Weblogs und Wikis versus Info-Stände und Interviews? Der Einsatz neuer Medien für den Wahlkampf trägt zum einen der veränderten Mediennutzung in der Bevölkerung Rechnung und demonstriert zum anderen Modernität der Partei. Acht Thesen zum Erfolg von Weblogs bei deutschen Wahlen.

 

Online-Medien werden immer wichtiger in der Mediennutzung. Besonders Jüngere suchen sich ihre Informationen gezielt im Netz. Aber auch die Internet-Nutzung der Gesamt-Bevölkerung wächst weiter, so die aktuelle Online Studie von ARD und ZDF. Die Nutzung von Weblogs ist allerdings noch nicht im Alltag angekommen – erst eine geringe Anzahl der Internet-Nutzer liest sie regelmäßig und noch weniger User beteiligen sich über Kommentare an den Diskussionen (
vgl. Abold 2005) : Ist der Wahlkampf in Deutschland bereits reif für bloggende Politiker? Maren Heltsche, Mitarbeiterin in der Abteilung Medien-Analyse bei AUSSCHNITT Medienbeobachtung, ist Projektverantwortliche für die Weblog-Analyse „Bloggen für die Bundestagswahl“ und stellt im Rahmen ihrer Bestandsaufnahme zum Einsatz von Weblogs in den Parteien folgende Thesen auf.

Weblogs haben als Kommunikationsform im Wahlkampf Potenzial

  1. Weblogs spielen dem modernen Wahlkampf in die Hände. Personalisierung, Authentizität, Aktualität und Interaktion sind die Faktoren, die diese Kommunikationsform besonders kennzeichnen. Diese Faktoren gelten zugleich als Träger für einen erfolgreichen Wahlkampf. In ihren eigenen Weblogs können Parteien und Politiker ortsunabhängig, ungefiltert und ohne Zeitverzug ihre Standpunkte veröffentlichen.
  2. Die Entwicklung von Politikerblogs steht in Deutschland noch am Anfang. Im anglo-amerikanischen Raum erzielen Weblogs an sich, aber speziell auch Politikerblogs eine höhere Aufmerksamkeit und werden zielgerichteter eingesetzt, z.B. zu Fundraising-Zwecken und zur Freiwilligen-Rekrutierung. Innerhalb der deutschen Politikerblogs zeichnen sich unterschiedliche Typologien ab, z.B.: einfache Online-Tagebücher (Dokumentation eigener Erlebnisse), Negative Campaigning-Blogs (Watchblogs, die Positionen und Auftritte des Gegners unter die Lupe nehmen), Fundraising-Blogs (Sammlung von Spenden), Visions-Blogs (Skizzierung eigener Zukunftsvorstellungen), Kolumnen-Blogs (unterhaltsame Kommentare, zum Teil mit journalistischem Anspruch).
  3. Der diesjährige Bundestagswahlkampf ist noch zu früh für den Durchbruch der Politikerweblogs als Wahlkampfinstrument, da die Nutzung von Blogs unter den Deutschen noch nicht breit etabliert ist. Viele Blogs bekommen kein Feedback in Form von Kommentaren. Zukünftig wird die Bedeutung von Weblogs zur Ansprache spezifischer Zielgruppen wachsen. Wichtige Zielgruppen sind neben vornehmlich jungen Wählern auch Journalisten als Multiplikatoren.

