Online-mediierte Verfahren – Heterogenität managen





So lassen sich in den letzten 5 Jahren neue Formen internet-basierter Bürgerbeteiligung beobachten, die etwa im Rahmen von Visions- und Leitbildprozessen (z.B. „
Wachsende Stadt Hamburg“), Prozessen zu städtebaulichen Veränderungen und Stadtgestaltung (z.B. „
Interaktive Bürgerbeteiligung Alexanderplatz“, „
Kulturforum Berlin“) und zur Verteilung von Ressourcen, Anlagen oder Einrichtungen (z.B. „Esslinger Haushalt im Dialog“; „
Bürgerhaushalt Lichtenberg“) durchgeführt werden. Der Gedanke der Beteiligung wird hier in Gestalt so genannter Online-Diskurse umgesetzt. Damit sind elektronisch unterstützte Foren angesprochen, die es vielen Teilnehmer ermöglichen, sich innerhalb eines definierten Zeitfensters (z.B. über 3 Wochen) zu einem ebenfalls festgelegten Thema zu äußern. Die Erstellung der Beiträge durch die Teilnehmer bzw. die Diskussionen werden zum einen durch Moderatoren betreut und zum anderen durch mediative Verfahrenselemente gesteuert. Es sind diskursiv gestaltete Beteiligungsverfahren mit mediativen Elementen. Diskursiv, weil versucht wird, den Austausch von Argumenten zu befördern. Mediativ, weil sie auf Prozesswissen aus der Mediation zur Verfahrensstrukturierung und Methoden zur Vermeidung, Deeskalation oder Vermittlung von Konflikten – die im Diskurskontext entstehen – zurückgreifen. Es sind also durch die Mediationstheorie und -praxis inspirierte, medienunterstützte Diskursverfahren, die auch als online-mediierte Verfahren bezeichnet werden können.

Die Analyse online-mediierter Verfahren hat gezeigt, wie anspruchsvoll diese Verfahren sind, um auf diese Weise mehr Teilnehmer an ein Planungsvorhaben heranzuführen und eine möglichst offene, durch unterschiedliche Perspektiven bereicherte Diskussion zu führen: Verfahrensplanung, Prozessstrukturierung, Anmoderation von Themen, Informationen über den Prozess, Gewährleistung von Fairness, Herausforderung von Argumentation, Strukturierung von Themen, Erstellung von Zusammenfassungen, technische Erläuterungen und Hilfemaßnahmen, Ermöglichung von Metakommunikation, oder Vermittlung bei Konflikteskalationen sind nur einige Aktivitäten, um produktive Diskurse zu unterstützen bzw. Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Beteiligungsangebotes von den Teilnehmern zu erhalten.

Öffnung der Planungs- und Entscheidungsprozesse



Zusätzlich zur Online-Moderation muss für alle Akteure deutlich erkennbar sein, wie online-mediierte Verfahren in Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebettet sind – in diesem Punkt unterscheiden sie sich in keiner Weise von „konventionellen Beteiligungsangeboten“. Ihre Funktion muss für alle Beteiligten erkennbar werden. Es muss klar sein, was mit den Ergebnissen geschieht. Die Entscheidungsträger sind also aufgefordert, erkennen zu geben, welche Relevanz für sie das Verfahren haben soll. Darüber hinaus können die folgenden (aus der Analyse der Beteiligungspraxis abgeleitete) Fragen Hinweise geben, welchen Stellenwert ein Verfahren im politisch-administrativen System hat: Gibt es eine eindeutige Ziel- und Funktionszuweisung für das Verfahren? Sind Schnittstellen zu laufenden Planungs- und Entscheidungsprozessen definiert worden? Sind personeller Ressourcen ausreichend verfügbar, um das Verfahren durchzuführen bzw. um Ergebnisse zu verarbeiten? Wird das Verfahren durch Öffentlichkeitsarbeit beworben? Gibt es eine Vereinbarung auf welche Weise Planung und Politik Feedback geben, ob, wie oder warum Ergebnisse (nicht) genutzt wurden? Und genau hier stoßen wir an Grenzen.

Planungs- und Beteiligungskultur auf die Probe gestellt



Auch wenn sich die Möglichkeiten der Unterstützung beteiligungsorientierter Foren für den Informationsaustausch zwischen Verwaltungen sowie Bürger/innen und anderen Akteuren enorme Fortschritte aufweisen. Auch wenn mit „online-mediierter Verfahren“ mittlerweile Verfahren vorliegen, mit deren Hilfe diese neuen Werkzeuge sinnvoll eingesetzt und dadurch konstruktive und ergebnisreiche Diskurse in der Planung ermöglicht werden. Sie sind immer der Gefahr ausgesetzt, dass Verwaltung und Politik sich nicht nachhaltig und transparent mit den Ergebnissen auseinandersetzen. Online-mediierte Verfahren sind daher paradoxer Weise Ausdruck einer kommunikativ orientierten Planungs- und Beteiligungskultur und gleichzeitig Indikator für Kräfte, bestehende Wissensmonopole aufrechtzuerhalten.

Weitere Entwicklungen



Vieles spricht dafür, dass Politik und Verwaltung ihre Planungs- und Entscheidungsprozesse auch in naher Zukunft nicht in Richtung diskursiver Verhandlung reformieren und damit für externe Akteure öffnen werden. Allerdings spricht einiges dafür, dass online-mediierte Verfahren auf dem den Kernzonen des politisch-administrativen Handelns vorgelagerten Feld der Außendarstellung und der Informationsbeschaffung eine wichtige Rolle spielen werden. Sie dienen dort als eine Legitimation beschaffendes und gleichzeitig effizient funktionierendes Verfahren für den Umgang mit heterogenem Wissen. Für die Bürger/innen würde eine Institutionalisierung solcher Verfahren bedeuten, dass zwar keine Möglichkeiten der direkten Einmischung in Planungs- und Entscheidungsprozesse bestehen (was auch aus Bürgersicht eine durchaus diskussionswürdige Option wäre), allerdings neue Möglichkeiten der Information über zukünftige Planungsprojekte und deren Diskussion gewonnen werden.

Der praktische Nutzen online-mediierter Verfahren für Verwaltung und Politik liegt (gegenwärtig) weniger darin, Bürger/innen in Planungs- und Entscheidungsprozesse zu integrieren, als vielmehr darin neue Möglichkeiten zu eröffnen, unterschiedliche Problemverständnisse nicht länger als Störfaktoren zu verstehen, sondern solches Wissen zu ermitteln und als produktive Ressource für intern abzuarbeitende Planungs- und Entscheidungsprozesse zu nutzen. Es geht also vorrangig um eine Steigerung der Informationsgewinnungs- und -verarbeitungskapazitäten und damit der Lernfähigkeit politisch-administrativer Einrichtungen. Und damit um Verfahren, die über die Raumplanung hinaus auch für die Beteiligung auf Länder- und Bundesebene (eParlament) interessant sind, um neben den „Expertenwissen“ auch das Wissen der Bürger/innen zu nutzen und in Wert zu setzen.


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Der Autor des Textes, Dr. Oliver Märker, ist Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für Autonome Intelligente Systeme und Mitarbeiter des Vereins Zebralog e.V. für medienübergreifende Dialoge.


Erschienen am 06.04.2006