Joachim Jakobs:
Politik-digital.de: Die Folgen der Einführung von Softwarepatente btreffen nicht nur die IT-Branche. Welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen hat die neue EU-Richtlinie?

Joachim Jakobs: Es gibt unterschiedliche Kulturen: Die Freie Software Gemeinde pflegt die des Teilens von Wissen und von Informationen. Aus dieser Kultur des Austauschs ist das “WWW”, das World Wide Web entstanden. Andere nutzen zwar gerne das Wissen von Dritten, meinen aber, sie müssten eigene oder gar fremde Ideen monopolisieren, um dann bei denen Kasse zu machen, die eine Lösung zu dieser Idee entwickeln.

Ist der Lösungsentwickler nicht bereit, die Wegelagerer-Gebühr des Ideenbesitzers zu bezahlen, kann der ihn als Ideendieb verklagen. Genauso können die Kunden des Ideendiebs verklagt werden. Da kein Wirtschaftsbereich ohne Software auskommt, werden alle davon betroffen sein. Angesichts von 30.000 Softwarepatenten in den Europa, die nur auf ihre Legalisierung warten, erwarten wir nicht nur eine Lähmung des wirtschaftlichen, sondern auch des gesellschaftlichen Lebens in Europa.

Ein Beispiel: “Basel II” sind Empfehlungen zur Berechnung und Bewertung von Kreditrisiken. Sie wurden von Zentralbanken rund um den Globus unter der Federführung der Bank für internationalen Zahlungsausgleich im schweizerischen Basel entwickelt.

In den USA sind 180 Patente angemeldet, die sich mit “Credit Risk” beschäftigen. Insbesondere deutsche Mittelständler ächzen unter der restriktiven Kreditvergabe ihrer Finanzdienstleister. Sie ahnen allerdings nicht einmal im Ansatz, was mit Softwarepatenten erst auf sie zukommen könnte.

Beliebige weitere Szenarien aus Bereichen wie der öffentlichen Finanzverwaltung, der Verwaltung von Kranken oder der Arbeitslosen sind denkbar. Eines möchte ich aber noch herausgreifen: Die Anzahl der Möglichkeiten, ein Computersystem möglichst “sicher” zu machen, sind begrenzt. Vielfach wird es wohl nur eine “beste” Lösung geben. Sicherlich wünschen sich viele Menschen eine gesicherte Energieversorgung. Auch die Software von Atomkraftwerken sollte höchsten Ansprüchen genügen. Mit Softwarepatenten ist dieser Anspruch erheblich eingeschränkt.

Politik-digital.de: Warum ist Ihrer Meinung nach der deutsche Wirtschaftsminister Minister Clement am 07. März bei den abschliessenden Verhandlungen so passiv geblieben?

Joachim Jakobs: Jeder Bundesminister, der in dieser Frage abzustimmen gehabt hätte, hätte einen präzisen Auftrag erhalten. Die Frage ist mehr, wieso sich Bundeskanzler Schröder so dezidiert auf die Seite der Patentlobby gestellt hat, ohne sich über die Folgen zu informieren.

politik-digital.de: Wie können sich Bürgerinnen und Bürger gegen die Einführung von Softwarepatenten in Europa wehren?

Joachim Jakobs: Am besten Fellow der Free Software Foundation Europe werden und gemeinsam mit uns Aktionen und Initiativen etwas gegen die geistige Verarmung unserer Gesellschaft unternehmen! Nur Gemeinsam sind wir stark!

Politik-digital.de: Was spricht gegen die Hauptargumente der Befürworter der neuen Softwarepatent-Richtlinie?

Joachim Jakobs: Das Hauptargument der Befürworter ist, dass die “Erfindungen” geschützt werden müssten. Nur: Ideen sind keine Erfindungen, sondern allenfalls Voraussetzung, um etwas erfinden zu können. Und die tatsächlichen “Erfindungen”, nämlich der Quellcode der Programme der Softwareentwickler sind durch das bestehende Urheberrecht ausreichend geschützt.

Politik-digital.de: Brigitte Zypries bezeichnete den EU-Ratsbeschluss als “grossen Gewinn an Rechtssicherheit”. Worauf bezieht sich dieser Rechtssicherheitsgewinn?

Joachim Jakobs: Diese Aussage scheint mir genauso qualifiziert, wie die seit Monaten andauernde Hoffnung, die Konjunktur in Deutschland werde anspringen. Mit anderen Worten: Das bleibt das Geheimnis unserer Bundesjustizministerin. Danach sollten Sie sie selbst fragen.

Politik-digital.de: Nennen Sie bitte ein paar Beispiele aus dem alltäglichen Leben, auf die sich die neue Richtlinie auswirken könnte!

Joachim Jakobs:Jeder Marktteilnehmer, der ein Softwarepatent hält, könnte seine Wettbewerber verklagen – die Beweislast läge beim Beklagten. Das könnte die verschiedensten Produkte erheblich teurer machen, oder deren Benutzung ganz verhindern. Die Entscheidung darüber läge beim Patentinhaber. So könnten sich die Gebühren beim Internet-Einkauf könnten erhöhen, weil Amazon sein berüchtigtes Ein-Klick-Patent hält.

Windows und
GNU/Linux-Anwender müssten fürchten, Lizenzzahlungen wegen eines Patents auf einen virtuellen Mülleimer an Apple leisten zu müssen. Und Fans des freien Musikkompressions-Standards
OGG/Vorbis müssten Klagen der Fraunhofer-Gesellschaft wegen deren
MP3 Patent fürchten. Genauso müssten Fotografen um die Existenz ihrer virtuellen Fotoalben im Internet fürchten, wenn sie ein anderes Fotoformat als das patententierte JPEG benutzen – Daß das benutzte Format nicht das Patent verletzt, müssen die Beklagten beweisen.