Philipp Mißfelder
Der Bundesvorsitzende der Jungen Union,
Philipp Mißfelder, ist am 2. Dezember 2003 zu Gast im tacheles.02
Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.

Moderator:
Liebe CDU-Freunde und -Gegner, liebe Politik-Interessierte, herzlich
willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format
von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt von
tagesspiegel.de und von sueddeutsche.de. Heute begrüße ich
zum Chat Philipp Mißfelder, Junge-Union-Vorsitzender, live vom Parteitag
der CDU in Leipzig. Guten Tag also nach Leipzig und die Frage, können
wir loslegen, Herr Mißfelder?

Philipp Mißfelder:
Ja, gerne

Moderator:
Herr Mißfelder, Sie wollen eine steuerfinanzierte Grundrente, für
den Rest sollen die Bürgerinnen und Bürger selbst sorgen. Das
klingt nach dem passenden Konzept zur eingeschränkten Versorgung
mit künstlichen Hüftgelenken bei der älteren Bevölkerung,
die Sie mal propagiert haben. Die junge CDU scheint auf dem Weg in eine
neue, mehr in Arm und Reich gespaltene Gesellschaft zu sein …

Philipp Mißfelder:
Uns geht es um die Zukunft. Kein Rentner von heute hat zu befürchten,
dass seine Versorgung, seine Rente grundsätzlich in Frage gestellt
wird. Mir geht es um die junge Generation in unserem Land, die auch ein
Anrecht auf soziale Sicherung und Spitzenmedizin heute und in 30 Jahren
hat.

Moderator:
Eine Menge Fragen auf einmal:

Rudolf:
Wie sollte die Privatvorsorge organisiert werden. Wie sieht es in diesen
Punkt mit Verbraucherschutz aus? Sind Private Vorsorgeverfahren schon
jetzt sicher als staatliche? Das heißt, der Einzahler bekommt die
monatlichen Investitionen tatsächlich wieder ausgezahlt? Warum wurde
dieses System dann nicht schon viel früher eingeführt?

Philipp Mißfelder:
1. Private Vorsorge: Die Beitragslast bei der Rentenversicherung liegt
dauerhaft über dem, was ein heute 20Jähriger, aber auch ein
50Jähriger schultern kann, wenn er zusätzlich privat vorsorgen
muss, weil durch die negative demografische Entwicklung unser umlagefinanziertes
System ad absurdum geführt wird. In Zukunft wird es wesentlich mehr
private Rentenangebote geben. Also muss sich auch der Verbraucherschutz
verbessern. Dies ist einer der nächsten Schritte, die es zu diskutieren
gilt.

Moderator:
Die Junge Union ist mit ihrem Rentenkonzept "steuerfinanzierte Grundrente"
auf dem Parteitag ja erst einmal gescheitert. Und jetzt?

Philipp Mißfelder:
Das Thema bleibt aktuell gerade vor dem Hintergrund, dass der demografische
Wandel bis zu einer möglichen Regierungsübernahme der CDU im
Jahre 2006 weitere Probleme angehäuft werden. Ein Systemwechsel wird
dann zwar noch schwieriger sein, ist aber unumgänglich, wenn die
jüngere Generation nicht dauerhaft mehrfach belastet werden soll.

robert:
Hallo Philipp, kannst Du mir erklären, wie ich der Union glauben
kann, dass sie wirklich Reformen durchführen will, die diesen Namen
verdienen. Ich bin da mehr als skeptisch, weil ich nicht daran glaube,
dass die Damen und Herren, die 16 Jahre lang an der Regierung waren ohne
Entscheidendes voranzubringen, jetzt plötzlich die Kraft und den
Willen dazu haben sollten.

Philipp Mißfelder:
In den 16 Jahren von Helmut Kohl als Kanzler ist Deutschland so gut wie
selten zuvor regiert worden. Trotzdem muss man auch selbstkritisch anmerken,
dass die Problematik des demografischen Wandels unterschätzt und
größtenteils ausgeblendet worden ist. Die Probleme haben wir
in den vergangenen Jahren ausführlicher denn je diskutiert. Unser
Erkenntnisdefizit haben wir durch Herzog ausgeglichen.

ju:
In Berlin streiken die Studierenden. Was ist die Position der Jungen Union
dazu? Was machen die Hochschulgruppen?

