Katja Jösting, Jugendreferentin von Die Linke.PDS, und Christian Kühbauch, DGB-Bundesjugendsekretär, waren am 16. September zu Gast im Live-Duellchat der Bundeszentrale für politische Bildung. Diskutiert wurde u.a. über
das Verhältnis der Linkspartei zu den Gewerkschaften, unterschiedliche
Aufgaben von Parteien und Gewerkschaften in der Gesellschaft und
die Vergangenheits-bewältigung der PDS.

Moderator: Liebe Politik-Interessierte,
herzlich willkommen im dritten und letzten Live-Duellchat der Bundeszentrale
für politische Bildung in diesem Wahlkampf. Anfang der Woche
waren Nike Wessel, Grüne Jugend, und Johannes Vogel, Junge
Liberale, sowie die Vorsitzenden der Jungen Union und den Jusos,
Philipp Mißfelder und Björn Böhning zu Gast. Heute
chatten wir mit den Jugendreferenten von PDS und DGB, Katja Jösting
und Christian Kühbauch. Im oberen Feld werden die beiden Gäste
befragt, in dem unteren Feld werden die Fragen und Kommentare der
Chatterinnen und Chatter abgebildet. Wir freuen uns auf Ihre Kommentare
und Fragen, die Sie gerne an die beiden Duellanten richten können.
Herzlich Willkommen Frau Jösting und Herr Kühbauch! Können
wir beginnen?

Christian Kühbauch: Ja.

Katja Jösting: Ja.

Moderator: Eigentlich müsste man meinen, die inhaltlichen
Überschneidungen von Gewerkschaften und Die Linke.PDS müssten
groß sein. Schließlich rekrutiert sich das Personal
von den Linken.PDS auch aus ehemaligen Gewerkschaftsfunktionären,
die traditionell eigentlich der SPD nahe stehen. Doch die Einzelgewerkschaften
lösen sich derzeit teilweise vom DGB. Der IG-Metall-Chef Peters
etwa hat gesagt, dass die Linke.PDS dem Parteiensystem nicht schaden
müsste, es gebe in vielen Ländern konkurrierende linke
Parteien. Dafür wurde er vom ehemaligen DGB-Chef Schulte stark
kritisiert. Was denn nun: Ist das Wahlbündnis eine Gefahr oder
Chance für die Gewerkschaften? Frau Jösting zuerst bitte.

Katja Jösting: Das Linksbündnis ist
ganz klar eine Chance für die Gewerkschaften. Unabhängig
davon, ob sich die Einzelgewerkschaften konkret zur Linkspartei
bekennen, kann es nicht schaden, wenn auch die Gewerkschaften ihre
Partner im parlamentarischen Raum haben.

Christian Kühbauch: Man muss ganz klar sehen,
dass die Linkspartei in vielen Punkten große Übereinstimmungen
mit den gewerkschaftlichen Anforderungen hat, ja dass sie sogar
einige sehr alte Forderungen der Gewerkschaften – wie z.B.
die Ausbildungsplatzumlage – zum Bestandteil ihres Programms
gemacht haben. Wir müssen nur als Gewerkschaften aufpassen,
dass wir auch die Interessen unserer 7 Millionen Mitglieder angemessen
vertreten und zwar im Grunde in der ganzen Bandbreite vom linken
globalisierungskritischen Attac-Aktivisten bis hin zu denjenigen,
die auch Industriepolitik gemeinsam mit ihrem Unternehmen betreiben.

Moderator: Dazu eine Nachfrage: Herr Kühbauch, mehrere Partner
– braucht der DGB denn einen NEUEN Partner im parlamentarischen
Raum?

Christian Kühbauch: Ein Partner ist eine
solche Partei, mit der man viele Übereinstimmungen und regelmäßige
Konsultationen hat. Von daher sind derzeit sowohl große Teile
der SPD als auch Linkspartei und Grüne mögliche Partner.
Wir müssen natürlich sehen, wer regiert und müssen
mit jeder Regierungspartei und den entsprechenden Ministern und
Ministerialbeamten das Gespräch suchen.

Moderator: Frau Jösting, der DGB will sich also nicht positionieren
– würden Sie sich eine klare Aussage zu Gunsten Ihrer
Partei denn wünschen? Halten Sie das für realistisch?

Katja Jösting: Ich würde es für
realistisch und angemessen halten, aber nicht für unbedingt
notwendig. Genauso wenig wie ich eine einseitig parteiabhängige
Haltung zugunsten der SPD für richtig halte, wäre es klug
von jeder Gewerkschaft, sich ausschließlich der Linkspartei
zuzuordnen.

Moderator: Eine erste Frage eines Nutzers:

bomber: Ist eine Annäherung zwischen DGB
und Linkspartei.PDS zu erwarten, falls es zu einer Großen
Koalition kommt und die Agenda-Politik der jüngsten Vergangenheit
von beiden großen Parteien, dann auch offiziell, fortgesetzt
wird? Kann eine andere Politik nicht nur bestehen, wenn Gewerkschaften
und Linkspartei in diesem Fall zusammenhalten? Herr Kühbauch,
wie sehen Sie das?

Katja Jösting: Absolute Zustimmung.

Christian Kühbauch: Da muss man mal abwarten
welche Kräfte in der SPD sich durchsetzen, da man annehmen
kann, dass Herr Schröder dann nicht mehr aktiv in der Politik
ist.

Moderator: DGB-Chef Sommer hat unterdessen vor einer Spaltung der
Gewerkschaften gewarnt: Wer Parteipolitik in die Gewerkschaften
trage, der gefährde nicht nur die Geschlossenheit der Arbeitnehmer,
sondern schwäche auch die Position der Gewerkschaften. Was
ist da dran?

Christian Kühbauch: Herr Sommer hat natürlich
Recht, wenn er sagt, dass es nicht unsere Aufgabe ist, dass wir
Parteien finanzieren und organisieren. Es gibt da schlechte Beispiele
aus anderen Ländern, wo Gewerkschaften an derartigen Fragen
zerbrochen sind. Man muss vorsichtig sein, wenn bestimmte Kräfte
in den Gewerkschaften den gesamten DGB auf einen Kurs festnageln
wollen.

Katja Jösting: Der entscheidende Punkt liegt
in der Unterscheidung zwischen Parteiunabhängigkeit und Politikunabhängigkeit.
Und Herr Sommer hat insofern Recht, als dass Ersteres das Zweite
nicht überlagern sollte.

Christian Kühbauch: Wir hatten in den letzten
Tagen Wahlaufrufe von Gewerkschaften. Wir hatten in der taz eine
halbe Seite die Unterstützer der Linkspartei und wir haben
auch einige Gewerkschafter, die in der Bildzeitung zur Wahl von
Angela Merkel aufgerufen haben. Die Anti-Gewerkschafter –
und solche gibt es ja leider – sind ja eher in den Flügeln
der großen Volksparteien und der FDP.

Moderator: Moment, aber jetzt reden Sie beide das Problem klein:
Die Linke.PDS wendet sich besonders an enttäuschte Gewerkschafter
und Sozialdemokraten. Das muss die Gewerkschaften doch irritieren?

Christian Kühbauch: Es ist ganz normal, weil
die SPD mit ihrer Regierungspolitik in den vergangenen Jahren internationale
neoliberale Mainstream-Politik gemacht hat. Zwar steht auf der Habenseite
eine ökologische Steuerreform, aber allein in meinem Bereich
der Jugend hat uns Herr Clement mit seinem Ausbildungspakt ziemlich
an der Nase herumgeführt. Eine gewisse Entfremdung ist daher
natürlich. Man muss aber abwarten, ob eine Linkspartei bei
leeren Kassen sehr viel bessere Politik machen würde (siehe
Berlin, siehe Mecklenburg-Vorpommern).

Katja Jösting: Zunächst zum Moderator:
Herr Kühbauch redet sich hier etwas raus, da gebe
ich dem Moderator recht. Denn die Gewerkschaften reagieren reichlich
spät auf die Agenda-Politik des Kanzlers. Die Linkspartei hat
schon zu Zeiten, als sie noch PDS hieß, auch die Ausbildungsplatzumlage
gefordert, den Mindestlohn und ähnliches. Insofern kommt der
positive Bezug etwas spät. Zu den leeren Kassen: Es ist ein
entscheidender Unterschied, ob man Politik macht mit den Mitteln
der Bundesgesetzgebung, oder lediglich auf die Spielräume innerhalb
einer Landespolitik Einfluss nehmen zu können. Der entscheidende
Punkt, der durch die Linke in den Landesregierungen umzusetzen versucht
wurde, ist die "sozial gerechte Form des Sparens". Das
ist uns nicht an allen Stellen gelungen, aber im Gegensatz zur Bundesregierung,
kann man uns zumindest die Anstrengung nicht absprechen.

Christian Kühbauch: Wir wollten ziemlich
lange politikfähig bleiben und haben ziemlich viele Kröten
geschluckt – Riester-Rente, Hartz I-III, bis uns irgendwann
der Kragen geplatzt ist und wir am 3. April letzten Jahres mit ungefähr
500.000 eine der größten Demonstrationen der Bundesrepublik
veranstaltet haben. Wir wollen einfach eine andere Politik, einen
Arbeitnehmerorientierten Politikansatz. Die Frage ist jetzt, was
hat eine Linkspartei für Konzepte.

Moderator: Der Kragen platzte ja tatsächlich eher spät.
Ist die Linkspartei denn die "bessere Gewerkschaft", Frau
Jösting?

Katja Jösting: Nein, das ist sie nicht. Es
gibt ganz klar unterschiedliche Aufgaben von Gewerkschaften und
Parteien. Allerdings kann man/ muss man sagen, dass die damalige
PDS sicherlich früher und lange Zeit energischer die Interessen
derer vertreten hat, für die eigentlich die Gewerkschaften
zu allererst hätten eintreten müssen.

Moderator: Reagieren die Gewerkschaften zu langsam? Herr Kühbauch?

Christian Kühbauch: Die Gewerkschaften sind
die Gewerkschaften. Was mich interessiert – perspektivisch
nach einer mittleren Oppositionszeit der Linkspartei –: ob
die Ansätze politikfähig werden können weil ich zumindest
jetzt von einigen Begegnungen auf regionaler Ebene mit Linkspartei.PDS
eher entsetzt zurück kam. Ich sage als Stichwort. Sektierer
und judäische Volksfront oder Volksfront von Judäa. Ihr
seid halt auch ein Sammelbecken für eine Menge dieser Leute
geworden.

Moderator: Also der alte DKPisten-Stasi Vorwurf, Frau Jösting
… Was sagen Sie?

Christian Kühbauch: Habt ihr das im Griff
oder wie wird sich das weiter entwickeln?

Katja Jösting: Man kann sich seine Genossen
nicht aussuchen. Es ist aber sicher richtig, dass in dem Fusionsprozess
von WASG und Linkspartei.PDS der Vorstand
und die Spitzen darauf drängen müssen, dass diese Form
von Sektierertum, die uns 2002 wahrscheinlich den Einzug in den
Bundestag gekostet hat, in keiner Weise wieder politikbestimmend
wird, innerhalb der Linken.

Christian Kühbauch: Man muss wahrscheinlich
sehen, wer auf bestimmten Veranstaltungen immer das große
Wort führt und ob diese Leute dann auch Einfluss in der Bundespartei
bekommen.

