Die Änderung des Urheberrechts, welche es (Hoch-)Schulen erlaubt, Materialien in digitaler Form begrenzten Nutzergruppen zur Verfügung zu stellen, wird von Dr. Markus Junker, Rechtsanwalt, erläutert.
Kaum haben sich nach der Reform des Urhebervertragsrechts
die Wogen geglättet, so schlägt eine erneute Änderung des Urheberrechts hohe Wellen. Im Zuge der
Anpassung des Urheberrechts an die Informationsgesellschaft hat zunächst der
Streit um die Privatkopie und technische Schutzmaßnahmen die Diskussion beherrscht. Von ähnlicher Brisanz ist der Streit um die Einführung eines neuen Rechts für Schulen und Hochschulen, Materialien für Zwecke des Unterrichts oder der Forschung in Intranets oder anderen bestimmt abgegrenzten Nutzergruppen digital zur Verfügung zu stellen. Der folgende Artikel soll den rechtlichen Hintergrund erläutern und die Folgen für die Praxis aufzeigen.
Anpassung des Urheberrechts an die Informationsgesellschaft
Nach geltendem Recht darf ein Lehrer in seiner Klasse zum Unterrichtsgebrauch beispielsweise Kopien von Aufsätzen auf Papier herstellen und an die Schülerinnen und Schüler verteilen. Ein Hochschullehrer darf das nicht, denn – so der Gesetzgeber – die Studierenden sollen selbst dafür verantwortlich sein, sich ihre Arbeitsmaterialien zu beschaffen. Für Prüfungszwecke dürfen aber auch in Hochschulen Kopien solcher Texte gemacht und an die Studierenden ausgeteilt werden. Hierfür zahlen Schulen und Hochschulen an die Verwertungsgesellschaft WORT eine angemessene Vergütung, die zum Teil durch Gesamtverträge geregelt ist.
Nachdem nun die Schulen am Netz und mit Computern ausgestattet sind und Intranets in Forschung und Lehre Einzug halten, will der Gesetzgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass derselbe Aufsatz den Schülern und Studierenden nicht nur in Papier, sondern auch am Computerbildschirm zugänglich gemacht werden darf.
Grundlage hierfür ist Paragraph 52a im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung einer EG-Richtlinie zum „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“. Nachdem der Bundestag das Gesetz im April diesen Jahres nach langer Diskussion und insbesondere lange nach Ablauf der Umsetzungsfrist im Dezember des vergangenen Jahres beschlossen hatte, hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen und damit den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erneut verzögert. Im Juli haben Bundesrat und Bundestag das „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ gebilligt, so dass es mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 13. September in Kraft treten konnte.
Die Neuregelung im Überblick
In Zukunft wird es zulässig sein, unter bestimmten Voraussetzungen urheberrechtlich geschützte Materialien wie Texte und Bilder zu digitalisieren und beispielsweise im Intranet einer Schule oder Hochschule für Unterricht oder Forschung zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug ist eine angemessene Vergütung zu zahlen, wobei der Anspruch nur durch eine Verwertungsgesellschaft (wie beispielsweise die VG WORT) geltend gemacht werden kann.
• Gesetzliche Lizenz
Eine Schule oder Hochschule, die Materialien in ihr Intranet einstellen möchte, verfügt nach der neuen Regelung also über eine sog. „gesetzliche Lizenz“, d.h. sie muss nicht mehr mit den Verlagen über den Abschluss eines Lizenzvertrages verhandeln, sondern lediglich einen bestimmten Betrag an eine Verwertungsgesellschaft zahlen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil, da zumindest die großen Verlagskonzerne in der Regel die Möglichkeit haben, die Lizenzgebühren zu „diktieren“.
• Keine Geltung für Schulbücher
Der Gesetzgeber möchte es nur in zwei Fällen bei dem Erfordernis eines individuellen Abschlusses solcher Verträge belassen, nämlich zum einen bei Filmen, bevor diese nicht zwei Jahre in deutschen Kinos gelaufen sind, und zum anderen bei Schulbüchern („Werke, die für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmt sind“). Für digitale Schulbücher hat der Gesetzgeber aber an anderer Stelle eine Änderung vorgesehen (§ 46 UrhG).
