Vor dem Hintergrund der Onlineaktivitäten von ARD und ZDF erhält die Frage des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks neue Brisanz.
Am 20. März diesen Jahres kündigten t-online und das am Mainzer Lerchenberg heimische ZDF an, ein gemeinsames Internet-Nachrichtenportal unter der Domain
www.heute.t-online.de aufzubauen. So umstritten die Exklusiv-Kooperation vor allem hinsichtlich der journalistischen Unabhängigkeit des ZDF ist, so nachvollziehbar erscheint das betriebswirtschaftliche Kalkül der beiden Unternehmen.
Dem ZDF, bisher mit den US-Partnern Microsoft und NBC im Nachrichtenangebot
www.zdf.msnbc.de affiliert, wird es bei der Kooperation vorwiegend um technische Kompetenz und Reduzierung der Kosten gehen. Dem börsennotierten Tochterunternehmen der Telekom, das bereits eine ähnliche Partnerschaft mit dem Springerverlag vereinbart hat, garantiert das mehrjährige Lizenzgeschäft im Gegenzug den exklusiven Zugriff auf dringend benötigte Inhalte.
Getreu dem Motto “besser spät als gar nicht” hat auch die ARD das Potenzial des Internets entdeckt. Im April beschlossen die ARD-Intendanten,
www.ard.de als Einstiegsportal zu den bisher weitgehend unvernetzt nebeneinander existierenden Seiten der ARD, der Landesrundfunkanstalten und deren Radio- und TV-Sendungen weiterzuentwickeln. Einen Vorgeschmack auf das, was den Nutzer in Zukunft unter
www.ard.de erwartet, ermöglicht seit dem 25. Mai der neue Dienst “Radio-Net”, mit dem man auf alle Live-Streams der ARD-Hörfunkprogramme zugreifen kann. Kompetenz in der Onlineberichterstattung will die ARD mit einem überarbeiteten Auftritt ihres Nachrichtenportals
www.tagesschau.de beweisen. Außerdem steht der Ausbau des programmorientierten Angebots
www.das-erste.de an.
Die Ankündigung der ARD, verstärkt Präsenz im Netz zu zeigen, bestätigt auf den ersten Blick bestehende Vorurteile aus der Rubrik “Die Öffentlich-Rechtlichen und der Puls der Zeit”. Schließlich steckt die private Konkurrenz, allen voran die RTL-Gruppe, schon seit Jahren Millionenbeträge in ihre Onlineaktivitäten und verknüpft Fernsehformate wie “Big Brother”, “Wer wird Millionär?” oder ” TV-Total” geschickt mit dem Internet. Bei eingehenderer Beschäftigung mit der späten Erkenntnis der ARD interessiert jedoch nicht mehr nur, warum das alles so furchtbar lange dauert. Stattdessen erfährt eine viel grundlegendere Kontroverse neue Brisanz: Die Frage nach dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Die Bedeutung dieser Frage liegt in der Struktur des deutschen Rundfunksystems begründet, die im letzten halben Jahrhundert aus politischen und juristischen Entscheidungen entstanden ist. Davon ausgehend, dass bestimmte “Informationsgüter” vom Markt allein nicht hinreichend zur Verfügung gestellt werden, beschränkte sich der Staat nach Gründung der Bundesrepublik beim Rundfunk anders als beim Pressemodell nicht auf die Regulierung privater Anbieter. Vielmehr brachte der Gesetzgeber mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen Akteur ins Spiel, der ob seiner Gebührenfinanzierung vom Markt weitgehend unabhängig sein sollte. Auch nach dem Ende der publizistischen Monopolstellung von ARD und ZDF durch die Zulassung privater Sender Mitte der 80er Jahre ist ihr Status ein besonderer. Denn seitdem fixiert das vom Bundesverfassungsgericht in einem wegweisenden Urteil eingeführte Prinzip der “Grundversorgung” mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung den Verantwortungsbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Anderthalb Jahrzehnte nach der medienpolitischen Wende ist die zunächst beargwöhnte Koexistenz zweier Rundfunksysteme einer Normalität gewichen, die der Fernsehzuschauer alltäglich in Form von schonungslosem Ideenklau bei Formaten, Präsentationsformen und Programmstrukturen vor Augen hat. Die
medienpolitischen Auseinandersetzungen jedoch dauern an. Vor allem der Bereich jenseits der Grundversorgung ist Anlass ausführlicher Diskussionen – also alle öffentlich-rechtlichen Angebote, die wie digitale Dienste, Spartenprogramme oder eben das Internet darüber hinausgehen, was als Grundversorgung definiert ist.
