Das Netz spielt zweifellos eine zunehmend wichtige Rolle als Element politischer Öffentlichkeit. Neben den etablierten Akteuren aus dem Massenmedienbereich, den politischen Parteien, den Interessensverbänden und großen NGOs greifen auch ressourcenschwächere oder neue Akteure auf das Internet zurück, um ihre Arbeit, Ansichten und politischen Anliegen bekannt zu machen.
Angesichts der stark gewachsenen Bedeutung des Netzes als Informations- und Kommunikationsmittel hat sich eine gute Position im Netz unter aufmerksamkeitsökonomischen Gesichtspunkten zu einer wichtigen Ressource entwickelt. Wer z.B. bei Suchanfragen zu bestimmten Themen in den Rankings der populärsten Suchmaschinen unter den ersten Treffern platziert ist oder sich in der „Blogosphäre“ einen Namen macht, erhält neue Einflussmöglichkei-ten auf die politische Öffentlichkeit.
Auch staatliche Institutionen nutzen auf vielfältige Weise netzbasierte Kommunikation: nicht nur zur Modernisierung von Bürgerservices, Verwaltungsabläufen und internen Arbeitspro-zessen, sondern auch zur Herstellung von Themenöffentlichkeiten und dabei zudem zum Aus-tausch mit interessierten Bürgern. Die hohe Relevanz des Netzes für die Herstellung und in-haltliche Mitgestaltung politischer Öffentlichkeit wird auf politisch-programmatischer Ebene seit längerem anerkannt. Institutionelle Angebote zur Diskussion im Internet (durch Regie-rungen, Parlamente etc.) befinden sich allerdings insgesamt gesehen noch immer in der Experimentier-phase. Gleiches ist festzustellen für die Beteiligung der Politik an Online-Diskussionsangeboten nicht staatlicher Akteure und deren Förderung. Derzeit erscheint es so als besonders dringlich, dass die zentralen Akteure konzertiert eine Strategie entwickeln, um die Kluft zu schließen, die immer noch zwischen den programmatischen Ansprüchen und dem praktischen Engagement der Politik im Bereich der Online-Angebote zur politischen Information, Diskussion und Partizipation besteht.
Der Deutsche Bundestag setzt sich seit langem mit den Chancen und Herausforderungen auseinander, die sich aus der wachsenden Bedeutung politischer Netzöffentlichkeit ergeben. Neben der Weiterentwicklung des eigenen traditionsreichen Internetangebots hat das Parlament auch die wissenschaftliche Forschung zu dieser Thematik vorangetrieben. So wurde das Büro für Technikfolgen-Anschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) im Jahr 2003 – in An-knüpfung an das im November 2001 abgeschlossene Forschungsprojekt „Neue Medien und Kultur“ – damit beauftragt, die Thematik politischer Netzöffentlichkeit zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser (im Rahmen des Projekts „Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten“ erfolgten) Untersuchung werden in Kürze auch als
Buchpublikation vorliegen.
Bei der Durchführung des Projekts und in den Monaten seit seinem Abschluss (im Frühjahr 2005) konnten die Autoren der Studie feststellen, dass politische Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie Themen sind, die in Politik und Wissenschaft national wie international derzeit wieder stark an Bedeutung gewinnen. Aktivitäten der parlamentarischen Politikberatung und Technikfolgenabschätzung haben daran ihren Anteil: Außer vom Deutschen Bundestag wurden z.B. in der letzten Zeit auch von anderen europäischen Parlamenten Studien zu dieser Thematik in Auftrag gegeben. Der Untersuchungsauftrag des Deutschen Bundestages zeich-nete sich dabei durch seine doppelte Stoßrichtung aus: Zum einen sollten zentrale Aspekte des aktuellen Wandels politischer Öffentlichkeit durch das Netz aufgegriffen werden, um den politischen Akteuren und interessierten Bürgern Hinweise auf Strukturveränderungen und relevante Entwicklungstendenzen in diesem Bereich zu liefern. Zum anderen ging es darum, auch die spezifischen Chancen und Herausforderungen zu verdeutlichen, die sich aus der gewachsenen Bedeutung politischer Netzöffentlichkeit für die Präsenz politischer Institutionen im Netz (und deren Netzpolitik allgemein) ergeben.
Der Wahlkampf in Deutschland in diesem Jahr hat wieder einmal gezeigt, dass politische Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie Themen sind, die Politik, Wissenschaft und interessierte Bürger weiter zunehmend beschäftigen werden. Auch Entwicklungen außerhalb Deutschlands und auf EU-Ebene weisen darauf hin, dass die politische Relevanz des Internets und die konzeptionelle und praktische Bedeutung digitaler Demokratie wieder steigen. Mit der Studie soll daher ein Beitrag zum Dialog und zur öffentlichen Debatte über dieses wichti-ge Einsatzfeld der Informations- und Kommunikationstechnologien geleistet werden.
Wie in der Arbeit des TAB in der Regel üblich, wurde in dem Projekt zusätzlich auf externe Expertise zurückgegriffen. Die facettenreiche und vielfältige Thematik der politischen Netzöffentlichkeit machte es erforderlich, ein breites Spektrum von wissenschaftlichem Sachvers-tand und Praxiserfahrungen zu berücksichtigen. Neben den Mitgliedern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Bundestages, anderer politischer Institutionen und wissenschaftli-chen Expertinnen und Experten, die mit starkem persönlichem Engagement und hoher Kompetenz das Projekt konstruktiv begleitet haben, gebührt daher auch ein besonderer Dank all jenen, die Gutachten für das Projekt beigesteuert haben, nämlich:
- Christoph Bieber (Gießen)
- Christoph Dowe, Christian Hochhuth (Pol-di.net e.V./politik-digital.de, Berlin)
- Matthias Kettner (Frankfurt/M., Witten-Herdecke)
- Claus Leggewie (Gießen)
- Christoph Neuberger, Christoph Kaletka, Daniel Meyering, Ann Schlichting (Westfäli-sche Wilhelms-Universität Münster, Institut für Kommunikationswissenschaft)
- Dieter Rucht, Mundo Yang, Ann Zimmermann (WZB, Wissenschaftszentrum Berlin)
- Klaus Schönberger, Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur e.V. in Verbin-dung mit der Universität Tübingen)
- Alexander Siedschlag (Berlin, München)
- Matthias Trénel (Berlin)
- Rainer Winter, Sonja Groinig (Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Klagenfurt)
- Michaela Wölk, Britta Oertel, Jan Oppermann, Mandy Scheermesser (IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin)
- Thomas Zittel (Mannheim)
Es war selbstverständlich nicht möglich, in dem TAB-Bericht für den Deutschen Bundestag die ganze Vielfalt der Erkenntnisse und Anregungen aus den Gutachten zu berücksichtigen. Auch deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass politik-digital.de mit diesem Themenfokus eine Plattform geschaffen hat, durch die der Kontext des Projekts und die einschlägigen Arbeiten der Gutachterinnen und Gutachter in der interessierten (Netz-)Öffentlichkeit noch bekannter gemacht werden.
Armin Grunwald
Gerhard Banse
Christopher Coenen
Leonhard Hennen
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