Im Interview erläutert Michael Scharfschwerdt die Netzstrategie der Bündnisgrünen im Wahlkampf 2002: „Das Internet ist einfach ein gutes Medium“, besonders für kleine Parteien.

 

politik-digital: Welchen Stellenwert hat das Internet im diesjährigen Wahlkampf im Vergleich zur Wahl´98?

M. Scharfschwerdt: 1998 diente die Internetseite weitgehend als Plattform zur Veröffentlichung von Pressemitteilungen und Gremienbeschlüssen. Da sind wir heute weit drüber hinaus. Das gilt nicht nur in Wahlkampfzeiten. Das Internet ist für uns, gerade als kleine Partei, fast schon das zentrale Medium für die interne und externe Kommunikation. Die Antragsbefassung im Vorfeld von Parteitagen oder auch der Übermittlung von wichtigen Informationen und Planungen finden weitgehend über das Web statt. Und sogar Debatten innerhalb der Partei laufen mehr und mehr über das Netz. Normalerweise haben wir fünf- bis sechstausend visits auf
www.gruene.de pro Tag. Im November 2001, im Vorfeld unseres Parteitages, der über die Beteiligung deutscher Truppen an einem Einsatz in Afghanistan zu entscheiden hatte, waren es dann zwölf- bis dreizehntausend visits pro Tag.

politik-digital: Nutzen auch interessierte Bürger Ihr Online-Angebot?

M. Scharfschwerdt: Ja, für uns sind dabei vier Gruppen die wichtigsten, nämlich Mitglieder, Journalisten, junge Menschen und Menschen, die im Internet surfen und einfach mal auf einer Parteiseite vorbeischauen. Auf die Ansprüche dieser Gruppen hin haben wir unser Webangebot primär ausgerichtet. Im Mittelpunkt steht dabei die politische Information, natürlich ansprechend und webgerecht aufbereitet.

politik-digital: Warum gestalten Bündnis 90/ Die Grünen ihre Wahlkampf-Strategie zur Bundestagswahl 2002 auch online?

M. Scharfschwerdt: Man kann es sich heute nicht mehr leisten, dies nicht im Internet zu machen. Immerhin bewegen sich knapp die Hälfte der Deutschen im Internet. Es ist auch gerade für kleine Parteien ein sehr gutes und günstiges Medium. Auch wenn es auch im Netz nichts umsonst gibt, im Verhältnis zu Plakate drucken und Großflächen plakatieren ist es immer noch wesentlich billiger. Wir sind immerhin von jedem Bürger dieses Landes mit Online-Anschluss einen Mausklick entfernt. Wenn ich beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern auf dem Land lebe, wo wir einen kleinen Landesverband haben, erreiche ich den einzelnen Bürger oft nur sehr schwer. Wenn er aber einen Online-Anschluss hat, kann er ganz einfach Mitglied werden, kann sich informieren und aktiv mitdiskutieren. Alles was er dafür tun muss ist
www.gruene.de einzugeben. Folgerichtig bedeutet dies für den Bundestagswahlkampf, dass wir auch unsere Wahlkampflinie, unsere Themen und Personen im Netz darstellen, für Wählerstimmen werben und den Wählern eine direkte Möglichkeit anbieten, mit uns in Kontakt zu treten.

politik-digital: Was ist den Grünen dabei am wichtigsten? Welche Themen und Inhalte spielen dabei die größte Rolle?

M. Scharfschwerdt: Sozusagen Hand in Hand mit unserem Offline-Wahlkampf, stellen wir heraus, was wir in den vergangenen vier Jahren Regierungsbeteiligung erreicht haben und was für die nächste Legislaturperiode unsere Ziele sind.

Dabei stehen acht Kernthemen für uns in diesem Wahlkampf in Mittelpunkt, die für uns von zentraler Bedeutung sind und die wir auch in einem “Vertrag für die Zukunft” auf unserem Länderrat im August nochmal konkretisiert haben. Dazu gehört insbesondere auch der Umwelt- und Klimaschutz. Die schrecklich Ereignisse der letzten Wochen an Elbe und Donau haben gezeigt, dass wir den Kurs der ökologischen Erneuerung mehr denn je weitergehen müssen.

