Die Entwicklung des Datenschutzes und der Privatsphäre im Internet nach den Anschlägen des 11. September 2001

Terroranschläge oder Kinderpornographie werden von staatlichen Stellen als Gründe für den Abbau des Datenschutzes und der Privatsphäre genannt. Wenn man sich die Motive näher betrachtet, sind sie darauf ausgelegt, eine größtmögliche pauschale Zustimmungsbasis zu schaffen und gleichzeitig Kritiker abzuschrecken.

Entwicklungen im Internet nach den Anschlägen des 11. September 2001

Die Angriffe auf New York und Washington am 11. September 2001 waren ausschlaggebend dafür, dass die Telekommunikationsüberwachungsverordnung (
TKÜV) in Deutschland nach zunächst heftiger
Kritik aus Wirtschafts- und Bürgerrechtskreisen am 28.9.01 abgesegnet wurde. Die TKÜV ist die deutsche Umsetzung der EU-Richtlinien, kurz ENFOPOL genannt.

Das EU-Parlament hat sich im Rahmen eines
Beschlusses vom 30.5.02 durchgerungen, Vorratsdatenspeicherung zu ermöglichen. Der Bundesrat hat bereits einen Tag später einen
Gesetzentwurf verabschiedet, wonach Verbindungs- und Kommunikationsdaten zeitgleich vom Provider an die Behörden weitergegeben werden sollen. Begründet wurde der Vorstoß mit der Bekämpfung von sexuellem Mißbrauch bei Kindern.
Europol, die europäische Polizeibehörde, hat bereits zuvor Pläne für Überwachungsmaßnahmen Entworfen.

Europols

Die Wunschliste von
Europols, von der ein
Dokument vom 11.4.02 vorliegt, umfasst folgende Punkte: Netzwerkprovider sollen beispielsweise bei Usenet-Servern mindestens das Datum und die Zeit der Client-Server-Verbindung, den Hostnamen und die ID der Nachrichten speichern. FTP-Servern sollen die IP-Source-Adresse, die User-ID mit Passwort sowie Pfad und Dateiname speichern.

Telekommunikationsbetreiber sollen speichern, wer anruft und wer angerufen wurde, selbst wenn der Anruf nicht erfolgreich war. Zudem solle gespeichert werden, wann ein Gespräch begonnen und beendet wurde. Ob der Anruf einging, getätigt, durchgeleitet oder in einer Konferenz geschaltet wurde, ist von Interesse. Bei Konferenzschaltungen sollen alle beteiligten Nummern gespeichert werden. Von Betreibern wird verlangt, Name, Geburtsdatum und Adresse sowie Rechnungsanschrift des Nutzers zu kennen. Die Strafverfolger interessiert, ob der Kunde eine normale Verbindung oder etwa ISDN oder ADSL nutzt. Wünschenswert wären eine Vertragskopie sowie eine Differenzierung der Verbindungen nach Sprache, Modem oder Fax.

Die Initiative stop1984 hatte vor der Entscheidung des EU Parlaments zur Zulassung von Vorratsdatenspeicherung in kürzester Zeit bereits über 16.000 Stimmen gesammelt, die sich gegen die geplante Direktive aussprachen. Der Ursprung der Online-Aktion war ein Statement der GILC, dem sich über 60 Menschenrechts- und Netzfreiheitsbewegungen anschlossen. Trotz der hohen Anzahl der Unterzeichner wurde der Wille der Netizens nicht gehört.

Deshalb wurde eine
zweite Aktion initiiert, die sich an alle Mitglieder der nationalen Parlamente und an die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten wendet. Damit soll die Tragweite dieser Entscheidung für alle Bürger der europäischen Länder verdeutlicht und die Länder aufgefordert werden, als Korrektiv zu wirken.

In einigen Ländern der EU (Italien, Frankreich, England) bestehen bereits weitgehende Speicherungsmassnahmen, die zunehmend nicht nur von Bürgerrechtsorganisationen und Datenschützern, sondern auch von Politikern, Rechtswissenschaftlern und Richtern massiv kritisiert werden.