Moderator:
Und noch eine Frage hinterher:

magga:
Wie will die junge Union (und die CDU) sich für eine Verbesserung
der Situation an den Universitäten einsetzen?

Philipp Mißfelder:
Die JU und der Ring christlich-demokratischer Studenten (RCDS) unterstützen
die Studenten bei ihren Protesten. Gerade wir Jüngere haben ein Anrecht
auf funktionierende Bildungsinstitutionen.

Moderator:
Das heißt konkret in Berlin zum Beispiel: Schluss mit den Sparmaßnahmen
bei bankrottem Stadthaushalt?

Philipp Mißfelder:
Wir fordern bei Kürzungen in den Haushalten, den Bildungsetat nicht
anzutasten, da gerade hier die Zukunft des Standorts Deutschlands und
unserer Wissensgesellschaft auf dem Spiel steht.

amy3:
Und warum wollen alle CDU-regierten Länder Studiengebühren von
500€ pro Semester einführen?

Philipp Mißfelder:
Studiengebühren sind dann sinnvoll, wenn sie direkt an der Universität
und ausschließlich für deren Ausbau eingesetzt werden. Wenn
Studiengebühren allerdings in den allgemeinen Haushalt fließen,
ist dies eine Studenten-Steuer. Die wird es mit der JU und der CDU nicht
geben.

Moderator:
Noch ein Kommentar zum Thema Rente und die Erfolge von 16 Jahren Helmut
Kohl

sam:
Dazu kommt noch, dass diese Helden 16 Jahre einem Blüm hinterhergedackelt
sind und ihm alles geglaubt haben, was er gesagt hat. Taschenrechner gibt
es aber nun schon längerer Zeit und der demographische Wandel ist
auch nicht über Nacht gekommen. Wenn eine Partei so blind einzelnen
Führungsleuten nachrennt muss man sich schon fragen, ob eine solche
Partei nicht – frei nach Baring – strukturell und personell mit der Situation
überfordert ist.

Philipp Mißfelder:
Richtig ist, dass von allen Parteien die Probleme, die einhergehen mit
dem demografischen Wandel, nicht wahrgenommen worden sind. Norbert Blüm
personifizierte die falsche Aussage "Die Rente ist sicher".
Dies war ein Fehler.

peter-pan-15:
Herr Missfelder, im Zuge des CDU Parteitages habe ich immer mehr den Eindruck
gewonnen, dass die Union auf Konfrontationskurs mit der SPD gehen möchte.
Im Grunde würde ich dies begrüßen, doch meinen Sie, dass
dies auch das Scheitern des Vorziehens der Steuerreform wert ist? Wäre
es in der Situation, in der sich Deutschland befindet nicht ratsamer,
diesen Parteienstreit aufzuschieben und konstruktiv-objektiv miteinander
zusammenzuarbeiten?

Philipp Mißfelder:
Es gibt keine Blockadehaltung der Union. Dort, wo es sinnvoll ist, den
Konsens zu suchen, tun wir dies. Beispielsweise bei der Steuerreform.
Es gibt keine Blockade bei Steuerentlastungen, die seriös gegenfinanziert
sind. Eine allein durch Schulden finanzierte Steuerreform wird von der
Union nicht mitgetragen.

Tyriz:
Dazu auch von mir eine Frage: Es kommt mir immer öfter so vor, als
betreibe die Union eine Art Prinzipopposition. Egal was vorgeschlagen
wird, wir sind dagegen. Was sagen Sie dazu?

Philipp Mißfelder:
Aufgabe der Opposition ist es, die Regierung zu kontrollieren. Dinge,
die in eine vollkommen falsche Richtung laufen, werden daher unsere Zustimmung
nicht finden.

tyriz:
Aber nicht allem zu widersprechen. Kontrolle bedeutet doch auch, richtiges
auch als richtiges stehen zu lassen.

sam:
bestes Beispiel: Einwanderungsgesetz (peinlich, peinlich, peinlich)

Philipp Mißfelder:
Das Zuwanderungsgesetz hat große Schwächen. Es begrenzt nicht
die Zuwanderung, sondern breitet neue Schwierigkeiten im Bereich der Integrationspolitik.
Die Union ist grundsätzlich zu einer Einigung mit der Regierung bereit,
wenn es wirklich ein Steuerungs- und Begrenzungsgesetz gibt.

