Interview mit Kai Hafez, Mitarbeiter
des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg. Außerdem ist er Leiter verschiedener Forschungsprojekte.



Kai Hafez


politik-digital: Wie beurteilen Sie die Situation des Internets in der arabischen Welt, und wo sehen Sie die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern?

Kai Hafez: Ich möchte vorweg sagen, dass die so genannten klassischen Medien nach wie vor viel einflussreicher als das Internet sind und der Hype des Internets weitgehend vom technikbegeisterten Westen ausgeht. Dabei handelt es sich um propagandistische Erklärungen, die von der Weltbank und von anderen großen internationalen Organisationen immer wieder ins Spiel gebracht werden. Das Internet wird eine Rolle spielen, es spielt heute schon eine Rolle. Aber sie wird eine nicht so große Rolle spielen, wie viele Leute meinen.

Insgesamt kann man sagen, dass die Medienpolitik im Allgemeinen ebenso wie die Internetpolitik im Besonderen ganz eng mit dem Regimetyp zusammenhängt. Und dieser Regimetyp ist in arabischen Ländern nicht so einheitlich, wie viele Leute denken. Es gibt eine Reihe von Unterschieden bei der Beschreibung dieser arabischen politischen Regime.

Es hat einige Staaten gegeben, die die Öffnung der Medien und des Internets von vorneherein blockiert haben. Das waren vor allem diejenigen, die man politologisch zu den totalitären Staaten zählen muss: Syrien, Irak, Saudi Arabien und Libyen. Andere Länder hatten lange Jahre eine recht liberale Handhabung, z. B. die semiautoritären politischen Systeme in Marokko und Ägypten.

Für Ägypten gilt ebenso wie für Jordanien eine Gemengelage aus sehr restriktiven Interventionen in sämtlichen medienpolitischen Bereichen einerseits und relativer Freiheit der Kritik der an der Regierung andererseits. Es ist in Ägypten nicht ungewöhnlich, dass große Zeitschriften auch massive Kritik üben. So lange, bis dann irgendeine Sanktion über sie herniederprasselt.

Diese halbautoritären Staaten wie Ägypten, Marokko, Jordanien und viele der Golfstaaten erlauben eine gewisse Liberalisierung in der Nutzung des Internet, sowohl im Platzieren von Homepages als auch im Zugang zum Netz.

Andere Staaten haben das von vorneherein unterbunden. Die so genannte Internetpolitik eines Staates wie Syrien steht weitgehend auf dem Papier. Die Internetpolitik ist also abhängig von dem jeweiligen Regimetyp.

politik-digital: Sind demokratische Strukturen eine Voraussetzung für die Liberalisierung des Internets?

Kai Hafez: Nein, Demokratie an sich ist keine Voraussetzung, aber eine gewisse Liberalisierung ist eine Voraussetzung. Diese Liberalisierung kann in Systemen wie in Ägypten oder aber auch in traditionelleren Herrschaftsformen wie in den Golfstaaten zugelassen werden. Es muss dabei eine Führungsriege geben, die das Internet als etwas Modernisierendes begreift und die die Liberalisierung aus ökonomischen Gründen gestattet und gewisse Reformen von oben im Medienbereich zulässt.

Ich glaube aber, dass die Eliten oder Führungsriegen im Zweifelsfall alles einsetzen werden, um Dynamiken der Meinungsbildung in Internet, die ihnen aus der Hand gleiten, auch wieder einzufangen.

Politik-digital: Was sind die Motive dieser Regierungen für diese ‚restriktive’ Liberalisierung des Internets? Stärkt das Internet die Partizipation des Bürgers im Verhältnis zum Staat?

Kai Hafez: Die Staaten setzten auf den ökonomischen Gesichtspunkt, und sie setzen auf den Bildungsaspekt. Von Seiten der Nutzer sieht das genauso. Was wir über Nutzungsverhalten der Leute wissen, auch durch Beobachtung in Internetcafes, ist, dass der überwiegende Teil der häufig jüngeren Verbraucher das Internet für eine Mischung aus Unterhaltung, Sex und eCommerce verwendet.

