Green Cards wurden in Deutschland nicht nur für Inder, sondern auch für osteuropäische IT-Spitzenkräfte gefordert. Während die Reformen in den gesättigten Gesellschaften im Westen schleichend voran gehen, könnte Osteuropa der Absprung in die Informationsgesellschaft schneller gelingen. Slowenien versucht derzeit in einem riesigen Kraftakt, seine Verwaltung auf eGovernment umzustellen.
Gemeinsam stark: EU-Hilfe für den Weg ins digitale Europa
Slowenien gehört heute zu einem der aussichtsreichsten Kandidaten um die Aufnahme in die EU in der nächsten Erweiterungsrunde. Die nördlichste der Balkan-Republiken, die einst zur Bundesrepublik Jugoslawien gehörten, erklärte am 25. Juni 1991 die Unabhängigkeit von Jugoslawien. Seit März 1998 laufen Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Kommission.
Schlecht kann man den Aufnahmekandidaten vorhalten, sie sähen dem möglichen Abrutschen in die viel beschworene “digitale Spalte” untätig entgegen. Wie viele andere beteiligt sich Slowenien an der gemeinsamen Initiative ”
eEurope+” der EU-Länder und der Kandidaten. Im Mai 2000 entschlossen sich die Bewerberstaaten bei einer Konferenz in Warschau dazu, einen Aktionsplan zu entwickeln, der dabei helfen soll, die Computer und Internetinfrastruktur zu verbessern und eCommerce einzuführen. Dabei orientierte man sich an der kurz zuvor von den EU15-Staaten verabschiedeten “eEurope”-Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, Europa zur “dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftskraft der Welt” zu machen. Bis Ende 2003 will man den Aktionsplan umgesetzt haben. Finanziert wird die Initiative aus den nationalen Budgets sowie aus Finanzhilfen der
EU, der
Europäischen Investitionsbank, der
Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und der
Weltbank. Die EU will vor allem über die den Kandidatenländern zugänglichen
PHARE-Programme einen Beitrag leisten.
Fokus des “eEurope+”-Plans liegt darauf, mit Hilfe moderner Kommunikationsformen das Verhältnis zwischen Bürgern, Unternehmen und Staat zu verbessern. Das könnte gerade in den post-kommunistischen Ländern eine gewisse Anschubskraft für weitere Demokratisierung entfalten. Der Staat stellt sich ins Netz und wird für jeden Bürger per Email greifbar- ein Idealbild, dem allerdings selbst die gefestigten Demokratien des Westens nicht vollständig gerecht werden.
Konkretere Ziele des Plans beinhalten, dass die nationalen Ökonomien auf eCommerce umgestellt werden. Dazu müssen, laut “eEurope+”-Plan, die Gesetze an EU-Recht angeglichen werden. Neben der Wirtschaft soll die Bildung im Feld IuK-Technologien aufgestockt werden. Zukunftsweisend stellt man sich auch vor, dass die digitale Vernetzung im Gesundheitssystem und Umweltschutz zu einer Besserung beitragen könnte. Nachdem Reformen und Investitionen in diesen beiden Bereichen über Jahre verschleppt worden sind, erscheint die gewünschte schnelle Hilfe durch technische Aufrüstung doch eher utopisch.
Ein erster Zwischenbericht über die Ergebnisse der Reformen soll Ende März 2002 veröffentlicht werden.
Was der Staat leisten will
Slowenien hat sich in Windeseile daran gemacht, die Initiative umzusetzen. Im Januar 2001 begann das neue
Ministerium für die Informationsgesellschaft seine Arbeit. Bereits im Februar präsentierte der frisch gekürte Minister, Dr. Pavel Gantar, ein Konzept, wie die Verwaltung im Land auf allen Ebenen auf eCommerce und eGovernment umgestellt werden soll. Mit dem Papier ”
eCommerce in der öffentlichen Verwaltung im Zeitraum zwischen 2001 und 2004” hat sich das Ministerium einen engen Zeitrahmen gesetzt. Der Reform unterzogen werden: Verwaltung, Wirtschaft, zahlreiche Ministerien von Justiz, über Verteidigung bis Jugend oder Sport, außerdem die privaten Haushalte.
