(Artikel) Am 22. November wählen die Niederländer eine neue Regierung. In einem Land, in dem zwei Drittel der Bevölkerung Internetzugang haben, ist der Online-Wahlkampf unvermeidlich. politik-digital.de zeigt die spannendsten Netzkampagnen und bietet Durchblick im dichten Angebot für zweifelnde Wähler.
Die fünf größten Online-Parteien
Der Ministerpräsident
Jan-Peter Balkenende versucht es nach drei zerbrochenen Koalitionen noch einmal und hat diesmal neben der Seite seiner christdemokratischen Partei
CDA auch einen
Kampagnenblog mit YouTube-Filmen. Auf der
Partei-Website kann man sich gleich rechts mit ein paar Klicks ein persönliches Parteiprogramm schneidern lassen. Daneben gibt es noch eine Website mit von Nutzern erstellten Inhalten:
ikbentrotsopnederland.nl (ich bin stolz auf die Niederlande.nl). Hier kann man etwa (moderiert) Fotos und Text hochladen, das Ganze erscheint dann im Design von traditionellen „Delfts Blauwe“ Porzellanfliesen. Das Ergebnis: eine Vielfalt an Personen und Dingen, auf die die Niederländer stolz sind.
Der größter Gegner des Ministerpräsidenten ist
Wouter Bos, Chef der PvdA, das ist die holländische Variante der SPD. Auch er hat ein
Blog, aber dazu noch einen
Newsletter (Bosbode), den Podcast „
Boscast“ und
Videos („Boscast Moviechannel“). Der Internetauftritt seiner Partei bietet neben den Standardinformationen über das Wahlprogramm auch eine Seite, auf der Nutzer Inhalte (moderiert) hinzufügen können:
watwiljijmetnederland.nl (was willst du mit den Niederlanden.nl). Einige Prominente haben sich hier schon beteiligt, darunter
Linda de Mol, Ex-Schalker
Youri Mulder, oder der Rapper
Ali B.: In 250 Worten sollen Wähler erzählen, was sie gerne in ihrem Land hätten, und ihr Foto dazustellen. Das Mosaik aus Bürgern und ihren Ideen wächst immer weiter.
Der Wahlkampf wird erst wörtlich ein Kampf, wenn man sieht, dass die Parteiseiten der
PvdA und
CDA beide eine Website haben, auf der sie die Reden von Politikern der anderen Parteien auf Fakten kontrollieren. So zeigen sie den Wählern, dass immer die andere Partei nichts von Statistik und Steuerberechnungen versteht!
Ein besonders gutes Beispiel eines Blogs kommt von
Jan Marijnissen, dem Führer der
Sozialistischen Partei (= Die Linke.PDS). Schon seit 2004 hat es mehr als 10.000 Besucher pro Tag. In seinem „
Studio Jan“ produziert er regelmäßig Pod- und Vodcasts und neulich sogar einen 30 Minuten langen
Film. Die SP stellt auf ihrer
Seite (vom parteieigenen Provider „Tomatennet“ erstellt) die ersten 24
Kandidaten ihrer Liste in stylischen kurzen Flash-Filmen vor und berichtet ausführlich vom
Offline-Wahlkampf.
Die grüne Partei „
GroenLinks“ versucht, ihre Internetnutzer neben einer intensiven
Kampagnen-Berichterstattung (natürlich inklusive Video) auch zu amüsieren: Mit einem
Spiel, in dem man der Vorsitzenden Femke Halsema in den Regierungsturm helfen muss. Außerdem kann jeder Halsemas Stimme für sein
Auto-Navigationssystem herunterladen, damit man hört, dass „auch Links führen kann“. Die anderen Parteien haben das inzwischen nachgemacht.
