Silvana Koch-Mehrin
im tacheles.02-Chat am 9.02.2004


Moderator:
Herzlich Willkommen im tacheles.02-Chat. Zum Chat ist heute die Spitzenkandidatin
der FDP bei der Europawahl, Silvana Koch-Mehrin, ins ARD-Hauptstadtstudio
gekommen, vielen Dank dafür. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein
Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de und von sueddeutsche.de. Können wir beginnen,
Frau Koch-Mehrin?

Silvana Koch-Mehrin, Europa-Spitzenkandidatin der FDPSilvana
Koch-Mehrin:
Gerne, ich freue mich hier zu sein

bremen02: Warum sind gerade Sie die richtige Kandidatin für
die Europawahl? Was zeichnet sie als Europa-Expertin aus?

Silvana Koch-Mehrin: Ich lebe Europa mit irischem Mann und Tochter
mit drei Pässen und seit sieben Jahren arbeite ich in Brüssel,
zuerst in der EU-Kommission und in den letzten 5 Jahren als Unternehmensberaterin,
die eben die Pfade im EU-Dschungel weiß. Insofern kenne ich mich
gut aus.

Moderator: Unternehmensberaterin heißt (auch) Lobbyistin?

Silvana Koch-Mehrin: Ja, wir machen politische Analysen, beobachten
die Gesetzgebung, helfen Unternehmen ihre Interessen zu vertreten und
machen das zurzeit auch für die Unternehmen. Das sage ich immer
ganz offen.

Moderator: Würde ich nachher gerne noch einmal darauf zurückkommen,
doch zuerst:

novalis2: Warum braucht Europa die FDP? Ich habe das Fehlen
gar nicht bemerkt.

Silvana Koch-Mehrin: Doch, man könnte das bemerken, zum
Beispiel wenn es darum geht, „Made in Germany“ zu verbieten.
Zum Beispiel wenn es darum geht, Werbeverbote zu erlassen. Mit der FDP
gibt es so was nicht. Wir wollen ein Europa das deshalb stark ist, weil
es sich auf wenige wesentliche Bereiche konzentriert.

Bingo King: Frau Koch-Mehrin, wie wollen sie ihren zukünftigen
Job als EU-Parlamentarierin mit ihren vielen Tätigkeiten als Unternehmensberaterin,
Privatdozentin etc. verbinden? Kommen Sie da überhaupt noch zur
parlamentarischen Arbeit?

Silvana Koch-Mehrin: Wenn ich Abgeordnete bin, werde ich für
diese Zeit nicht als Unternehmensberaterin arbeiten. Ich finde das geht
nicht, Lobbyistin und Objekt des Lobbying gleichzeitig zu sein. Ich
werde mich also auf die politische Arbeit konzentrieren.

Moderator: Betreff Lobbyismus:

Braveheart!!: Aha, Europa soll doch für die Bürger
da sein, nicht nur für die Wirtschaft.

Silvana Koch-Mehrin: Stimmt! Deswegen wollen wir ja einen Volksentscheid
zur EU-Verfassung und auch zum Türkei-Beitritt.

Moderator: Mal ehrlich: Meinen Sie, dass die Deutschen wüssten,
worüber Sie abstimmen (wenn sie überhaupt beim Volksentscheid
mitmachen). Die EU-Verfassung ist mächtig kompliziert und nicht
gerade das Trend-Thema in den deutschen Medien.

Silvana Koch-Mehrin: Genau deswegen brauchen wir den Volksentscheid.
In fast allen anderen EU-Ländern dürfen die Bürger abstimmen,
ob sie die Verfassung wollen. Wir Deutschen sind nicht dümmer.
Wenn die Menschen selbst entscheiden können, dann interessieren
sie sich auch für das Thema.

Guido: Sie sagen "auf wenige wesentliche Bereiche zu konzentrieren",
welche sind ihrer Meinung nach diese Bereiche und was soll mit den anderen
geschehen, die womöglich weniger produktiv sind?

