(3. August 2006) Social Software gewinnt beim Wissenmanagement immer weiter an Bedeutung. Simone Gerdesmeier befragte Klaus Haasis, Geschäftsführer der Medien- und Filmgesellschaft (MFG) Baden-Württemberg, im eMail-Interview zur Rolle von Social Software in der Medienlandschaft.
Sie bezeichnen Social Software als neue Form der „Zusammenarbeit, Wissensbildung und Information". Die Technik, die dahinter steht, ist allerdings nicht sonderlich neu, APIs, Ajax und Web Syndication wurden alle in den späten 1990ern entwickelt. Warum gewinnt Social Software erst jetzt an Bedeutung?
Klaus Haasis: Die Entwicklung ist deshalb so spannend, weil sich ganz neue Formen der Kommunikation und Interaktion herausbilden. Plattformen bringen Menschen zusammen, die sich rasch und unkompliziert über ein Thema informieren und ihr Wissen weitergeben wollen, es entstehen Communities, in denen sich Menschen, die in einer ähnlichen Lebenssituation stehen, miteinander austauschen, sich Rat holen und Tipps geben, und natürlich auch – sich amüsieren können. Web 1.0 war Google und Web 2.0 ist Technorati, von der Suchplattform zur Erfahrungsplattform. Die Neuerungen sind Tags, sozusagen Erfahrungsetiketten. Die wichtigsten Tags nach dem Start von DaVinci Code in Cannes und dem Eurovision Song Contest am 22. Mai waren Bush, China, Christianity, Da Vinci Code, Eurovision. Da wissen Sie sofort, was die Welt bewegt! Dafür wird aber auch eine Kritische Masse benötigt. Technorati verfolgt jetzt über 40 Millionen Websites und 2,5 Milliarden Links. Damit ist der „Tipping Point", um mit dem Bestsellertitel von Malcom Giadwell zu sprechen, erreicht.
in der Geschäftswelt erkannte man natürlich schnell, dass sich diese Anwendungen auch zur Optimierung der Geschäftskommunikation – sei es mit Kunden, Partnern oder den Medien – nutzen lassen, oder sogar ein ganz neues Marktfeld entsteht. Doch ist man seit dem Aufstieg und Fall der New Economy im Businessbereich professioneller geworden und schätzt Zukunftschancen von neuen Entwicklungen vorsichtiger ab. Erst durch spektakuläre Übernahmen – denken Sie an den Coup des Medienmoguls Rupert Murdoch, der für 580 Millionen Dollar „myspace" kaufte, ein Unternehmen, das zwei Jahre nach seiner Gründung bereits über 54 Millionen registrierte Daten hatte – wich die Vorsicht der Risikobereitschaft, so dass Social Software in den Businessbereich Einzug hielt.
Es gibt auch kritische Stimmen gegenüber der Web 2.0-Begeisterung, der Begriff wird als unkonkretes „Buzzword" bezeichnet. Sind Web 2.0 und Social Software ihrer Meinung nach nur ein Trend oder eine zukunftsweisende Weiterentwicklung des Internets?
Klaus Haasis: Das kommt auf die Perspektive an, die Sie einnehmen. Bei Web 2.0 steht die aktive Mitgestaltung im Mittelpunkt – Nutzer stellen Inhalte bereit, verändern und tauschen diese – werden also vom passiven Konsumenten zum aktiven Gestalter. Ich glaube, dass man heute mit Fug und Recht sagen kann, dass sich Social Software im gesellschaftlichen Bereich etabliert hat und zukünftig zu den Standardtools der virtuellen privaten Kommunikation gehören wird.
Im Geschäftsbereich kommen die neuen Anwendungen sicherlich im unternehmensinternen Dialog und in der Interaktion mit Kunden zum Einsatz. Gerade das Customer Relationship Management wird durch diese Art der schnellen, unmittelbaren und authentischen Kommunikationsform aufgewertet. Aber auch neue Formen der Zusammenarbeit Produktentwicklung und des Wissensmanagements werden entstehen.