Ziel des Papiers ist es, dass alle Bereiche der Verwaltung mit wissenschaftlichen Institutionen und der Wirtschaft vernetzt werden sollen. Einzelne Informationssysteme sollen in ein globales Datenreservoir geleitet werden. Daneben erhofft man sich Effizienzgewinne im Bereich public-procurement – oder zu deutsch: Der Staat will seine Bestellungen und Lieferungen per Internet regeln, um Geld für Papier und Bedienstete einzusparen. Hauptaugenmerk liegt außerdem auf dem Ausbau des zentralen
Staatsportals. Hinzu kommt, dass lokale Verwaltungen mit den nötigen Anwendungen ausgestattet werden, um alltägliche Anträge und Anliegen der Bürger über das Netz abwickeln zu können. Auch die elektronische Zahlung von Gebühren soll möglich werden.
In dem Strategiepapier über eCommerce und eGovernment ordnet sich Slowenien, was den Status-quo in der Verbreitung von IuK-Technologien betrifft, selbstkritisch hinter den anderen MOE-Staaten ein. Diese hätten zum Teil mehr Millionen locker gemacht für zentrale Bereiche wie Forschung und Umstellung der Verwaltung, heißt es. Allerdings betont man selbstbewusst: Die Ausstattung Sloweniens mit Computern und Internetanschlüssen ist bisher nicht zwar nicht ideal, aber auch nicht dramatisch. Nach
Erhebungen der Weltbank kamen im Jahr 2000 knapp 276 Computer auf 1000 Einwohner.
Problematisch ist, dass ein großer Unterschied zwischen Stadt und Land vorherrscht. Die Zentren sind deutlich besser vernetzt. Während in den größten Städten beispielsweise 661 feste Telefonanschlüsse auf 1000 Anwohner kommen, liegt dieser Wert im Landesdurchschnitt deutlich tiefer bei 386 Leitungen je 1000 Einwohner. Telefonanbindung ist meist die einfachste Voraussetzung für die Verbreitung des Internet. Geht man davon aus, dass sich andere Zugangsformen erst langsam durchsetzen werden, wird die Frage des Telefonanschlusses entscheidend für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinden sein. Wenn dort nicht nachgeholfen wird, ist tatsächlich eine “digitale Spaltung” absehbar.
Hindernislauf Verwaltungsreform
Hürden und Wassergräbern sind bei der Umsetzung der hehren Ziele im Strategie-Papier bereits erkannt worden. So könnte allein der Zugriff auf Informationen aus den verschiedenen Verwaltungsbereichen schwierig werden. Vielleicht rechnet man damit, dass Teile der Verwaltung ihr Herrschaftswissen ungern preisgeben? Eine Gefahr besteht laut Reformpapier außerdem darin, dass professionell und in der Anwendung von moderner Technik ausgebildete Beamte mit Arbeit überschüttet und so demotiviert werden könnten, während die große Masse auf einem niedrigen Ausbildungsstand vor sich hin dümpelt. Eine gute Infrastruktur und Qualifikation von Mitarbeitern kostet Geld. Das lässt sich jedoch in einem Land, dass seine Staatsschulden streng kontrollieren muss, um die EU-Konvergenzkriterien erfüllen zu können, nur schwer aus dem Staatssäckel herausschneiden.
Weitere Störfaktoren für das slowenische eGovernment könnten zudem die Gesetze werden. Offenbar will man vermeiden, dass die eigene eCommerce Gesetzgebung in Konflikt mit der EU gerät. Vorarbeit wurde jedoch zum Beispiel mit der “Electronic Commerce and Electronic Signature Act”, die im Jahr 2000 angenommen wurde, schon geleistet. Wie die Regierung versichert, solle mit dem Gesetz eine schnellere Entwicklung keinesfalls verordnet, sondern angeregt werden. Es orientiere sich deshalb an modernen Prinzipien wie der Offenheit, der Gleichbehandlung von elektronischer und traditioneller Papier-Kommunikation und der Vertragsfreiheit der Parteien, die miteinander handeln wollen.
Was sich seit dem getan hat
Nicht ohne einen Hauch von Stolz weist die Regierung darauf hin, dass eGovernment keine Vision, sondern bereits Realität sei. Die offizielle Internetseite des Informationsministeriums liefert einige Statistiken über eCommerce oder public procurement. Bei den Dienstleistungen, die der Bürger im Netz abfragen kann, handelt es sich zu 60 Prozent um reine Informationsangebote, will man den regierungseigenen Statistiken glauben. Weitere 25 Prozent seien interaktive Angebote wie Downloads von Formularen. Dazu ließen 15 Prozent der Angebote eine Kommunikation auf zwei Wegen zu. Wie eine von politik-digital angestrengte Probe aufs Exempel zeigt, antwortet die Regierung tatsächlich schnell: “For the time being, request of that kind is not possible to be aplied via eMail – Regards, info.sunz” lautet jedoch die Antwort, will man zum Beispiel die slowenische Staatsbürgerschaft beantragen.
