Der Bürgermeister André Santini hat die Gemeinde Issy-les Moulineaux zu einer beispielhaften eCity ausgebaut. Die kleine Gemeinde, die direkt im Süden der Hauptstadt Paris liegt, treibt nach einem Beschluss aus dem Jahr 1996 die technologische Entwicklung und Anwendung voran. Die ehemalige Industriestadt schaffte durch eine fast flächendeckende Ansiedelung von IT-Unternehmen den Sprung ins 21. Jahrhundert. Dabei achtet die liberal-konservative Regierung nicht nur aufs Geschäft sondern bezieht die Bürger ins politische Leben ein. Die Gemeinderatssitzung beispielsweise kann jeder interessierte Bürger mit Fragen via Mail bereichern während er am Bildschirm die Debatte verfolgt. Wie schafft man es, einen Plan zur interaktiven Stadtentwicklung derart lebendig werden zu lassen? politik-digital fragte den Bürgermeister André Santini.

politik-digital.de: Seit wann engagiert sich die Gemeinde Issy-les-Moulineaux für den Sektor des eCommerce? Wie war die Ausgangsituation der Gemeinde?

Santini: Als wir den “Plan Local de l´Information” im Januar 1996 verabschiedeten war unsere Zielsetzung, die Entwicklung Neuer Technologien auf unserem Stadtgebiet zu begleiten. Ich hatte damals das Gefühl, dass mit dem Internet eine tiefgehende Umwälzung unserer Art zu kommunizieren einherging und dass es ein hervoragendes Werkzeug beim Erwerb von Wissen darstellt. In meiner Funktion als gewählter Volksvertreter sah ich es als meine Pflicht an, diese Umwälzung zu antizipieren und jedem Einwohner und jedem Unternehmen den Zugang zu den Neuen Medien leicht und schnell zu bieten. Allerdings ist die Kultur der Innovation in Issy nicht erst mit dem Internet geboren worden. Unsere Kinder zahlen seit 1993 im Schulrestaurant mit einer Karte, mit der sie sich auch bei den Sport- und Freizeitzentern anmelden können. Die städtische Mediathek führt seit 1994 CD-Roms, hat seit 1995 einen kostenlosen öffentlichen Internetzugang und verleiht seit 1998 DVDs. Schliesslich verfügen wir über einen Multimedia-Saal, der seit Beginn der 90er Jahre an Firmen vermietet wird.

politik-digital.de: In welchen Bereichen hat die Gemeinde investiert, um die Unternehmen anzuziehen? Welche Unternehmen sind nach Issy gekommen?

Santini: Unter den 57% der in Issy ansässigen Firmen, die im Sektor der Informationstechnologie arbeiten, befinden sich internatiale Großkonzerne wie Cisco Systems, Wanadoo oder Compaq. Aber auch zahlreiche junge Firmen haben sich dazu entschlossen, sich hier zu entwickeln. Das beste Beispiel dafür bietet Wavecom, spezialisiert auf die Herstellung von Chips für Mobiltelefone. Diese Firma hat sich 1993 auf einem Areal von 100m2 niedergelassen und nutzt heute 10.000 m2 in der Stadt.

politik-digital.de: Issy zeigt sich neben dem eCommerce auch sehr aktiv im Bereich der elektronischen Verwaltung und der Beteiligung der Bürger am politischen Prozess. Mit welchen Mitteln wird den Bürgern die Partizipation am lokalpolitischen Leben ermöglicht?

Santini: In Issy-les-Moulineaux experimentieren wir seit vier Jahren mit einer interaktiven Stadtverwaltung. Dabei haben wir den Bürgern erlaubt, in die Debatten des Gemeinderats einzugreifen, die übertragen werden durch Kabel oder Internet. Die Bürger können per mail Fragen stellen oder ihre Anmerkungen über eine kostenfreie Telefonleitung abgeben. Dies hat uns geholfen, den Gemeinderat wieder als Zentrum des städtischen Lebens zu etablieren. Das sichtbare Ergebnis ist die verstärkte Teilnahme der Bürger an Sitzungen im Rathaus.

politik-digital.de: Was sind ihre Ziele für eine Issy électronique in der Zukunft?

Santini: Im Laufe der kommenden Jahre sollen sich drei zentrale Themen entwickeln: die Mobilität, Breitbandzugang, die elektronische Verwaltung und der internationale Austausch. Die Mobilität: Dadurch dass beinahe 50% der Franzosen über ein Mobiltelefon verfügen, wird die Frage nach der mobilen Information virulent. Wir beobachten die Entwicklung von WAP-Standards, eine Technologie, die rasch von den Übertragunsmöglichkeiten GPRS und UMTS ersetzt werden wird. Darüberhinaus werden diese archaischen Zustände durch den Breitbandzugang, den uns die neue Mobiltechnologie bieten wird, abgelöst. Wir müssen also unsere Kommunikation und unsere Angebote an diese Mobilität anpassen, indem wir uns schnell um neue Services bemühen, die wir dem Bürger anbieten können. Der Breitbandzugang: Nach ADSL und Kabel wird der Zusammenschluss lokaler Radiostationen den Bretibandzugang für PME-PMI und für Privatpersonen zu interessanten Konditionen anbieten. Darüberhinaus wird der durch Breitbandzugang entstehende Komfort, die Anpassung der Zugangspreise eine radikale Nutzungsveränderung der Internetgemeinde bewirken : Dadurch, dass ihre Konzentration sich nicht mehr auf die Telefonrechnung beschränkt, nutzen sie das Netz in allen Lebenslagen. Das bedeutet eine verstärkte Forderung nach qualitätsvollen Angeboten. In dieser Hinsicht wird das lokale Webfernsehen (e-T2i, seit 2000 im Netz) eine der zentralen Informationsquellen der lokalen Netzgemeinde darstellen. Die elektronische Verwaltung: Über die reine elektronische Verwaltung hinaus, muss dem Bürger eine einzigartige Plattform geboten werden, ein Virutelles Verwaltungsbüro, das von zu Hause, vom Büro aus und an öffentlichen Stellen zugänglich ist. Ziel dieser Maßnahme ist es, die tatsächlichen Wege zum Rathaus zu reduzieren und dadurch Humanressourcen zu mobilisieren. Für die Zukunft können wir uns vorstellen, dass alle administrativen Vorgänge in elektronischer Form stattfinden und die Bewohner von Issy mit sicherer elektronischer Währung bezahlen.

