Am 14. August 2007 war die Markus Heidmeier
von "trigger 23 – die medienaktivisten" zu Gast in der
Blogsprechstunde von politik-digital.de und den Blogpiloten. Im
Chat sprach er über das Konzept der Sendung "blogspiel",
die Rolle von Podcasts und Blogs im Radio und die Zukunft der Massenmedien.
Moderator:
Hallo und herzlich willkommen in der Blogsprechstunde,
dem Chat von politik-digital.de und den Blogpiloten. Heute geht
es um die Verbindung zwischen neuen und alten Medien. Blogger im
Radio, Radiosendungen über Blogs – funktioniert das? Markus
Heidmeier vom "blogspiel – blogs mit radioanschluss" ist
heute zu Gast. Hier in Berlin ist es jetzt 16 Uhr. Herr Heidmeier
können wir anfangen?
Markus Heidmeier: Ja, gerne.
Markus Heidmeier
von "trigger 23 – die medienaktivisten" und "blogspiel
– blogs mit radioanschluss"
Moderator: Im
Vorfeld konnten unsere Nutzer schon Fragen stellen und bewerten.
Diese eröffnen jetzt den Chat:
faktorX: Wie funktioniert das Blogspiel eigentlich genau?
Markus Heidmeier: Das Blogspiel besteht aus zwei Teilen. Einem Mitmachradio
und einem Medienmagazin. Das Mitmachradio lädt alle ein, selbst
Radiobeiträge zu produzieren und auf blogspiel.de
hochzuladen. Dort können dann die User kommentieren und abstimmen.
Das Magazin versucht den Dschungel Neuer Medien zu durchstöbern
und interessante Entwicklungen zu entdecken.
kamikaze-blogger: Warum sollten Weblogger am blogspiel
teilnehmen? Feedback können sie ja auch für Podcasts und
ihre Blogs bekommen.
Markus Heidmeier: Stimmt. Aber im Unterschied
zum privaten Blog oder Podcast versuchen wir auch gerade das künstlerische
Wort, also das Kurzhörspiel oder das Kurzfeature zu unterstützen.
Das gibt es in der momentanen Podcastlandschaft zu selten. Das Projekt
haben wir, trigger23,
gemeinsam mit der Hörspielredaktion des Deutschlandradio Kultur
entwickelt. So gibt es zum Beispiel ein Geräuscharchiv für
Podcaster.
blogbiest: Beim blogspiel gibt es ja auch eine
Menge redaktionellen Content. Könnten Sie sich auch eine Radiosendung
nur mit nutzergenerierten Inhalten vorstellen? Warum haben Sie das
blogspiel nicht so gestaltet?
Markus Heidmeier: Schwierige Frage, Es ist so,
dass wir vor einem knappen Jahr mit dem blogspiel ja für öffentlich-rechtliche
Verhältnisse ein ziemliches Experiment gestartet haben. Da
war es wichtig, den Hörern auch eine Art Rahmen zu liefern.
Mittlerweile kann ich mir reine User-Generated-Content-Sendungen
vorstellen, finde sie aber eher uninteressant, da irgendwer ein
gewisses Umfeld für das Verständnis bieten sollte.
Niko: Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Deutschlandradio
Kultur zustande? Wer ist da auf wen zugegangen?
Markus Heidmeier: Meine Kollegin Jana Wuttke und
ich arbeiteten auch vorher immer wieder mal als freie Mitarbeiter
für das Deutschlandradio. So lag es nahe. Und war natürlich
unser Glück. Auf Seiten des Deutschlandradios gab es die Absicht
(zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt
hatte man die Relevanz von Podcasts und Blogs erkannt) etwas zu
dem Thema zu machen. Da haben wir ihnen ein Konzept angeboten.
olivero: War/Ist der öffentlich-rechtliche
Rundfunk nicht sehr misstrauisch bis arrogant gegenüber dieser
"neuen" Bewegung? Es gab da ja auch von einigen alten
Medienhäusern diverse abfällige Kommentare…?
Markus Heidmeier: Es gibt diese ziemlich überflüssigen
Journalisten versus Blogger-Debatten oder das häufig auf Seite
der Etablierten zirkulierende Schimpfwort vom „Loser-generated
Content“. Ich halte das für tatsächlich arrogant.
Da verteidigt eine gefährdete Kaste ihre ehemalige Exklusivität
am Publizistenhimmel. Das Deutschlandradio war da ganz anders. Neugier
und das sichere Gespür für die Bedeutung des Blogos- und
Podosphäre. Hat mich beeindruckt.
Rullermunk: Wie beurteilst Du die aktuellen Entwicklungen
bei Trackback (wurde in den Blogs ja heiß diskutiert)?
Markus Heidmeier: Trackback ist, ähnlich
wie blogspiel, vor allem erstmal ein Beleg dafür, dass die
alte Unterscheidung neue Medien / alte Medien ziemlich künstlich
ist. Die aktuellen Entwicklungen kenne ich nicht. Finde das Konzept
aber ziemlich gut.
Holger: Nach welchen Kriterien werden die Themen
des "blogspiel" ausgewählt?
Markus Heidmeier: Das ist ganz verschieden. Meistens
haben wir ja zwei größere Themen. Das erste sollte nach
Möglichkeit einen aktuellen Bezug haben. Netzwahlkampf in den
USA, Skandal bei StudiVZ, Blogskandal bei der Welt, et cetera.
Das zweite Thema versucht einem Aspekt stärker auf den Grund
zu gehen. Was macht das Netz in Afrika? Wie könnte E-Demokratie
aussehen? Welche künstlerischen Formen der Kollaboration bietet
das Netz? Et cetera.
ghi: Wie viel Raum nehmen die Beiträge der
Nutzer in Eurer Sendung normalerweise ein?
Markus Heidmeier: Ein Drittel circa. Meistens gibt
es ein bis zwei Beiträge, die wir dann aber noch im Studio
besprechen. Oft gelingt es auch, den Autor/Produzenten für
ein Telefoninterview zu gewinnen.
felty: Gibt es eigentlich eine Art Moderation
der eingereichten Podcasts? Werden Beiträge aussortiert, die
irgendwie beleidigend oder nicht politisch korrekt sind, oder kam
das noch gar nicht vor?
Markus Heidmeier: Gab es – Gott sei Dank – bisher
sehr wenig. Wir akzeptieren keine Musik. Das würde den Rahmen
sprengen. Moderiert wird es nicht von uns. Aber die Diskussion unter
den Autoren ist sehr lebhaft. Ich glaube nach acht oder neun Monaten
sind es bereits über 1500 Kommentare zu 500 Stücken gewesen.
Zorro51: Wie viele Hörer haben Sie im Durchschnitt?
Markus Heidmeier: Keine Ahnung, ehrlich. Wir wissen
nur, dass viele den Sender Deutschlandradio Kultur via blogspiel
im Netz entdeckt haben. Auch schön.
lauter!: Was glauben Sie, schaffen es Sendungen
wie das blogspiel, Radiohörer für Weblogs zu begeistern?
Markus Heidmeier: Schwer zu sagen. Jedenfalls bemühen
wir uns auch um Vermittlung. Was sind Blogs, RSS-Feeds, Podcasts
et cetera. Das ist manchmal ein schwieriger Spagat. Auf der einen
Seite die Kenner der Szene, die wir nicht langweilen wollen.
Auf der anderen viele Hörer, die mit den Begriffen erstmal
nichts anfangen können und die eine Art Einführung brauchen.
Begeisterung für Blogs wäre natürlich toll.
Eisbärin: Gibt es regelmäßiges
Feedback nach Eurer Sendung?
Markus Heidmeier: Ja, die Menschen stehen am Funkhaus
Schlange. Nein, im Ernst. Es gibt viele Kommentare im Blog und in
der Hörerpost. Und, ganz ehrlich, fast nur positive. Das hätten
wir nicht erwartet, gerade am Anfang. Aber für die Schlangen
am Funkhaus wird es wohl nie reichen.
tzzzzzz: Braucht das Radio mittlerweile eine Anbindung
an Blogs, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden?
Markus Heidmeier: Hi Tzzzzzzzzz. Ja und Nein. Blogs
stellen sicher ein sehr hilfreiches Werkzeug dar, um ins Gespräch
zu kommen. Aber sie erfordern auch Bereitschaft zum Dialog, zum
glaubwürdigen Austausch. Sie erfordern Interesse am Hörer.
Und da bin ich mir nicht immer sicher. Aber das Radio hat eigentlich
kein Wahrnehmungsproblem. Die Menschen hören immer noch über
drei Stunden täglich im Schnitt! Das Radio wirkt nur oft etwas
anachronistisch – aber das ist ein Missverständnis!
BLOGdingens: Hat das Radio langfristig überhaupt
noch ein Chance gegen all die Online-Radios, Last-FMs et cetera?
Markus Heidmeier: Das Musikradio könnte in
der Tat ein massives Problem bekommen. Das Siechtum der Plattenindustrie
ist ja bereits eine fette Mahnung. Das Radio mit starken Inhalten,
wie zum Beispiel Deutschlandradio, WDR5, HRInfo et cetera, wird
eher vom Revival des Wortes im Radio profitieren. Diese Stationen
werden in Zukunft ihre so genannten "Marken" (gruseliges
Marketingsprech) eher noch stärken.
thinktank: Wie beeinflussen Blogs und Podcasts
das Radio – und wie das Radio Podcasts und Blogs?
Markus Heidmeier: Radiostationen könnten einiges
lernen. Hörer sind offen für Ausführlichkeit. Hörer
interessieren sich auch für exotisch Themen. Hörer verweigern
sich sperrigen Themen nicht, sondern suchen die adäquate Darstellung.
Das Radio mit seinen limitierten 24 Sendestunden am Tag könnte
im Netz noch viel mehr leisten, zum Beispiel Abbildungen ungekürzter
Interviews et cetera. Das passiert leider viel zu selten.
Carmen: Ist die Zeit der "Nur-Text"-Blogs
schon wieder vorbei und sind Multimedia-Blogs (Audio, Video) das
nächste große Ding?
Markus Heidmeier: Glaube ich nicht. Beides wird
parallel existieren. Zeitungen (auch wenn sie gerade unter Druck
stehen) haben sich auch über Jahrzehnte neben Glotze und Radio
behauptet. Literatur existiert seit Jahrhunderten. Es ist eher eine
Frage der Qualität und Originalität. Und mir sind viele
Blogs leider zu unpolitisch, unkritisch, substanzlos.
lautsprecher: Sie haben ja auch selbst Sendungen
zur Zukunft der Massenmedien gemacht. Was kam dabei raus – welche
Medien haben Perspektiven, welche müssen sich verändern?
Werden welche ganz verschwinden?
Markus Heidmeier: Schwierige Frage. Jetzt könnte
ich hier kühn behaupten, dieses und jenes Medium kommt, geht
unter oder erlebt eine Renaissance. Aber die Wirklichkeit ist ja
gerne unberechenbar. Ich glaube jedenfalls, dass die Veränderungen
des Radios weniger tiefgreifend sein werden, als die des Fernsehens.
Radio hat auch immer diese Unterwegs-Qualität gehabt. Ich kann
Auto fahren oder bügeln und trotzdem anspruchsvolle Inhalte
hören. Beim TV ist das anders. Und durch Video on demand und
IP TV wird es dort dramatische Veränderungen geben. Andererseits
ist es sehr schwer zu antizipieren. Denn wie groß bleibt das
Lagerfeuerbedürfnis der TV-Zuschauer? Abends nach Hause kommen
und einfach die Glotze anschmeißen – ohne groß auszuwählen
bei Joost oder sonst wem?
Svenjaxyz: Was ist deiner Meinung nach der größte
Unterschied zwischen Podcasts und Radio?
Markus Heidmeier: Ganz persönlich mag ich
gerade die Podcasts, die gutes Talkradio ungeschnitten machen. Da
gab es beispielsweise mal eine Folge vom Küchenradio über
den so genannten Monoblockstuhl. Ein einstündiges Interview
– ungeschnitten -das war wunderbar und aufschlussreich. Podcasts
sollten versuchen, Radio nicht zu imitieren, das können die
Radiomacher mit ihren Ressourcen besser. Jingle, News und der ganze
Quatsch. Podcasts sind stark, wenn sie sich zur Ausführlichkeit
entschließen.
SD: Gab es auch negative Kommentare über das
blogspiel, zum Beispiel von Bloggern, denen das Radio zu "altmodisch"
war?
Markus Heidmeier: Klar, wenige, aber es gab sie.
Es wurde die Frage gestellt, warum Blogger nun plötzlich ins
Radio sollen. Sollen sie ja gar nicht, können sie, nämlich
so, wie alle Publizisten mit allen Medien kommunizieren können,
in die eine wie in die andere Richtung.
Pfeiffer: Was sind so die größten Probleme,
wenn man versucht, Radio über Blogs zu machen?
Markus Heidmeier: Manche Blogs funktionieren als
Text nur nachts um drei allein mit Rotwein vor dem Rechner. Diese
dann in einer Sendung für ein breiteres Publikum zu adaptieren
ist aussichtslos. Andererseits ist es auch schwierig, zu den vielen
Themen dieser Welt (Afrika, Film, Sport, weiß der Teufel)
gute Blogs zu finden. Etliche sind sehr breit, aber dann oft nicht
stark.
mensa: Welcher Hörer-Beitrag hat denn für
superviel Furore gesorgt?
OP24: Was war das Thema, auf das am meisten Resonanz
beim blogspiel kam?
Markus Heidmeier: Weiß ich nicht ganz genau.
Es gab einen Beitrag über die Zukunftsträume Fünfzehnjähriger
in Schwedt/Oder. Da gab es einige Echos. Schwedter Träume heißt
das Stück. Einer meiner persönlichen Favoriten.
Rollbrett: Gibt es eigentlich schon Podcast-Stars,
die durch das blogspiel berühmt(er) wurden?
Markus Heidmeier: Naja, so richtig viele Podcast-Stars
gibt es ja nicht. Wir hatten mal einen Schüler als Gewinner,
der hat bei seinen Mitschüler kräftig Eindruck gemacht.
School-Factory hieß das Stück, glaube ich.
Falbala: Wie viele Blogs liest/ Podcasts hörst
du denn so pro Tag?
Markus Heidmeier: Ganz verschieden. Mal eine Woche
lang gar nicht, dann drei, vier oder auch mal zehn am Tag (wenn
eine Sendung ansteht). Aber ich habe gerade einen Antrag bei der
Bundesregierung gestellt, dass der Tag auf 36 Stunden verlängert
wird, sonst kommt man einfach nicht mehr hinterher.
Moderator: Gibt es Favoriten?
Markus Heidmeier: Aus Jobgründen lese ich
viele Mediawatchblogs. Bei den Podcasts mag ich die interviewartigen
Sachen.
Luciana: Kannst Du beim blogspiel von Radiosendungen
aus anderen Ländern lernen? Gibt es ähnliche Formate anderswo?
Markus Heidmeier: Die gute alte BBC ist auch mal
wieder ganz vorne. Pods
and Blogs heißt das Format. Läuft auf BBC 5 live.
Sonst kenne ich nichts. Würde mich aber interessieren.
Hans: Inwieweit soll das aktuelle Format beibehalten
werden? Sind Neuerungen geplant?
Markus Heidmeier: Da ist gerade viel in Bewegung.
Blogspiel wird auf jeden Fall weiter existieren. Aber es könnte
gut sein, das wir mit neuem Namen und noch mehr Sendezeit auch den
Magazinanteil ausbauen.
Egon_47: Welche Radiosendungen mögen Sie
als Moderator privat am liebsten hören?
Markus Heidmeier: Das hat immer etwas eitles,
wenn man über den eigenen Geschmack Auskunft geben soll. Ich
habe aber tatsächlich zwei Favoriten: Samstags die Fußballreportage
live aus den Stadien. Sonntags morgens um 9.30 Essay und Diskurs.
Das höre ich aber als Podcast beim Joggen. Tja, so widersprüchlich
ist der Mensch. In Sachen Musik experimentiere ich gerade mit verschiedenen
Last-FM Accounts.
Moderator: Wie viele Moderatoren gibt es eigentlich
beim blogspiel?
Markus Heidmeier: Blogspiel wird zur Zeit von
vier ModeratorInnen präsentiert. In der Redaktion sind wir
mehr oder weniger zu zweit.
MW: Was würden Sie sagen, was ist eher ein
Massenmedium, das Internet oder das Radio?
Markus Heidmeier: Im klassischen Sinne ist das
Radio das One-to-many-Medium und das Netz das One-to-One Medium.
Aber das sind wohl veraltete Einordnungen. Das Netz kann ja auch
zum Radio umgeswitcht werden. Das Netz ist oder wird jedenfalls
mit seinen vielen Funktionen das Leitmedium werden.
Moderator: So, das waren wieder 60 Minuten Blogsprechstunde.
Vielen Dank an unsere Nutzer für die vielen Fragen. Und natürlich
vielen Dank an Markus Heidmeier für die Antworten. Das Protokoll
dieses Chats können Sie wie immer in Kürze auf den Seiten
von politik-digital.de nachlesen. Das letzte Wort für heute
hat Markus Heidmeier:
Markus Heidmeier: Oh Gott, ein Schlusswort. Was
soll man da sagen? Vielen herzlichen Dank an alle die mitgemacht
haben. Wir freuen uns immer über Beiträge, Themenvorschläge
und Kommentare. Tschüss.