Kommentieren, liken, teilen – in der Türkei kann diese freie Aktivität auf einer Medienplattform wie Instagram bereits als Straftat deklariert werden und eine Haftstrafe bis zu drei Jahren zur Folge haben. Seit langem herrscht in der Türkei ein Klima der Angst und Repression. Auch die türkischen Medien spielen dabei eine wichtige Rolle.
Die Türkei steht seit längerem aufgrund der eingeschränkten Meinungs- und Pressefreiheit in der Kritik. Reporter ohne Grenzen stufen im letzten Jahresbericht der Rangliste für Pressefreiheit die Türkei auf Rang 158 von 180 Nationen. Die vorgelegten Berichte von Amnesty International bezüglich zahlreicher Festnahmen von Journalist:innen sowie die gewaltvolle Vorgehensweise der staatlichen Behörden untermauern diese Bewertung.
Diese Entwicklung, die ihren Höhepunkt mit dem gescheiterten Putschversuch im Jahre 2016 hatte, begann bereits im Jahr 2007 mit der Einführung des Gesetzes Nr. 5651, das auch Gesetz gegen Cyberkriminalität genannt wird. Ziel des Gesetzes war es, den Zugriff auf Webseiten und digitale Inhalte, ohne richterlichen Beschluss, zu blockieren. Als Begründung wurde der Schutz von Kindern vor schädlichen Inhalten angeführt. Verschärft wurde dieses Gesetz in den folgenden Jahren mit dem Argument der Wahrung der Persönlichkeitsrechte bekannter Personen. Das Verein zum Schutz der Meinungsfreiheit (İfade Özgürlüğü Derneği) hat eine Statistik veröffentlicht, dass bis Ende 2022 über 700.000 Websites in der Türkei aufgrund dieses Gesetzes gesperrt wurden. Seit Mitte 2022 zählt beispielweise unter anderem die türkischsprachige Website der Deutschen Welle darunter. Dieser wurde vorgeworfen, dass der Betreiber es versäumte, eine behördliche Genehmigung für den Sendebetrieb einzuholen. Die Deutsche Welle weigerte sich, diese Lizenz zu beantragen, da dies möglicherweise zur Zensur von Inhalten führen könnte.
Die Sorge der Deutschen Welle hat sich bestätigt. Aktuell ist der FAZ und DW-Journalist Bülent Mumay von dieser Gesetzeseinführung betroffen. Erst diese Woche hat das Istanbuler Strafgericht das Urteil gegen ihn ausgesprochen. Ihm droht Haftstrafe unter dem Vorwurf der illegalen Veröffentlichung persönlicher Daten. Dabei ist er genau genommen nur seiner journalistischen Pflicht nachgegangen und hat über ein der Regierung nahestehendes Bauunternehmen berichtet, welches erwirkt hatte, dass die Berichterstattung über Bauskandale nicht an die Öffentlichkeit gelangt.
Datenschutz in der Türkei nicht EU-konform
Auch die Datenschutzgesetze der Türkei entsprechen bei weitem nicht den Normen der Allgemeinen Datenschutzverordnung der EU (EU-DSGVO). So besteht bspw. keine ausreichende Transparenzregelung, keine Rechenschaftspflicht des Staates darüber, welche Daten er speichert, und auch keine wirksamen Rechtsmittel für Betroffene, wodurch die Verstöße der Regierung gegen das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz weiter andauern.
Der türkische Staat selbst gilt deshalb als der größte Datensammler. Legitimiert wird dieses Verhalten durch das sogenannte Desinformationsgesetz aus dem Jahr 2022. Im Gesetz wird von ausländischen Medien und Social-Media-Plattformen, wie etwa X (ehemals Twitter) und Facebook, verlangt, eigene Niederlassungen in der Türkei mit verantwortlichen Vertreter:innen zu gründen, sowie eine türkische Sendelizenz zu beantragen. Dahinter steht klar die Überlegung, dass die türkische Medienaufsichtsbehörde RTÜK das nationale Gesetz gegenüber ausländischen Medien nur durchsetzen kann, wenn sie über ihre türkischen Vertretungen legalen Zugriff auf diese Firmen erlangt. Somit sollen Betreiber, wenn diese mehr als eine Million tägliche Zugriffe haben, ihre Daten auf Servern der Türkei hosten. Auf diese Weise erhalten türkischen Behörden jederzeit Zugriff zu personenbezogenen Daten der Plattform-Nutzer:innen.
Darüber hinaus ermöglicht das Desinformationsgesetz die Verfolgung von Journalist:innen als auch von einfachen Mediennutzer:innen : diejenigen, die laut Regierung oder Justiz Falschinformationen verbreiten, können nach dem Gesetz nun mit bis zu drei Jahren Haft rechnen.
