In Bremen sind die „Großen“ im Internet gar nicht groß und gehören dafür eigentlich abgewählt. Und den Berliner Parteizentralen ist die Wahl kaum eine Zeile wert.
Zur politischen Situation:
Trotz der schweren Niederlagen der SPD bei Landtagswahlen – in Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein – in diesem Jahr blickt derzeit kaum jemand gespannt auf die nächste Möglichkeit zum Stimmungstest – die Wahl zur Bremer Bürgerschaftswahl am 25. Mai.
Dort spricht zur Zeit vieles für den Machterhalt der Sozialdemokraten, so dass für Wahlstrategen das einzig spannende die Wahl des Koalitionspartners ist.
Seit 1945 stellt nun schon die SPD den Bürgermeister in der Hansestadt Bremen. Henning Scherf, Chef der dienstältesten großen Koalition im kleinsten deutschen Bundesland, hat sich festgelegt: Wenn die SPD nicht stärkste Partei wird, steht er für ein politisches Amt in dem Stadtstaat nicht mehr zur Verfügung. Die Macht muss er sich dort jedoch seit acht Jahren mit der CDU teilen. Die Konservativen können sich nicht wie bei den letzten Wahlen als echte Alternative zur Bundes- oder Landespolitik präsentieren. Die Ergebnisse der Sonntagsfrage eine Woche vor dem Urnengang: SPD 38 Prozent, CDU 36 Prozent, Gruene 12 Prozent, FDP 5 Prozent, PDS, DVU und Schill jeweils 2 Prozent (laut
Infratest Dimap ).
Es bleiben zwei realistische Szenarien:
1. Die SPD erreicht ihr Wahlziel 40 plus X, die CDU hält ihre bisherigen 37 Prozent: Das Bündnis geht in die dritte Runde, Scherf bleibt im Amt.
2. Die CDU wird diesmal stärkste Kraft, die SPD liegt knapp dahinter: Bündniswechsel: Rot-Grüne Koalition für Bremen und Rücktritt Scherf.
Die beste Strategie für die Union wäre ein solider zweiter Platz bei den Wahlen und alles bliebe wie bisher. Die Bündnis-Grünen hoffen natürlich auf Szenario 2 und die FDP kämpft gegen sich selbst an der 5%-Hürde.
Die SPD kann in dieser komfortablen Situation – trotz ihrer Koalitionsaussage zugunsten des jetzigen Juniorpartners CDU – den Wahlausgang relativ entspannt erwarten. Online-Wahlkampf ist in dieser beschaulichen Atmosphäre kaum ein Thema. Ein virtueller Wahlkampf hätte zwar den Vorteil, bereits vor dem 25. Mai ein Wahlversprechen zu erfüllen und die Innenstadt mit Plakaten zu verschonen, doch dass das Internet viel mehr zu bieten hat, wird von den Wahlkämpfern ignoriert.
Das WWWeb der unbegrenzten Möglichkeiten – auch für Wahlkämpfer:
Bei früheren Wahlen reichte es noch aus, einfach nur „online“ zu sein – schon das strahlte Modernität aus. Doch spätestens bei der Bundestagswahl 2002 haben die Parteien die Möglichkeiten des Internet entdeckt. Man erreicht den Bürger endlich zu Hause und nicht nur auf dem Weg zum Supermarkt per Infostand. Es wurden neue Maßstäbe gesetzt, um Offline- und Online-Wahlkampf zu synchronisieren. „Heutzutage muss hinter dem Online-Auftritt ein vernünftiges Konzept stehen. Im Internet muss ein Kommunikationsziel gesetzt und erreicht werden“, so der Anspruch von Stefan Scholz, dem Teamleiter Online Services im CDU- Bundestagswahlkampf 2002.
Natürlich ist man bei der Bürgerschaftswahl in Bremen nicht so ehrgeizig wie bei der Bundestagswahl. Dies zeigt sich schon beim Etat der Landes-Parteien: SPD wie CDU haben für Ihren gesamten Offline- und Online-Wahlkampf 250.000 Euro zur Verfügung. Die Grünen liegen mit immerhin noch 100.000 Euro im Mittelfeld, ganz im Gegensatz zur FDP, die sich mit 25.000 Euro durchschlagen muss. Der Traum von multimedialer Präsenz mit „integrierten Kampagne“, bei der sich die offline behandelten Themen auch online widerspiegeln, bleibt budgetäre Utopie. Auch Negativ-Campaigning-Seiten wie beispielsweise nicht-regierungsfähig.de (
SPD im BTWkampf 02) oder Rapid-Response-Modelle wie wahlfakten.de (
CDU im BTWkampf 02) stehen außer Frage. Aber auch in einem kleinen Stadtstaat kann man erwarten, dass Parteien und beauftragte Agenturen (Brasilhaus für die SPD, Herzblut für die CDU, Zum Goldenen Hirschen für die Grünen und 107° für die FDP) ein Mindestmaß an gutem Willen und Verständnis für die vielfältigen Möglichkeiten zeigen. Schließlich ist gerade im Internet ein großer Teil der Wähler relativ kostengünstig zu erreichen.
