Bild/ Erinnerung/ Traum/ Hollywoodfilm – der Auslöser Vietnam brachte diese Dominosteine ins Fallen. Folge war eine gewalterzeugende Mäander der Kriegsfilme und Computerspiele. Tom Holert spricht mit politik-digital.de über das neue Buch “Entsichert” von ihm und Mark Terkessidis.
politik-digital: Was unterscheidet den Bildersturm um „Vietnam“ von bekannten Propagandamaßnahmen wie die Durchhaltefilme „Hitlerjunge Quex“ oder „Kolberg“ im Dritten Reich?
Tom Holert: Wir sagen nicht, dass die Propaganda für den American Way of Life mit dem Krieg in Vietnam begonnen hat. Die Verquickung von Massenkultur und Propaganda ist
natürlich ein weit älteres Phänomen. Vielmehr erscheint uns der Krieg der Amerikaner in Vietnam der Auftakt für eine neuartige Kombination militärischer und kultureller Praktiken gewesen zu sein. Es war nicht nur der erste “living room war”, in dem Foto- und Fernsehjournalismus dafür sorgten, dass ein globales Medienpublikum in die Kriegshandlungen in einer Weise integriert wurde, wie dies in dieser Form bis dahin nicht vorgekommen war; es war überdies ein Krieg, der so weitreichend von der Populärkultur überformt worden ist, dass wir einigen Grund sehen, hier von dem ersten “massenkulturellen Krieg” zu sprechen. Sicher, einzelne Elemente dieses neuartigen Kriegstyps mögen bereits in früheren Kriegen zu finden sein. Denn selbstverständlich waren Kriege immer auch Gelegenheit zur Erprobung von avancierten Kommunikationstechnologien und Propagandastrategien. Das zeigen nicht zuletzt die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts, die ja maßgeblich durch massenkulturelle Mobilisierungen gekennzeichnet waren. Aber in Vietnam haben sich die Grenzen zwischen kulturellen und militärischen Praktiken stärker verunklärt als jemals zuvor. Die jungen G.I.s, die seit Mitte der sechziger Jahre nach Südostasien ausgerückt sind, bildeten die erste “Rock?n?Roll”-Armee der Geschichte. Ihre Kriegserfahrung war nicht zu trennen vom Konsum popkultureller Produkte. Dabei ergab es sich, dass der Soundtrack ihrer Zeit als Soldaten weitgehend identisch war mit dem Soundtrack der pazifistischen Gegenkultur in der Heimat. An beiden Orten, auf beiden Seiten hörte man Jimi Hendrix, die Rolling Stones, die Doors usw. In Vietnam und in San Francisco wurde, wie der Schriftsteller Michael Herr diesen Sachverhalt zugespitzt hat, das gleiche Theaterstück aufgeführt.
Eine Unmenge von Zeugnissen belegt zudem, dass die amerikanischen Soldaten, kaum dem Teenager-Alter entwachsen, den Krieg wie eine große massenkulturelle Inszenierung erlebten, wie ein immersives Multimedia-Abenteuer, eine filmische Reality-Fiction, die freilich dazu tendierte, nicht enden zu wollen. Und so machte sich nach Rückkehr in die Heimat und später, nach dem Abzug der Amerikaner, nicht nur ein kollektives Vietnam-Trauma unter den Veteranen bemerkbar; es setzte auch, vor allem im Hollywood-Film, eine massenkulturelle Be- und Verarbeitung der Vietnam-Erfahrung ein, die Jahrzehnte anhalten sollte. So wurde der Krieg in Vietnam im kulturellen Imaginären gewissermaßen auf Dauer gestellt. Und die Figur des Rambo ist hier ein besonders signifikanter Fall. Sie symbolisiert im Einzelkämpfer, für den Vietnam nie enden will, das kollektive Trauma eines sich selbst überlassenen Subjekts, das nun die ganze Welt als eine Kampfzone betrachtet, in der jeder Zivilist zum Kombattanten wird.
politik-digital: Mit einer geradezu hedonistischen Lust am Enttarnen von Werbebotschaften durchleuchten Sie als Lifestyleforscher die massenmediale Eventkultur vorwiegend männlich kodierter Verhaltensweisen. Die Ereignisse in Littleton oder Erfurt scheinen Ihrer These vom “Einzelkämpfer im Neoliberalismus” recht zu geben, der böse Clown aus Batman ist auf dem Schulhof unterwegs. Warum ist Lara Croft in “Entsichert” kein Thema?