Auf dem Staatsportal verspricht die Regierung elektronische Dienstleistung in vielen Fällen: Gründung von Vereinigungen, Staatsbürgerschaft, Personalausweis, Reisepass, Führerschein, Namensänderung, Heirat, Geburt und Tod, Meldeangelegenheiten, Aufenthaltsgenehmigungen und Waffen. Dazu gibt es eine Preisliste und die nötigen Formulare zum herunterladen.
Wie versprochen, macht sich die Regierung daran, ein Reservoir an öffentlich zugänglichen Daten und Informationeneinzurichten. So verbindet der
ARNES-Server, der von einem unabhängigen öffentlichen Träger betrieben wird, rund 230 verschiedene Forschungsinstitutionen, Bildungseinrichtungen und Bibliotheken im ganzen Land. ARNES soll eine nationale IT- Infrastruktur errichten. Gleichzeitig verwaltet ARNES alle Internetadressen mit der Endung “si”, die für Slowenien steht (Top-Level Domain). Geleitet wird die Institution von einem sechsköpfigen Vorstand, der sich aus den fünf Ministern der betroffenen Ressorts (Wissenschaft und Technik, Erziehung etc.) und aus einem Mitglied der Belegschaft zusammen setzt. Finanziert wird ARNES, das nach eigenen Angaben bereits über 40,000 Einzelnutzer und 1200 Institutionen miteinander vernetzt, über die Budgets der einzelnen Ministerien. Auch private Mittel dürfen laut Satzung eingeworben werden. Für einen Großteil der Nutzer ist der Zugang zum Internet über ARNES kostenfrei.
Neben so ehrgeizigen Projekten wie dem Staatsportal und dem nationalen Wissenschaftsserver, versucht das Informationsministerium jedoch auch den Erfahrungsvorsprung der weiter entwickelten Nachbarn in nah und fern zu nutzen. Zu Konferenzen über IuK-Strategien werden regelmäßig Experten und Würdenträger aus der EU und den anderen MOE-Staaten, zum Teil auch aus den Vereinigten Staaten und Asien eingeladen. Vom 3. bis 4. Juni 2002 erwartet die Hauptstadt Ljubljana die europäischen Minister zu einer Konferenz über die Informationsgesellschaft.
Andere Veranstaltungen dieser Art, wie zum Beispiel im letzten Sommer die Versammlung von Politikern, Unternehmern, Providern und Universitätsangehörigen mit dem Titel “E-Everything: eCommerce, eGovernement, eHouseholds and eDemocracy” beweisen, dass man dabei ist, wirklich alle Winkel der Informationskultur auszuleuchten. Ein kurzer Blick auf die Homepage der Universität Maribor zeigt zudem, dass die Wissenschaft den Anschluss an moderne Technologien längst geschafft hat.
Fazit
Slowenien kann in Sachen IT-Kompetenz und Wachstumsmarkt für IuK-Anwendungen derzeit sicher mehr als ehrgeiziger Grundschüler denn als berufsfertiger Absolvent eingestuft werden. Die Leap-Frogging-Theorie greift nicht. Zwar wird das Land für seine allgemein vorbildliche politische und wirtschaftliche Entwicklung seit der Wende gelobt. Eine überrollende Wellen von den osteuropäischen IT-Spezialisten ist derzeit nicht zu erwarten.
Dennoch gilt, dass Slowenien sich zum Konkurrenten im Export von Computer-Dienstleistungen und Software-Entwicklung mausern könnte, wenn der nun eingeschlagene Weg konsequent durchgehalten wird. Im Vergleich zu seinen zum Teil mit mehr Finanzspritzen durch internationale Investoren ausgestatteten Nachbarländern in Mittel- und Osteuropa, leistet der Bergstaat eine Menge aus eigener Kraft. Notwendige Reformen rechtzeitig einzuleiten, könnte sich für Slowenien am Ende mehr rentieren als, wie andere, rein auf ausländische Investitionen zu setzen. Denn selbst wenn es gelingt, große Firmen als Investoren ins Land zu holen, müssen diese die Reformbereitschaft des Landes und seiner Verwaltung voraussetzen können.
Erschienen am 07.03.2002
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