Wolfgang Schäuble
im europthemen-Chat am 7.05.2004
Moderator: Herzlich willkommen im Europathemen-Chat.
„Europathemen“ ist das Internetangebot der Bundeszentrale
für politische Bildung zur Europawahl. Es wird in Zusammenarbeit
mit ARTE Multimedia und www.netzeitung.de am Zentrum für Medien
und Interaktivität der Universität Gießen erstellt.
Wir begrüßen unseren heutigen Gast Dr. Wolfgang Schäuble,
Bundesinnenminister a. D. und Europa-Experte der Union. Wir haben eine
Stunde Zeit – kann es losgehen, Herr Schäuble?
Wolfgang
Schäuble: Bitte.
Moderator: Erste Frage:
gabriela: Wie und wo haben Sie den 1. Mai erlebt?
Wolfgang Schäuble: Ich habe den 1. Mai in der
Nachbarschaft zu Straßburg erlebt, wo auch meine Heimat ist. Wir
haben dort eine grenzüberschreitende Gartenschau, die von Kehl
und Straßburg veranstaltet wird. Ein schönes europäisches
Projekt.
Diana: Lieber Herr Schäuble, haben Sie die neuen
EU-Staaten schon privat besucht?
Wolfgang Schäuble: Nicht alle, aber einige. Ich
bin in Polen, Ungarn und Tschechien gewesen.
Suse23: Wie sehen Sie Deutschlands Position im erweiterten
Europa?
Wolfgang Schäuble: In der Mitte. Und daraus folgt,
dass wir durch die Erweiterung große Chancen haben. Wir sind jetzt
umgeben von lauter Nachbarn – mit Ausnahme der Schweiz –
die mit uns zusammen in der EU sind. Dies ist nicht nur politisch von
Vorteil, sondern derzeit gewiss auch wirtschaftlich.
Moderator: Frage dazu von:
Grimm: Was wird sich durch die neue EU in Deutschland
ändern?
Wolfgang Schäuble: Die neue EU wird den Druck
verstärken, dass wir die nötigen Reformen im Wirtschafts-
und Sozialsystem angehen müssen. Auch wenn das unbequem scheinen
mag, ist das gut, da wir ja zur Zeit erleben, dass wir zurückfallen,
wenn wir nicht entscheidungsfreudiger werden.
Student aus Passau: Welche Auswirkungen wird die EU-Ost-Erweiterung
speziell für die Grenzlandregion Ostbayern in wirtschaftlicher
Hinsicht haben? Wird die ohnehin sehr strukturschwache Region durch
den Zustrom von Billigarbeitern noch mehr Arbeitsplätze für
Einheimische verlieren?
Wolfgang Schäuble: Ich glaube, eher das Gegenteil.
Grenzland bedeutet ja, dass man von den Zentralen weit entfernt ist.
Diese Randlage entfällt durch die Erweiterung. Im Übrigen
haben wir den Zustrom von Zuwanderern seit langem, so dass die Erweiterung
nicht die Ursache dieser Probleme ist. Wenn sich die wirtschaftliche
Lage bei unseren Nachbarn verbessert, wird der Druck auf unseren Arbeitsmarkt
geringer.
euro_egon: À pro pos wirtschaftliche Reformen:
Sehen Sie den Aufschwung in Europa kommen?
Wolfgang Schäuble: Ich hoffe und ich setze darauf,
dass mit der Erweiterung eine stärkere Dynamik verbunden sein wird,
weil das unterschiedliche Wirtschaftsniveau in den einzelnen Regionen
Europas für mehr Wachstum spricht als für das Gegenteil. Aber
unsere eigenen Hausaufgaben müssen wir in Deutschland trotzdem
lösen. Also Steuern, Arbeitsmarkt, soziale Sicherungssysteme, usw.
PeterBursch: Schätzen wir die Folgen des Beitritts
der zehn neuen Mitglieder im Hinblick auf unseren Arbeitsmarkt realistisch
ein? Viele Jobs werden in Kürze aus Deutschland Richtung Polen
abwandern.