Moderator:
Die Experten streiten sich zwar ein bisschen, aber prinzipiell sagen alle,
Zuwanderung ist gut für die demografische Entwicklung. Und deren
kritische Lage haben Sie ja nun erkannt, sagen Sie. Warum also nicht dem
Gesetz zustimmen?

Philipp Mißfelder:
Oberste Priorität hat für uns eine aktive Familienpolitik. Zuwanderung,
wenn sie nicht auf hochqualifizierte Fachkräfte setzt, bringt mehr
Probleme für den Sozialstaat als Lösungen.

Realist:
damit die Gesellschaft noch mehr vergreist, wird das Zuwanderungsgesetz
gestoppt, obwohl in ein paar Jahren die Arbeitskräfte fehlen, bedenkt
das diese CDU der Senioren und Nationalisten?

sam:
Sie weichen aus!

Philipp Mißfelder:
Ich weiche nicht aus. Ungezügelte Zuwanderung hat seit Anfang der
90er Jahre unseren Sozialstaat sehr stark zusätzlich belastet. Der
Arbeitskräftemangel ist ein zentrales Problem, was vor allem über
Bildungspolitik, Förderung von Familien und zielgenauer Zuwanderung
gelöst werden kann.

cle:
Wie bewerten sie die Debatte um Hohmann und dass einige in der CDU nicht
zufrieden sind mit dem Parteiausschluss?

Philipp Mißfelder:
Der Fall Hohmann ist abgeschlossen. In der Union gibt es keinen Platz
für denjenigen, der nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

CSHaverkamp:
Herr Mißfelder, weshalb setzt die CDU ihren Hohmann Kurs fort. Die
Rede ist dumm, aber nicht antisemitisch. Ein jüdischer Freund hat
dies bestätigt, als ich ihn fragte. 2. Weshalb werde diejenigen,
die für Hohmann gestimmt haben, nicht auch aus der Fraktion ausgeschlossen,
denn auch sie, Merkels Logik zufolge, unterstützen Grundsätze
die mit der CDU nicht vereinbar sind.

Philipp Mißfelder:
Es ist falsch, wenn man denjenigen in der Union, die Kritik am Verfahren
geübt haben, Antisemitismus unterstellt. Herr Hohmann wurde ausgeschlossen,
um ein deutliches Signal zu geben: Antisemitismus darf in unseren Parteien
und gerade bei deren Vertretern keinen Platz haben.

Edmund:
Was halten sie persönlich von der Hohmann-Affäre. Wie ist die
Stimmung in der Jungen Union?

Philipp Mißfelder:
Die JU unterstützt den Beschluss der BT-Fraktion. Sicherlich gab
es vielerorts Kritik am Verfahren. Trotzdem war dies die richtige Entscheidung.

Eine kritische
Frage
: Guten Tag, Herr Mißfelder. Ich habe nur eine Frage
und hoffe, dass Sie diese beantworten, obwohl sie, zumindest für
die CDU, nicht mehr aktuell ist: Warum sollte ein Bürger die CDU
wählen, obwohl diese immer noch keine klare Stellung zu den Verfehlung
ihres ehemaligen Ehrenvorsitzenden Helmuth Kohl bezogen hat, der einem
Ehrenwort mehr Bedeutung beimisst als seinem Schwur auf das Grundgesetz?

Philipp Mißfelder:
Aus den Fehlern der Spendenaffäre hat die CDU die Konsequenzen gezogen.
Helmut Kohls Lebenswerk bleibt dadurch aber unangetastet. Ohne ihn hätte
es die Deutsche Einheit nicht gegeben und auch nicht die europäische
Einigung.