Grundsätzlich bestimmen heute immer mehr Trends aus dem Endverbraucherbereich das Geschäftsleben, insbesondere wenn sie IT-getrieben sind, In USA spricht man von der „Consumerization" als einem der wichtigsten IT-Trends der nächsten zehn Jahre. "Consumer IT will affect every enterprise", sagt David Mitchell Smith, Vice President und Fellow beim Marktforschungsunternehmen Garnier. Unternehmen, die diesen Trend ignorierten, würden genauso scheitern, wie Unternehmen, die Smart Phones, das Internet oder den PC ignoriert hätten, so Smith weiter.
Wie weit sich komplette Prozesse in den Geschäftsbereichen durch den Einsatz von Social Software-Anwendungen ändern, kann heute noch niemand mit Sicherheit sagen, doch klar ist, dass hier noch großes Potential schlummert, das nur intelligent und innovativ genutzt werden rnuss. Ich schätze, das wird sich je nach Branche unterschiedlich entwickeln und nicht generalisieren lassen. Auf jeden Fall haben wir es hier mit einer Entwicklung zu tun, die auf die Art des zukünftigen Umgangs mit Daten, Informationen und Wissen einen erheblichen Einfluss hat.
Raten Sie Unternehmen zum Einsatz von Social Software und wenn ja, wie können Web 2.0 Businessmodelie aussehen?
Klaus Haasis: Ich bin überzeugt dass Social Software sowohl in der internen Organisation als auch für die Kundenansprache und Entwicklungsprozesse gut eingesetzt werden kann. Ein unternehmensinterner Weblog ermöglicht eine geradezu hierarchiefreie Kommunikation – ein Unternehmen mit einer gesunden und funktionierenden Führungskultur kann davon nur gewinnen. Auch das Wissensmanagement kann durch den Einsatz von Wikis profitieren – hier kann mit einfachen Mitteln bereichsübergreifend Wissen der Mitarbeiter gebündelt und auch wieder abgerufen werden.
Darüber hinaus aber ist Sociai Software auch ein Marketingwerkzeug und kann im Beziehungsmanagement zu Partnern, Kunden und Stakeholdern die Öffnung eines Unternehmens nach außen symbolisieren und demonstrieren. Das ist zweifellos ein Akt großer Offenheit und großen Vertrauens und wird bei vielen Ziel- und Dialoggruppen positiv wahrgenommen, weil es Glaubwürdigkeit ausstrahlt.
In letzter Zeit werden erfolgreiche Web 2.0-Neuentwicklungen von Unternehmen wie etwa Google oder Yahoo aufgekauft. Was versprechen sich die Firmen Ihrer Meinung nach von diesen „Einkaufstouren"?
Klaus Haasis: Es ist ein Zeichen dafür, dass die Käufer einen enormen Wachstumsmarkt sehen. Im Fall Murdoch gab es in den traditionellen Bedienfeldern einen Innovationsstau, der damit aufgelöst wurde. Im Fall Google werden bereits bestehende Anwendungen mit neuen verknüpft, erweitert, und somit ein neues Marktfeld abgesichert Letztendlich geht es bei den Unternehmen, gleich welche betriebsinterne Veranlassung dahintersteckt, um die Wettbewerbsfähigkeit auf neu entstehenden Märkten und somit um ihre nachhaltige Zukunftssicherung.
Die Einsatzmöglichkeiten von Social Software sind nicht auf den Business-Bereich begrenzt. Wo liegen die Chancen der weltweiten sozialen Vernetzung im Bereich der politischen Kommunikation und wie könnten Web 2.0 Angebote hier aussehen?