Moderator: Die Linkspartei.PDS weist entgegen ihres jugendlichen
Images eine eher veralterte Mitgliederstruktur auf. Auch die Gewerkschaften
haben damit zu kämpfen, dass gerade junge Menschen Mangelware
in der Organisation sind, da der Politikstil als altbacken angesehen
wird. Kann von zwei so alt strukturierten Organisationen eine zukunftsweisende
Politik erwartet werden? Z.B. beim Thema Generationengerechtigkeit?

Christian Kühbauch: Was uns betrifft, sieht
es besser aus, als es in der Öffentlichkeit rüber kommt.
Wir liegen bei 500.000 jugendlichen Mitgliedern und halten uns da
gut. Ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, beim Gespräch
mit gutbürgerlichen Medien, dass sie kein Interesse haben,
vom Jugendbereich der Gewerkschaften zu schreiben.

Katja Jösting: Ich bedanke mich für
das Kompliment. Man muss unterscheiden zwischen Mitgliederstruktur
und denjenigen, die inhaltliche Debatten prägen. Und da gibt
es bei uns eine erstaunlich junge und relativ große zweite
Reihe hinter den Spitzen Lafontaine/Gysi und so weiter, z.B. Katja
Kipping als stellvertretende Parteivorsitzende ist 28. Jetzt endlich
kann aber aus der Kombination von zahlreichen alten Mitgliedern
und einer relativ jungen Führungsriege ein interessanter und
sehr ausgewogener Diskussionsprozess entstehen, z.B. auch beim Thema
Generationengerechtigkeit. Konkret: Konflikte, wie sie Mißfelder
in der CDU inszeniert hat, nach dem Motto: keine Hüftgelenke
mehr für ältere Menschen zugunsten der Jugend, würde
es bei uns nicht geben.

Christian Kühbauch: Da gab es ja noch den
anderen mit den Alten, die den Löffel abgeben sollen. Klar,
wenn ich morgen sage, Sommer muss weg, stehe ich auch in der Bild,
aber wir dürfen dieses ganze Thema Generationengerechtigkeit
nicht als Schaukampf zwischen den Alten und den Jungen inszenieren.
Was ich schon beim DGB auch als Konflikt feststellen kann, ist der
völlig unterschiedliche Politikansatz. Die "Alten"
sind in der Regel parteipolitisch gebunden, die Jungen zu vielleicht
70 Prozent parteilos. Aber sie machen trotzdem Politik in verschiedenen
Initiativen, Organisationen und auch in den Betrieben.

Moderator: Warum sind sie beide denn dann nicht mit von der Partie,
wenn Jusos und Junge Union einen "neuen Generationenpakt"
fordern?

Katja Jösting: Die haben uns nicht gefragt.

Christian Kühbauch: Die haben uns nicht gefragt,
vielleicht hier übers Netz: Sie sollen uns mal anrufen.

Moderator: Inwiefern weichen eigentlich die Positionen der Jugendorganisationen
von PDS und DGB von ihren Mutterorganisationen ab? Gibt es auf Ihrer
Ebene doch mehr Gemeinsamkeiten, als man vermuten könnte? Oder
stärkere Unterschiede als zwischen den Mutterorganisationen?

Christian Kühbauch: Nein. Kapier ich das
jetzt richtig, ob wir jetzt näher sind an anderen Jugendorganisationen
als an unseren eigenem DGB? Wenn das so ist, würde ich sagen,
normalerweise ist immer die eigene Organisationen (DGB) näher
mit einigen Ausnahmen, und zwar: Wehrpflicht, Basisdemokratische
Elemente, mit Abstrichen Rente.

Moderator: Die Frage ist, ob Sie, PDS- und DGB-Jugendreferent sich
in einzelnen Themenfeldern näher sind, als ihren eigenen Organisationen?
Und wenn ja, in welchen Themenfeldern?

Katja Jösting: Nein, sind wir nicht. Sonst
wären wir die DGB-Jugend. Einziger Konfliktpunkt, obwohl: das
ist auch schon zu hoch gegriffen, eher: Dissens, der mir jetzt einfällt,
ist die Frage der Legalität von Graffiti.

Moderator: Ein Erfolg der Linken/PDS könnte dazu führen,
dass rot-grün keine Mehrheit mehr im Bundestag bekommt, sondern
das von Ihren Positionen weiter entferntere schwarz-gelb. Schießen
Sie sich da nicht selbst ins Bein?

Christian Kühbauch: Ich mache keinen Wahlkampf
für die PDS. Trotzdem darf man doch diese Partei nicht ignorieren.
Ich habe schon bemerkt, dass das Auftauchen der Linkspartei vor
allem bei der SPD zu einem Nachdenkensprozess geführt hat,
ob der Kurs der vergangenen Jahre so richtig war. Die Dankbarkeit
des Unternehmerlagers hält sich ja ziemlich in Grenzen (von
Pierer).

Katja Jösting: Wenn Rot-Grün keine Mehrheit
mehr im Bundestag bekommt, liegt es zuerst an Rot-Grün. Letztendlich
ist es dem Bürger aber egal, ob Rot-Grün oder Schwarz-Gelb
den Kurs der vergangenen Jahre weiterführt. Geht man also strategisch
an das Thema heran, könnte es unter Umständen sogar hilfreich
sein, wenn zwar durch Schwarz-Gelb derselbe Politikansatz verfolgt
wird, auf der linken Seite aber Rot-Rot-Grüne Oppositionspolitik
Spielräume für Veränderungen öffnet.

Moderator: Herr Kühbauch, sie sagten gerade, dass aus Ihrer
Sicht ein Nachdenkensprozess ausgelöst wurde. Wie ist das in
ihrer Organisation? Dazu diese Frage: Stichwort Arbeitslose. Die
Gewerkschaften werden wahrgenommen als Bewahrer von Arbeitnehmerinteressen.
Die PDS will auch Arbeitslosen eine neue politische Heimat bieten.
Ist die Linke/PDS ein Ausdruck von einer schlecht gemachten Arbeitnehmervertretung
in den letzten Jahren, die eben auch Arbeitslose mit hätte
einbeziehen müssen?

Christian Kühbauch: Dahinter steckt der Vorwurf,
wir hätten mit unseren Tarifabschlüssen ganz bewusst Arbeitslose
ausgegrenzt. Jeder, der sich mit Tarifpolitik befasst hat, weiß,
dass das wirklich Quatsch ist bei der Vielzahl von tarifpolitischen
Lösungen, die wir für die Integration von Arbeitslosen
inzwischen schon gemacht haben. Übrigens sind alle relevanten
Arbeitslosenorganisationen, die ich kenne, gewerkschaftliche Arbeitslosenorganisationen,
denn es geht ja nicht nur darum, neue Jobs zu finden, ich muss doch
auch sehen, wie ich als Langzeitarbeitsloser mit Anfang 50 mit dieser
Situation umgehen und leben kann. Da haben sich die Gewerkschaften
ganz vehement für die Rechte der Arbeitslosen eingesetzt.

Moderator: Wie sehen Sie das, Frau Jösting: Kümmern sich
die Gewerkschaften ausreichend um Arbeitslose, sozial Schwache etc.
– oder ist das auf Grund des Arbeitsauftrags von Gewerkschaften
gar nicht deren Aufgabe?

Katja Jösting: Doch, es ist ihre Aufgabe.
Allerdings sollen auch sie sich nicht um Arbeitslose kümmern
zulasten von Arbeitnehmern. Sondern es geht darum, beides im Blickfeld
zu haben. Genauso wie wir auch nicht nur auf die Wählerklientel
der Arbeitslosen schielen, die uns übrigens traditionell eher
in geringerem Ausmaß wählt.