    Der politische Dialog über Weblogs ist noch nicht sehr ausgeprägt

  4. Politiker tun sich teilweise schwer, einen guten Blogstil zu finden. Ein interessanter Stil ist schwierig und eine Gratwanderung. So wirkt die bloße Nacherzählung persönlicher Erlebnisse und das unpersönliche Verargumentieren der Standpunkte der eigenen Partei oft langweilig. Andererseits kann eine vermeintliche Authentizität beim Leser oft unfreiwillige Komik hervorrufen. Hilfreich, gerade für „Anfänger“, sind zentrale Guidelines zu Stil und Inhalt.
  5. Die Verlinkungen in den einzelnen Politiker-Blogs und Hinweise auf die Weblogs sind bisher nicht sehr stark. Es entsteht kein dichtes Diskussionsnetzwerk unter den bloggenden Politikern und anderen Plattformen, auf denen sich politisch Interessierte tummeln. Die Besucherfrequenz liegt wahrscheinlich oft unter den Erwartungen. An der geringen Anzahl der Kommentare lässt sich zudem ein mangelndes Interesse der Leser an Interaktion ablesen. Insgesamt scheint die Anbindung an hoch frequentierte Plattformen, wie z.B. Focus Online, besser für die Öffentlichkeitswirksamkeit und erfolgreiche Partizipation zu sein.

    Weblogs sind Chance und Risiko für die gesteuerte Parteienkommunikation

  6. Der Aufbau von Weblogs kann zentral begleitet werden, um dezentral zu kommunizieren. Über Dach-Plattformen, z.B. wahl.de (parteiübergreifend) oder roteblogs.de (SPD), wird ein einheitliches Gestaltungsraster für interessierte Parteiblogger zur Verfügung gestellt. Dabei werden einzelne Abgeordnete und Parteimitglieder zum Bloggen animiert, Schwellenängste abgebaut und nach außen ein visuell einheitlicher Auftritt im Sinne eines Corporate Designs ermöglicht. Parteien haben hier auch Briefingmöglichkeiten und können inhaltliche Vorgaben und Tipps an die Blogger in ihren eigenen Reihen richten.
  7. Das eigene Weblog bietet einzelnen Politikern eine Chance zur Positionierung der eigenen Person und eigener Standpunkte. Über den Anschluss an eine parteigebundene oder auch parteiübergreifende Plattform ist der Einzelne sofort in ein Netzwerk eingebunden, kann entstehende Synergieeffekte nutzen und unter anderem mit einer besseren Erreichbarkeit seines Blogs rechnen.
  8. Durch die Vielzahl an Plattformen und damit an persönlichen Meinungen und Standpunkten wird es für die Parteiführung problematisch, eine einheitliche Parteilinie zu wahren und einzelne Standpunkte zu überprüfen. Weblogs sind eine gute öffentliche Plattform für kritische Stimmen innerhalb der Partei. Die Kommentare bieten zudem eine Kritikmöglichkeit für den politischen Gegner. Für die Redaktionen bzw. Einzelblogger ist es eine Richtungsentscheidung, bestimmte Kommentare zuzulassen oder nicht.

Wie geht man mit kritischen Kommentaren um? Begreift man sein Weblog als Forum für den offenen Dialog, muss man auch missbilligenden Kommentaren Raum geben und seine Sichtweise entgegenhalten? Das kostet Zeit, bringt auch Nutzen im Sinne von Interaktion und Glaubwürdigkeit. Das Löschen von unliebsamen Kommentaren ist ein „NoGo“, wird in der Blogosphäre erkannt und abgestraft. Daran sollten sich auch Polit-Blogger halten.

AUSSCHNITT Medienbeobachtung untersuchte den Einsatz von Weblogs im Bundestagswahlkampf 2005. Zentrale Fragestellungen dabei waren:

  • Welche Parteien nutzen die Kommunikation über Weblogs in welcher Stärke?
  • Mit welchen Themen sind Parteien in Blogs präsent?
  • Welche Blogs sind am erfolgreichsten und warum?

Untersucht wurden Beiträge und Kommentare aus Weblogs, die von einem Politiker oder einer Gruppe von Politikern geführt werden, die der Landes- oder Bundesebene einer der folgenden Parteien angehören: SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Grüne, FDP, PDS/WASG.

Untersuchungszeitraum: 01.07.05 – 18.09.05 (alle Weblogs, die bis zum 11.09. gestartet sind). Codiert wurden 2.860 Beiträge.

Die gesamte Studie kann bei AUSSCHNITT Medienbeobachtung unter 0 30/20 39 87-5 72 (Ansprechpartnerin: Birgit M. Grigoriou, Leitung Unternehmenskommunikation) angefordert werden.