Freie Funknetzwerke können mehr als nur kabelloses Surfen bedeuten. Jürgen Neumann, Pressesprecher der Initiative freifunk.net, sieht es als demokratisches Experiment.
Terminhinweis:
Berlin – freifunk.net summer convention, vom 12. bis 14. September 2003, mit politik-digital.de als offiziellem Medienpartner
Die Zeiten, als man zu Besuch bei Computer-Nerds vorsichtig über Kabelwindungen steigen musste, sind endgültig vorbei: Drahtlose Netzwerke (WLANs) sind die Alternative per Funk. Der neue Aldi-Computer liefert die WLAN Karte gleich mit, Enie van de Meiklokjes verkauft WLAN Router der Telekom direkt von der Couch aus. Kostengünstig, simpel – funktioniert für die ganze Familie im ganzen Haus und im Garten. Breitbandige WLAN Anschlüsse bilden aber auch die Grundlage für öffentliche lokale Netze. So entstehen einerseits kommerzielle Accesspoints wie beispielsweise bei McDonalds, Starbucks usw. – marathonartiger Verzehr von Riesenburgern und Kaffeeorgien werden mit Surfbonus belohnt – andererseits wachsen aber auch Gruppen interessierter Menschen zusammen, wie bei der Initiative freifunk.net. Die Idee der freien Bürgernetze unternimmt als demokratisches Experiment ihre ersten Anläufe. Silke Kettelhake hat mit Jürgen Neumann von
freifunk gesprochen.
politik-digital: Nach dem Vorbild der Londoner Initiative consume.net, einem Zusammenschluss von netzwerkaktiven Kreativen, soll endlich auch in Deutschland die Idee des gemeinsamen Nutzens propagiert werden. Warum hat es so lange gedauert?
Jürgen Neumann: In Skandinavien, Südeuropa, England und den USA ist die Technik schon viel verbreiteter. Da in Deutschland der Internetzugang im Vergleich noch relativ günstig ist, war ein Zusammenschluss zu einer Nutzgemeinschaft kein dringendes Argument. Und es gibt ganz klar einen Mentalitätsunterschied. Hier wird immer zuerst nach dem Thema Sicherheit gefragt und die juristischen Bedingungen werden übervorsichtig vorab geklärt. In Spanien steht diese Frage erst an fünfter Stelle. Da die Hersteller es von Anfang an versäumt haben, sichere Verschlüsselungsalgorithmen einzubauen, sollte sich niemand wundern.
politik-digital: Was ist die Idee hinter freifunk.net?
Jürgen Neumann: Jeder einzelne Netzwerkknoten wächst zu einem größeren Netzwerk zusammen. Der Konsument wird selbst zum Anbieter. Im Gegensatz zu herkömmlichen Netzwerken ist ein relevantes Problem gelöst: Wurde bisher die Bandbreite mit der Anzahl der Benutzer kleiner, wächst jetzt mit der erweiterten Anzahl der Nutzer und Betreiber die Bandbreite. Die Menschen tragen mit ihren Ressourcen einen wichtigen Teil zu einem lokalen Netzwerk bei. Das ist die neue und revolutionierende Idee! Die kommerziellen Provider sind an Konkurrenz nicht interessiert und schieben mit asynchronen Internetanbindungen private Anbieter von Datenplätzen weit von sich. Das bedeutet, ich kann zwar eine hohe Bandbreite konsumieren, habe aber Schwierigkeiten, einen großen Datensatz ins Netz zu stellen. Hier hat ein ganz bestimmter Erziehungsprozess gegriffen: weniger selbst aktiv werden, als konsumieren und zahlen. Deshalb sind auch die Fragen, die im Zusammenhang mit WLAN auftauchen, eher aus Konsumentensicht gestellt. Da wollen wir gegensteuern und vermehrt soziale und kulturelle Partnerschaften schaffen. Bürgernahe Projekte können so kostenlos von den Bewohnern eines Stadtteils genutzt werden. Und: Eigene Ideen wie z. B. ein lokales Netzradio oder TV können offen angeboten werden. Die Nutzungsideen gehen ins Unendliche.
politik-digital: Entstehen daraus juristische Probleme?
Jürgen Neumann: Die rechtlichen Fragen gliedern sich in verschiedene Aspekte um Lizenzrecht, Urheberrecht und Kopierschutz. Eine Sendelizenz ist nicht nötig, da die Frequenz freigegeben ist. Allerdings unterliegt der einzelne Anbieter eines öffentlich zugänglichen Internetanschlusses möglicherweise dem Telekommunikationsgesetz und müsste staatlichen Stellen Kontrollmöglichkeiten über die Nutzung bieten. Dieser Aufwand ist aber für “Hobbyinternetprovider” gar nicht zu leisten. Eine grundsätzliche Klärung dieser Frage steht noch an.
politik-digital: Und jeder kann jedem alles schicken?