Wolfgang Schäuble: Das hat ja bisher schon stattgefunden.
Deshalb ist meine Meinung, dass die Erweiterung nicht die Ursache dieses
Problems ist, sondern über eine gewisse Zeit hinweg dazu beitragen
kann, dass das Problem kleiner werden kann. Die Ursache ist das unterschiedliche
Niveau an Wohlstand und Produktionskosten.
ramelow: Welche Folgen kann die Erweiterung für
das deutsche Steuersystem haben?
Wolfgang Schäuble: Ich gehöre zu denjenigen,
die eine Harmonisierung der Steuern für nicht notwendig halten.
Aber unser Steuersystem muss einfacher, gerechter und effizienter werden
– unabhängig von der Erweiterung.
lee morgan: Inwiefern wären sie für Regelungen
der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik auf europäischer
Ebene? Welche Kompetenzen sollten bei den nationalen Regierungen verbleiben?
Wolfgang Schäuble: Ich ziehe es vor, dass die
nationalen Staaten für die Regelungen des Arbeitsmarktes zuständig
bleiben. Wir sollten in Europa nur vereinheitlichen, was Europa wirklich
besser kann. Sonst bekommen wir noch mehr Bürokratie und nicht
mehr Wachstum.
Moderator: neues Thema:
Friedrich: Sehen Sie Europa als historische Erinnerungs-
und Schicksalsgemeinschaft, aus der sich eine kollektive europäische
Identität entwickelt hat?
Wolfgang Schäuble: Im Prinzip ja, allerdings
ist das noch sehr im Werden. Genau deshalb darf man nicht zu viel in
Europa vereinheitlichen. Aber durch eine gemeinsame Währung, eine
hoffentlich baldige gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik werden
wir lernen, dass wir als Europäer gemeinsam in der Welt bessere
Chancen haben.
Moderator: Grenzen Europa, einige sagen dazu:
stefan: Was halten Sie grundsätzlich von einer
Aufnahme der Türkei in die EU?
Wolfgang Schäuble: Wenn Europa eine wirkliche
politische Union werden soll, dann braucht es Grenzen. Und andere Grenzen,
als die des geografischen Kontinents werden sich nicht wirklich finden
lassen. Länder, die nicht zum europäischen Kontinent gehören,
sollten wir nicht in die EU aufnehmen. Und für Länder, die
teilweise zu Europa gehören und teilweise nicht, ist eine privilegierte
Partnerschaft die bessere Lösung. Das gilt für die Türkei,
und das gilt vielleicht auch eines Tages für Russland.
greek220: Es wird immer gesagt, die Türkei sei
eine fremde Kultur. Aber wenn man das protestantische Schweden mit dem
katholischen Bayern oder dem orthodoxen Griechenland vergleicht, kann
man auch dort sehr unterschiedliche Kulturen feststellen. Was macht
also die Türkei so besonders?
Wolfgang Schäuble: Sie liegt außerhalb
Europas. In der Tat sind in der EU die kulturellen Unterschiede groß.
Das macht auch ihren Reichtum aus. Allerdings haben wir aus unserer
Geschichte auch viele Gemeinsamkeiten, wobei der Islam etwa auf der
spanischen Halbinsel oder dem Balkan auch zur europäischen Geschichte
gehört. Aber für die Grenzen bleibe ich bei dem, was ich eben
gesagt habe.
Moderator: Zwei Nachfragen:
Diana: Aber ist Istanbul nicht auch eine wichtige
europäische Metropole und haben die Griechen nicht auch über
Jahrtausende in Vorderasien gelebt?
bia: Aber der Westteil der Türkei liegt auf dem
europäischen Kontinent, und historisch betrachtet reichte die europäische
Antike bis zur heutigen Westküste der Türkei.
Wolfgang Schäuble: Ich habe schon gesagt, dass
die Türkei teilweise zu Europa gehört. Aber an der Grenze
zu Syrien oder dem Irak sind wir nicht mehr in Europa. Und deshalb gehört
die Türkei nur teilweise zu Europa. Und deshalb ist eine Partnerschaft
die bessere Lösung gegenüber einer vollen Mitgliedschaft.