Tom Holert: In der Tat führte die Analyse der neoliberalen Einzelkämpfer-Subjektivität immer wieder zu dem Schluss, dass es sich bei dieser ideologischen Figur um ein zutiefst maskulin codiertes Phänomen handelt, selbst dort, wo die Werbung und andere massenkulturelle Produkte sich auch an Frauen richten. Allerdings kann dieser Umstand nicht davon ablenken, dass Fragen von Sexualität und von “gender” höchstens summarisch betrachtet worden sind, was eindeutig eine Leerstelle in unserem Text erzeugt. Um so mehr, da die These vom Krieg als Massenkultur die Frage nach der Redefinition des Soldatischen unter neoliberalem Vorzeichen einschließt und sich damit sehr direkt das Problem einer Verschiebung und Neubewertung “weiblicher” und “männlicher” Faktoren bei der Produktion von Subjektivität stellt. Wie etwa ist in diesem Zusammenhang die zunehmende Präsenz von Frauen in militärischen Kontexten zu bewerten? Wie die Beschwörung “sozialer Kompetenz” im (militärischen und zivilen) Berufsleben, die überwiegend mit Weiblichkeit assoziiert wird? Wie wirken sich Amazonen, “War Princesses”, Geheimagentinnen, Vampirjägerinnen oder virtuelle Konsolen-Kriegerinnen wie Lara Croft, die die Populärkultur bevölkern, auf die Formulierung von Subjektmodellen im kulturellen Imaginären aus? Diese und andere Fragen werden wir in Zukunft stärker in unserer Arbeit berücksichtigen.
politik-digital: Sie entdecken die globale Mobilmachung in Sprachschöpfungen wie “Werbefeldzug” oder “Guerillamarketing“. Ist der Konsument der Massenmedien so fasziniert vom News-Entertainment, dass er vergisst zu differenzieren?
Tom Holert: Die Sprache der Massenmedien ist mit Metaphern des Kriegerischen und Militärischen durchsetzt, was zu einer neuen Selbstverständlichkeit im Umgang mit den Motiven und Bildern der Gewalt führt. Diese Bewaffnung der Sprache ist kein zufälliges Ereignis. Die Selbstverständlichkeit, mit der zum Bild des “Krieges”, des “Kampfes”, der “Offensive” usw. gegriffen wird, zeugt einerseits von einer symptomatischen Unbefangenheit – denn wo man, wie in den Massenkulturen des Nordens, also in vermeintlich friedlichen Verhältnissen, so leichthin das Martialische einsetzt, um Prozesse des Alltags oder des Wirtschaftslebens zu beschreiben, braucht man offenbar den “realen” Krieg nicht zu fürchten. Andererseits drückt dieser Sprachgebrauch aber auch eine Bereitschaft aus, soziale, kulturelle und ökonomische Verhältnisse mit Hilfe der Kategorien des Krieges zu interpretieren. Sie steht unserer Ansicht nach in enger Beziehung zur Ideologie des neoliberalen Einzelkämpfer-Subjekts, das den beruflichen und privaten Alltag als ein Schlachtfeld erlebt, als jene Überführung des Hobbesianischen, vor-sozialen Kriegs aller gegen alle in einen Krieg der Repräsentationen, der die Gesellschaft zutiefst strukturiert. Der französische Philosoph Michel Foucault hat diesen sozialen Krieg im Frieden eingehend theoretisiert.
politik-digital: Sind Besucher eines Fitnessclubs, die in Camouflage-Hosen zu Techno-Sound Fett abbauen, solche Einzelkämpfer?
Tom Holert: Hier muss sich nun jede(r) selbst fragen, welche Funktionen modische Military-Accessoires oder drill-ähnliche Fitness-Programme für das Selbstbild haben. Wir würden sagen, es sind Elemente eines komplexen Überlebensstils in den kriegsfernen Gesellschaften, und als solche stehen sie höchstens sehr mittelbar mit der Frage nach dem Verhältnis zu den USA in Verbindung.
politik-digital: Sie haben den Salon der Poptheorie verlassen und sind mit ihrem Partner Mark Terkessidis gereist: Pristina, Belgrad, Tetovo, Ho-Chi-Minh-Stadt, Manhattan; zwei Sozialtheoretiker auf Reportagetour. Führt die Tatsache, vor Ort zu sein, zu glaubwürdigeren Botschaften?
Tom Holert: Wir sehen uns nicht in der Tradition klassischer Kriegsreporter. Unsere Reisen an die Orte aktueller oder historischer Konflikte gelten im Gegenteil dem Versuch, einen anderen Blick auf die Situation in diesen Orten zu werfen, indem wir auch die Perspektive der professionellen Korrespondenten und anderer “Beobachter” zum Gegenstand unserer Analyse machen. Darüber hinaus verfolgen wir nicht das Ziel, unserem eigenen Blick und Interesse den Anschein von “Objektivität” zu geben. Wie “Objektivität” produziert und kommuniziert wird und zu welchen Verwerfungen der “Wahrheit” diese Produktionen führen, lässt sich jedoch vor Ort gut studieren: Die Korrespondenten sind in hohem Maße anhängig von den lokalen Strukturen, von einheimischen Dolmetschern bis zum Militär, in dessen Schutz sie sich bewegen. Worüber und mit welcher Tendenz berichtet wird, ist das Ergebnis vielfältiger Bedingungen und Einschränkungen. Deshalb ziehen wir es vor, statt dem Phantasma der “Objektivität” zu erliegen, seine Entstehungsweisen zu untersuchen. Im besten Fall gelingt es darüber hinaus, vor Ort Allianzen zu bilden. Das heißt: wir versuchen mit solchen Gruppen und Individuen in Kontakt zu treten, die ihrerseits eine oppositionelle “Politik der Wahrheit” betreiben, die weniger der einen oder anderen kriegführenden Partei zuzuordnen ist als einer kriegskritischen und antinationalistischen Position. Wenn das Ergebnis eines solchen Vorgehens zu mehr “Glaubwürdigkeit” führt, wäre das nicht von Nachteil.