Zusätzlich spielen auch die Köpfe eine wichtige Rolle, die für Grüne Politik stehen. Jedes Mitglied des Spitzenteams verfügt über eine eigene Website, auf der es sich und seine Positionen präsentiert. Am bekanntesten ist sicherlich
www.joschka.de.

politik-digital: Wie verändert das neue Medium die politische Kommunikation zwischen Politikern und ihren Wählern, den Bürgern?

M. Scharfschwerdt: Es gibt einen höheren Zeitdruck und es wird wesentlich mehr Inhalt und eine ständige Aktualisierung verlangt. Und vor allem hat sich die direkte Kommunikation verändert. Ein Beispiel: Die Afghanistan-Debatte. Wir haben täglich hunderte von Mails erhalten, in denen Bürger sich mit Fragen, Kritik und Lob an uns wendeten. In der Regel erwarteten sie auch eine schnelle, inhaltliche Antwort. Für uns war dies zwar mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden, es bot sich aber die Chance, die eigene Position in einer Art und einem Umfang zu erläutern, wie es in Presseberichten normalerweise nicht möglich gewesen wäre.

Wir können nun aber erstmals auch die Themen bestimmen, die wir über das Netz verbreiten. Wir bestimmen das Wann und Wie. Das ist zwar keine Erfolgsgarantie, aber wir können, wie im Fall der Kampagne der BILD-Zeitung gegen Jürgen Trittin, auch die andere Seite der Medaille darstellen.

politik-digital: Stichwort: professionelles Online-Campaigning: Welche Herausforderungen und sich entwickelnde Perspektiven stehen an?

M. Scharfschwerdt: Man sieht sehr schön den Unterschied zwischen ´98 und jetzt. Das Internet ist mehr ein agierendes Medium und dient nicht nur der Präsentation. Die Parteien fangen an, miteinander im Internet zu streiten und zu debattieren. Es gibt ein ganz nettes Beispiel: Die FDP hatte vor einigen Wochen auf ihrer Internetseite eine Abstimmung zur Ökosteuer. Irgendein grüner Mensch hat dies gesehen und hat dann über seinen privaten Mail-Verteiler Freunde aufgefordert mit abzustimmen. Die Abstimmung ging so aus, das 80 Prozent für die Ökosteuer waren, und die FDP hat die Umfrage still und heimlich aus dem Netz genommen.

Für die Zukunft gilt: Mit dem Bedeutungszuwachs des Internets werden auch seine Möglichkeiten weiter wachsen. Dies gilt für das Online-Spenden genauso wie für die Rekrutierung von Volunteers. Ich denke, bis 2006 wird es nochmal einen gewaltigen Sprung geben. Auch wenn die technischen Fortschritte heute noch nicht bekannt sind, so wird das Netz wesentlich stärker in der Wahlkampfplanung und –durchführung eine Rolle spielen als es dieses Jahr der Fall war.

politik-digital: Wahlkampf ist auch eine Frage des Geldes. Über welches Budget können die Grünen beim Online-Wahlkampf 2002 verfügen?

M. Scharfschwerdt: Wir haben ungefähr zehn Prozent des Wahlkampfetats für das Medium Internet aufgewendet. Das Geld floss aber nicht nur in den Wahlkampf, sondern auch zu großen Anteilen in die Einführung eines Contant Management Systems und weitere Einzelprojekte.

politik-digital: Könnte man beim diesjährigen Wahlkampf bereits von einem Wahlkampf sprechen oder ist das Internet nur ein Ergänzungsmedium?

M. Scharfschwerdt: Es liegt, wie so oft, genau dazwischen. Man kann damit die Wahl noch nicht gewinnen, wenn sie aber sehen, dass der Kinospot mit Joschka Fischer seit seinem Start im Netz rund 35000 mal abgerufen wurde, so wird die Bedeutung deutlich, die das Web in der Zwischenzeit inne hat, und das ist nur ein Beispiel.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Erschienen am 19.09.2002