Das Pilotprojekt e-Vergabe des Bundes ist für Frau Dr. Martina Krogmann grundsätzlich begrüßenswert. Aber es gibt ihrer Meinung nach “ordnungspolitisch eine höchst fragwürdige Entscheidung”. Im Interview mit politik-digital erläutert sie ihre Kritik am Projekt e-Vergabe des Bundes.
Dr. Martina Krogmann ist seit 1998 Mitglied des deutschen Bundestages und Internetbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
politik-digital: Ist der Bereich der Online-Beschaffung (E-Procurement) der öffentlichen Hand eine vernachlässigte Komponente des E-Government?
Dr. Krogmann: Angesichts der immensen Einsparmöglichkeiten von Steuergeldern durch den Einsatz von E-Procurement-Lösungen wurde bisher zu wenig in diesen Bereich investiert. Das bestätigt auch der internationale Vergleich: Deutschland landet nur auf einem der hinteren Ränge – und muss sich nun anstrengen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Unsere öffentliche Verwaltung verfügt über ein jährliches Beschaffungsvolumen von über 250 Milliarden Euro. 20 % dieses Volumens betreffen die sogenannten C-Güter (Verbrauchsartikel wie Büromaterial, Werkzeuge oder EDV-Ausstattung); allein hier rechnen Fachleute mit einem Einsparpotential von 10 % bis 30 %.
politik-digital: Sind die Anstrengungen der Regierung zur Förderung von E-Procurement ausreichend oder was müsste noch gemacht werden?
Dr. Krogmann: Das eVergabe-Projektes der Bundesregierung ist grundsätzlich zu begrüßen. Wünschenswert wäre jedoch ein früherer Projektstart gewesen. Auch hätten durch eine engere Kooperation verschiedener eVergabe-Projekte die vorhandenen Ressourcen besser genutzt werden können: Beispielsweise sammelten neben dem eVergabe-Projekt des Bundes auch die ausgezeichneten Städte des MEDIA@Komm-Wettbewerbs erste Erfahrungen mit eProcurement. In den nächsten Wochen und Monaten muss der Bund nun überprüfen, ob die entwickelte IT-Lösung den gewünschten reibungslosen one-stop-Vorgang leistet und wo noch Optimierungspotential liegt. Da nach den Plänen der Bundesregierung die Beschaffungssoftware des Beschaffungsamtes auch anderen Bundesbehörden und den nachgeordneten Behörden kostengünstig zur Verfügung gestellt werden soll, muss die Software zudem so einfach und nachvollziehbar wie möglich gestaltet sein. Vor allem Kommunen dürfen nicht mit komplizierten technischen Lösungen überfordert und allein gelassen werden – man kann nicht erwarten, dass in einer kleinen niedersächsischen Behörde die gleichen IT-Experten sitzen wie im Beschaffungsamt des BMI.
politik-digital: Besteht die Gefahr, dass Pilotprojekte des Bundes zu einer Wettbewerbsverzerrung führen und innovativen Wettbewerb um überlegene Lösungen einschränkt?
Dr. Krogmann: Diese Gefahr ist durchaus vorhanden. Aus meiner Sicht war es ordnungspolitisch eine höchst fragwürdige Entscheidung, dass das Beschaffungsamt des BMI für das Pilotprojekt eVergabe des Bundes ein Unternehmen mit der Entwicklung einer neuen Beschaffungssoftware beauftragte: Zum Zeitpunkt der Ausschreibung existierte auf dem Markt bereits eine Software, die VOL-konform in mehreren Pilotprojekten erfolgreich lief.
politik-digital: Welche Auswirkungen hat die Umstellung der öffentlichen Hand auf E-Procurement auf die Wirtschaft, insbesondere für KMU?
