüber noch nicht so recht im klaren.

Wo liegen die Grenzen?

Etwas Licht ins interdisziplinäre Dunkel bringen will das Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI) an der Justus-Liebig-Universität Gießen – dort findet vom 13. bis 15. November eine internationale Konferenz unter dem Titel
„Grenzen der Interaktivität“ statt. In mehreren Foren wird dann der Begriff „Interaktivität“ kontrovers und unter Einbeziehung unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert. Das Schlagwort „Interaktivität“ ist letztlich nicht nur wegen der rasanten Entwicklung des Internet mittlerweile ein häufig und von vielen Seiten diskutierter Begriff – und dennoch stellt Prof. Dr. Claus Leggewie, Direktor des ZMI, nüchtern fest: „Eine umfassende Antwort auf die scheinbar simple Frage, was Interaktivität nun genau sei, gibt es bisher nicht. Jede beteiligte Wissenschaftsdisziplin versucht eigene Antworten zu finden.“ So oszillieren Beispiele und Antwortversuche in einem unübersichtlichen Feld, das abgesteckt wird von scheinbar antiquierten Medienumgebungen wie Buch, Kino und Fernsehen einerseits und hochtechnisierten Kommunikations-Arrangements wie künstliche Intelligenz, Virtual Reality und Smart Messaging andererseits.

In aktuellen wissenschaftlichen Diskussionen bilden die Felder Technikentwicklung, Inhaltsgestaltung, Kommunikationsverläufe und schließlich das Nutzerverhalten die Eckpfeiler eines vielschichtigen Begriffs von Interaktivität, resümieren die Gießener Forscher ihre bisherigen Vorbereitungsarbeiten zur Konferenz.

Mit dem Konferenztitel „Grenzen der Interaktivität“ haben die Veranstalter bewusst einen Ansatz gewählt, der sich auf die Suche nach der Interaktivitäts-Schwelle begibt, die Kernanforderungen für tatsächlich interaktive Kommunikationsvorgänge formuliert und diese gegenüber Pseudo-Interaktionen ohne echte Auswahl- und Gestaltungsmöglichkeiten abgrenzt.

Themen der Tagung

Die Veranstaltung, die unter anderem von der Hans-Böckler-Stiftung und der Fritz-Thyssen-Stiftung unterstützt wird, fasst bisherige Entwicklungen und Resultate der internationalen wissenschaftlichen Auseinandersetzung zusammen und adressiert zentrale Fragen rund um die Thematik „Interaktivität“.

Die Präsenzveranstaltung beginnt am 13. November mit einer Begrüßung im Gießener „mathematikum“, dort stellt Albrecht Beutelspacher einige „interaktive Exponate“ des einzigen Mathematik-Museums in Europa vor. Die eigentliche Konferenz-Eröffnung stellt die Abendveranstaltung mit zwei Einleitungsvorträgen dar. Während sich der Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen mit der „Kulturellen Dynamik des Internet und seiner Vorläufer“ befasst, skizziert der in London lebende Autor Armin Medosch die Zukunftschancen freier, drahtloser Bürgerkommunikation. Am Folgetag bilden vier Schwerpunktforen das Programm, zu hören sind dann Vorträge, Diskussionen und Projektvorstellungen zu den Themen: „Interaktive Bildungsräume“, „Sicherheit oder Freiheit?“, „Der Autor ist tot – es lebe der Autor!“ und „Bürger – oder Kundschaft? Nutzerrollen im Netz“. Am dritten Konferenztag beraten zwei Panel-Diskussionen über die Zukunft Elektronischen Publizierens, zunächst in einer journalistischen, dann in einer wissenschaftlichen Perspektive. Mit dabei sind u.a. Vertreter von perlentaucher.de, netzeitung.de, Telepolis Online, onlinejournalismus.de, wissenschaft-online und dem Campus Verlag. Den Abschluss der Konferenz bildet eine „Ph.-D.-Session“, bei der ausgewählte Nachwuchswissenschaftler aktuelle Forschungsergebnisse vorstellen. Abgerundet wird das dreitägige Veranstaltungsprogramm mit der Ausstellung „Press Pixel to Play“ von „Mr. Ministeck“ Norbert Bayer und einer Theaterperformance der Gießener Gruppe „redirected“.

Dass mit dem komplexen Tagungsprogramm die Herausforderung gemeistert wurde, auch die interdisziplinäre Forschungstätigkeit des Giessener Zentrum für Medien und Interaktivität abzubilden, ist sich ZMI-Geschäftsführerin Sabine Heymann sicher: „Wir erwarten eine wirklich vielseitige Konferenz – neben den Vorträgen und Diskussionsrunden stimmt auch das kulturelle Rahmenprogramm. Außerdem hält die Website bis zur Konferenz täglich aktuelle Informationen rund um das Thema Interaktivität bereit und mit dem Tagungsband werden die Resultate der Konferenz im nächsten Frühjahr dokumentiert.“

Christian Marx studiert Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und begleitet die Konferenz als Tagungsassistent.

Anmeldungen zur Konferenz sind noch bis zum 10.11.2003 per Email an
konferenz@zmi.uni-giessen.de möglich.

Erschienen am 29.10.2003

 


Kommentieren Sie diesen Artikel!

Diskutieren Sie mit anderen in unserem Forum!

Weiterführende Artikel: