Niels Annen, Bundesvorsitzender der Jusos,
am 16. Dezember 2003
zu
Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.
Moderator:
Moderator: Liebe Chat-Interessierte, herzlich willkommen im tacheles.02-Chat.
Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de
und wird unterstützt von tagesspiegel.de und von sueddeutsche.de.
Heute ist Niels Annen in die Redaktionsräume von tagesschau.de in
Hamburg gekommen. Herr Annen ist Bundesvorsitzender der Jusos und sitzt
seit kurzem auch im Vorstand der SPD. In der kommenden Stunde haben Sie
die Möglichkeit, Ihre Fragen an Niels Annen zu richten. In fünf
Minuten legen wir los! Einen schönen Guten Tag Herr Annen, sind Sie
startbereit?
Niels Annen:
Aber sicher!
Moderator:
Beginnen wollen wir mit dem innenpolitischen Thema der vergangenen Wochen,
den Reformbemühungen im Vermittlungsausschuss. "Die Ergebnisse
des Vermittlungsausschuss bleiben in der Gesamtschau ernüchternd"
– so ihr Fazit auf der Webseite der Jusos. Was ist denn so ernüchternd?
Niels Annen:
Ernüchternd ist, dass die Union die Frage der Steuersenkungen mit
der Arbeitsmarktreform verknüpfen konnte.
p_baecker:
Nils, was sagst du zu den Ergebnissen des Vermittlungsausschusses? Können
die Jusos mit dieser Steuerreform leben?
Niels Annen:
Wir finden es erst einmal gut, wenn der Eingangssteuersatz stärker
abgesenkt wird als der Spitzenssteuersatz. Insgesamt bin ich aber nicht
zufrieden, wenn Langzeitarbeitslose jetzt jeden legalen Job annehmen müssen.
Das hat die Union zu verantworten!
a_walter:
Führende Ökonomen und Wirtschaftsverbände halten den jetzt
erzielten Reformkompromiss für nicht ausreichend. Arbeitgeberpräsident
Dieter Hundt hält zum Beispiel die vereinbarte Lockerung des Kündigungsschutzes
für nicht ausreichend. Was entgegnen sie solchen Äußerungen?
Niels Annen:
Das ist reine Propaganda. Was in Deutschland fehlt ist eine konjunkturelle
Belebung. Die Menschen brauchen mehr Geld in ihren Taschen und nicht weniger
soziale Sicherheit. Die Rezepte von Herrn Hund haben schon die letzten
20 Jahre nicht funktioniert.
idaober:
Das Ifo-Institut sagt ganz klar: Kein konjunktureller Effekt. Wie sehen
Sie das?
Niels Annen:
Dem stimme ich zu. Aber es hätte auch mehr sein können, wenn
die Union nicht nur auf Parteitagen Steuersenkungen versprechen würde,
sondern sie auch mit auf den Weg brächte, im Vermittlungsausschuss.
turnundtaxis:
Es scheint aber, dass die Leute auch mit mehr Geld in den Taschen das
nicht so richtig auf den Kopf hauen. Das reicht wohl nicht zum Konjunktur
beleben.
Niels Annen:
Das werden wir dann ja sehen. Aber richtig ist: Wir brauchen auch weitere
Impulse für Wachstum. Da muss die Politik etwas leisten, Wirtschaft
und Forschung zusammenbringen.
Henry M. Weiler:
Sie sagen: „Die alltägliche Sparlogik beraubt gerade der jungen
Generation die notwendigen Handlungsspielräume. Immer wieder wird
die These erneuert, es gebe keinen gesellschaftlichen Verteilungsspielraum
mehr. Diese These ist weder richtig noch stichhaltig und hält keiner
empirischen Untersuchung stand“. Wie sieht denn dann die tatsächliche
Situation auf empirischer Grundlage tatsächlich aus?
Niels Annen:
Nun ich bin kein Wissenschaftler, aber Deutschland ist ein reiches Land
und alle Untersuchungen zeigen: Wenn wir den Reichtum gerechter verteilen
belebt dies auch die Wirtschaft. Wir müssen in produktive Bereiche
investieren, Bildung und Forschung in den Mittelpunkt stellen, das schafft
auch Arbeitsplätze.
Moderator:
Wer hat sich im Vermittlungsausschuss besser durchsetzen können?
Dazu drei Fragen:
jungeUnion:
Hallo Niels, der Kompromiss ist ja wohl ein Sieg nach Punkten für
Merkel und Stoiber. Wie ist denn da die Stimmung an der SPD-Basis?
idaober:
Aber die Taktik der CDU ist doch aufgegangen: Sie sind nicht mehr die
Blockierer und haben der Regierung eine faule Reform aufgezwungen. Ein
voller Erfolg der Union, oder?
sonja:
Hat nicht die CDU im Vermittlungsausschuss ihre Interessen besser durchsetzen
können als die SPD?
Niels Annen:
Es geht nicht um Punktsiege. Die Union wird sich noch wundern. Sie hat
den Menschen Entlastung versprochen und sie dann verhindert.
calista:
Hallo Niels, für mich ist das Verhandlungsergebnis nur ein fauler
Kompromiss, der die Probleme nicht löst. Was ist mit der Generationengerechtigkeit
und wo bleibt der Beitrag der Jusos zur Zukunft der BRD?
Niels Annen:
Die Mehrheiten können wir uns nicht schnitzen. Das ist manchmal bitter
und ich bin auch nicht zufrieden aber wichtig ist: Die Tarifautonomie
ist nicht angetastet worden. Das ist unser Erfolg.
markus:
Die SPD-Linken haben Schröder vor so einer Bundestagsabstimmung wie
am Freitag eine Menge Nerven gekostet. Jetzt geht das wieder los, die
ersten Links-Denker haben schon wieder gesagt, sie stimmen dagegen. Man
kann sich auch richtig das Reformimage selbst verhageln was?
Niels Annen:
Die Stimmung an der Basis ist nicht euphorisch, aber wenn wir jetzt unsere
Punkte wie Bürgerversicherung, Umlagefinanzierung angehen, gewinnen
wir auch Vertrauen zurück.
POPMART:
Franz Müntefering droht erneut den Abweichlern. Das ist ja wohl verfassungswidrig,
weil der Parlamentarier laut Verfassung nach eigenem Gewissen entscheiden
darf. Finden Sie das nicht unfair?
Niels Annen:
Ich gebe den Abgeordneten keine Empfehlungen, aber eine große Mehrheit
ist ja wohl sicher, denn die Union stimmt zu. Letztlich muss es aber jeder
selbst entscheiden. In einer großen Partei müssen auch unterschiedliche
Meinungen vorkommen.
Moderator:
Die Frage war, ob sie das Verhalten von Müntefering, die Abgeordneten
zu beeinflussen, "unfair" finden.
Niels Annen: Ich halte gar nichts von Drohungen, auch
nicht in der Fraktion. Da ist die Meinung der Jusos eindeutig!
POPMART:
Glauben Sie es wird Gegenstimmen gegen diese Reform in Reihen der SPD
geben am Freitag?
Niels Annen:
Ich habe von meinem Freund Ottmar Schreiner gelesen, dass er dagegen stimmen
will. Warten wir es ab.
Seneca:
Sollte die SPD angesichts dieser faulen Reformen nicht sofort weitere
und weitergehende Änderungen fordern, um die Blockierer aus CDU/CSU
wieder ihre Rolle zuzuweisen?
Niels Annen:
Das werden wir tun bei der Gesundheitspolitik. Da will die Union die Kopfprämien
und die SPD das solidarische System weiterentwickeln zu einer Bürgerversicherung.
Strahleman:
Kompromiss: Ich lese: Es ist halt nur ein Bündel, kein Paket und
erst recht kein Meilenstein. Mit dem größtmöglichen Aufwand
wurde das geringst mögliche Ergebnis erzielt." Was antworten
Sie?
Niels Annen:
Ich hätte mir ein größeres Ergebnis gewünscht. Aber
offensichtlich hat auch der Machtkampf innerhalb der Union eine Entscheidung
in der Sache verhindert. Sicher gibt es Einsparpotentiale, aber in einer
solchen wirtschaftlichen Krise muss man notfalls auch kreditfinanzierte
Programme auflegen, denn es ist auch nicht gerecht gegenüber den
heute Jungen, notwendige Investitionen, in der Bildung, nicht zu tätigen.
MrBrook:
Die SPD wollte die Reformen ja durch Schulden finanzieren. Ist der Einwand
der CDU, dass nicht noch mehr Schulden gemacht werden sollten, nicht berechtigt?
Es gibt immer noch genügend Fälle, in denen meiner Meinung nach
zu wenig getan wird, um wirklich Einsparungen vorzunehmen?
wirtshausberater:
Warum konnte sich die SPD nicht durchringen, weitere Subventionen zu kürzen?
Niels Annen:
Das ist so nicht ganz richtig: Die SPD hat am Anfang des Jahres das berühmte
Steuervergüngstigungs-Abbaugesetz eingebracht. Die Union hat es so
gefleddert, dass fast nichts übrig geblieben ist.
Seneca:
Hat die USA nicht erfolgreich vorexerziert, wie durch ungehemmtes Schuldenmachen
ein wirtschaftlicher Aufschwung herbeigezaubert wird?
Niels Annen:
Die USA sind in dieser Frage durchaus ein Vorbild. Im Mutterland des Kapitalismus
scheint es weit weniger ideologische Vorbehalte zu geben.
Seneca:
Sind Bürgerversicherung und eine Umlagefinanzierung die einzigen
Perspektiven für eine Einflussnahme auf den politischen Entscheidungsprozess
durch die Jusos, oder siehst du noch weitere Politikfelder, die im Sinne
einer forcierten Reformdiskussion von den Jusos bearbeitet werden können
?
Niels Annen:
Einer aktiven Konjunkturpolitik zu geben. Wir möchten eine Idee von
Sozialstaat entwickeln, die auf die heutigen Risiken eine Antwort gibt.
Also: Absicherung von Übergängen von Ausbildung in Arbeit; Absicherung
von Erziehungszeiten, Fortbildung etc. also einen flexiblen Sozialstaat
für den flexiblen Kapitalismus schaffen.
Franziska
H.: Sie fordern eine zusätzliche Verbrauchersteuer von 6%
auf Luxusgüter. Wo würden Sie die Grenze ziehen, was Luxus ist
und was nicht? So genannte Luxusgüter sind doch letztlich immer auch
Statussymbole. Sind darin auch schon die Markenklamotten der Kids von
heute inbegriffen, die ihren Eltern dadurch das Geld aus der Tasche ziehen?
Wer kann in dieser, eher verwöhnten Gesellschaft entscheiden, was
Luxus ist und was nicht?
Niels Annen:
Die Idee ist, die Mehrwertsteuer zu splitten und Luxusgüter stärker
zu belasten. Dafür gibt es in Belgien ein gutes Vorbild.
MrBrook:
Was sagen sie zu der Tatsache, dass die SPD Gesetze, die bereits 98 existierten,
und die nach dem Machtwechsel zurückgenommen wurden, plötzlich
doch wieder einbringen will? Ich denke da an den Kündigungsschutz,
der ja gelockert wurde. Hat da die SPD nicht grundlegende Fehler gemacht,
wenn diese Rücknahme nur 5 Jahre gehalten hat?
Niels Annen:
Ich bin eindeutig gegen diese Veränderung. Wir wollen als Jusos keine
Lockerung, aber das war wohl nicht durchzusetzen.
Strahleman:
Verschärfte Zumutbarkeitsregel für Arbeitslose und die Lockerung
des Kündigungsschutzes sind "bittere Pillen", die aber
im Blick auf das Gesamtergebnis vertretbare Zugeständnisse darstellten,
sagen die Grünen. Ist das auch ihre Politik?
Niels Annen:
Mein Eindruck ist, wir werden diese Kröten wohl schlucken müssen,
aber ich kann mich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass Wolfgang Clement
nicht gerade engagiert für unsere Position gekämpft hat, wenn
sich in Deutschland gegen unseren Willen ein Niedriglohnsektor etablieren
sollte, müssen wir offen über die Konsequenzen reden, brauchen
wir z. B. dann einen Mindestlohn?
Moderator:
Zwei Fragen, gleiche Stoßrichtung:
wirtshausberater:
Wann wacht die SPD endlich auf und befreit sich vom dogmatischen Einfluss
der Betonköpfe in den Gewerkschaften?
Consensus:
Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände haben sich für eine
Zementierung des Tarifkartells ausgesprochen. Warum wurde hier nicht mehr
Flexibilität erreicht? Ist die Macht der beiden Lobbygruppen durch
die Politik nicht zu brechen?
Niels Annen:
Ich bin selber Gewerkschafter und ich glaube nicht, dass dieses Klischee
richtig ist. Schon heute gibt es über 50.000 flexible Regelungen
im Rahmen von Tarifverträgen. Die Frage, wie man mit Lobbygruppen
umgeht, muss sich die Politik immer stellen, aber es ist normal in einer
Demokratie, dass sich Interessen organisieren.
MrBrook:
Meiner Meinung nach sind die Gewerkschaften zu gierig. Eine Forderung
nach 4,5% Lohnerhöhung ist schon unverschämt, wäre ich
Arbeitgeber würde ich mich weigern, mit diesen Leuten überhaupt
zu verhandeln. Wie wollen sie Flexibilität in den Arbeitsmarkt bringen,
wenn Arbeitgeber an diese Löhne gebunden werden und gleichzeitig
kaum eine Chance haben, nach Auftragslage Leute einzustellen und zu entlassen?
Brauchen wir nicht mehr Flexibilität?
Niels Annen:
Ich glaube, da liegen Sie falsch. Die Arbeitgeber sind genau so interessiert
daran, das Tarifsystem aufrecht zu erhalten. Denn es garantiert ihnen
sozialen Frieden und einen klaren Ansprechpartner auf der Seite der Arbeitnehmer.
Ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn reicht aus, um sich von
den Vorzügen des deutschen Systems zu überzeugen.
wirtshausberater:
Was sagen Sie den Kollegen in kleinen Firmen, die für weniger Geld
arbeiten würden, wenn sie dadurch ihren Arbeitsplatz sichern könnten,
durch den Flächentarifvertrag so eine Einigung aber verhindert wird?
Niels Annen:
Deutschland hat keine Zukunft als Niedriglohnland, und die Flächentarifverträge
stellen sicher, dass die Lohnspirale sich nicht weiter nach unten dreht.
Unternehmen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, haben auch
heute schon die Möglichkeit vom Tarifvertrag abweichende Regelungen
zu treffen. Übrigens fast immer in enger Zusammenarbeit mit Betriebsrat
und Gewerkschaften. Ich finde, das sollte so bleiben.
Moderator:
Zwei Kommentare dazu:
UweK:
Herr Rogowski sieht das wohl anders.
looser:
Aber die Betriebe sind abhängig von den Funktionären beider
Seiten. Das wurde nicht geändert!
Moderator:
Und noch einer:
Umpf:
Ist es (hinter vorgehaltener Hand) nicht so, dass die Wirtschaft mittlerweile
bestimmt, was hier an politischen Entscheidungen (für sie, die Wirtschaft,
noch) zulässig bzw. besonders wünschenswert (oder: "das
kleinere Übel") wäre?
Niels Annen: Worum es Herrn Rogowski geht, ist doch klar. Die wirtschaftlich
schwierige Lage will er ausnutzen, um das Lohniveau in Deutschland generell
zu drücken. Dabei wird mit der Angst der Kollegen um ihre Arbeitsplätze
leichtfertig gespielt. Die Lösung liegt nicht in niedrigeren Löhnen,
sondern in einer hohen Innovationsfähigkeit.
Moderator:
Nun wechseln wir mal das Thema: Viele User im Chat wollen über die
Studentenproteste diskutieren:
Franziska
H.: Wo bleibt die Uni, Sie sind doch auch noch Student, äußern
Sie sich doch auch mal zu dieser Problematik!
demonstrant:
Was halten sie von den Studentenprotesten?
Niels Annen:
Wir Jusos unterstützen die Studenten, haben zu der großen Demo
am 13. mit aufgerufen. Wir müssen endlich dafür sorgen, dass
die Politik – auch meine eigene Partei – nicht nur über Bildung redet,
sondern Investitionen in Forschung und Ausbildung wirklich zum Schwerpunkt
macht.
POPMART:
Da redet die SPD immer von Forschung und Bildung, und dann wird erst einmal
der Bildungsetat gekündigt. Wie soll ich das verstehen?
Niels Annen:
Das ist genau, was ich meine: Es klafft eine große Lücke zwischen
dem, was die SPD an guter Bildungspolitik auf Bundesebene verkündet,
und dem, was sie in den Ländern umsetzt.
studentenseele:
Wie sollen die Hochschulen aus ihrer Finanzmisere kommen – Studiengebühren?
tina_goettingen:
Wie stehst Du zu den wohl im nächsten Wintersemester kommenden Studiengebühren?
