Streikende Studierende vernetzen sich langsam bundesweit per Internet. Attac und indymedia buhlen auch um die Gunst der Streikenden, während Gewerkschaften und Parteien es bei warmen Worten belassen.

„Während des Hochschulstreiks 97/98 hatten viele linke StudentInnen noch mehr als sonst eine bundesweite Vernetzung vermisst“, steht auf der Begrüßungsseite von
LiRa e.V., dem Bündnis linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen. Daraus entstand LiRa im Februar 1998. Im Dezember 2003 wird die LiRa-Seite gerade überarbeitet und kündigt aktuelle Termine für vergangenen März an. Schon wieder vermissen nicht nur linke Studierende eine bundesweite Vernetzung.

Wird auf Ebene der Universitäten und Bundesländer das Internet als Kommunikationsplattform intensiv genutzt, stecken bundesweite Aktionen im Netz noch in den Kinderschuhen. Schnell reagiert hat der „freie zusammenschluss von studentinnenschaften“, kurs „
fzs“. Der Dachverband der deutschen Asten organisierte am Samstag, den 29. 11.2003 ein bundesweites Koordinierungstreffen der Hochschulstreikbewegungen in Jena. Denn, so heißt es auf der Seite, nicht nur in Frankfurt, Marburg, Gießen und Berlin, sondern auch in Kassel, Darmstadt, Göttingen und Bremen wird gestreikt. In Jena wurde ein Aktionstag im Rahmen der europaweiten studentischen Proteste am Samstag, den 13. Dezember 2003, vereinbart und sogleich der Demo-Aufruf auf die Homepage gestellt. Unter der Rubrik „Streiks aktuell“ können Interessierte sich nun in die Mailingliste eintragen oder Tipps zu Aktionen aus verschiedenen Bundesländern nachlesen. Auch die Presse wird mit Hintergrundartikel und Bildmaterial versorgt. Über eMail können Demo-Plakate und die Sonderausgabe der fzs-Zeitung bestellt werden.

Kettenreaktion

Von hieraus gelangt man zur bundesweiten
Online-Petition gegen Studiengebühren. Von Konstanzer Studierenden initiiert, verzeichnet die Seite mittlerweile über 18.000 Einträge, die einem Regierungsvertreter in Berlin überreicht werden sollen. Auch die FH Darmstadt hat für die von ihr geplante bundesweite „
Kettenreaktion“ eine eigene Seite gebastelt. Mehrere Menschenketten sollen sich am Mittwoch, den 10. Dezember durch verschiedene deutsche Städte ziehen und symbolisch miteinander verbunden werden. Die reelle Verbindung der Kontaktpersonen wird, so die Vorstellung der Darmstädter, über die Internetseite laufen.

Aktualität: attac vs. indymedia

Die Domain www.hochschulstreik.de hat sich attac-Deutschland gesichert. Das erste Exemplar der bundesweiten „Streikzeitung“ von attac ist zwar nur von der
allgemeinen Attac-Homepage zu laden, jedoch wachsen langsam die Beiträge auf der Streik-Webseite. Dennoch fehlen die Einträge in den beiden wichtigsten Rubriken für aktive Streikende: News und Termine. Was Aktualität anbelangt, hat eindeutig
indymedia die Nase vorn. Auf der ständig aktualisierten Übersichtsseite sorgen Studierende aus der gesamten Bundesrepublik für immer neue Updates. Die Vielfalt der Aktionen stellt sich nicht nur anhand der Menge von schriftlichen Beiträgen, sondern auch durch Bilder, Filme und Audio-Beiträge dar. Ob vom beginnenden Aktionsstreik in Göttingen oder der Besetzung des Roten Rathauses in Berlin, indymedia dient vielen auch als Netzsprachrohr zur direkten Mobilisierung. „Kommt zahlreich und seid spontan!“ schreibt ein Demonstrant am Abend der Besetzung des Roten Rathauses, um 21:48 Uhr ergeht laut einem weitern Autor der Räumungsbescheid, und um ein Uhr morgens berichtet „infopool“ von der entspannenden Spontandemo im Anschluss an die Besetzung. Bei so zeitnaher Berichterstattung geht allerdings der Überblick leicht verloren.

Ein Weblog, wie er zum Beispiel seit gut einem Monat
für Hessen existiert, ist jedoch auf Bundesebene noch nicht ausfindig zu machen. Hier kann man sich nach dem Einloggen auch an einer Streik-Umfrage beteiligen, bei der die „Streikfrage“ überhaupt gestellt wird: „ Ist die Blockade von Lehrveranstaltungen an den Hochschulen ein geeignetes Mittel, um gegen Studiengebühren und Bildungsabbau in Hessen zu protestieren?“ Heiß diskutiert wird diese Frage nicht nur in Hessen. Die verschiedenen Debatten in Foren und Mailinglisten beziehen sich jedoch meist nur auf einzelne Unis oder Fachbereiche.

Solidarität ohne Worte

Bestehende Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften haben bisher kaum auf die studentische Protestwelle reagiert. Einzig auf der
Seite der Grünen Jugend findet sich eine Solidaritätserklärung mit einem Link zu indymedia,
die Jusos verweisen auf die Seite des „fzs“, doch der Termin für den bundesweiten Aktionstag findet sich in keinem einzigen Terminkalender. Auf den Seiten der
Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft und des deutschen Gewerkschaftsbundes [www.dgb.de] ist noch nichts von der Solidarität zu sehen, die gegenüber Studierenden immer wieder bekundet wird. Lediglich die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), in vielen anderen Fragen Zielscheibe der studentischen Proteste, stellt sich in diesem Fall auf die Seite der Streikenden. Professor Dr. Peter Gaehtgens, Präsident der HRK, hat seine Presseerklärung auf
die HRK-Startseite gestellt. Der frühere Präsident der Freien Universität Berlin wendet sich gegen die Kürzungen im Bildungsbereich, denn „wer an dem einen Ende nicht investiert, wird am anderen Ende nicht ernten können“.

Das könnte auch für die bundesweite Vernetzung gelten. „Le net est aussi un outil de luttes.“ – das Netz ist auch ein Mittel des Kampfes, schreiben
die französischen Nachbarn auf ihrer nationalen Koordinierungsseite, die unter anderem in einem Forum eine Plattform zur Diskussion bietet. Bleibt nur noch der Wunsch, dieses Mittel in Deutschland auch auf Bundesebene zu nutzen.

Erschienen am 09.12.2003

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