Scharfe Töne beim Streit ums Urheberrecht und Raubkopien: Freibier-Mentalität der Bürger beklagt die Regierung. Dagegen wendet sich eine Initiative mit einem Lösungsvorschlag: Ausgleich statt Kontrolle.

Neue Bewegung kommt in die verfahrene Urheberrechts-Debatte um Raubkopien und Datentausch im Internet. In einer gemeinsamen Erklärung schlagen Urheberrechtsgelehrte und -Aktivisten eine
Content-Flatrate vor, um das Problem von illegalen Raubkopien zu lösen. In ihrer “Berliner Erklärung zu kollektiv verwalteten Online-Rechten: Kompensation ohne Kontrolle” bezeichnen sie Digital Rights Management (DRM) Technologie und die massenhafte Strafverfolgung von Tauschbörsennutzern als Strategien, die in einer offenen und gerechten Gesellschaft nicht akzeptabel seien. Damit sollen Schlagzeilen wie „Polizei beschlagnahmt MP-3 Server“ oder „Lehrer in flagranti erwischt“ der Vergangenheit angehören.

Wenn der Staatsanwalt zweimal klingelt

Stattdessen fordern die Initiatoren das bewährte Prinzip der pauschalen Vergütung ins digitale Zeitalter zu überführen. Bei diesem Prinzip zahlt jeder Konsument auf Datenträger oder CD-Brenner eine pauschale Gebühr. Online-Nutzer würden für einen breitbandigen Internetzugang eine monatliche Gebühr in Höhe von ungefähr fünf Euro bezahlen. Dadurch würde beispielsweise das Tauschen von MP-3-Dateien für private Zwecke nicht mehr strafbar sein. Dr. Volker Grassmuck, Medienforscher an der Humboldt-Universität zu Berlin und einer der Initiatoren der Erklärung, rechnet zwar mit Widerstand der Konsumenten, die wie bei den Rundfunkgebühren nicht einsehen werden, dass sie für etwas zahlen müssen, was sie nicht nutzen. Aber die Vorteile seinen höher als die Nachteile: Die Urheber würden entschädigt, es sei billiger, im Jahr 60 Euro zu zahlen als pro Download 99 Cent und der Staatsanwalt würde nicht Drohen, vor der Tür zustehen.

VG Digital

Eine neue Online-Verwertungsgesellschaft würde Urheber und Verlage entsprechend der gemessenen Nutzung ihrer Werke vergüten. Lawrence Lessig, Rechtsprofessor an der Stanford Law School, Gründer des Creative Commons Projekts, und einer der Erstunterzeichner der “Berliner Erklärung”, bezeichnet dieses Modell als “Kompensation ohne Kontrolle.”

Die Erklärung wurde in die Konsultation der
Europäischen Kommission zur kollektiven Rechteverwaltung eingegeben. Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen bekräftigen die Kommission in ihrem Bemühen, Verwertungsgesellschaften demokratischer, transparenter und flexibler zu gestalten. Dazu sagte Lessig: “Gesellschaften für die kollektive Rechtewahrnehmung sollen den Urhebern nützen. Urhebern im digitalen Zeitalter eine größere Wahlfreiheit zu geben, würde sie besser in die Lage versetzen, ihre Werke zu verwerten.”

Weiterhin ermutigen sie den Gesetzgeber, beim zweiten Korb der Urheberrechtsreform die digitale Privatkopie zu bestätigen und durchsetzungsstark zu machen. Das Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.(FIfF), das Netzwerk Neue Medien, der Chaos Computer Club, FoeBuD e.V., die Attac AG Wissensallmende und freier Informationsfluss und privatkopie.net unterstützen die Stellungnahme.

Freibier-Ideologie

Doch die Verlautbarungen aus dem Bundesjustizministerium (BMJ) gehen in die entgegengesetzte Richtung. “Wir werden den illegalen Austausch von Filmen übers Netz weiter zu verhindern suchen”, sagte laut
Heise Online Elmar Hucko, Ministerialdirektor und Abteilungsleiter für Handels- und Wirtschaftsrecht im BMJ, auf dem Deutschen Multimedia Kongress 2004 in Berlin. Der Film- und Musikwirtschaft sollen bessere Verfolgungsmöglichkeiten von Raubkopiern gegeben werden: Geplant wird ein Auskunftsanspruch der Inhaber von Urheber- und Nutzungsrechte gegen Internet-Provider hinsichtlich der Nutzungsdaten derer Nutzer. Rechtsexperten sehen in diesen Bestrebungen den Versuch der Angleichung des IT- an das Telekommunikationsrecht mit seinen weiten Überwachungs- und Auskunftspflichten etwa an Strafverfolgungsbehörden. Datenschützer kritisieren, dass eine stärkere Verfolgung Vorrang vor Datenschutz habe. Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein weist darauf hin, dass nach dem Teledienstedatenschutzgesetz die Speicherung von Nutzungsdaten rechtswidrig sei.

Laut Medienberichten habe Hucko eine “um sich greifende Freibier-Ideologie und den weit verbreiteten Konsumentenwunsch, alles kostenlos kopieren zu können”, kritisiert. Das freut die Wirtschaft: „Die Content-Wirtschaft ist bei der Eindämmung des massenhaften, illegalen Datenaustausches auf die Hilfestellung durch den Gesetzgeber angewiesen. Wir freuen uns daher über die angekündigte Unterstützung“, sagte Dr. Christian Dressel vom Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

Die erste Stufe der Urheberrechtsnovelle wurde im September 2003 verabschiedet (
Dossier). Der sogenannte zweite Korb der Urheberrechtsnovelle beschäftigt sich unter anderem mit der Frage eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruches der Rechteinhaber. Mit dem Referentenentwurf des BMJ wird nach der Sommerpause des Bundestags gerechnet. Ende August soll eine Aufklärungskampagne des BMJ zum Urheberrecht starten: „Kopien brauchen Orginale“ ist das Motto.

Erschienen am 15.07.2004

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