Die Realität…
… bei der SPD:
Die SPD leistet sich als einzige Partei in Bremen eine extra Wahlkampf-Site, wenn auch nicht eine eigene URL:
Hier findet der interessierte Bürger die sehr spärliche Seite zur Bürgerschaftswahl. Neben dem Wahlprogramm werden die Kandidaten vorgestellt und die Wahlkampf-Termine bekannt gegeben. Das Wahlprogramm wird sowohl zum online lesen als auch zum Download im pdf-Format angeboten. Die Kandidaten lächeln per Foto von der Seite, geben Ihre Kontaktdaten bekannt und noch ein Wahlkampf-Motto. Das war’s. Weder ein Spenden- und Pressebereich noch ein Newsletter wird geboten – von Interaktivität ganz zu schweigen. Und warum das Zugpferd der Bremer SPD, Henning Scherf, nicht in den Vordergrund gerückt wird, bleibt ein Rätsel.
… bei der CDU:
Die
CDU hat sich eine Kampagnen-Seite gespart, dafür bietet ein strahlender CDU-Landeschef Bernd Neumann schon auf der Startseite einen Überblick über die Informationen zur Bürgerschaftswahl. Auch hier findet man eine Vorstellung der Kandidaten, werden das Wahlprogramm und die Termine angeboten. Weiterhin findet man „Impressionen und Bildmaterial aus dem Wahlkampf“. Als besonderes Gimmick wird ein Gewinnspiel angeboten: Wer mit seinem Tipp zum Wahlausgang unter den 10 Teilnehmern ist, deren Wahlprognose dem amtlichen Wahlergebnis am nächsten kommt, kann eine „3tägige Informationsreise für Zwei in die Bundeshauptstadt Berlin“ gewinnen. Nicht nur für Journalisten interessant ist der Download-Bereich, dort werden Pressemitteilungen, das Logo, Plakate, Fotos, Reden und Links offeriert. Neu ist ein Pop-up Fenster, dass auf die Seite des Spitzenkandidaten Hartmut Perschau verweist. Mutig, denn solche sich-selbst-öffnenden Fenster sich bei vielen Usern unbeliebt.
… bei den Bündnis-Grünen:
Die Homepage der
Bremer Grünen bietet neben einem ansprechenden Design vor allem viel Inhalt: In dem horizontalen Menü-Balken erkennt man auf einen Blick die thematischen Schwerpunkte: Bildung, Ökologie, Sanierung und Termine. Das vertikale Menü bietet: “Aktuelles, Themen, Wahl 2003, Über Uns, Service, Kontakt und Und Du?” Im Hauptframe machen verkürzte Artikel Appetit auf mehr, mit Titeln wie beispielsweise “VerSCHERFter Erpressungswahlkampf”. Wirklich ausgefallenes offeriert das Banner „”Rent-a-Candidate”“: Hier kann man einen Kandidaten zu sich ins Wohnzimmer holen, um sich von Ihm/Ihr überzeugen zu lassen. Verwiesen wird auch auf eine Grüne-Testen-Homepage, die eine Mitgliedschaft auf Probe anbietet. Auch die im Bundestagswahlkampf beliebte e-card wird wieder eingesetzt. Man merkt, dass die beauftragte Agentur “Zum goldenen Hirschen” ihr Geschäft versteht. Schließlich ist sie seit Jahren die Stammagentur der Bündnis-Grünen auf Landes- und Bundesebene.
… bei der FDP:
Einzig bei der
FDP findet man auf der Homepage der Bundespartei
www.fdp.de einen Hinweiß auf die anstehende Wahl in Bremen, wenn auch nur indirekt: Auf der Startseite des Portal Liberal-FDP“ findet man unter Terminen winzigklein „”24.04. Auftaktveranstaltung… für die Bremer Bürgerschaftswahl…”“ und unter ferner liefen einen Artikel: „”Jäger: Sanierung der Bremischen Haushalte gescheitert.”“ Doch auch hier kein Link zur Homepage des Landesverbandes Bremen. Der Weg dorthin lohnt jedoch: Da die FDP seit zwei Legislaturperioden nicht in der Bürgerschaft vertreten ist, findet man hier eine reine Wahlkampf-Page. Von der Startseite grüßt der Spitzenkandidat Claus Jäger “Kompetent und Frei heraus”. Ein Plakat mit der Aufschrift „”56 Jahre hat Bremen rot gesehen. Jetzt reicht`s”“ gibt das Wahlkampf-Motto vor, so dass man schon auf der ersten Seite weiß, woran man bei der FDP ist. Beim Durchklicken fällt man immer wieder über den einprägsamen Slogan „Mutig handeln statt schön reden“. Das Design ist ansprechend (wenn auch sehr abweichend vom look & feel der FDP) und die Navigation übersichtlich – die Menü-Punkte sprechen für sich: “Home, Programm, Presse, Termine, Aktuell, Wahlprüfsteine, Kandidaten, Kontakt und Impressum”. Leider wird kein Newsletter angeboten.
Groß und Klein
Die beiden „Großen“ sind im Internet gar nicht so groß – die beiden „Kleinen“ nutzen die Möglichkeit, um zumindest hier Boden gut zu machen. So kann sich der interessierte Bürger lediglich bei den Grünen und der FDP schnell einen Überblick über die unterschiedlichen Positionen machen und muss nicht – wie bei SPD und CDU – das ganze Wahlprogramm wälzen. Nur die CDU bietet eine personalisierte Kandidaten-Site an. Und in den Berliner Parteizentralen scheint sich niemand für die Wahl in Bremen zu interessieren, denn noch nicht mal ein Link zeigt den Weg dorthin.
Erschienen am 27.05.2003
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