Moderator: Die Bereiche beziehen sich auf Europa:

Silvana Koch-Mehrin: Europa soll stark sein in der gemeinsamen
Außenpolitik. Wir wollen eine gemeinsame europäische Armee
unter einheitlichem Oberbefehl, den gemeinsamen Markt und auch das Wettbewerbsrecht,
und natürlich die gemeinsame Einwanderungspolitik. Das sind Beispiele.

Moderator: Wo hat Ihrer Ansicht nach Europa, oder besser gesagt,
die EU-Kommission, nichts zu sagen?

Silvana Koch-Mehrin: In der Finanzpolitik. Steuern sollten national
bleiben. Auch in der Gesundheitspolitik, Sozial- und Agrarpolitik sollte
die EU sich sehr zurückhalten.

freeman: Guten Tag Frau Koch-Mehrin. Die europäische Politik
beeinflusst die nationale Gesetzgebung teilweise unmittelbar. Besonders
durch die \"Chancengleichheit im Wettbewerb\" werden nationale
Regelungen teilweise wieder zu Nichte gemacht. Sollte der Wettbewerb
dennoch an erster Stelle in Europa stehen?

Silvana Koch-Mehrin: Wir haben den gemeinsamen Binnenmarkt und
das ist der Raum ,wo der Wettbewerb stattfindet. Und Wettbewerb führt
immer dazu, dass die besten Vorschläge Erfolg haben.

Moderator: Sie erwähnten die Außenpolitik als gemeinsamen
Bereich:

rumsfelder: Außenpolitik: Wie soll das aussehen? Die Interessenunterschiede
sind doch so groß, dass man sich nicht mal auf eine Verfassung
geeinigt hat, wegen Einfluss und Macht. Frankreich und Deutschland als
Vorreiter?

Silvana Koch-Mehrin: Wir wollen Mehrheitsentscheidungen in der
Außenpolitik. Europa wird nur dann ernst genommen, wenn es gemeinsam
auftritt. Jedes einzelne Land allein ist zu klein, um in der Weltpolitik
eine Rolle zu spielen. Wenn wie beim Euro nicht alle Länder mitmachen
wollen, dann ist das auch möglich. Es sollten nur die, die gemeinsam
vorangehen wollen, davon nicht aufgehalten werden.

Guido: Sollte man sich nun mit der EU-Osterweiterung darauf
konzentrieren, wirtschaftsschwächere Länder zu integrieren,
um dann, gemeinsam, die weiteren außenpolitischen Ziele zu verfolgen?
Oder ist die Außenpolitik bloß eine Angelegenheit der Wirtschaftsnationen
wie Deutschland, Frankreich, Italien usw..

Silvana Koch-Mehrin: Die Außenpolitik kann von allen europäischen.
Ländern gemeinsam gemacht werden. Das hat nichts zu tun mit der
Wirtschaftsleistung eines Landes. Bei der Osterweiterung geht es vor
allem darum, dass man die EU als die Gemeinschaft von Frieden und Wohlstand
nun mit 25 Ländern hat.


freeman: Gemeinsames Auftreten: Es ist doch am Beispiel des Irak-Krieges
gut zu sehen, dass man nicht immer einer Meinung ist. Warum sollten
sich dann einzelne Länder in solch wichtigen Fragen unterordnen?

Silvana Koch-Mehrin: Weil die Weltpolitik von Europa erwartet,
dass es gemeinsam auftritt. Wir haben eine Währung, einen Markt
, immer mehr für alle geltenden Gesetze. Da ist es lächerlich,
wenn man nicht außenpolitisch gemeinsam auftreten kann.

Moderator: Eine weitere Ihrer Forderungen: Ein gemeinsamer Sitz
der EU im UN-Sicherheitsrat. Klingt außerordentlich gut, würde
auch den UN-Sicherheitsrat wahrscheinlich aufwerten – hätte aber
als Bedingung, dass sich die künftig 25 EU-Staaten auf eine gemeinsame
Position in der Außenpolitik einigen können. Wenn es um die
wirklichen Streitpunkte geht, dürfte das wohl selten klappen –
sieh die Diskussion um den Irak-Krieg, die Europa gespalten hat. Eine
Forderung nur fürs Wahlprogramm?