Moderator: Vorerst die letzte Frage zur Türkei:
ilse: Wird das Kurdenproblem auch eine Rolle beim
EU-Beitritt der Türkei spielen?
Wolfgang Schäuble: Die Türkei hat in demokratischer
wie rechtsstaatlicher Hinsicht große Fortschritte erzielt. Das
gilt auch für den Umgang mit der kurdischen Minderheit. Für
meine Auffassung, was die Frage einer Mitgliedschaft in der EU anbelangt,
ist dies nicht entscheidend. Im Übrigen ist es in jedem Fall im
Interesse der Türkei, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ohne jede
Einschränkung einzuführen und dauerhaft daran festzuhalten.
Moderator: Wir bleiben international: Der Beitritt
weiterer Länder:
Diana: Dann sehen Sie einen Beitritt Georgiens also
auch mit Skepsis entgegen?
Europa1: Aber selbst geografische Grenzen sind grenzwertig.
Was ist mit Moldawien oder der Ukraine?
Wolfgang Schäuble: Grenzen sind immer auch im
Einzelfall grenzwertig. Zypern könnte man auch nennen. Aber Türkei
und Russland überschreiten eindeutig jede denkbare Grenze des europäischen
Kontinents. Bei Ländern wie Georgien oder Moldawien kann man das
nicht so eindeutig sagen. Allerdings stellt sich dort die Frage einer
Mitgliedschaft in der EU bei den derzeitigen gegebenen Verhältnissen
nicht.
Moderator: Europa ist groß – ein weiterer
Kandidat:
bimbo: Wann kann Kroatien der EU beitreten? Hat Kroatien
nicht bessere Chancen als Rumänien und Bulgarien 2007?
Wolfgang Schäuble: Rumänien und Bulgarien
sind in den Verhandlungen sehr viel weiter. Ob es klug ist, dass man
sich praktisch schon auf 2007 festgelegt hat, kann man bezweifeln. Ob
man es ändern kann, ist ein andere Sache. Kroatien hat große
Fortschritte gemacht, weswegen die Kommission zu Recht baldige Verhandlungen
vorgeschlagen hat. Das könnte alle im ehemaligen Jugoslawien ermutigen,
auf dem Weg zu Stabilität voran zu schreiten und nicht in nationalistische
Exzesse zurück zu fallen.
Moderator: Eine Nachfrage zu Zypern:
Suse23: Wie bewerten Sie den Beitritt Zyperns zur
EU?
Wolfgang Schäuble: Es ist durch die gescheiterte
Volksabstimmung etwas problematisch geworden. Aber ich bin ganz zuversichtlich,
dass die Teilung Zyperns dennoch bald überwunden werden wird; und
dann sehe ich für Europa keine Probleme.
Diana: Wäre es dann vielleicht richtig, andere
Länder zu ermutigen, eigene Gemeinschaften zu gründen mit
der EU als Vorbild?
Wolfgang Schäuble: Die EU kann für viele
Teile der Welt ein Vorbild sein, um aus Jahrhunderte langen Streit eine
friedliche Zukunft und eine starke wirtschaftliche Einheit zu bilden.
Im Übrigen muss die EU über die Mitgliedschaft hinaus zu den
benachbarten Regionen möglichst enge Beziehungen aufbauen.
lee morgan: Wie viele Mitglieder wird die EU im Jahre
2010 haben? Und wie viele "privilegierte Partner"?
Wolfgang Schäuble: Im Jahre 2010 wird die EU
vermutlich 27, vielleicht – wenn Kroatien es schafft – 28
Mitglieder haben. Wenn die Türkei will, kann sie dann auch "privilegierter"
Partner sein. Mehr sehe ich für das Jahr 2010 nicht.
Moderator: Von den geografischen Grenzen zu institutionellen
Grenzen und Fragen:
trickser: Was halten Sie von der EU-Verfassung?