Dr. Krogmann: Vor allem die großen Konzerne verschlanken ihre Beschaffungsprozesse zunehmend durch E-Procurement-Lösungen und sind somit für die Zusammenarbeit mit den “Online-Behörden” gerüstet. Bei den Mittelständlern sieht es im Moment noch etwas anders aus: Viele bewerten die Umstellung auf eProcurement als noch nicht erforderlich. Notwendige Investitionen in Hard- und Software werden nicht getätigt und die Einrichtung elektronischer Kataloge in die Zukunft verschoben. Daher müssen kleine und mittelständischen Unternehmen über die Chancen des E-Procurement dringend aufgeklärt werden. Geschieht dieses nicht, wird es nach Meinung von Experten in wenigen Jahren zu einer “Marktbereinigung” kommen: Der Kuchen ist dann unter den Großen aufgeteilt, kleine und mittelständische Unternehmen werden sich kaum noch auf dem Markt behaupten können.
politik-digital: Werden in Zukunft weitere Ausgründungen/Outsourcing von marktfähigen Leistungsangeboten auf allen Verwaltungsebenen zu beobachten sein und wäre das sinnvoll?
Dr. Krogmann: Warum nicht? Bei den knappen öffentlicher Ressourcen ist durchaus zu überlegen, ob ein Outsourcing von Verwaltungs-Dienstleistungen für den Steuerzahler nicht günstiger ist. Wichtig ist, dass die Leistung mit der gleichen Qualität geliefert wird.
politik-digital: E-Procurement steigert die Transparenz. Ist es auch ein Instrument zur Korruptionsbekämpfung bzw. illegitime Absprachen?
Dr. Krogmann: Auf jeden Fall! Beim E-Procurement können alle Verfahrens- und Entscheidungsschritte zurückverfolgt werden – allein das Wissen um diese Transparenz hat eine abschreckende Wirkung für potentielle Täter. Nicht nachvollziehbare Entscheidungen fallen auf: Entschließt sich beispielsweise die öffentliche Hand bei einer Ausschreibung für den drittbesten Bewerber, muss dies begründet werden. Dennoch ist E-Procurement kein Allheilmittel gegen Korruption – aber ein großer Schritt in die richtige Richtung.
politik-digital: Ist E-Procurement auch ein Instrument zur Vermeidung von überteuerten Beschaffungsmaßnahmen?
Dr. Krogmann: Diese Frage ist mit einem klaren ja zu beantworten – und zwar vor allem aufgrund von zwei Gründen. Der erste Grund sind die hohen Prozesskosten, die ein “normaler” Beschaffungsvorgang kostet: Ohne E-Procurement beginnt die Beschaffungskette beim Durchschauen von Papierkatalogen, der gewünschte Artikel wird ausgesucht, die Artikelanzahl und die Bestellnummer in ein Formulare eingetragen, anschließend muss ein Vorgesetzter – oder vielleicht auch mehrere – den Vorgang genehmigen. Die Bestellung wird entweder per Post oder Fax an einen oder mehrere Anbieter geschickt. Beim Eintreffen der Ware muss überprüft werden, ob der richtige Artikel in der richtigen Mengenzahl geliefert wurde, wieder wird die Unterschrift eines Vorgesetzten benötigt: dieses Mal für die Freigabe der geprüften Rechnung. Dieser ganze langatmige Vorgang verdeutlicht, wie viel Arbeitszeit einfache Bestellvorgänge sowohl in Behörden als auch in Unternehmen kosten. Zum Zweiten können neben den Prozess- die Beschaffungskosten erheblich reduziert werden: Durch den Einsatz von E-Procurement-Lösungen lässt sich einfach feststellen, wie viel von einem Artikel im Jahr bestellt wird und wie viele Anbieter das selbe Produkt zu unterschiedlichen Preisen anbieten. Durch eine solche Bestandsaufnahme zeigt sich schnell, welche Artikel günstig sind und wo Mengenrabatte verschenkt werden.
politik-digital: Trotz begrüßenswerter Gesetzesreformen wird die digitale Signatur noch nicht in breiter Anwendung genutzt. Welche Bedingungen für die Nutzung müssen ihrer Meinung nach geändert werden, damit im Bereich E-Procurement der wichtige Baustein der digitalen Signatur stärker Anwendung findet?
Dr. Krogmann: Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die digitale Signatur liegen vor – was fehlt, ist ihre Akzeptanz. Aus meiner Sicht muss daher die Bundesregierung die flächendeckende und breite Einführung der digitalen Signatur fördern – nicht nur für den Bereich E-Procurement. Kontraproduktiv sind dabei die Entstehung verschiedener, inkompatibeler Signaturverfahren – dieses führt eher zur Verwirrung und behindert eine weitere Verbreitung.
politik-digital: Vielen Dank für die Antworten!
Erschienen am 16.05.2002
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