Silvana Koch-Mehrin: Nein, wer hätte vor 20 Jahren gedacht,
dass wir im Mai die Osterweiterung haben, wer hätte gedacht, dass
wir den Euro haben. Wenn wir nicht ehrgeizig und mit langfristigen politischen
Ideen an die Sache rangehen, kommen wir nicht weiter. Mehrheitsentscheidungen
werden dabei helfen, Europa handlungsfähig zu machen.

Moderator: Dann ist das der zeitliche Zielhorizont: EU-Sitz
im UN-Sicherheitsrat in 20 Jahren?

Silvana Koch-Mehrin: Churchill hat schon gesagt: "Prognosen
sind so schwer, besonders wenn sie die Zukunft betreffen." Dem
schließe ich mich an.

Guido: eine gemeinsame Weltpolitik scheint mir unmöglich,
wenn wirtschaftsschwächere Länder stets von den wirtschaftsstärkeren
abhängig sind. Es wäre zuerst eine Integration erforderlich,
um wirklichen sozialen Ausgleich zu erreichen, der jedoch wahrscheinlich
nicht im Sinne der Wirtschaftnationen ist. Oder täusche ich mich
in dieser Hinsicht?

Silvana Koch-Mehrin: Die Weltpolitik findet so oder so statt.
Die EU ist ja eine Solidargemeinschaft, die die schwächeren Länder
in der EU beim Aufholen unterstützt. Das hat zum Beispiel bei Irland,
auch Spanien, Portugal, Griechenland gut geklappt.

Moderator: Noch einmal zur Frage des Volksentscheides über
die EU-Verfassung, die wir gerade angesprochen haben:

citroen: Wie realistisch ist die Forderung nach einer Volksentscheidung?
Politische Durchsetzbarkeit eher nicht?

Silvana Koch-Mehrin: Dafür muss das Grundgesetz geändert
werden. Die FDP hat das schon im November versucht. Der Antrag ist damals
im Bundestag abgelehnt worden, aber inzwischen sind die Grünen
und die CSU auch dafür. Ein zweiter Anlauf hätte eine Chance.

Moderator: Sie haben darauf hingewiesen, dass in anderen Ländern
Volksentscheide laufen:

Trivilian: Die dürfen das, wir dürfen das nicht. Seltsamer
Gedanke. Wir haben bisher keine Volksentscheide gebraucht, wieso jetzt?

freeman: Was bringt es Deutschland, wenn Bürger, die im
Mittel wenig Ahnung haben, abstimmen dürfen?

Silvana Koch-Mehrin: Volksentscheide zur EU-Verfassung sind
deshalb so wichtig, weil die Verfassung jeden einzelnen in seinem Dasein
betrifft. Deswegen sollte jeder darüber abstimmen dürfen.
Was die Ahnung angeht, sich für eine Partei zu entscheiden, die
ein ganz komplexes Programm hat, ist noch komplizierter. Es ist die
Aufgabe der Politiker zu vermitteln, warum wir eine Verfassung brauchen
und was darin steht. Gelingt es nicht, ist die Verfassung zu kompliziert.

Moderator: Zwei Kommentare:

urban_warrior: @freemann in welchem Land ist das nicht so?

Michael K: @freeman: Das ist direkte Demokratie und würde
der Politikverdrossenheit entgegenspielen!

Moderator: Können Sie dem zustimmen?

Silvana Koch-Mehrin: Ja.

Moderator: Dann sollte man noch mehr Volksentscheide einführen?