Christian Kühbauch: Wir organisieren einige
Hunderttausend Arbeitslose im DGB, die sich auch intern immer wieder
in die Diskussion einbringen. Was wir dabei feststellen, ist, dass
wir im Grunde keine unterschiedlichen Politikansätze für
Arbeitnehmer und Arbeitslose haben. Unsere Politik, Verbesserung
von Bildung und Forschung, des Binnenmarktes etc., soll ja allen
zu Gute kommen. Und vor allem wollen wir nicht, dass dort, wo es
keine Jobs gibt, der Druck auf Arbeitslose verstärkt wird,
nicht vorhandene Jobs anzunehmen.

Katja Jösting: Alte Linkspartei-Forderung!

Moderator: Nach einer Untersuchung hat ein nicht unerheblicher
Teil von Gewerkschaftlern Tendenzen zu rechtem Gedankengut. Auch
Oskar Lafontaine wurde mit seinen Aussagen zu den „Fremdarbeitern“
unterstellt, er betreibe ein Spiel mit dem Feuer. Fischt die Linke
im Wahlkampf in rechtem, gewerkschaftsnahen und gleichzeitig trübem
Gewässer?

Christian Kühbauch: Diese Untersuchung, dass
ein Teil unserer Mitglieder nach rechts tendiert, kenne ich gut.
Das Ergebnis war schlicht und ergreifend, dass ungefähr genauso
viele Gewerkschaftsmitglieder nach rechts tendieren wie der Durchschnitt
auch. Ich bin etwas genervt davon, dass man jetzt mit solchen Ergebnissen
auch noch hausieren geht und sagt: Guckt mal, wir haben auch Nazis.
So geht es doch jeder Großorganisation.

Katja Jösting: Die Linke.PDS hat die Wortwahl
von Lafontaine von Beginn an kritisiert. Die Aussage, die dahinter
stand, war aber richtig. Als Beispiel: Es ist falsch, wenn ein polnischer
Arbeitnehmer angestellt wird, weil er billiger arbeitet. Es ist
absolut richtig, wenn er genau so gut arbeitet. Es ging Oskar Lafontaine
und der Linkspartei um die Aussage: Mindestlohn für jeden,
der hier arbeitet (das heißt nicht nur für jeden Deutschen).
Darüber hinaus muss man aber auch als Partei die Frage stellen
dürfen, ob man die Menschen, die beispielsweise in Sachsen
in irrsinnig hoher Anzahl NPD gewählt haben dauerhaft dem rechten
Lager zuschreibt. Und ob hinter jedem dieser Prozentpunkte tatsächlich
ideologisch gefestigte rechtsradikale Nationalisten oder ähnliche
stehen, oder ob nicht Menschen ohne gesicherte Lebensperspektive
auf das (falsche) Mittel der rechten Protestwahl zurück greifen.

Moderator: Aha, die Aussage war richtig? Herr
Kühbauch, wie sehen Sie das? Wenn die CDU früher am rechten
Rand gefischt hat, waren es auch die Gewerkschaften, die vor einer
solchen Vorgehensweise warnten.

Christian Kühbauch: Die Rechten versuchen
ja immer, zwischen nationalen und sozialen Themen einen Zusammenhang
herzustellen. Und die CDU hat leider in einigen Wahlen (so wie Koch
in Hessen) eiskalt die Chance genutzt und auch mit dem Feuer gespielt.
Wir könnten als Gewerkschaften sehr leicht z. B. im Bausektor
mit rechten Parolen Mitglieder gewinnen. Aber wir machen genau das
Gegenteil, denn wir haben die Verpflichtung, die Kollegen vor Ort
aufzuklären, dass es denn den scheinbaren Konkurrenten in Polen
oder in der Slowakei genauso geht und dass auch er eine starke Gewerkschaft
braucht. Wir versuchen das auch gemeinsam mit unseren Partnern im
Ausland. Den Dänen ergeht es ähnlich, auch in Ländern
wie Polen und Tschechien wird bereits gedroht, Produktion weiter
zu verlagern nach Asien oder in billigere osteuropäische Länder.