politik-digital: Sie gehen in „Entsichert“ nicht auf webbasierende Austauschmöglichkeiten ein. Kann das WWW für Aufklärung sorgen?
Tom Holert: Inwieweit das Medium von Informationsverbreitung die Berichterstattung strukturiert, ist schwierig zu beantworten. Das Internet, auch jenseits des WWW übrigens, bietet eine unüberschaubare Fülle von Nachrichtenquellen und Meinungsforen, die jede denkbare Position zu Fragen eines bestimmten Konflikts oder der Weltlage insgesamt verfügbar macht. Mit dem entsprechenden Booklisting und einem möglichst spezifischen Frageinteresse kann man hier einiges in Erfahrung bringen, was in den Mainstream-Medien nicht stattfindet. Die Seiten von
freemedia,
indymedia,
village voice,
New Left Review oder des
Internationalen Archivs der Globalisierung sind in Bezug auf die Kriegsberichterstattung sehr hilfreich. Während des Kriegs in Ex-Jugoslawien etwa hat sich das Netz zu einem entscheidenden Medium der Organisation eines kriegskritischen Diskurses entwickelt, insbesondere auch für die jüngere Bevölkerung auf dem Balkan. Bis heute beziehe ich einen Großteil der relevanten Informationen über die Region aus dem Netz.
Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass im besonderen das Web im allgemeinen zu einem weiteren Distributionskanal jener Nachrichtenproduzenten geworden ist, die auch die “alten” Medien – Fernsehen, Presse, Radio usw. – beliefern. Wir haben unsere Arbeit bewusst nicht auf das eine oder andere Kommunikationsmedium konzentriert, sondern unterschiedliche Diskurse über die Grenzen ihrer medialen Formatierungen hinweg verfolgt. Dass dabei das Internet in der Darstellung etwas zu kurz kommt, hat sicherlich einen Grund in dem Umstand, dass wir es einerseits selbstverständlich in die Recherchearbeit mit einbeziehen, andererseits aber, auch aufgrund der extrem dezentralen Struktur des Netzes, für uns die Formation von Diskursen an anderer Stelle besser nachvollziehbar ist.
politik-digital: Wir befinden uns in der heissesten Phase nach Ende des Kalten Krieges. Die USA betrachten sich nach dem 11. September als Opfer, dem es zusteht, Krieg als Mittel der Politik einzusetzen. Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion um die Powell`schen
Beweise?
Tom Holert: Powells Inszenierung seiner “Beweise” vor der UN war Bestandteil einer medial gestützten Kriegsvorbereitung der Amerikaner, die in dieser Form ihresgleichen sucht. Dem Legitimationsdruck, der durch die Existenz der “internationalen Gemeinschaft” auch für eine offenbar zu allem entschlossenen Supermacht herrscht, wird mit einem gewaltigen Aufgebot an vieldeutigen Bildern und Texten begegnet. Die mangelnde Plausibilität der offiziell verlautbarten Kriegsgründe macht die Mobilisierung aller technischen, politischen, rhetorischen und propagandistischen Ressourcen erforderlich. Die verantwortlichen Kriegsherren und -damen in Washington, allen voran George W. Bush selbst, der “Pentagon Warlord” (Time) Donald Rumsfeld und die “War Princess” (Newsweek) Condoleezza Rice – werden in einer Meisterleistung des Military-Entertainment Complex zu Medienstars aufgebaut, die mit der Macht ihres vermeintlichen Charismas die Beweispflicht unverblümt in eine Beweisfarce verwandeln. Die Politologin und Kriegsforscherin Mary Kaldor hat für die laufenden Vorbereitungen und den immer wahrscheinlicher werdenden Krieg am Golf jüngst den Begriff des “Spektakelkriegs” geprägt, und man gewinnt tatsächlich den Eindruck, als wäre es eine bewusste strategische Maßnahme der Amerikaner, diesen Krieg, ähnlich wie den Golfkrieg von 1991 und im Gegensatz zum Angriff auf Afghanistan seit 2001, als bildstarken Medienkrieg zu führen, so als müsste neben der militärischen und ökonomischen vor allem auch die kulturelle Übermacht des Imperiums demonstriert werden. Ein Zeichen der Schwäche?