Silvana Koch-Mehrin: Wir wollen zum Beispiel auch die Direktwahl
des Bundespräsidenten, und in der Türkei-EU-Beitrittsfrage
sind wir ebenfalls für Volksentscheid.

freeman: Frau Koch-Mehrin, sie hatten vorhin erwähnt, die
EU solle sich aus der Finanzpolitik heraushalten. Wie steht es da mit
dem Stabilitätspakt?

Silvana Koch-Mehrin: Der Stabilitätspakt soll ja sicherstellen,
dass die Länder, die den Euro haben, eine vernünftige Wirtschaftspolitik
machen. Ist die Wirtschaftspolitik schlecht, wird die Regierung gemahnt
und dann auch bestraft. Aber die EU übernimmt nicht die Wirtschaftspolitik
des Landes.

Moderator: ist ja nicht Europathema, aber aktuell:

libertoleranza: Wie soll W. Gerhardt bei Direktwahl Bundespräsident
werden?

Silvana Koch-Mehrin: Mit der Mehrheit der Stimmen.

Moderator: Ich spüre Hoffnung im Raum.

Silvana Koch-Mehrin: Im Ernst: Für die Wahl jetzt im Mai
ist Direktwahl noch nicht möglich.

richard: Zur Türkei-Frage: Glauben Sie, dass es den Gegnern
eines Türkei-Beitritts gerade recht kam, dass der Verfassungsvertrag
vorerst gescheitert ist. Immerhin könnte man die gescheiterte Verfassung
ja als weiteren Vorwand zur Verzögerung der Gespräche nutzen.
Was halten Sie von solchen Theorien?

Silvana Koch-Mehrin: Die Realität ist, türkische Minister
werden schon jetzt zu EU-Ministerratssitzungen eingeladen. Es entsteht
bei mir der Eindruck, dass die Bundesregierung schon vollendete Tatsachen
schaffen will, bevor Ende des Jahres die Entscheidung in der EZU getroffen
werden soll.

Mika: Liebe Frau Koch-Mehrin. Wo liegen die Ihrer Meinung nach
die Grenzen der EU bzw. welche Staaten sollten noch in die EU aufgenommen
werden? Gehört zum Beispiel die Türkei in die EU?

Trivilian: Was denken sie über die Aufnahme von Ländern
in die EU, die gar nicht in Europa liegen?

Silvana Koch-Mehrin: Wenn wir ab Mai eine EU von 25 und danach
von 27 Ländern haben, dann ist es eine völlig andere EU als
heute. Wie und ob das funktioniert wird sich erst zeigen. Zum Türkei-Beitritt
ist es wichtig, dass wir damit ehrlich umgehen. Zurzeit sind weder die
Türkei noch die EU in der Lage, einen Beitritt zu verkraften. Die
Länder, die nicht in Europa liegen, können durch spezielle
Partnerschaften eng angebunden werden.

Diplo: Mit dieser Zögerlichkeit verabschiedet sich die
FDP von der Politik ihres Lehrmeisters Genscher, der Vorreiter für
die Erweiterung war – auch die Aufnahme der Türkei.

Silvana Koch-Mehrin: Die Osterweiterung ist in wenigen Wochen
passiert und die Türkei: wie gesagt, Ich bin für Ehrlichkeit.

Tiscali Europa: Sie haben sich in mehreren Interviews gegen
eine EU-Steuer ausgesprochen. Sollte eine solche Abgabe jedoch keine
Steuermehrbelastung bedeuten, wäre sie dann nicht ein Weg zu einer
transparenteren Finanzierung der EU?

Silvana Koch-Mehrin: Ich halte das Prinzip "no taxation
without representation" für wichtig. Also so lange die EU
keine Demokratie ist, in der klar ist, wer für was verantwortlich
ist, und wer in wessen Namen entscheidet, so lange darf sie keine Steuerkompetenz
haben.

K. Lauer: Frau Koch-Mehrin, wird das Europaparlament in Deutschland
überhaupt richtig wahrgenommen?

Silvana Koch-Mehrin: Wenn es um Selbstbedienung und Abzocke
geht, ja, ansonsten zu wenig.