Wolfgang Schäuble: Sie ist gegenüber den
bisherigen Vertragsrecht ein Fortschritt. Aber wir sind noch lange nicht
am Ziel angelangt. Wir brauchen klarere Unterscheidungen, was in Zukunft
die EU und was die Mitgliedstaaten entscheiden sollen. Wenn alle für
alles zuständig sind, ist niemand für etwas verantwortlich.
Und für das, was die EU entscheiden soll, muss die demokratische
Zustimmung durch das Europäische Parlament, sowie von einer von
einer Mehrheit im Parlament getragenen Kommission und vom Rat, in dem
die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten sind, gebildet werden.
Student aus Passau: Wie sehen Sie gerade nach dem
Beitritt der zehn Länder die Chance auf eine gemeinsame Verfassung
Europas?
Wolfgang Schäuble: Der Druck, das wir eine brauchen,
wird größer. Und deshalb bin ich für die Verfassung
eher optimistisch.
swiss: Wie stehen Sie dazu, die Europäische Verfassung
vom deutschen Volk in direkter Abstimmung akzeptieren (oder nicht akzeptieren)
zu lassen?
Wolfgang Schäuble: Wenn es eine richtige Verfassung
ist, sollte man das tun. Das, was wir jetzt in dem Verfassungsvertrag
haben, enthält allerdings wenig qualitative Fortschritte und deshalb
habe ich Zweifel, ob darüber ein Referendum Sinn hat.
Student aus Passau: Wie bewerten Sie die Entscheidung
Tony Blairs, die Bevölkerung in einem Referendum über die
gemeinsame Verfassung abstimmen zu lassen?
Wolfgang Schäuble: Großbritannien hat öfters
schon Volksabstimmungen durchgeführt. Blair will offenbar eine
Grundsatzentscheidung der Briten erreichen, dass sie zu Europa gehören
wollen. Das kann Sinn haben. In Deutschland zweifelt die große
Mehrheit der Bevölkerung, im Gegensatz zu Großbritannien,
nicht daran, dass wir zu Europa gehören.
abel: Wo liegen die Schwächen des Verfassungsentwurfs
im Hinblick auf eine ständig wachsende EU?
Wolfgang Schäuble: Wir haben keine klare Kompetenzregelung,
und wir haben zu komplizierte Entscheidungsverfahren mit immer noch
zu geringer Legitimation.
gerzam: Wie stellen Sie sich den Abbau des Demokratiedefizits
in der EU vor?
Wolfgang Schäuble: Vor allem durch eine Stärkung
des Europäischen Parlamentes. Dazu wäre übrigens eine
hohe Wahlbeteiligung am 13. Juni hilfreich.
P. Müller: Stoiber will ein europaweites Referendum
in allen 25 Staaten über die EU-Verfassung fordern. Was halten
Sie davon?
Wolfgang Schäuble: Stoiber hat meines Wissens
gesagt, dass wir dann in Deutschland ein Referendum machen sollen, wenn
vereinbart wird, dass in allen Mitgliedstaaten dies gemacht wird. Dagegen
ist nichts einzuwenden. Mir wäre allerdings lieber, wenn wir solche
europaweite Volksabstimmungen über eine Verfassung abhalten könnten,
die sowohl in der Kompetenzabgrenzung als auch in den europäischen
Institutionen noch bessere Ergebnisse aufweist, als wir sie in dem jetzigen
Entwurf haben.
agendachris: Was passiert, wenn der Verfassungsentwurf
scheitert? Oder wenn er nur in einigen Ländern angenommen wird?
Wolfgang Schäuble: So lange er nicht in allen
Ländern angenommen ist, tritt er nicht in Kraft. Wenn er nicht
zustande kommen sollte, muss man eben einen neuen Anlauf nehmen. Das
bisherige Vertragsrecht in Europa gilt bis dahin weiter.
Student aus Passau: Was sagen Sie zum Abrechnungsskandal
innerhalb der EU? Finden Sie es seriös, dass Abgeordnete Tagegelder
kassieren, ohne anwesend zu sein? Treibt sich die Politik dadurch nicht
selber in die Unglaubwürdigkeit?