Niels Annen:
ich bin gegen Studiengebühren. Ich glaube, dass Bildung eine gesellschaftliche
Aufgabe ist und deswegen auch von allen mitfinanziert werden sollte. Wir
Jusos haben den Vorschlag gemacht, die Erbschaftssteuer zu erhöhen
und das Geld in Bildung zu stecken. Der Bundeskanzler hat diesen Vorschlag
auf unserem Parteitag aufgegriffen. Mal sehen, was daraus wird. Wir bleiben
am Ball.
Studi1977:
Mal angenommen, es würden flächendeckend Studiengebühren
eingeführt, und zwar nach dem Generationen-Prinzip (Jetzt studieren,
später zahlen), so wäre das doch eine Lösung der Misere,
vorausgesetzt, das Geld geht auch ohne Umwege direkt an die Unis und nicht
an die Länder, die es "Fremdverwenden" würden. Wie
stehst Du dazu?
Niels Annen:
Das wäre dann ja eine Akademiker-Steuer. Ich bin der Meinung, wer
gut verdient, soll auch entsprechend viel Steuern zahlen. Das wäre
gerechter.
Ferdinand
von Ahnen: Ist es nicht zu erwarten, dass die Eltern die heutzutage
Unterbringungskosten für Kitas und Horte aufbringen, in Zukunft auch
deren evtl. Universitätsstudium bezahlen müssen?
Niels Annen:
Ich hoffe nicht! Wir haben ein großes Defizit in Deutschland bei
der Betreuung von Kleinkindern. Wir müssten uns eigentlich vornehmen,
die Versorgung zu verbessern und sie irgendwann auch einmal kostenfrei
anbieten zu können, damit sich mehr Menschen, insbesondere Frauen,
ihre Vorstellung von Beruf und Familie erfüllen können.
calista:
Wie wollen die Jusos denn die Unis wettbewerbsfähiger machen? Protestieren
allein hilft auch nicht?
Niels Annen:
Bildung ist nicht nur eine Frage von Wettbewerb. Aber es ist schon richtig:
Die Zustände an den Unis sind zum Teil katastrophal. Deswegen müssen
wir mehr in die Hochschulen investieren. Vorschläge dazu liegen auf
dem Tisch.
Moderator:
Soviel zum Thema Studentenproteste. Wir haben noch andere Fragen zu anderen
Themen:
dieter_h:
Niels, wie glaubst du im SPD-Vorstand die Meinung der Jusos vertreten
zu können?
Niels Annen:
Indem ich mich weiterhin zu Wort melde und mein Mandat ernst nehme. Der
SPD ist mit Jasagern alleine nicht geholfen.
patrick_w:
Wie kann man das Urvertrauen der SPD-Basis wieder zurück gewinnen?
Niels Annen:
Wir haben die Kompetenz in Sachen soziale Gerechtigkeit an die Union verloren.
Das müssen wir durch politisches Handeln wieder korrigieren, sonst
wird die SPD als Volkspartei auf Dauer keine Zukunft haben. Die Beteiligung
von großen Vermögen an den Reformen wird da die erste Probe
werden.
Holger Israel:
Welche Chancen siehst Du, dass die SPD kurz- oder mittelfristig zu ihren
sozialen Werten zurückfindet?
Niels Annen:
Ich glaube, die SPD, ihre immer noch über 600.000 Mitglieder stehen
zu den Grundwerten der Sozialdemokratie. Es war immer unsere Stärke,
diese Grundwerte an die aktuelle Situation anzupassen. Das werden wir
auch dieses Mal schaffen können, aber nur, wenn sich die heute enttäuschten
nicht abwenden!
Moderator:
Doch die Zahl der Mitglieder nimmt ständig ab. Wie lässt sich
diese Dynamik aufhalten?
Niels Annen:
Es stimmt, 30.000 Leute sind in diesem Jahr ausgetreten und ich hoffe
noch immer, dass wir sie zurück gewinnen können. Aber es gab
auch über 10.000 Eintritte, davon fast die Hälfte junge Leute.
Das ist nicht genug, aber ein Hoffnungsschimmer.
Simone:
Wenn Sie aus der jetzigen Perspektive der politischen und ökonomischen
Situation in Deutschland auf die nächsten Wahlen 2006 sehen. Für
wie realistisch halten Sie es, dass die SPD nochmals als regierende Partei
aus den Wahlen geht?
Niels Annen:
Wenn die SPD klar für die Idee der solidarischen Finanzierung des
Sozialstaates steht, also für die Bürgerversicherung, und die
Union auf der anderen Seite, den Sozialstaat komplett privatisieren und
auch Kopfpauschalen umstellen will, bin ich sicher, dass wir gewinnen.