Der “natürliche Feind” einer öffentlich-rechtlichen Online-Expansion sind die Zeitungsverleger, organisiert im
Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), und die durch den
Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) vertretenen privaten Sender. Mit aufwendigen Angeboten und immensen Investitionen sind beide Gruppen im Internet präsent – und wehren sich gegen die gebührensubventionierte Konkurrenz. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht die Frage, ob ARD und ZDF mit ihren Internetplänen den ihnen verfassungsrechtlich und gesetzlich vorgegebenen Auftrag überschreiten. Das Diktum von der “3. Säule”, das für den langfristigen Ausbau des Internets zum Standbein neben Fernsehen und Radio steht, macht – obwohl vom ARD-Intendant Fritz Pleitgen längst zurückgenommen – die Runde. Nicht nur die Konkurrenz, auch die Politik ist alarmiert und die alte Forderung, die Aufgaben der Öffentlich-Rechtlichen durch einen engeren “Funktionsauftrag” einzuschränken, erfährt neue Aktualität.
Die Beschränkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf seine Kernaufgaben im (hoch-)kulturellen Bereich, ist eine Standardformel in dieser Diskussionen, in der sich nicht nur wirtschaftliche und standortpolitische Interessen gegenüber stehen, sondern auch grundverschiedene Annahmen über die Aufgaben des Staates in der Kommunikationsordnung. So steht hinter der Forderung, den Rundfunk durch einen radikalen Umbau der dualen Rundfunkordnung dem Wettbewerb zu öffnen, im Kern der Glaube an den ökonomischen Wettbewerb, der als freiheitliches Organisationsprinzip allein einer freiheitlichen Kommunikationsordnung entspräche.
Immer wieder wird von Gegnern der Internetpläne von ARD und ZDF darauf verwiesen, dass das Entstehen von Markt- und Meinungsmacht in den unhierarchischen Strukturen des Internets gar nicht möglich sei. Damit fiele die Notwendigkeit der “unverkürzten Darstellung der Meinungsvielfalt” – Kernpunkt dessen, was der “Grundversorgungsauftrag” der Öffentlich-Rechtlichen inhaltlich bedeutet – für das Netz weg.
Der Markt allein, sagt dagegen
Fritz Pleitgen, der sich auf eine von der ARD mitfinanzierte Studie des Hamburger
Hans-Bredow-Instituts beruft, könne weder die “verfassungsrechtlich geforderte freie öffentliche Kommunikation” noch “publizistische Vielfalt” garantieren. Daher werde dem öffentlich-rechtlichen Engagement im Internet eine “Schlüsselrolle” zu Teil. Damit das Internet mehr werde als “ein virtueller Marktplatz für Händler und Dienstleister”, müssten ARD und ZDF, als von kommerziellen und politischen Interessen unabhängige “Lotsen” und “Mittler von verlässlichen Information” orientierungsstiftend in Erscheinung treten.
Die aktuelle Entwicklung des Internets scheint Pleitgens Einschätzungen zu bestätigen: Zwar kann von oligopolistischen Strukturen, einem Mangel an Übertragungswegen oder Defiziten der Meinungsvielfalt in der Tat nicht die Rede sein, wenn jeder Inhalte ins Netz stellen und aus einer Flut von Informationen wählen kann.
Studien aus den USA belegen jedoch, dass die Internetnutzer immer mehr Zeit auf den Seiten immer weniger Unternehmen verbringen. Während die US-Nutzer 1999,
Jupiter Media Metrix zufolge, 50 Prozent ihrer Online-Zeit auf den Seiten von elf Unternehmen verbrachten, widmeten sie die selbe Zeit im März 2001 ausschließlich den Seiten vier großer Medienunternehmen, ganz vorne
AOL Time Warner.