Gezielte Überwachung – auch die des Internets- war schließlich schon seit dem
großen Lauschangriff möglich. Die Erwartungen, die damals in die Maßnahmen gesetzt wurden, haben sich nach Erfahrungen in den Jahren 1998 bis 2000 übrigens als
zu hoch erwiesen.

Probleme beim Data Mining

Die Auswertung von gesammelten Daten nennt man „
Data Mining“. Bei besonders großen Datenmengen -und diese sind bei einer solch kompletten Überwachung zu erwarten- sollte jedoch die Komplexität des Algorithmus relativ gering sein. Zudem wird ein Sammeln solcher Datenmengen (in Deutschland soll es rund 17 Millionen Surfer geben) auch zu einem
finanziellen Problem finanziellen Problem. Der Bundesrat will die Kosten auf die Provider abwälzen. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) hat dagegen Protestiert.

Sind Expertenmeinungen irrelevant?

Klaus Summa, Geschäftsführer der eco, meinte in einem
Interview gegenüber Heise, dass es ein Irrglaube sei, dass durch massive TK-Überwachung eine höhere Verbrechensaufklärungsquote zu erreichen sei. Er bezeichnete die Qualität der Strafverfolgungsbehörden als Ansatzpunkt zur besseren Aufklärung. Dies deckt sich auch mit anderen
Aussagen von Experten, die zu diesem Thema generell keinen großen Einfluß zu haben scheinen: bei einer Anhörung zum Thema TKÜV im Ausschuß Neue Medien des Bundestages im
Juli 2001 wurden die Argumente benannt. Neben finanziellen Problemen auf Seiten der Provider und der Polizei und der Problematik aus einem großen Datenbestand die richtigen Informationen zu gewinnen, würde das Vertrauen in die sichere und geschützte Kommunikation gestört. Verschlüsselung, die bisher nur von wenigen verwendet wird, würde bei Verschärfungen
vermehrt genutzt werden. Dadurch kann man sich den Kontrollen jedoch entziehen, weil ein verschlüsselter Text den Strafverfolgungsbehörden keine Anhaltspunkte gibt. Daraus folgernd meint beispielsweise Bernhard Rohleder, Vorsitzender der
BITKOM -Geschäftsführung, dass man damit nur
die Dummen fängt. Die grundsätzlichen Probleme und Einwände, die damals vorgetragen wurden, sind noch vorhanden und werden nicht durch Vorratsdatenspeicherung aus der Welt geschafft.

Ethik der Strafverfolgung

Die Gefahr, die aus einer Massenspeicherung von Verbindungsdaten resultiert, wird zunehmend nicht nur denjenigen klar, die sich mit Vernetzung und den Möglichkeiten von Datenbankrecherchen beschäftigen. Der Kampf gegen den Terrorismus darf nicht dazu benutzt, werden die fundamentalsten Rechte in demokratischen Staaten zu unterhöhlen. Das Verhältnis zwischen Sicherheit und Datenschutz muss in Balance bleiben. Die Bürger dürfen durch vorgeschobene Sicherheitsmassnahmen nicht grundlegende Freiheiten und Rechte verlieren. Das Recht auf Privatsphäre, die Meinungsfreiheit und die Unschuldsvermutung müssen als Basis der Demokratie erhalten bleiben. Eine ungeprüfte Speicherung aller Kommunikationsdaten für hypothetische Nachforschungen jedoch verstößt gegen die vorgenannten Rechte und Freiheiten und muss daher auf jeden Fall vermieden werden.

Akzeptabel ist eine Speicherung von Kommunikationsdaten weiterhin nur, wenn sie auf Grund richterlicher Anordnung oder durch entsprechende, kompetente Behörden im Zuge einer Einzelfallentscheidung zur Anwendung kommt. Sie muss in angemessenem Umfang sowie zeitlich begrenzt stattfinden und hat in Übereinstimmung mit der Europakonvention der Menschenrechte, der Europäischen Charta der Grundrechte und den Präzedenzfällen des Europäischen Gerichtshofes zu erfolgen.

Markus König,
Initiative Stop1984

Erschienen am 12.09.2002