Wolfgang Schäuble: Die deutschen Abgeordneten
haben dieser Tage eine Selbstverpflichtung beschlossen, diesen Misstand
abzustellen. Das begrüße ich. Auf Dauer wird man jedoch um
eine bessere Regelung der Bezüge für die Abgeordneten des
EP, die im letzten Jahr nicht zuletzt an Widerständen der deutschen
Regierung gescheitert ist, nicht herumkommen.
gerzam: Wie halten Sie es angesichts der vielen Aufgaben,
die nach der Erweiterung der EU zu bewältigen sind, mit Ihren eigenen
Überlegungen des "Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten“?
Wolfgang Schäuble: Das haben wir ja, wenn Sie
nur an die Währungsunion denken, der ja nicht alle Mitglieder der
EU angehören. Wenn der Prozess der europäischen Einigung weitergehen
soll, werden immer einige Länder vorangehen, und andere werden
später nachkommen. Die Alternative wäre Stillstand.
Moderator: Nachfrage: Bedeutet bessere Regelung auch
höhere Diäten?
Wolfgang Schäuble: Das Entscheidende ist, dass
die Abgeordneten alle, sowohl was die Diäten als auch was ihre
Reise- und sonstigen Kosten angeht, in einer angemessenen und für
alle gleichen Weise ausgestattet werden. Das Problem der letzten Wochen
ist, soweit ich es sehe, dass Abgeordnete ihre sehr unterschiedlichen
Diäten durch relativ hohe Sitzungsgelder und Reisekostenerstattungen
sozusagen aufgebessert haben.
Moderator: Kurz innenpolitisch, bevor wir zur Außenpolitik
kommen:
P. Müller: Anderes Thema: Halten sie eine Einigung
beim Zuwanderungsstreit noch vor der EU-Wahl für möglich –
in einem Spitzengespräch zwischen Schröder und Merkel, wie
heute in der Koalitionsrunde beschlossen?
Wolfgang Schäuble: Für möglich halte
ich es, aber für nicht sehr wahrscheinlich. Meistens einigt man
sich nach Wahlkämpfen eher als in Wahlkampfzeiten.
agendachris: In Brüssel wird an einer europäischen
Asyl- und Einwanderungspolitik gearbeitet. Welche Auswirkungen hat dies
auf die deutsche Debatte zum Zuwanderungsgesetz?
Wolfgang Schäuble: Sie hat sie schon sehr beeinflusst,
weil manche Fragen, mit denen wir uns früher in Deutschland befasst
haben, inzwischen europäisch geregelt sind. Aber das Problem, das
in den Verhandlungen jetzt zwischen den Grünen auf der einen Seite
und den anderen Parteien auf der anderen Seite besteht, liegt ja darin,
dass wir die neuen Erkenntnisse über Sicherheit gegenüber
Terrorismus bei der Regelung über Zuwanderung nicht unberücksichtigt
lassen können.
Moderator: Thema Außenpolitik und Sicherheit:
simsa: Was halten Sie von einer gemeinsamen Außenpolitik,
gerade in Bezug auf Konfliktherde wie den Irak?
Wolfgang Schäuble: Die halte ich für zwingend
notwendig. Wenn Europa nicht mit einer Stimme spricht, entfaltet es
keine Wirkung. Das war in der Irak-Krise deutlich zu sehen.
ilse: Wie sollte Europa in den Irak-Konflikt eingreifen,
und wie kann man die Situation überhaupt noch lösen? Wie soll
denn eine irakische Regierung bei solchen Zuständen eingesetzt
werden?
Wolfgang Schäuble: Durch ein Mandat der UN. Wenn
die Europäer mit einer Stimme sprechen, werden sie sich leichter
mit den USA einigen. Und Europäer und USA zusammen haben noch eine
gute Chance, in den Vereinten Nationen zu Beschlüssen zu kommen
und auch die verantwortlichen Kräfte in der arabischen Welt einzubeziehen.