Moderator:
Ich glaube, das beantwortet die Frage nicht ganz. Man kann ja auch persönlicher
fragen: Wie stehen Sie zu Helmut Kohl und seinem Vorgehen?
Da kommt die Nachfrage:

Eine kritische
Frage
: Herr Missfelder, es geht nicht um sein Lebenswerk. Das
bleibt unbestritten. Aber was ist mit den Prioritäten, die er gesetzt
hat?

amy3:
Wenn nicht mal der CDU-Nachwuchs Kritik an Kohl üben kann, wie lange
soll dieser Kult noch betrieben werden?

jalu:
Welche Konsequenzen hat die CDU daraus gezogen?

Philipp Mißfelder:
Dies ist überhaupt kein Thema. Ich habe großen Respekt vor
Helmut Kohl. Ich bin dankbar für Frieden und Freiheit in Europa.

EDesperados:
Trotzdem hat er gegen das Gesetz gehandelt…

Philipp Mißfelder:
Nein, hat er nicht. Die Staatsanwaltschaften haben alle Ermittlungen eingestellt.
Auch politische Gegner Helmut Kohls müssen akzeptieren, dass wir
in einem Rechtstaat leben, der Vorverurteilungen nicht zulässt. Genug
Vergangenheitsbewältigung…

ju:
Du hast ja durchaus Zuspruch für Deine Hüftgelenk-Aussage bekommen.
Würdest Du das noch mal machen?

detmar_k:
Herr Mißfelder, hat Sie ihre Äußerung über Hüftgelenke
altern lassen? Sie wurden ja ganz schön in die Mangel genommen…

Philipp Mißfelder:
Mit dem Thema Generationengerechtigkeit ist die JU untrennbar verbunden.
Mir ging es nicht darum, älteren Menschen Angst zu machen, sondern
auf ein Problem in 30 oder 40 Jahren hinzuweisen. Meine Formulierung bedaure
ich. Das Thema bleibt jedoch aktuell.

Moderator:
Ich würde es nicht so hart formulieren, aber die Frage, wie man Inhalte
vermittelt, bleibt ja:

WORKER:
Können Sie verstehen, dass sich meine Oma von einem 24jährigen
Bübchen nicht so gerne vorschreiben lassen will, ob sie Anspruch
auf ein neues Hüftgelenk hat?

Philipp Mißfelder:
Ihre Oma hat nichts zu befürchten, da ich gerne und auch zu Recht
über meine Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung für
ihre medizinische Versorgung einzahle. Die Frage ist nur: Wer zahlt für
uns, wenn wir mal alt sind.

Zwergi Ö.:
Hallo Philipp! Wie hat die JU Basis den Generationenkrieg verkraftet?
Stehen die JUler noch hinter Dir?

Philipp Mißfelder:
Auf dem Deutschlandtag vor ein paar Wochen gab es große Unterstützung
für den Kurs des JU-Bundesvorstandes. In meiner Amtszeit sind zum
ersten Mal seit 20 Jahren die Mitgliederzahlen der JU gestiegen. Dies
zeigt, dass wir unsere Stellung als größter politischer Jugendverband
Europas ausbauen konnten. Und zwar über ein Sachthema und nicht auf
Kosten anderer Personen.

Hildegard
Müller
: Philipp, warum dringt man nur mit populistischen
Aussagen wie die Hüftgelenk-Nummer an die Öffentlichkeit? Denn
sonst hört man ja nicht so viel von Dir.

Philipp Mißfelder:
Nächste Frage, Hildegard.

Matthias Zuerl:
Hallo Philipp, wie stehst du zum Gottesbezug im europäischen Verfassungsvertrag:
ja oder nein? Und warum, wenn ja!

Philipp Mißfelder:
Zum Gottesbezug ein klares Ja.

Liebe Chatter, leider
müssen wir den Chat wegen technischer Probleme fünf Minuten
vor der Zeit beenden. Herr Mißfelder hätte gerne noch diese
und andere Fragen ausführlicher beantwortet. Herzlichen Dank, Herr
Mißfelder, dass Sie sich die Zeit genommen haben! Das tacheles.02-Team
wünscht allen noch einen schönen Tag!