• Enge Voraussetzungen
Die gesetzliche Lizenz gewährt der Gesetzgeber – wie bereits erwähnt – nur unter engen Voraussetzungen. Schulen und Hochschulen werden in Zukunft genau zu prüfen und durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen haben, dass diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind. Ansonsten drohen zivil- und strafrechtliche Sanktionen. Die Einstellung in ein Intranet darf erstens nur „zur Veranschaulichung im Unterricht an Schulen, Hochschulen, nichtgewerblichen Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung sowie an Einrichtungen der Berufsbildung“ bzw. für die „eigene wissenschaftliche Forschung“ erfolgen. Außerdem dürfen nicht zugleich kommerzielle Zwecke verfolgt werden. Die Werke dürfen zweitens nur einem „bestimmt abgegrenzten Kreis“ von Unterrichtsteilnehmern bzw. Personen zugänglich gemacht werden, beispielsweise einer Schulklasse oder einem Forscherteam. Es ist also nicht zulässig, Materialien in ein universitätsweites Intranet für alle Studierenden oder der Einfachheit halber sogar für die „Community“ in das Internet einzustellen. Schließlich soll die gesetzliche Lizenz auch nicht alle urheberrechtlich geschützten Materialien erfassen, sondern nur Werke geringen Umfangs, einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften sowie veröffentlichte bzw. zu Unterrichtszwecken sogar nur veröffentlichte kleine Teile eines Werkes. Unbegründet ist also auch der Verdacht, der Gesetzgeber wolle die Digitalisierung ganzer Bibliotheksbestände ermöglichen.
Folgen für die Praxis
„Der geplante § 52 des Urheberrechtsgesetzes gefährdet die Zukunft von Wissenschaft, Forschung und Verlagen in Deutschland“. – So lautet die These der Initiative „www.52a.de – Verlage und Wissenschaftler für ein faires Urheberrecht“. Insbesondere die Verlage haben daher durch aufwändige Kampagnen, gezieltes Lobbying sowie durch Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit mit Verfassungs- und Europarecht versucht, auf das Gesetzgebungsverfahren in ihrem Interesse Einfluss zu nehmen.
Die Verlage behaupten, die Bibliotheken bräuchten nur noch ein einziges Lehrbuch oder eine einzige Fachzeitschrift, um die Netzwerke aller Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland mit digitalen Kopien für Forschungszwecke versorgen zu können. Von Bibliotheken ist in der Regelung aber überhaupt nicht die Rede.
Nach Ansicht der Verlage drohen zudem erhebliche Umsatzrückgänge – vorgeblich insbesondere für deutsche und kleine wissenschaftliche Verlage und zum Schaden der Wissenschaftler. Wäre das geistige Eigentum nicht mehr geschützt, würden in Zukunft Investitionen im Bereich des „Electronic Publishing“ verhindert.
Man mag sich über die juristischen Einzelheiten bei der Formulierung des Paragrafen 52a mit Recht streiten. Dass die behaupteten dramatischen wirtschaftlichen Konsequenzen eintreten, ist jedoch nicht zu befürchten. Zur Sicherheit hat der Gesetzgeber sogar vorgesehen, die Geltung der Vorschrift bis zum 31.12.2006 zu befristen (§ 137k UrhG-E).
Die wirtschaftlichen Interessen der Verlage sind zwar verfassungsrechtlich geschützt. Eigentum verpflichtet jedoch auch. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Der Gesetzgeber hat daher bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Eigentums ebenfalls die im Verfassungsrang stehenden Interessen von Bildung, Wissenschaft und Forschung zu berücksichtigen. Diese leben vom Informations- und Wissensaustausch.
Die Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries hat daher den Paragrafen 52a verteidigt: „Die moderne Wissenschaft ist darauf angewiesen, effektiv zu kommunizieren und zu kooperieren. Das geschieht heute über Intranets und dieser Realität müssen wir uns stellen“.
Dr. Markus Junker ist Rechtsanwalt im Münchner Büro der PricewaterhouseCoopers Veltins Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.
Erschienen am 28.08.2003
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