Span_Tau: Hallo Herr Schäuble – sind Sie
der Meinung, dass Europa jetzt geschlossen gegenüber der amerikanischen
Übermachtsrolle stehen sollte?
Wolfgang Schäuble: Wir sollten ein einiges Europa
als Partner der USA verstehen, nicht als Gegenmacht. Übrigens,
wer versucht, Europa gegen die USA zu einigen, wird am Ende nur Europa
spalten. Und wenn Europa einig ist, dann werden die Amerikaner eher
auf Europa hören.
ende: Wie denken Sie, können die Amerikaner die
Konflikt-Situation im Irak lösen. Und ist der Abzug Spaniens gerechtfertigt?
Wolfgang Schäuble: Wir brauchen möglichst
schnell eine starke Rolle der UNO. Mir wäre lieber gewesen, Spanien
wäre dabei geblieben, bis zum 30. Juni eine UNO-Resolution abzuwarten
und sich für eine solche einzusetzen als einseitig ohne Rücksicht
auf die UNO abzuziehen.
Moderator: Zwei Fragen:
calamity: Was halten Sie von einer gemeinsamen militärischen
Einsatztruppe für Europa?
Wolfgang Schäuble: Die halte ich grundsätzlich
für richtig. Sie wird die NATO nicht ersetzen können, aber
sie kann den europäischen Pfeiler der NATO stärken.
ramelow: Wird die Erweiterung das transatlantische
Verhältnis ändern? Wie?
Wolfgang Schäuble: Wenig, denn die neuen Mitglieder
sind ja praktisch alle Mitglieder der NATO.
Student aus Passau: Wie kann ein Machtkonflikt zwischen
den USA und der EU verhindert werden?
Wolfgang Schäuble: Indem man, etwa beim kommenden
NATO-Gipfel in Istanbul, offen über die dringenden Probleme für
die Sicherheit diskutiert und versucht, eine gemeinsame Strategie zu
entwickeln.
Moderator: Zum Ende leichtere Kost:
spokk: Welche Bedeutung messen Sie informellen Ereignissen,
wie z.B. dem Eurovision Song Contest oder der Fußball-EM für
die europäische Integration bei?
Wolfgang Schäuble: Das ist ganz wichtig, weil
durch solche Events unser Bewusstsein gestärkt wird, dass wir nicht
nur Polen, Franzosen oder Deutsche, sondern eben auch Europäer
sind.
ramelow: Wer wird Europameister? Wie schneidet die
deutsche Nationalmannschaft ab?
Wolfgang Schäuble: Ich bin ein hoffnungsloser
Optimist und denke, dass wir vielleicht doch eine Chance haben, Europameister
zu werden. Rumänien ist ja zum Glück nicht qualifiziert.
Moderator: Letzte Frage:
ramelow: Wird Föderalismus nach dem 1. Mai neu
definiert werden müssen?
Wolfgang Schäuble: Eigentlich nicht, denn auch
schon mit 15 Mitgliedern kann Europa gar nicht anders organisiert werden,
als nach dem Prinzip des Föderalismus. Durch die Erweiterung wird
das nur noch verstärkt.
Moderator: Liebe Europa-Freunde, leider ist die Zeit
vorbei – vielen Dank an Herrn Schäuble und an Sie, liebe
User, für die vielen Fragen. Leider können wir in einer Stunde
nicht alle Fragen beantworten. Auf www.europathemen.de finden sie weitere
Informationen zum Thema.
Wolfgang Schäuble: Vielen Dank für die vielen
Fragen! Und geht alle am 13. Juni wählen!
Moderator: Europathemen ist das Internetangebot der
Bundeszentrale für politische Bildung zur Europawahl. Es wird in
Zusammenarbeit mit ARTE Multimedia und www.netzeitung.de am Zentrum
für Medien und Interaktivität der Universität Gießen
erstellt. Vielen Dank, den nächsten Chat-Termin finden Sie auf
den Seiten von www.europathemen.de
Span_Tau: Danke für den interessanten Chat.
Moderator: Danke auch 😉