Die politische Aufklärung und politische Information bleibt eigentlich das Refugium von bestimmten organisierten Gruppen, die natürlich aus unterschiedlichen Spektren oder Teilbereichen der Gesellschaft stammen. Das können zum Teil radikale, aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen sein. Aber das ist in der Quantität gemessen noch ein relativ dünnes Phänomen. Die politischen Folgewirkungen sind für die meisten Staaten im Moment noch abwägbar oder einkalkulierbar.

Es gibt aber auch andere Beispiele in der arabischen Welt. In Palästina ist das Internet tatsächlich fast ein Ersatz für die Zivilgesellschaft geworden und ermöglicht einen Diskurs, der aus verschiedenen Gründen sonst nicht stattfinden kann. Auf der einen Seite zensiert Arafats Behörde die klassischen Medien stark und die Israelis lassen eine physische Bewegung und Transport kaum zu. Das drängt den öffentlichen Diskurs ins Internet.

Dies hängt auch mit dem Fehlen staatlicher Regulierungsbehörden und der relativen Anarchie in den staatlichen Bereichen zusammen. In Palästina ist die Internetnutzung hoch politisiert, aber das kann man nicht in gleicher Weise von anderen Ländern sagen.

Politik-digital: Wie schätzen sie die Zukunft des eGovernment ein?

Kai Hafez: In Ländern wie Jordanien und Ägypten handelt es sich bisher weitgehend um Konzepte auf dem Papier. Die Idee des eGovernment könnte am ehesten in den Golfstaaten realisiert werden, weil sie über das entsprechende Kapital verfügen, um die Geräte überhaupt einzurichten und rein physisch kleinere Gesellschaften sind.

Aber eGovernment hat zwei Aspekte: einmal den Dienstleistungsaspekt, der von den Regierungen ausgehend den Bürgern Dienstleitungen näher bringen will, beispielsweise Formulare aus dem Einwohnermeldeamt über das Internet zur Verfügung zu stellen. Das werden wahrscheinlich manche Länder im begrenzten Maße versuchen, einzuführen. Aber das hat einen gewissen Alibicharakter, ein Land wie Ägypten wird einfach technisch und ökonomisch enorme Probleme haben, das wirklich auf breiter Basis durch zu setzen.

Der zweite Bereich ist das eVoting. Das halte ich für absolut abstrakt. Dieser Ansatz findet selbst in repräsentativ-parlamentarischen Demokratien kaum Zuspruch, weil es im Grunde nichts anderes als ein Aufguss der Diskussionen um plebiszitäre Demokratie ist. Wenn es in Europa kaum politischen Rückhalt hat, halte ich es für absolut theoretisch, dass dieser Aspekt im Nahen Osten von irgendeiner politischen Kraft als Programm anerkannt werden sollte.

Für glaubhaft halte ich die Bemühungen einiger Regierungen, den Dienstleistungssektor auszubauen. Das ist auch nicht unvernünftig. Staaten wie Ägypten werden das allerdings so schnell nicht leisten können, kleinere und reichere Staaten wie die Golfstaaten können es sich aber leisten. Dadurch lassen sich gewisse ökonomische Synergieeffekte erreichen, die Leute müssen nicht mehr Schlange stehen, man kann rationalisieren.

Das ist nicht sinnlos und es wäre für manches Land sicherlich heilsam, da – um es mal ganz banal zu sagen – Korruption mit persönlichen Begegnungen zwischen Untertanen und den entsprechenden Bürokraten zunimmt. Vielleicht kann man die Bürokratie durch eine solche Nutzung des Internets versachlichen. Das hat aber mit einem Gewinn an Demokratie noch nicht unbedingt etwas zu tun.

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Erschienen am 6.1.2003