(Artikel) Kandidatenwatch lässt Bürger fragen und Politiker antworten. Im Bremer Wahlkampf weigert sich die SPD allerdings, auf derselben Plattform wie rechtsextreme Parteien zu diskutieren. Doch nicht alle SPDler halten sich an den Boykott, wie Julia Spreen beobachtete.
Die Während die Onlinekampagnen der Parteien zum Bremer Bürgerschaftswahlkampf kaum Neues oder Interaktives enthalten, findet am Rande des Wahlkampfes eine Debatte über den ‚richtigen‘ Umgang mit rechtsextremen Parteien auf unabhängigen und überparteilichen Internetplattformen statt.
Die Kommunikationsplattform „Kandidatenwatch"
Das Internetportal
Kandidatenwatch hat zum Ziel, Politik transparenter zu machen – und bedient sich dafür eines simplen und dennoch effektiven Konzepts: Bürger können ihren Kandidaten und Abgeordneten online Fragen stellen, die dann ebenfalls über das Internet von den Politikern beantwortet werden und öffentlich einsehbar sind. Die Idee zu diesem Projekt stammt von der Bürgerinitiative „
Mehr Demokratie e.V." und wird heute von der Parlamentwatch GmbH betrieben. Bei inzwischen fünf Landtagswahlen sowie bei der vergangenen Bundestagswahl kam Kandidatenwatch als Orientierungshilfe im Wahlkampf zum Einsatz. Das Projekt finanziert sich über Kooperationspartner, in Bremen die Heinrich-Böll-Stiftung, sowie aus Beiträgen der Kandidaten. Für 60 Euro können diese Ihr Profil erweitern, ein Foto und ihre Termine veröffentlichen und ihre eigene Website verlinken.
SPD kritisiert die Teilnahme rechtsextremer Parteien
Am 26. März 2007 wurde Kandidatenwatch für die Bremer Landtagswahl freigeschaltet. Bereits im Vorfeld kündigte der Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidat
Jens Böhrnsen an, sich nicht an dem Internetportal zu beteiligen, sollten dort auch rechtsextremen und faschistischen Parteien ein Forum bekommen. Als Folge zog Christian Weber, Präsident der Bremischen Bürgerschaft, seine bereits zugesagte Schirmherrschaft für das Projekt zurück. Auch SPD-Fraktion und Landesorganisation unterstützten den Boykott. Demokraten, so argumentieren die Politiker, sollten sich nicht neben rechtsextremen Vereinigungen präsentieren und damit den Eindruck eines normalen demokratischen Miteinanders erwecken.
Die Kritik begründet die SPD mit grenzwertigen Aussagen des Bundesvorsitzenden der NPD, Udo Voigt, zum Zweiten Weltkrieg. Trotz des Moderationskodexes schaltete das Kandidatenwatch-Kuratorium während des Berliner Landtagswahlkampfes eine Antwort mit sehr eigener Geschichtsauffassung zunächst frei und entfernten den Beitrag erst nachträglich. Die Forderung der SPD, Wählervereinigungen wie DVU, Republikanern und „Bremen muss leben" von der Onlineplattform auszuschließen, lehnt Kandidatenwatch ab: Allen zur Wahl zugelassenen Parteien und Kandidaten solle eine Plattform geboten werden.
Dem Boykott fehlt die einheitliche Linie
Die Linkspartei folgt dem Beispiel der SPD und beteiligt sich ebenfalls nicht an der Onlinekommunikation. Die übrigen Parteien stellen ihren Kandidaten die Entscheidung frei, ziehen es generell aber vor, der radikalen Argumentation rechter Parteien eine inhaltliche Alternative entgegenzusetzen.
Innerhalb der boykottierenden Parteien fehlt die einheitliche Linie: Während einige SPD-Kandidaten auf Anfragen mit einer Standardantwort reagieren, in der sie die Gründe für die Nicht-Teilnahme darlegen und auf Möglichkeiten der direkten Kontaktaufnahme verweisen, antworten andere gar nicht.
Helga Ziegert , DGB-Regionsvorsitzende, brach ausnahmsweise den Streik, als sie auch inhaltlich auf die Fragen einging. Bisher folgte keiner der SPD-Kandidaten diesem Beispiel; lediglich ein für die Linkspartei kandidierender Parteiloser antwortete ebenfalls auf Nutzerfragen.
Antwortverhalten der Parteien
Kandidatenwatch verläuft durchaus erfolgreich: In den ersten vier Wochen nach der Freischaltung verzeichneten die Initiatoren ca. 130.000 Seitenzugriffe, was in etwa 36.000 Nutzern entspricht. Insgesamt wurden in den ersten fünf Wochen 216 Fragen gestellt, von denen 101 beantwortet wurden. An die DVU und die Republikaner richteten sich dabei 7% der Fragen, während auf die etablierten Parteien SPD, CDU, Grüne, FDP und Linkspartei 85% der Fragen entfielen. Die meisten Anfragen bekamen die Kandidaten der CDU; knapp die Hälfte dieser Fragen wurde beantwortet. Auf die meisten Fragen gingen die Kandidaten der FDP und einiger kleiner Parteien ein, die bisher beinahe jede Frage beantwortet haben. 25 der 289 Kandidaten erweiterten ihr Profil und beteiligten sich so an den Kosten von Kandidatenwatch.
Die Bremer Bevölkerung scheint also Gesprächsbedarf zu haben – und auch die SPD zeigte sich trotz Kandidatenwatch-Boykott dialogbereit: Die Idee von Jens Böhrnsen, ein Portal ausschließlich für demokratische Parteien aufzubauen, scheiterte in diesem Wahlkampf aber an der mangelnden Zeit. Unter der Annahme, dass das Internet weiterhin an Bedeutung für die Informationsbeschaffung der Wähler gewinnt, werden die Parteien der Beteiligung an Online-Kommunikationsportalen kaum ausweichen können und bei weiterem Boykott Alternativen anbieten müssen.