politik-digital.de: Steht Issy im Austausch mit anderen Städten in Frankreich oder Europa, um sein Wissen und seine Erfahrungen zu teilen?

Santini: Der Fortschritt der Stadt im Bereich der Telekommunikation hat ihr die Anerkennung auf internationalem Niveau ermöglicht. Dabei erleichtert und intensiviert die Technologie selbst den Austausch. Durch das fortschrittliche Image von Issy-les-Moulineaux sind wir zunehmend mit Anfragen konfrontiert, beispielsweise empfangen wir Delegationen oder beteiligen uns an internationalen Konferenzen. Die Stadt steht ausserdem einem internationalen Zusammenschluss von Rathäusern vor, dem Global Cities Dialogue, zu dem über 50 Städte in aller Welt gehören, darunter Helsinki, Stockholm, Bremen, Barcelona, Rom, Seattle, Buenos-Aires, Santiago du Chile, Bamako, oder Belo Horizonte Die Bürgermeister dieser Städte bemühen sich darum den allgemeinen Austausch von Informationen zum Thema zu institutionalisieren. Ein weiterer Multiplikator sind unsere bilateralen Austäusche, die vor allem über unsere Schulen organisiert werden. Es werden beispielsweise regelmäßig Videokonferenzen mit Schulklassen in Madison (USA), in Peking, Bremen oder erst kürzlich mit Santa Clara im Silicon Valley organisiert. Im Zuge dieser letzten Konferenz konnten die jungen Issyianer mit Eric Benhamou, dem Präsididenten von 3 Com und damit einem der wenigen erfolgreichen Franzosen im Valley diskutieren.

politik-digital.de: Glauben Sie, dass das Internet zur Entwicklung der Demokratie beiträgt? Was sind ihre Visionen?

Santini: Das Internet ist das einfachste Mittel, um eine direkte Verbindung zwischen Gewählten und Bürgern bei geradezu lächerlich geringen Kosten zu schaffen. Die Informationstechnologie hilft den Bürgern, die Politik besser zu kennen und ihre Rechte auszuüben. Die kann den Bürger in die Lage versetzen, eine wichtigere Rolle bei der Entscheidungsfindung für öffentliche Angelegenheite zu spielen. Es handelt sich dabei um eine einzigartige Gelegenheit, eine aktive Bürgerschaft zu etablieren und diese an der Erneuerung der Demokratie mitwirken zu lassen. Wir haben es hier höchstwahrscheinlich mit einer Revolution zu tun, die in ihrem Einfluss auf die öffentliche Meinung gleichbedeutend ist mit der Erfindung des Buchdrucks. Unter Zurückweisung der direkten Demokratie, die niemals mehr war als eine Utopie, bieten die Informationstechnologien die Voraussetzung zu einem Wandel von der repräsentativen zur partizipativen Demokratie. Hier wird das Verlangen nach Transparenz und Teilhabe eines Teils der Bevölkerung seine Erfüllung finden können.

politik-digital.de: Was bedeuten diese Veränderungen für die Beziehungen zwischen politischer Klasse und Bürgern?

Santini: Wir entwickeln uns auf ein System der transparenten und kontrollierten Delegation zu. Die politisch Verantwortlichen müssen sich daran gewöhnen, indem sie für jedes Thema ihre Fähigkeit, alternative Lösungen anzubieten, unter Beweis stellen. Die verschiedenen Möglichkeiten und nicht die getroffenen Entscheidungen müssen gezeigt werden, der Konsens muss über das Abwägen der Vor- und Nachteile und der Berücksichtigung der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten erfolgen.

politik-digital.de: Führt das Internet tatsächlich zu einer Rückbesinnung der Bürger auf die Politik?

Santini: Phil Noble, der amerikanische Experte für ePolitics bemerkte anlässlich des zweiten Weltforums zur Elektronischen Demokratie in Issy letzten Mai, dass die durchschnittliche Verweildauer der User auf den politischen Seiten von acht Minuten in den USA bis zu fünf Minuten in Schweden reicht. Dank des Internet können wir in unsere Welt der Sekunden-Clips, in der die griffigen Phrasen die Politik beherrschen, wieder Auseinandersetzungen von einer gewissen Dauer einbringen.