Jürgen Neumann: Wir vertrauen auf das Zusammenspiel der Gemeinschaften im Netz. Wenn man die Idee freier Netzwerke konsequent zu Ende denkt, dann hat Zensur da keinen Platz. Ich denke, die soziale Kontrolle sorgt für ein funktionierendes Regelwerk; mithilfe der Technik kann man z. B. rechtsradikalen Inhalten keinen Riegel vorschieben.
politik-digital: Begreift sich die WLAN-Bewegung als Avantgarde?
Jürgen Neumann: Ohne Eitelkeit, Pioniergeist bringen wir mit! Vielleicht haben wir auch wie consume.net in England eine Vorreiterrolle, aber mit dem erklärten Ziel, daraus eine breitere Bewegung zu machen!
politik-digital: Wie sieht die Altersstruktur aus? Wie die Verteilung von Männern und Frauen?
Jürgen Neumann: Die Altersstruktur ist sehr unterschiedlich, von 15-55 Jahren. Eher klassisch ist die geschlechterspezifische Positionierung: Männer interessieren sich für die technischen Neuerungen, während es Frauen eher darum geht: Was kann ich damit machen? Wie kann ich damit andere Menschen erreichen?
politik-digital: Gibt es Rechte und Pflichten?
Jürgen Neumann: Pflichten entstehen keine. Die Teilnehmer haben das Recht, Informationen des Netzes zu nutzen und sorgen selbst für die Inhalte. Jederzeit besteht die Möglichkeit, seinen Zugang zu widerrufen. Wir nutzen das Eigentumsrecht: der Einzelne ist autorisiert, über die eigene Hardware zu bestimmen und einen Teil seiner Ressourcen an andere abzugeben. Die Zugangsmöglichkeiten sind öffentlich zugänglich dokumentiert. Die einzelne technische Infrastruktur muss öffentlich erreichbar sein.
politik-digital: Was meint das Picopeering Agreement?
Jürgen Neumann: Das Picopeering Agreement ist ein Vertrag, in dem schriftlich niedergelegt wurde, dass die Daten andere Knoten kostenlos passieren dürfen und sogar müssen. Die Daten dürfen hierbei nicht manipuliert werden.
politik-digital: Wären auch Businessmodelle zum Thema zu überlegen?
Jürgen Neumann: Auch kommerzielle Anbieter könnten Teil eines freien Netzwerkes sein, wenn sie dem Picopeering Agreement zustimmen. Hier werden bewusst keine quantitativen Aussagen gemacht; ein selbstbestimmter Bandbreitenanteil soll dem freien Netzwerk zur Verfügung gestellt werden. Das wäre eine Möglichkeit für kommerzielle Anbieter. Faire Partner im Verhältnis “Geben und Nehmen”: Ich glaube, dass sich kommerzielle Interessen und ein bürgernahes Netz miteinander vertragen können.
politik-digital: Gibt es eine Konkurrenzsituation zur Telekom?
Jürgen Neumann: Bisher gibt es noch keine öffentliche Reaktion der Telekom. Die Entwicklung der dritten Mobilfunkgeneration UMTS blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Hohe Kosten für die Betreiber und eine relativ geringe Bandbreite sind wenig attraktiv. Mit der lizenzfreien WLAN Technik erhöht sich der Druck auf UMTS. Ich denke, dass der Weg der Telekom, zu extrem teuren Konditionen Hotspots anzubieten, nicht erfolgreich sein kann.
politik-digital: Gibt es Unterstützung von staatlicher Seite?
Jürgen Neumann: Rege Unterstützung findet WLAN durch die Europäische Kommission (siehe hierzu: Europäische Kommission: Empfehlung zur Förderung öffentlicher Breitbanddienste in Europa). Der Berliner Senat hat jedoch bis heute nicht auf meine Anfrage zu diesem Thema reagiert.
politik-digital: Wie leistungsfähig ist WLAN?
Jürgen Neumann: Die Reichweite des LAN-Netzes ist sehr stark von der unmittelbaren Umgebung abhängig. Man kann von 30 bis 50 Metern in Gebäuden und von 100 bis 300 Metern im Freien als maximale Reichweiten ausgehen. Mithilfe einer externen Antenne können bereits Entfernungen von weit über 20 Kilometern überbrückt werden. Regionen mit eher dörflichem Charakter, in denen es sich niemals lohnen würde Kabel zu legen, haben mit WLAN die Möglichkeit des Anschlusses an die Informationsgesellschaft. Dies wäre auch eine Chance für die Entwicklungsländer
politik-digital: Ist WLAN legal?
Jürgen Neumann: Ja! Die für WLAN verwendeten Frequenzen sind explizit zur öffentlichen Nutzung ausgewiesen worden. Zur Zeit ist es juristisch lediglich notwendig, Funkverbindungen, die Grundstücksgrenzen überschreiten, bei der RegTP anzumelden.
politik-digital: Wer sind die Wardriver?
