Oder: Warum das Webcampaigning in den USA nun auch Klassenzimmer und Bürgermeisterstuben erreicht




Wer sich heutzutage in den USA für ein öffentliches Amt bewirbt – und sei es als Klassensprecher in einer Highschool – der kommt um das Internet nicht mehr herum. Wenn auch der diesjährige Kongresswahlkampf kaum Innovationen in Sachen Online-Kampagnen gebracht hat, so hat er doch zumindest wiederum bewiesen, dass ohne Internet keine ernstzunehmende Kampagne mehr zu führen ist. Die Digitalisierung des amerikanischen Wahlkampfs hat inzwischen sogar die Niederungen der kommunalen Politik erreicht – allerdings fehlt es den Wahlkämpfern dort oftmals an Professionalität im Umgang mit dem Internet als Kommunikationsmittel.

Fernsehen und Internet im Wahlkampf

Angesichts der rasanten Verbreitung des Internets als Kampagnemedium in den Neunzigern haben viele Medienexperten und Politiker eine digitale Revolution vorausgesagt, vergleichbar etwa mit dem Aufstieg des Fernsehens im Kennedy-Nixon-Wahlkampf dreissig Jahre zuvor. Nach den bemerkenswerten Erfolgen von Bob Dole, Jesse Ventura, John McCain und anderen im Bereich des digitalen Spendensammelns und der Freiwilligenmobilisierung via Internet wurde das Netz zum unverzichtbaren Werkzeug der Kampagnenführung erklärt – auch und insbesondere für die „Kleinen“ in der Politik.

Vorteil Internet

Für Kandidaten, denen im Wahlkampf nur ein sehr beschränktes Budget zur Verfügung steht – beispielsweise Politiker aus Randparteien wie der „Green Party“ von Ralph Nader, aber auch Amtsanwärter auf den unteren Politikebenen – ist das Internet aufgrund seiner relativen Kostengünstigkeit ein äußerst attraktives Medium. Dies erklärt auch die Begeisterung kleinstädtischer
Bürgermeisteraspiranten,
County-Sheriffskandidaten und allen anderen, die – auf welcher Ebene auch immer – in die Politik streben, für das neue Medium. Sie sehen im Webcampaigning eine sinnvolle Erweiterung des Klinkenputzens im klassischen Wahlkampf, da beispielsweise viele potentielle Wähler auf der Arbeit im Netz surfen und so mit ein erster Kontakt zwischen Kandidat und Bürger hergestellt werden kann. Hierin liegt aber wiederum auch die Krux der Sache, da das Internet, im Gegensatz etwa zum Fernsehen, eine Abkehr vom passiven Informationskonsum und damit ein Aktivwerden des Bürgers erfordert – eine realistische Erwartungshaltung im Zeitalter der couch potatoes?

Ein weiterer, oft angeführter Vorteil des Netzwahlkampfes besteht in der Möglichkeit, Informationen ungefiltert, direkt und kostengünstig an den Wähler zu bringen. Wer es sich nicht leisten kann, Millionen von Dollars für aufwendige TV-Werbespots auszugeben, findet im Internet eine Alternative. Allerdings gilt auch hier: Es ist verhältnismäßig einfach, Informationen bereitzustellen. Ob sie aber nachgefragt werden, steht auf einem anderen Blatt. Präsenz ist wichtig. Viele der Amtsanwärter auf kommunaler und regionaler Ebene versehen daher sämtliches Kampagnematerial – Plakate, Broschüren, Aufkleber – mit ihrer Internetadresse. Das Echo unter den Wahlkämpfern ist geteilt. Während die einen das Netz als demokratieförderndes Kommunikationsmedium begrüßen, weil es die Meinungen derer, die nicht über Einfluss und einen großen Geldbeutel verfügen, zu Gehör bringt, klagen andere Kandidaten über mangelndes Wählerinteresse und Ineffizienz des Internets.

Kritik am Onlinewahlkampf

Letzteres ist vor allem auf mangelnde Professionalität der kommunalen Wahlkämpfer im Umgang mit dem Medium Internet zurückzuführen. Wahlkampfexperten kritisieren die amateurhafte Aufmachung vieler Homepages, die oftmals vom Kandidaten selber erstellt werden. Die Seiten sind meist nicht mehr als einfache Werbebroschüren, die noch dazu im Netz schwierig aufzufinden sind, da viele Wähler auf lokaler Ebene die Namen ihrer Kandidaten nicht genau kennen. Häufig sind die Informationen auf den Seiten veraltet, Suchfunktionen fehlen und Links funktionieren nicht. Wahlkampfprofis empfehlen kommunalen Politikern daher, statt eines unprofessionellen Internetwahlkampfes ihre Ressourcen besser für einen intensiven konventionellen Wahlkampf einzusetzen, bei dem der persönliche Kontakt zwischen Kandidat und Wähler immer noch im Vordergrund steht. Nach dem Motto: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Beziehungsweise: Bürgermeister, bleib bei deinem Bierhumpen.

Erschienen am 31.10.2002