Als kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion ist Dr. Norbert Lammert ein Medienexperte. Er sitzt nicht nur im Ausschuß für Kultur und Medien sondern ist auch ehrenamtliches Mitglied im Programmausschuß von RTL.
Im Gespräch mit politik-digital sprach er über die Grenzen der öffentlich-rechtlichen Auftritte im Internet.
politik-digital: Dem Anspruch, als (Nachrichten-)portal im Internet zu fungieren, liegt die Vorstellung vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Wegweiser durch die digitale Welt zugrunde. Wie bewerten Sie die – mittlerweile leiseren – Töne der ARD und der Landesrundfunkanstalten den Ausbau ihres Internet-Auftritts betreffend? Halten Sie diesen für durch den Rundfunkauftrag gedeckt?
Lammert: Grundsätzlich habe ich keine eine Einwände gegenüber programmorientierten Internet-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Eine Verzicht auf dieses Medium, auf das weder die Zeitungen noch die privaten Rundfunk- und Fernsehsender verzichten wollen und können, hätte absehbar strangulierende Konsequenzen, was nicht im Interesse eines funktionierenden dualen Rundfunksystems in der Bundesrepublik ist. Der Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel, hat Recht: “Wir dürfen den öffentlich-rechtlichen nicht die neuen Möglichkeiten und damit die Zukunft nehmen.” Programmbegleitende oder programmergänzende Online-Aktivitäten wie beispielsweise beim ARD-Presseclub oder bei der Talk-Sendung “Christiansen” halte ich für legitim und durch den Rundfunkauftrag gedeckt. Das Internet ist neben Fernsehen und Hörfunk heute ein integraler Bestandteil des Mediensystems. Abgesehen davon nutzen insbesondere jüngere Altersgruppen das Netz viel stärker als die konventionellen elektronischen Medien. Aus diesem Grund könnten es sich ARD und ZDF kaum erlauben, auf diesem Gebiet nicht präsent zu sein.
Eine Zäsur sehe ich allerdings in systematischen e-commerce-Aktivitäten, die auf eine wirtschaftliche Gewinnerzielung ausgerichtet sind. Ein virtuelles Kaufhaus dürfen ARD und ZDF nie sein. Hier sehe ich eindeutig die Grenze der Online-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
politik-digital: Wie bewerten sie die Vereinbarung von ZDF und t-online, die ja im Rahmen einer Exklusivpartnerschaft für das Nachrichtenportal heute.t online.de nicht nur die Einblendung des Hinweises auf die geplante Internet-Domain heute.t-online.de in jeder Nachrichtensendung des ZDF sondern auch den privilegierten Zugriff auf ZDF-Inhalte für t-online vorsieht?
Lammert: Vom journalistischen Standpunkt aus tauchen bei dieser Konstellation mögliche Probleme auf, weil vor dem Hintergrund der geschäftlichen Verbindung mit der Deutschen Telekom zumindest der Eindruck von Interessenkollisionen bei der Berichterstattung des ZDF über die Telekommunikationsbranche entstehen kann. Bedenkt man, dass die Aktien der Deutschen Telekom noch mehrheitlich im Eigentum des Bundes sind, also unter Kontrolle des Bundesfinanzministers, wird die Situation nicht einfacher. Darüber hinaus ist auch die regelmäßige Einblendung des t-online-Namens in einem redaktionellen Umfeld einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung problematisch. Deshalb habe ich Zweifel, ob die Kooperation in der Praxis funktioniert. Jedenfalls denke ich, dass in diesem Fall das Maximum an wohlwollender Interpretation des Rundfunkstaatsvertrages ausgeschöpft wird.
politik-digital: Das Internetzeitalter unterscheidet sich von den 80er Jahren durch eine diversifizierte Medienlandschaft, veränderte Kultur, wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen sowie durch die Verhaltensweisen der Rezipienten. Von Defiziten der Meinungsvielfalt kann nicht die Rede sein, das Gegenteil ist der Fall. Erwächst – der Argumentation der öffentlich-rechtlichen Anstalten folgend – nicht gerade aus der zunehmenden Unübersichtlichkeit im Netz eine neue Grundversorgungsaufgabe der Öffentlich-Rechtlichen im Internet?