Jürgen Neumann: Das sind zunächst einmal Leute, die in der Stadt Netze orten. Eigentlich gibt es da einen Ehrenkodex; man beschränkt sich darauf, diese Netze aufzuspüren. Da lässt sich dann oft feststellen, dass die Netzwerke z. B. großer Unternehmen oder Universitätskomplexe in der Regel nicht sicher sind. Die echten Wardriver haben – ähnlich wie der Chaos Computer Club – die Absicht, darauf aufmerksam zu machen, dass eklatante Sicherheitsmängel bestehen. Es ist ein gewisser Sport, gepaart mit Pfadfindergeist: Antenne, Funknetzkarte Laptop mit Netzwerkscanner – und schon geht´s los. Eigentlich ähnlich der Suche im Internet nach offenen Servern.
politik-digital: Ist WLAN gesundheitsschädlich?
Jürgen Neumann: Vielleicht? Das Risiko elektromagnetischer Strahlung ist heute noch nicht ausreichend erforscht, um hierzu eine sinnvolle Aussage machen zu können. Wir wissen jedoch, dass das Risiko, das von WLANs ausgehen dürfte, als recht gering einzuschätzen ist. WLANs senden mit einer maximalen Leistung von 100 Milliwatt; etwa ein Zehntel der Sendeleistung eines normalen Handys, von den Sendemasten ganz zu schweigen.
politik-digital: Welche Kosten entstehen?
Jürgen Neumann: Als passiver Teil würde es reichen, wenn ich mit einem Computer mit WLAN Karte Empfang zu einem Netzwerk in meiner Nähe habe. Ein einfacher WLAN-Adapter für PC oder Notebook kostet ca. 30 bis 60 Euro. Um aktiv mitzuwirken ist es notwendig, sich selber einen Accesspoint anzuschaffen, im besten Fall eine Antenne auf‘s Dach zu bauen. Accesspoints kosten je nach Ausstattung und Leistungsumfang ca. 70 bis 350 EUR. Die Antennen gibt es je nach Bauform und Spezifikation für ca. 50 bis 150 EUR. Es muss mit Kosten von ca. 300 bis 500 EUR gerechnet werden (inkl. Montage, Mast, Kabel und Kleinteilen).
politik-digital: Ersetzt WLAN das Internet?
Jürgen Neumann: Nein, der Gedanke ist ein anderer: Jeder Mensch bewegt sich in einem sozialen Netzwerk. Und die meisten Informationen sind lokal verortet. Mit der WLAN Technologie besteht erstmalig die Möglichkeit eine eigene Infrastruktur aufzubauen, unabhängig von staatlichen Vorgaben und kommerziellen Providern. Bei freifunk.net wird jeder Einzelne zum lokalen Anbieter. Es entsteht ein soziales Netz. Die Grenze besteht nicht zwischen WLAN und Internet, sondern zwischen freiem Transit und einem kostenpflichtigen Transit.
politik-digital: Wie lange braucht die Entwicklungsphase, um ein funktionierendes Bürgernetz zu etablieren?
Jürgen Neumann: Ich schätze, ungefähr ein bis zwei Jahre bis zur Durchsetzung einer flächendeckenden Infrastruktur, bis es interessante Inhalte gibt. Und bis man davon sprechen könnte, dass es in einer bunt durchmischten Stadt wie Berlin freie Bürgernetze gibt, die zu einem großen freien Netzwerk, eben einem freifunk-Netzwerk zusammengewachsen sind.
politik-digital: Die Motivation der freifunk-Netzwerker?
Jürgen Neumann: Mein Engagement für freie Netzwerke entspringt weniger der Idee öffentlicher mobiler Internetzugänge, als vielmehr der Vision eines öffentlichen BürgerInnennetzwerks, das von den Beteiligten selbst betrieben wird. Ich finde es toll, wenn kulturelle Einrichtungen, wenn viele verschiedene Menschen dort eigene Angebote bereitstellen würden. Dass nebenbei ein mobiler Netzzugang entsteht, ist ein schöner Nebeneffekt. Aber: Nur wenn das Netzwerk auf der sozialen Ebene funktioniert, wird es auch technisch funktionieren können.
politik-digital: Die nächsten Projekte von freifunk.net?
Jürgen Neumann: Zur Zeit gibt es einfach noch keine deutschsprachige Internetplattform zum Thema. Da wir aber nicht nur Spezialisten, sondern die breite Masse erreichen wollen, brauchen wir ein Onlinemagazin, dass das gesamte Themengebiet ansprechend aufbereitet und verständlich macht. Es müssen leicht bedienbare Communitywerkzeuge bereit gestellt werden, damit die Leute in der jeweiligen Umgebung auch zueinander finden. Alles, was es bisher gibt, sind kommerziell ausgerichtete Hot Spots Verzeichnisse oder Nerds-Werke, mit einem für den Rest der Welt kaum verständlichen Computerkauderwelsch.