Denn die Menschen wollen nicht weniger, sondern mehr Sicherheit im Wandel.
marlies:
Freuen Sie sich auf die Wahl in Hamburg? Kommt die Wahl nicht zu früh
angesichts der schlechten Umfragewerte für die SPD?
Niels Annen:
Ja. Ole von Beust ist verantwortlich für das Desaster. Er hat nicht
nur dem Ruf der Stadt geschadet, sondern auch einen unberechenbaren neurotischen
Rechtspopulisten hoffähig gemacht. Ich bin mir sicher, die Hamburger
werden sich gegen diesen Rechtssenat entscheiden und damit auch ein Zeichen
für die Bundespolitik setzen.
giorgos stamtsis:
Niels, welche ist die Meinung von Jusos zum Konflikt über die EU-Verfassung?
Niels Annen:
Ich bedauere das Scheitern des Gipfels. Ich bin aber überzeugt davon,
dass Gerhard Schröder die richtige Position vertreten hat. Europa
kann auf Dauer nur funktionieren, wenn die Bürger den Eindruck haben,
dass die Entscheidungen demokratisch zustande kommen. Die Berücksichtigung
der Bevölkerungszahl ist daher unumgänglich.
dieter_h:
Was hältst du von dem Medium, dass wir hier für den Chat gerade
nutzen? Welche Rolle spielt das Internet für deine Parteiarbeit?
Niels Annen:
Das Internet hat schon heute die Arbeit der Parteien stark verändert.
Wir Jusos waren in der SPD mit die ersten, die ein Großteil ihrer
Kommunikation nach außen und nach innen über das Internet abgewickelt
haben. Ich glaube nicht, dass dieser Prozess schon abgeschlossen ist.
linke_offensive:
Hallo. Ich komme zwar etwas spät, mich hätte aber interessiert
ob die Jusos Ottmar Schreiner dabei unterstützen werden, wenn er
gegen den Kompromiss stimmen will.
Niels Annen:
Ich teile die Kritikpunkte von Ottmar Schreiner in der Sache, aber letztlich
muss jeder Abgeordnete selber entscheiden.
Moderator:
Eine Nachfrage:
Holger Israel:
Was meinst Du mit "Grundwerte anpassen?"
Niels Annen:
Die Grundwerte bleiben unverändert, aber die Bedingungen, unter denen
wir Politik machen, haben sich seit 140 Jahren immer wieder verändert.
Das müssen wir berücksichtigen oder, wie Willy Brandt gesagt
hat, "auf der Höhe der Zeit sein".
Moderator:
So, liebe User, noch zwei Minuten, noch zwei Fragen:
Polo:
Gibt es häufig Treffen mit anderen Jugendorganisationen JU oder Jung-Liberalen
etc.?
Niels Annen:
Ich habe gerade vor einigen Tagen mit den Vorsitzenden der anderen Jugendorganisationen
ein Streitgespräch gehabt. Wir sehen uns recht häufig und es
gibt über die Parteigrenzen hinweg in der Jugendpolitik auch einige
Punkte, die wir gemeinsam vertreten.
Moderator:
Und nun die unvermeidliche Abschlussfrage:
fragezeichen:
Niels, wie stellst du Dir deine politische Zukunft vor?
Niels Annen:
Ich rüttle an keinen Toren 🙂 Zunächst mal habe ich mit meiner
Aufgabe als Juso-Vorsitzender genug zu tun, und die Arbeit macht mir trotz
der manchmal unerfreulichen Nachrichten weiterhin viel Spaß.
Moderator:
Lieber Herr Annen, Liebe User, die Stunde ist um. Wir bedanken uns ganz
herzlich für die konstruktive Diskussion und die vielen Fragen, die
uns erreicht haben. Leider konnten wir bei weitem nicht alle an Herrn
Annen weiterreichen. Herr Annen, Ihnen vielen Dank, dass Sie sich für
die Nutzer von tagesschau.de, politik-digital.de, tagesspiegel.de und
sueddeutsche.de Zeit genommen haben. Ihnen und allen Chat-Teilnehmern
wünschen wir noch einen schönen Tag.
Niels Annen:
Vielen Dank für die vielen Fragen. Es hat mir viel Spaß gemacht,
und wer Weiteres über die Jusos wissen möchte, kann sich gerne
über www.jusos.de an uns wenden. Tschüss und Frohe Weihnachten