Moderator: Glauben sie ernsthaft, dass sie in einer globalisierten
Welt wirklich den deutschen Sozialstaat retten können, oder
müsste man nicht vielmehr über Alternativen jenseits des
Kapitalismus nachdenken?

Katja Jösting: Da hat er völlig Recht.
Deswegen heißen wir auch (PDS), Partei des demokratischen
SOZIALISMUS.

Christian Kühbauch: Wir haben in den skandinavischen
Ländern funktionierende Systeme mit kapitalistischen und sozialen
(sozialistischen?) Systemen. Ich bin ein Befürworter der Systeme
in derartigen Ländern, blauäugig bin ich nicht , was den
Erhalt deutscher Standards angeht, das ist klar. Aber alle Regierungen
der mächtigsten Staaten (G8) haben viel zu wenig getan, um
mit internationalen Abkommen Kernarbeitsnormen, bestimmten Grundstandards
für Arbeitnehmer die Sozialsysteme ihrer Länder zu stärken.
Das muss man in Zukunft massiv von jeder Bundesregierung einfordern,
dass sie auf internationale Vereinbarungen drängt, sich auch
Partner sucht und ihr Gewicht in die Waagschale wirft.

Moderator: Wir kommen bereits zur letzten Frage, denn die Stunde
ist schon fast wieder um: Wie können eigentlich Gewerkschaftsmitglieder
mit einer Partei zusammenarbeiten, deren Vorgängerorganisation
einen Staat dominierten, die freie Gewerkschaften nicht zugelassen
hatte? Und an Herr Kühbauch: Verbietet eine solche Historie
nicht einen Schulterschluss?

Christian Kühbauch: Hier würde mich
eine Stellungnahme/Distanzierung der Jungen PDS interessieren.

Katja Jösting: 15 Jahre nach der Einheit
die SED/Stasi-Keule immer wieder herauszuholen ist mir auch als
junger Mensch zu plump. Die PDS hat sich, was oft kritisiert wurde,
1990 nicht neu gegründet, sondern ist direkt aus der SED hervorgegangen.
Eben deshalb war sie gezwungen, sich mit der Geschichte der Vorgängerpartei
auseinander zu setzen, lehnt seit 1990 den diktatorischen Staatssozialismus
ab, und hat sich beim Volk der DDR für das im Namen der SED
begangene Unrecht entschuldigt. Auch wenn das keine praktische Hilfe
für die Opfer von Stasi und SED-Diktatur ist, sollte man wenigstens
anerkennen, dass keine andere Partei in diesem Land sich derartig
intensiv mit seiner Geschichte auseinander setzen musste. Vielleicht
kann man nach 15 Jahren auch uns zubilligen, aus Geschichte gelernt
zu haben.

Christian Kühbauch: Wenn es noch Menschen
mit autoritären Politikansätzen in der Linkspartei gibt,
werden das nicht unsere Ansprechpartner sein.

Moderator: Das waren 60 Minuten Live-Chatduell der Bundeszentrale
für politische Bildung! Vielen Dank für Ihr Interesse.
Herzlichen Dank an Frau Jösting und Herrn Kühbauch, dass
Sie sich kurz vor Wahlkampfende die Zeit genommen haben. Es sind
doch wieder einige Fragen übrig geblieben. Wir haben versucht,
mit der Duell-Chatserie Schlaglichter auf die unterschiedlichen
Positionen innerhalb des Wahlkampfes zu werfen. Wenn Sie noch unentschieden
sind, was sie wählen wollen, empfehlen wir den Wahl-O-Mat der
Bundeszentrale für politische Bildung und das ausführliche
redaktionelle Angebot unter www.bpb.de. Wir hoffen, die Chats haben
Ihnen ebensoviel Spaß gemacht wie uns! Happy voting!

Christian Kühbauch: Danke sehr.

Katja Jösting: Danke, geht wählen (selbst
wenn ihr nicht uns wählt)!

Christian Kühbauch: Geht wählen! Sorgt
dafür, dass die Rechten keine Chance bekommen.

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