Diplo: Wie beurteilen Sie die Forderung der Bundesregierung,
bei der Planung des Haushaltsrahmens 2007-20013 die Einnahmeobergrenze
der Kommission auf 1 % GNP zu begrenzen?

Moderator: GNP= Bruttosozialprodukt

Silvana Koch-Mehrin: Sparen ist immer gut. Aber noch wichtiger
ist: Wofür wird das Geld eigentlich ausgegeben? Und eine EU, die
fast die Hälfte des Haushaltes in Agrarsubventionen steckt, in
der 10 Prozent pro Jahr durch Korruption verschwindet aber nur 4 Prozent
in die Bildung geht, die sollte ihre Ausgabenseite reformieren. Solche
Vorschläge möchte ich von der Bundesregierung hören.

Moderator: Im Mai kommen zehn neue Mitglieder zur EU, das heißt
vereinfacht gesagt: Weniger Geld für alle oder mehr Zahlungen der
reicheren Länder. Deutschland ist ein so genannter Netto-Zahler,
zahlt also mehr, als es aus EU-Subventionstöpfen wieder erhält.
Die Bundesregierung lehnt wie gerade gefragt eine Erhöhung der
Zahlungen bislang ab. In der Süddeutschen Zeitung heißt es
heute in einem Kommentar, bei der EU-Finanzplanung, die EU-Kommissionspräsident
Prodi morgen vorstellt, setzt Prodi auf "Prassen". Vorschlag
von SZ-Kommentator Hagelücken: Mehr Mittel für die neuen Beitrittsländer,
weniger für die bisherigen Empfänger. Fände das Ihre
Zustimmung. Eine deutliche Verschiebung der Finanztransfers zu Gunsten
der neuen Länder?

Silvana Koch-Mehrin: Ich finde, vor allem das Thema der Agrarsubventionen
muss angegangen werden. Dort fließen Milliarden hin, die besser
zum Aufbau in den neuen EU-Ländern verwendet werden können.

freeman: Also ist die logische Konsequenz, den Agrarsektor auch
für z. B. Entwicklungsländer zu öffnen?

Trivilian: Aber die Agrarsubventionen sind eine wichtige Stütze.
Wie möchten sie diese denn wirklich fällen?

Silvana Koch-Mehrin: Ich bin gegen Protektionismus. Offene Märkte
sind die beste Entwicklungshilfe. Wir wollen die Agrarsubventionen zurückführen.
Die Agrarsubventionen sind überdimensioniert und schaden der Landwirtschaft
oft mehr als sie helfen.

Nadine: Wie sollen die Agrarsubventionen angegangen werden,
wenn viele Beitrittsländer (zum Beispiel Polen) sehr agrarisch
strukturiert sind?

Silvana Koch-Mehrin: Das erhöht noch einmal den Druck,
die Subventionen abzubauen, sonst ist es ein Fass ohne Boden und es
kostet viel zu viel.

Moderator: Sie legen sich dabei vermutlich mit der größten
Lobby an, die es in Brüssel gibt, das wissen Sie?

Silvana Koch-Mehrin: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wer
nicht wagt, der nicht gewinnt.

Moderator: Sie arbeiten aber nicht zufällig für ein
Agrar-Unternehmen?

Silvana Koch-Mehrin: Nein. Agrarlobby haben wir nicht. Meine
Lobby ist der Steuerzahler.

nasebohne: Guten Tag, finden Sie nicht auch, dass die EU-Regelungen
bisweilen zu weit gehen? Als "normaler" Bürger hat man
den Eindruck, dass auch in Brüssel eine Verordnungswut herrscht
… und die einzigen die sich daran halten (und oftmals noch eins draufsetzen)
sind wir!

Silvana Koch-Mehrin: Richtig. Deswegen wollen wir ja "Bürger
statt Bürokraten". Das Raumschiff Brüssel soll wieder
Bodenhaftung bekommen.

