Dr. Myriam Dunn leitet den Forschungsbereich „Neue Risiken“ am
Center for Security Studies der ETH Zürich. Das weltumspannende Netz beschaeftigt die internationale Sicherheitspolitik heute mehr denn je: Das Internet ist heute Medium, Waffe und Angriffsziel zugleich.

 

Eines Morgens geben die Bankautomaten kein Bargeld mehr aus. Die Stromversorgung fällt großflächig aus. Fahrstühle bleiben stecken. Der Flugverkehr bricht zusammen. Auf den Straßen Europas herrscht Chaos. Sicherheitskräfte verlieren die Kontrolle über Atomkraftwerke und Staudämme. Der Grund für den Ausnahmezustand: Islamistische Terroristen sind in unsere Computernetzwerke eingedrungen und bringen unsere Zivilisation zum Stillstand.

Schreckensszenarien wie dieses spuken seit Jahren in den Köpfen von Sicherheitsexperten herum. Rein hypothetisch kann es in einer hoch technisierten Welt wie der unseren tatsächlich fatale Folgen haben, wenn Computer ausfallen oder von Terroristen gezielt manipuliert werden. Es ist nicht neu, dass Technikängste, ob begründet oder nicht, eine große Rolle in Alltag und Zeitgeschehen spielen. Neu ist aber die Allgegenwart der neuen Medien – von denen das „Internet“ nicht das einzige, aber sicher eines der prominentesten Beispiele ist. Neu ist auch die Abhängigkeit moderner industrialisierter Gesellschaften von einer Vielfalt von nationalen und internationalen Informationsinfrastrukturen, die als unsicher gelten.

Tatsächlich ist das Internet in vielfältiger Weise mit der internationalen Sicherheitspolitik verwoben, und das weit über das Schreckensszenario Cyberterrorismus hinaus. Das Internet wird heute von einer breiten Palette von sicherheitspolitisch relevanten Akteuren für zahlreiche Aktivitäten genutzt, viele davon friedlich. Dabei ist das Internet meist bloßes Medium zur Informationsbeschaffung und -verbreitung. Doch das Internet wird auch für weniger friedliche Zwecke missbraucht: Brandaktuell ist unter anderem die Art und Weise, wie Terroristen das Internet für die „strategische Kommunikation“ nutzen.

Dass der Terrorismus eine Kombination aus Gewalt und Medienpropaganda einsetzt, ist nichts Neues. Jetzt aber stehen im Unterschied zum 19. Jahrhundert neue Kommunikationsmittel zur Verfügung, um Informationen herzustellen und sie vor allem global verteilen zu können. Und die letzten Jahre haben gezeigt, wie Terroristen die Verbreitung ihrer Video- und Bilderbotschaften über Medien und das Internet, perfektioniert haben.

Zum Beispiel wurde für die Verbreitung von Enthauptungsvideos das Internet eingesetzt. Diese makabre Inszenierung, nicht nur für westliche, sondern auch für arabische Augen kodiert, soll Angst auslösen und Macht demonstrieren und wird als Waffe in der psychologischen Kriegsführung gegen die amerikanische Besatzung eingesetzt,. Terroristische Gruppierungen nutzen das Internet angeblich auch zur Vorbereitung von Attentaten : Schon vor 9/11 kursierte das Gerücht, dass islamistische Terroristen um Osama bin Laden Botschaften in Bildern auf Porno- und Sport-Websites versteckten und so heimlich kommunizierten. Das Internet wird häufig auch als "Fernuniversität des Terrors" dargestellt: Die Attentäter von Madrid zum Beispiel sollen sich bei einer paramilitärischen US-Organisation detaillierte Aufnahmen von Sprengsätzen heruntergeladen haben .

Obwohl solche Bauanleitungen auch in zahlreichen Büchern zu finden sind, wurden derartige Meldungen von den Medien ausgeschlachtet und haben dazu geführt, dass im Namen der Sicherheit strengere Internet-Kontrollen gefordert werden. Dabei geht es vor allem darum, besorgniserregende Inhalte entfernen und die dafür Verantwortlichen schneller bestrafen zu können – auf die Gefahr hin, dass allzu breite Definitionen zu Zensur auch von politischer Opposition führen und die Meinungsfreiheit untergraben könnten.

Die Bezeichnung des Internet als
„virtueller sicherer Hafen“ für Terroristen (Kofi Annan), die transnational handeln und die nationalen Unterschiede ausnutzen, ist Ausdruck eines staatlichen Ohnmachtgefühls gegenüber einem als unkontrollierbar empfundenen exterritorialen Raums. Gerade in Zeiten internationaler Konflikte, die Massen mobilisieren, kommt dem Internet zusätzliche Bedeutung zu. Obwohl es zynisch erscheinen mag, die digitale Welt mit der wirklichen des Krieges gleichzusetzen: Häufig wird konstatiert, dass Kriege heute viel mehr als früher nicht nur mit Waffen auf dem Schlachtfeld geschlagen werden, sondern auch in den Medien und über Propaganda.

Gerade in den USA wird der so genannten „Soft Power“, also der Möglichkeit Menschen und Nationen durch kulturelle und politische Attraktivität für sich zu gewinnen, sehr großer Stellenwert zugeschrieben. In diesem Zusammenhang wurde das Internet dort früher auch als Werkzeug verstanden, um spezifische Informationen verbreiten zu können. Heute jedoch sieht die US-Regierung das Internet verstärkt als regelfreien Raum, in dem um Deutungshoheit und Wahrheit gerungen wird – und das oft zum Leidwesen staatlicher Akteure. So erstaunt es weniger, dass das Internet von militärischer Seite sogar als buchstäbliche Bedrohung beschrieben wird und dass US-Militärs fordern, das Netz so zu bekämpfen wie ein feindliches Waffensystem: „We must fight the Net“ steht in der amerikanischen
Information Operations Roadmap vom Oktober 2003.

Kombiniert mit den langjährigen Ideen vom Cyberkrieg, bei dem es neben der Verbreitung "grauer" oder "schwarzer" Informationen – d.h. Nachrichten, die aus Wahrheiten, Teilwahrheiten oder gar Lügen zusammengesetzt werden, und zwar so, dass die Wahrheiten die Unwahrheiten plausibel machen –auch um physische oder digitale Zerstörung von Informationsinfrastruktur geht, kommt ein zusätzliches sicherheitspolitisches Thema ins Spiel: die „Rüstungskontrolle“ im Cyberspace. Obwohl Experten wenig Chancen sehen, Formen der traditionellen Rüstungskontrolle auf den Cyberkrieg zu übertragen, wird es eher früher als später nötig sein, ernsthaft über den völkerrechtlichen Schutz ziviler grenzüberschreitender Netzwerkkommunikation sowie die Ausgrenzung kritischer nationaler Infrastrukturen aus zukünftigen Cyberwar-Szenarien zu diskutieren. Denn nur so ist eine langfristige und anhaltende Entwicklung der internationalen Informationsgesellschaft sicherzustellen.

Dr. Myriam Dunn leitet den Forschungsbereich „Neue Risiken“ am
Center for Security Studies der ETH Zürich.

 

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