Lammert: Es gibt in der Tat Anlaß, über den Grundversorgungsauftrag von ARD und ZDF zu diskutieren. Während der Debatte um die Übertragungsrechte der Fußballweltmeisterschaften in Asien (2002) und Deutschland (2006) ist dies nur in Ansätzen deutlich geworden.
Die hohen monatlichen Gebühren für ARD und ZDF erzeugen entsprechend hohe Erwartungen der Zuschauer, die Anstalten fühlen sich verpflichtet diesen Erwartungen, koste es was es wolle, zu entsprechen, worauf die nachzuweisenden Programmkosten für die KEF eine Größenordnung erreicht haben, die sich folgerichtig in einer nächsten Gebührenerhöhung niederschlagen.
politik-digital: Die Bestands- und Entwicklungsgarantie garantiert den öffentlich-rechtlichen Sendern eine dynamische Entwicklung, auch auf technischer Ebene. Ein Grundproblem der öffentlich-rechtlichen Sender ist, dass es ihnen vor allem an Akzeptanz der jüngeren Zuschauer fehlt. Sind ARD und ZDF nicht geradezu verpflichtet, ihren “klassischen” Rundfunkauftrag durch offensive Multimedia-Aktivitäten abzusichern, um wahrnehmbar zu bleiben und junge Zuschauer an sich zu binden.
Lammert: Die einzig spannende Frage ist, wie weit die Offensive reicht. Eine qualitative Zäsur besteht für mich dann, wenn die Online-Aktivitäten auf eine nachhaltige Gewinnerzielung ausgerichtet sind. Wenn beispielsweise ARD und ZDF die Fußball-WM übertragen und die parallelen Online-Aktivitäten als multimediale Handelsplattform konzipiert sind, bei der Reisen, Textilien und sonstige Merchandising-Artikel käuflich erworben werden können, ist für mich die Grenze überschritten und der öffentlich-rechtliche Auftrag verletzt. Wenn jedoch, wie im vergangenen Jahr, die ARD beispielsweise einen sehr intelligenten, aufschlussreichen und spannenden Internetauftritt parallel zur Tour-de-France ins Netz stellt, ist das für mich eine wertvolle Bereicherung der Berichterstattung.
politik-digital: Muss man angesichts der zunehmenden Konvergenz von TV und Internet (Stichwort “Big Brother”) den neu entstehenden Kommunikationsmärkten mit einem neuen Ordnungsrahmen begegnen?
Lammert: Die technische Entwicklung ist tatsächlich so rasant, dass die bisherige Arbeitsteilung zwischen den Bundesländern (Massenkommunikation) und dem Bund (Individualkommunikation) nicht mehr überzeugend funktioniert. Die Rundfunkstaatsverträge sind in der letzten Konsequenz immer nur eine Anpassung an die bereits existierende technische Realität, wobei sie nach der zeitraubenden Phase der Ratifizierung durch die sechzehn Länderparlamente meistens schon wieder veraltet sind. Es gibt verschiedene Überlegungen, wie man die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu aufteilen kann. Die Zuständigkeit für Rundfunk ist bekanntlich bei den Bundesländern und dort in den Staatskanzleien angesiedelt. Derzeit arbeitet jedoch der Leiter der Staatskanzlei von Rheinland Pfalz, Klaus Rüter, als Koordinator der Medienpolitik der Länder einen Entwurf für eine neue Medienordnung aus, der auch auf Bundesebene diskutiert werden und die neuen technischen Aspekte der bundesdeutschen Medienlandschaft berücksichtigen wird.
Erschienen am 20.06.2001
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