Doch neben der hehren Absichten, die Pleitgen für die ARD ins Felde führt, geht es auch ihm schlichtweg um die Zukunftsfähigkeit seines Senders, um Synergien und Marketing. Pleitgen schließt eCommerce und Werbung, die den öffentlich-rechtlichen Anstalten staatsvertraglich verboten sind, zwar aus, betont aber, dass über alternative Finanzierungsmöglichkeiten – wie zum Beispiel Zusatzangebote gegen Kostenerstattung – nachgedacht werden müsse. Alfred Biolek ist da schon einen Schritt weiter, denn bereits heute gelangt man über die Seiten der ARD auf den “alfredissimo! Shop”, dessen breites Angebot von für das Nachkochen unerlässlichen Ingredienzien bis zum “alfredissimo! Risottotopf” zu DM 136,89 reicht.
Beide Lager beziehen sich in der Kontroverse auf die Formulierungen des vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom Frühjahr 2000. Dieser sieht für die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet Angebote mit “vorwiegend programmbezogenem Inhalt” vor. Kern der scharfen Kritik des Bundesverbandes der Zeitungsverleger, der sich auf ein im März 2001 vorgestelltes Gutachten des Leipziger Rechtswissenschaftlers Prof. Degenhart stützt, ist, dass Internetdienste der Öffentlich-Rechtlichen mit Ausnahme des “Programmbezugs” rechtswidrig seien. Was allerdings “Programmbezug” bedeutet, ist unterschiedlich interpretierbar. Fritz Pleitgen nimmt jedenfalls für die Angebote der ARD in Anspruch, dass sie den staatsvertraglichen Vorgaben entsprächen. Für den VPRT-Präsidenten
Jürgen Doetz sind die geltenden Bestimmungen im Rundfunkstaatsvertrag ohnehin unzureichend, um zu verhindern, dass sich ARD und ZDF im Online-Bereich breit machen. Deren Engagement hält er nicht nur für überflüssig, es werde auch zu “Wettbewerbsverzerrungen im höchst sensiblen Online-Markt” führen. Daher sei es durch entsprechende rechtliche und politische Bestimmungen auf das “notwendige Maß zu beschränken”, sagte Doetz Politik-Digital.
Ob es in Zukunft wirklich zu einem Bedeutungsverlust des klassischen Programmrundfunks zu Gunsten des Internet kommt, und inwieweit beide Medien
zusammenwachsen, ist ungewiss. Sicher ist nur das enorme Tempo, mit dem sich das Internet zum selbstverständlichen Bestandteil des Medienportfolios bundesdeutscher Haushalte entwickelt. Globale Allianzen zwischen traditionellen und neuen Medienunternehmen, Produkt- und Nutzungsdifferenzierung, neue Wertschöpfungsmöglichkeiten und Synergien bei Inhalten und Werbung – das sind die Herausforderungen, vor denen die etablierten Medien stehen. Dafür versuchen sie sich eine gute Marktposition und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu sichern.
Auf die gesellschaftliche und politische Agenda gehören jedoch andere Fragen: Entstehen im Internet, das sich in einem heftigen Konsolidierungsprozess befindet, langfristig tatsächlich inhaltliche Defizite? Durch welche Akteure könnten diese ausgeglichen werden, und wie, wenn nicht durch Bioleks Bratpfannen, ließen sich von kommerziellen Interessen weitgehend unabhängige Informationsangebote im Netz finanzieren?
Digitale Informations- und Kommunikationsmedien, allen voran das Internet, haben die Medienlandschaft schon jetzt sehr verändert. Sie fordern sowohl die eigentlichen Akteure als auch die Politik. Letztere erscheint angesichts des Tempos des Internets überfordert. Der medienpolitische Rahmen, in dem sich die Diskussion um öffentlich-rechtliche Netzaktivitäten abspielt, hinkt der Entwicklung chronisch hinterher und ist vielleicht mehr denn gefordert.