Klaus Haasis: Social Software kann gerade aufgrund der Tatsache, dass sie eine sehr partizipative Kommunikation ermöglicht, die über traditionelle Schranken hinweggeht die politische Kommunikation verändern. Anfänge davon haben wir schon bei verschiedenen Wahlkämpfen gesehen, in denen einzelne Politiker Weblogs eingerichtet haben. Dabei geht es sicherlich nicht nur darum, einem neuen Kommunikationstrend zu folgen: über Weblogs erreicht die Politik ein anderes Wählerpotenzial als über ihre bisherigen Kommunikationskanäle. Die Herausforderung besteht darin, eine Entwicklung zu verhindern, wie sie bei der eMaiI-Anwendung eingetreten ist, deren Nutzung heute ja durch das große und professionelle Spam-Aufkommen erschwert wurde.
Web 2.0 und Social Software werden als demokratische Entwicklungen angesehen. Doch kann Social Software Ihrer Meinung nach auch eine Gefahr für die Demokratie darstellen?
Sowohl in der politischen als auch in der Unternehmenskornmunikation mit Weblogs – um bei diesem Beispiel zu bleiben – gibt es natürlich auch Risiken. Wenn ein Unternehmen beispielsweise einen Weblog zur Promotion eines neuen Produkts einrichtet, so liegt es außerhalb seiner Kontrollmöglichkeiten, welche Kommentare dazu eingestellt werden. Auch die Verlinkung mit Tags geht rasend schnell. Und ist ein Thema erst einmal in der Blogosphäre aufgegriffen worden, lässt sich die Diskussion nicht mehr stoppen, bestenfalls – mit viel Aufwand und bei guten Kenntnissen der Regeln der Blogosphäre – konstruktiv beeinflussen. Offene Kanäle sind leider auch immer für Missbrauch offen.
An was für Social Software Projekten arbeitet die MFG selbst gerade? Welche werden in der nächsten Zeit zum Einsätze kommen?
Wir stehen im Rahmen unseres Forschungsprojektes FAZIT gerade am Anfang einer Potenzial- und Relevanzanalyse zum Thema „Marktchancen durch Social Software", in deren Zusammenhang auch eine Fallstudie in der Verlagsbranche durchgeführt wird. Gerade diese Branche ist durch „user-generierten Massen-Content’ sowie durch das Phänomen des bloggenden „Jedermann-Journalismus“
vor große Herausforderungen gestellt. Daher versuchen immer mehr Verlage, Social Software-Anwendungen systematisch selbst nutzbringend einzusetzen, vor allem zur interaktiven Kommunikation mit Lesern und Rezipierten ihrer Verlagsprodukte, Durch derartige Maßnahmen kann einerseits sehr preiswert Content durch die Leser selbst generiert werden, zum andern können diese Blogs zum Aufbau und zur Pflege der Kundenbeziehungen eingesetzt werden. Die Ergebnisse der Analyse werden im Herbst 2006 publiziert.
Konkret haben wir Innovationskreise zu „Social Software“ ins Leben gerufen, die zum einen Innnovationsmotivation für potenzielle Anwender leisten und zum anderen Marktpotenziale
für Dienstleistungen erschließen. Vertiefend setzen sich Arbeitsgruppen mit verschiedenen Aspekten wie beispielsweise neuen Geschäftsmodellen oder Unterstützung verteilter Arbeit auseinander. Eine weitere Maßnahme der MFG sind ein wissenschaftlicher Workshop zu „Social Software im Wertschöpfungsprozess" Ende Juli 2006. Wir verfolgen damit das Ziel, die Marktchancen von und durch Social Software speziell für Baden-Württemberg zu identifizieren.
Und last but not least sind wir dabei, Social Software für unseren internen Wissens-, Themen- und Projektmanagementprozess zu erschließen, um auch ganz praktisch zu erfahren, von was wir eigentlich reden.
Klaus Haasis ist Geschäftsführer der Medien- und Filmgesellschaft (MFG) Baden-Württemberg. Die MFG fördert Baden-Württemberg als Medien- und IT-Standort.