Um den Zugriff des türkischen Staates auf die personenbezogenen Daten der sozialen Medien im eigenen Land rechtlich abzusichern, wurde ein weiterer Passus in die Gesetzesänderung Nr. 5809 vom Oktober 2022 aufgenommen und die Regierung versicherte, dass die Klausel nur in bestimmten Fällen rechtskräftig wird. Es kam natürlich anders. Aufgrund der großen Interpretationsspielräume erließ der Staat über eine Millionen Strafprozessverfahren aufgrund „Verstößen gegen die Rechtsordnung und ihrer Durchsetzung“ oder wendete auch § 314 des Strafgesetzbuches (Gründung einer bewaffneten Organisation) an. Von dieser Gesetzesänderung sind seit Ende 2022 die Nutzer:innen von Streaming-Diensten und Kommunikationsplattformen wie WhatsApp und Telegram betroffen.
Holdinggesellschaften und ihre Belohnungen
Aber nicht nur die Betreiber und Nutzer:innen von Online-Plattformen sind in ihrer freien Meinungsäußerung von den neuen Gesetzen der Regierung bedroht. Ab 2007 startete gleichzeitig die Vereinnahmung von Zeitungen und TV-Sendungskanälen durch die Regierung bzw. durch deren Angehörige. Zwar gibt es weiterhin noch unabhängige Medienplattformen wie Halk-TV oder TELE1 oder auch Zeitungen wie Sözcü und Cumhuriyet, allerdings gehen Expert:innen davon aus, dass nur rund 5% der Print- und Fernsehrunternehmen unabhängig von der Regierung berichten. Um unliebsame, regierungskritische Gegner loszuwerden, greift die Regierung die Inhaber der kritischen Medienunternehmen oft mit Steuerermittlungen an.
So geriet bspw. 2009 die Dogan Holding ins Visier der staatlichen Ermittler. Dogan Holding, die beim Putsch 1997 das Militär unterstützte, erhielt eine Steuerstrafe von 2,5 Milliarden Dollar, da die ihr zugehörigen Zeitungen Milliyet und Hürriyet über ein deutsches Gerichtsverfahren berichteten, in dem mehrere prominente türkische Bürger:innen mit Verbindungen zur Spitze der AKP beschuldigt wurden, mehrere Millionen Dollar von einer türkischen Wohltätigkeitsorganisation veruntreut zu haben. Aufgrund der gewaltigen Strafe sah sich die Holding gezwungen, der regierungsnahen Demirören Holding Teile ihrer Zeitungen und TV-Kanäle zu verkaufen. Auch die Turkuvaz Media Group verkaufte für über eine Milliarden Dollar Sabah (die auflagenstärkste Zeitung), ATV und A Haber an die Calik-Holding, dessen Besitzer zu dem Zeitpunkt der Schwiegersohn von Erdogan, Berat Albayrak, war.
Zudem profitieren regierungsfreundliche Holdinggruppen von staatlichen Aufträgen. So erhielt die Dogus Holding, die die TV-Kanäle NTV und STAR TV besitzt, im Mai 2013 den Zuschlag des türkischen Staates für den Betrieb des Istanbuler Galataports, einem sehr renommierten Einkaufsviertel, in einer Höhe von 702 Millionen Dollar.
Wenn die Medienfirmen dieser Holdings auf diese Art und Weise abhängig vom Staat sind, kann man sich vorstellen, wie die Berichterstattung gegenüber der Regierung ausfällt. Der Nachrichtenkanal CNN hatte beispielsweise zum Zeitpunkt der Gezi-Park-Proteste 2013 lieber eine Dokumentation über Pinguine ausgestrahlt, wodurch der Pinguin später zum Symbol der Opposition für Zensur in der Türkei wurde.
Durch die Einschränkung der Medienvielfalt und die Kontrolle der Medienplattformen wurde in den letzten Jahren das autokratische Machtsystem Erdogans weiter zementiert. Medien bzw. deren Holdings, die sich regierungstreu verhalten, werden mit staatlichen Aufträgen belohnt, so dass die Medienvielfalt immer weiter zurückgeht. Natürlich prangern Oppositionsparteien und Menschenrechtsaktivist:innen immer wieder die eingeschränkten Menschenrechte in der Türkei an. Auch die Beitrittsverhandlungen mit der EU wurden im Mai 2021 auf Eis gelegt. Aber wohin steuert die Türkei?
Es scheint so, als wäre der eingeschlagene Weg zu einem vollständig autokratischen System in der nächsten Zeit nicht mehr rückgängig zu machen. „Wer die Medien kontrolliert, kontrolliert auch den Verstand“ sagte einst der Doors-Sänger Jim Morrison. Das ist leider in der Türkei so aktuell, wie nie zuvor.
Text: CC-BY-SA 3.0
Bild von Silviu on the street auf Pixabay