Nadine: Frau Koch-Mehrin, was wollen sie machen, damit ich (später)
leichter in Europa arbeiten kann? Zurzeit müssen zum Beispiel Studenten
keine Visa mehr beantragen, jedoch immer noch eine lästige Aufenthaltsgenehmigung.
Wie regeln sie das eigentlich?

Silvana Koch-Mehrin: In der EU sollte schon jetzt Freizügigkeit
herrschen, was zum Beispiel den Wohnort angeht. Nationale bürokratische
Verfahren sind aber trotzdem noch zu kompliziert. Das kann aber nur
national geregelt sein. Beim Studium zum Beispiel bin ich für eine
problemlose gegenseitige Anerkennung.

libertoleranza: Wie stehen Sie zur Neuregelung der Diäten
im EU-Parlament? Soll die Regelung europa-einheitlich oder an die Regelungen
in den Heimatländern angelehnt sein?

Silvana Koch-Mehrin: Für gleiche Arbeit soll es gleichen
Lohn geben. Wenn alle sparen müssen, sollten die Politiker auch
Maß halten.

Moderator: Die Diäten der EU-Abgeordneten sollen ja angeglichen
werden. Zur Debatte standen bis zu 9000 Euro monatlich. Bitte mal in
Zahlen: Wie hoch sollte Ihrer Ansicht nach die Diäten eines EU-Abgeordneten
sein.

Silvana Koch-Mehrin: Bei der Diskussion wurden Beträge
zwischen 5000 und 9000 Euro diskutiert, das Europa-Parlament hat sich
auf die höchste Zahl geeinigt. Wenn man den Durchschnitt der EU-Länder
nimmt, ist das ein guter Referenzwert.

Moderator: Scheint mir trotzdem eine hohe Summe zu sein: Sie
orientiert sich ja an den Gehältern höherer Richter. Muss
jeder Abgeordneter bezahlt werden wie ein Richter?

Silvana Koch-Mehrin: Bisher ist es so: Jeder Abgeordneter wird
so bezahlt wie ein Abgeordneter im Heimatland. Spanier bekommen ca.
2600 Euro. Italiener ca. 11.000 Euro. Das kann so nicht bleiben. Das
Parlament hatte jetzt vor, die Diät mit 50 Prozent eines Richtergehaltes
am Europäischen Gerichtshof zu koppeln. Ein riesiges Problem ist
auch die Reisekostenabrechnung. Die ermöglicht ein Zusatzeinkommen
von fast 30.000 Euro pro Abgeordnetem und Jahr. Das muss auch geändert
werden. EU-Parlamentarier müssen finanziell unabhängig sein.
Aber alles sollte im Rahmen bleiben. Wir von der FDP haben uns schon
jetzt verpflichtet, nur die Reisekosten abzurechnen, die tatsächlich
anfallen, und das restliche Geld aus der Parlamentskasse wieder zurückzuerstatten.

freeman: Wie ist ihre Meinung: Wird Deutschland wirtschaftlich
von der Erweiterung profitieren oder legt Deutschland eher drauf? Welche
Rolle spielt in dem Zusammenhang der Osterweiterung die Maut?

Silvana Koch-Mehrin: Zurzeit profitiert vor allem Deutschland.
Wir exportieren stark nach Osteuropa. Es ist aber klar: Der Wettbewerbsdruck
wird zunehmen. Die Reformen müssen bei uns daher endlich wirklich
konsequent und schnell durchgeführt werden.

Moderator: Unsere Chat-Stunde ist vorbei, vielen Dank für
Ihr Interesse. Herzlichen Dank, Frau Koch-Mehrin, dass Sie sich die
Zeit genommen haben. Am 19.Februar chatten wir ab 14.00 Uhr mit dem
Spitzenkandidaten der SPD bei der Wahl in Hamburg, Thomas Mirow. Alle
Chat-Transkripte finden Sie auf den Seiten der Veranstalter. Das tacheles.02-Team
wünscht allen einen schönen Tag!