Die Ankündigung der Online-Offensive der ARD schlägt Wellen – die klassische Presse wittert ebenso wie die Blogosphäre Unheil in der Ankündigung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, stärker als bisher Online-Inhalte zu produzieren. Der bevor stehende Abschied von der Deckelung der Senderetats für die Internet-Aktivitäten auf nanomäßige 0,75% des Gesamthaushaltes verschreckt die "Konkurrenz".
Nun gut, nicht erst seit sich Jürgen Habermas´ in der Süddeutschen Zeitung um die Zukunft der seriösen Zeitung sorgt, darf und soll man über die Frage der Medienkonkurrenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich finanzierten Anbietern reden – aber vielleicht nicht gerade so, wie es derzeit geschieht. Die wesentlichen Sprecher in dieser Diskussion, Intendanten, TV- und Print-Journalisten sowie Blogger, sind gerade durch ihre besondere Nähe zum Thema befangen – das garantiert zwar eine gewisse Schärfe der Debatte, hilft ihr aber nicht unbedingt weiter.
In solch prekären Situationen, die einen Epochenwandel in der Organisation des "Rundfunk-" bzw. "Mediensystems" der Bundesrepublik anzukündigen scheinen, gibt es nur eine Institution, die substanzielle Aussagen dazu machen kann: das Bundesverfassungsgericht.
Und in der Tat – es ist an der Zeit, dass ein neues Rundfunkurteil für Klarheit sorgt. Die gleichwohl überhitzt-entrüstete Diskussion um die "Enteignung der freien Presse" (FAZ-Medienredakteur Hanfeld) bzw. die Umwidmung der "Rundfunkgebühr zur Content-Flatrate für Qualitätsinhalte" (ARD-Vorsitzender Raff) bietet den Rahmen für einen ähnlichen Einschnitt in der Mediengesetzgebung, wie sie etwa die Gründung des ZDF oder die Einführung des Privatfernsehens darstellte.
Notwendig ist nichts weniger als das Überdenken der gegenwärtigen "Medienverfassung" der Bundesrepublik, die in inzwischen unzulässiger Weise auf die "alten Medien" ausgerichtet ist. Dazu bedarf es ein Neuabwägen der Begriffe der Grundversorgung und Entwicklungsgarantie – und hier wäre es nicht falsch, zur Abwechslung mal etwas genauer hinzusehen und nicht einfach nur die Wörter in den Ring zu werfen.
"Der Begriff der Grundversorgung bezeichnet dabei weder eine Mindestversorgung, auf die der öffentlichrechtliche Rundfunk beschränkt ist oder ohne Folgen für die Anforderungen an den privaten Rundfunk beschränkt werden könnte, noch nimmt er eine Grenzziehung oder Aufgabenteilung zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Veranstaltern etwa in dem Sinne vor, daß jene für den informierenden und bildenden, diese für den unterhaltenden Teil des Programmangebots zuständig wären. Es muß vielmehr sichergestellt sein, daß die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten für die Gesamtheit der Bevölkerung Programme anbieten, die umfassend und in der vollen Breite des klassischen Rundfunkauftrags informieren, und daß im Rahmen dieses Programmangebots Meinungsvielfalt in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise hergestellt wird."
(6. Rundfunkentscheidung, BVerfGE 83, 238 [403])
und
"Die Bestands- und Entwicklungsgarantie bedeutet dabei nichts anderes als die Sicherung der Voraussetzungen, die die Grundversorgung der Bevölkerung möglich machen. Angesichts der schnellen Entwicklung des Rundfunkwesens, namentlich der Rundfunktechnik, würde eine auf den gegenwärtigen Zustand bezogene Garantie nicht ausreichen, die Wahrnehmung der Grundversorgungsaufgabe sicherzustellen. Die Garantie kann sich daher nicht auf die herkömmliche Technik der terrestrischen Übertragung beschränken. Wenn neben diese andere Übertragungsformen treten oder sie verdrängen, wird auch die Nutzung der neuen Übertragungsformen von der Gewährleistung der Grundversorgung umfaßt. Dasselbe gilt für das Programmangebot der öffentlichrechtlichen Anstalten, das für neue Publikumsinteressen oder neue Formen und Inhalte offen bleiben muß. Gegenständlich und zeitlich offen und dynamisch ist der Begriff der Grundversorgung allein an die Funktion gebunden, die der Rundfunk im Rahmen des von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Kommunikationsprozesses zu erfüllen hat. Daher ergeben sich auch die Grenzen der auf die Grundversorgung bezogenen Bestands- und Entwicklungsgarantie allein aus der Funktion des Rundfunks."
(6. Rundfunkentscheidung, BVerfGE 83, 238 [407f])
Entlang dieser beiden wesentlichen Wegmarken, die im Zuge der Rundfunkgesetzgebung seitdem nicht mehr zentral diskutiert worden sind, ist über den Zuschnitt und ggf. eine Neuordnung des längst nicht mehr nur dualen RundfunkMediensystems zu entscheiden. Nimmt man den Medienwandel auf der einen und die wachsende Bedeutung von Medien für moderne Demokratien auf der anderen Seite ernst, dann ist eine neue Medienverfassung erforderlich, die das Verhältnis von Politik, Medien und Öffentlichkeit neu bestimmt.
Dieser Verfassungsstreit ist eröffnet. Karlsruhe, übernehmen Sie!
Die Thematik wird kontinuierlich behandelt im Weblog Internet & Politik.
Ein solcher Artikel, bei dem der Autor auch mal ein bisschen recherchiert hat, fehlte mir in der ganzen Debatte. Es gibt diese Aussagen vom Bundesverfassungsgericht, es gibt Zahlen, die zeigen, dass Internet und Print in einem Konkurrenzverhältnis stehen, Rundfunk und Internet jedoch nicht. Aber von all dem war nichts zu lesen, nur interessenbestimmte Meinungen.
Ich würde noch ein Zitat des BVErfG hinzufügen wollen, das die öff-r geflissentlich ignorieren:
“Die Bestimmung dessen, was zur Funktionserfüllung erforderlich ist, kann nicht den Rundfunkanstalten allein obliegen. Sie bieten keine hinreichende Gewähr dafür, daß sie sich bei der Anforderung der vor allem von den Empfängern aufzubringenden finanziellen Mittel im Rahmen des Funktionsnotwendigen halten. Rundfunkanstalten haben wie jede Institution ein Selbstbehauptungs- und Ausweitungsinteresse, das sich gegenüber der ihnen auferlegten Funktion verselbständigen kann.”
(BVerfGE 87,181 – 201)