Die zweite Regierungspartei, die liberale
VVD, fällt im Internet nicht wirklich auf. Die Kampagnen-Website startet mit einer Einladung zu Offline- Veranstaltungen und zeigt viele
schlecht bearbeitete Fotos auf ihrer Kampagnenseite. Doch es gibt auch bei den Liberalen Filme: Jeden Morgen nimmt VVD-Führer Mark Rutte vor seiner eigenen Webcam eine Videobotschaft auf. Das Video des Tages erscheint auf der
Hauptseite, aber die
Übersicht aller Videobotschaften ist nur im Internet Explorer gut sichtbar, und das Laden der Filme dauert sehr lange. Es scheint, als ob der VVD zwar die Möglichkeiten des Internets bewusst sind, aber noch nicht die richtigen Techniker im Büro haben.
Andere (kleinere) Parteien haben auch eine Website, aber spielen im Online-Wahlkampf keine große Rolle. Eine Übersicht aller Parteien kann man
hier finden.
Kampf um die Jugendlichen
Um die Jung- und Erstwähler zu erreichen, hat sich ein großer Teil der niederländischen Politiker auf „
Hyves.nl“ angemeldet. Hyves ist ein Communityportal und unter Jugendlichen sehr populär (man spricht in Holland schon von dem Verb „hyven“). Auf diesem Profil kann man Fotos, Videos und Audiodateien hochladen und ein Blog schreiben. Die ersten Politiker tauchten dort vor etwa einem Jahr auf, als auch die Website selber an Popularität gewann. Jetzt ist es so weit, das Hyves eine
Übersichtsseite eröffnet hat, wo Politiker ihr eigenes Profil erstellen können. Während Normalos in ihrem Profil im Durchschnitt zwischen 30 und 50 „Freunde“ haben, stehen etwa bei Ministerpräsident
Jan-Peter Balkenende schon rund 50.000 in der Liste, bei PvdA-Führer
Wouter Bos sind es immerhin knapp die Hälfte. Die Kommentare in den Blogs und Profilen variieren zwischen „Ich finde es gut, was Sie für die armen Leute tun“ und „Ich werde Sie wählen!“ bis „Hey Wouterchen, du hast einen schönen Arsch“ oder „Hey JPB, weißt du, dass du Harry Potter ähnlich siehst?“. Die Frage ist natürlich, ob durch die reine Präsenz bei Hyves die vielen „Freunde“ auch zu Wählern werden.
Zu viele Wahl-O-Maten
Für unentschiedene Wähler gibt es in unserem Nachbarland so viele Internetportale, dass man anfängt zu zweifeln, welchen man glauben soll. Der original „
Stemwijzer“ (das Vorbild für den deutschen Wahl-O-Mat) ist mit 2,2 Millionen Nutzern innerhalb von drei Wochen noch immer am beliebtesten. Die Zeitung „Trouw“ hat zusammen mit der Vrije Universiteit Amsterdam die Alternative „
Kieskompas“ (Wahlkompass) entwickelt, die zuverlässiger als der „Stemwijzer“ sein soll. Denn der „Kieskompas“ stellt den Wählern zusätzliche Fragen über die Parteiführer oder die letzte Wahl. Auch einzelne Gesellschaftsgruppen, wie
Gewerkschaftsmitglieder,
Hauseigentümer oder „
linke Niederländer mit einem positiven Lifestyle“ haben ihre eigene Wahl-O-Mat-Version. Die Katholiken können sogar auf eine
religiöse Variante der digitalen Entscheidungshilfe zurückgreifen.
Neben jenen Formaten gibt es noch mehr Websites für unsichere Wähler. Bei „
Stemmentracker“ kann jeder seine Meinung mit der der Abgeordneten der vergangenen Legislaturperiode vergleichen. Und man kann
überprüfen, welcher Politiker am besten zu seinen eigenen Interessen passt. Außerdem lassen sich alle Parteiprogramme nach einem bestimmten Thema (zum Beispiel:
Sicherheit)
durchsuchen und die Ergebnisse vergleichen. Es scheint, dass die Niederländer viel mehr zu wählen haben als ein neues Parlament.