Die Verbreitung von falschen Informationen im Internet ist eine mächtige Waffe, um die öffentliche Meinung in eine gewünschte Richtung zu lenken. Fake News werden als Werkzeug benutzt, um politische Interessen durchzusetzen und politische Gegner zu diskreditieren. Verschiedene Studien zeigen, dass besonders Frauen*, die in öffentlichen Berufen tätig sind, Ziel von Desinformationskampagnen, Hassreden oder Belästigung im Internet werden. Dieses Phänomen wird als geschlechtsspezifische Desinformation oder Gender Trolling beschrieben. Ziel ist es, mithilfe von falschen Informationen und Hass-Kommentaren die Glaubwürdigkeit der Frauen* zu schwächen und sie aus dem politischen Diskurs zu drängen.
Folgen von Geschlechtsspezifischer Desinformation
Eine Analyse der Initiative #ShePersisted mit dem Titel „Monetizing Misogyny: Gendered Desinformation and the Undermining of Women’s Rights and Democracy Globally” beleuchtet die Auswirkungen geschlechtsspezifischer Desinformation. Die Analyse zeigt, dass Frauen* in der Politik häufiger von Online-Hass und Desinformationskampagnen betroffen sind als Männer. Zudem sind die Folgen dieser Angriffe für Frauen* verheerender. Die Analyse kommt zu dem Schluss, dass geschlechtsspezifische Desinformation einen Rückschritt für Frauenrechte bedeutet und die Demokratie gefährdet. Diese Form der Desinformation basiert auf misogynen Narrativen und sexistischen Vorurteilen, die männliche Eigenschaften als geeignet für Führungsaufgaben darstellen, während weibliche Führungskräfte als unglaubwürdig, unqualifiziert und unintelligent dargestellt werden. Durch objektivierende und sexualisierte Inhalte wird dieser Effekt noch verstärkt. Oft nutzen Anhänger*innen rechter und rechtsextremer Bewegungen diese Strategie, um auch gegen die Werte zu kämpfen, für die die attackierten Frauen* stehen: Gleichberechtigung, sexuelle und reproduktive Rechte, LGBTQ+ Rechte, liberale Werte und vielfältige Demokratien. Die Analyse von #ShePersisited zeigt zudem, dass geschlechtsspezifische Desinformation auch zu einer Bedrohung für die nationale Sicherheit werden kann, wenn ausländische Akteure sie nutzen, um die Gesellschaft zu spalten.
Beispiele für Desinformations-Kampagnen gegen Politikerinnen oder Journalistinnen gibt es viele. Die Amtszeit von Annalena Baerbock ist geprägt von Desinformationskampagnen, sexualisierten Bedrohungen und Hassnachrichten. So kursierte zum Beispiel ein gefaktes Nacktbild von ihr in den sozialen Medien, das bis heute noch zu finden ist. Vergleichbare Angriffe auf ihre männlichen Kollegen sind hingegen kaum zu finden. Diese ungleiche Behandlung kann ein abschreckendes Signal an junge Frauen* senden, die dadurch möglicherweise von einer politischen Karriere abgehalten werden.
Die meisten Frauen* in der Politik erleben ähnliches. Das zeigt eine Umfrage der Interparlamentarischen Union im Jahr 2018 unter 123 weiblichen Abgeordneten und Mitarbeiterinnen in nationalen Parlamenten der EU. Über die Hälfte der Frauen* (58 %) wird im Laufe ihrer politischen Karriere von sexistischen Angriffen in sozialen Medien bedroht. Fast 47 Prozent wurde schon einmal Vergewaltigung oder andere Gewalt angedroht. Auch eine ARD-Studie von 2019 zeigte, dass 87 Prozent der weiblichen Abgeordneten mit Hatespeech im Netz konfrontiert sind. Die Geschäftsführerin von HateAid, Anna Lena von Hodenberg, sieht darin „den Versuch, Frauen wieder zu einem Rückzug in die private Sphäre zu zwingen”.
Denn Hass im Netz lässt Menschen verstummen. Das zeigt eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) im Jahr. 54 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich in Reaktion auf Hassreden seltener zu ihrer politischen Meinung im Netz bekennen, auch wenn sie noch nie persönlich Ziel von Hass im Netz waren. In einer Umfrage des ARD-Fernsehmagazins report München gaben 11 Prozent der Politiker*innen an, durch die Bedrohung im Netz ans Aufhören zu denken. Das sogenannte „Silencing” gefährdet nicht nur die betroffenen Personen, sondern auch den Meinungspluralismus und letztendlich die demokratische Diskurskultur, wie das IDZ feststellt.
Der Kampf um einen sicheren digitalen Raum für Frauen*
Die Analyse von #ShePersisited kommt auch zu dem Ergebnis, dass digitale Plattformen wie beispielsweise Facebook oder Twitter „beim Schutz von Frauen überwiegend versagt haben”. Algorithmen haben schädliche Narrative gegen Frauen* gefördert und verstärkt, denn Fehlinformationen und sexistische, hasserfüllte Inhalte generieren Engagement. Die Journalistin Swati Chaturvedi, die in der Analyse zitiert wird, betont, dass Hass das Business Modell von Social Media Unternehmen ist: Hass wird genutzt, um Geld zu verdienen, auf Kosten des sozialen Zusammenhaltes und der Demokratie. Um der geschlechtsspezifischen Desinformation entgegenzuwirken, stellt die Initiative zwei zentrale Forderungen auf: erstens die Entwicklung angemessener rechtlicher Rahmenbedingungen und Konzepte, und zweitens eine gezielte, strategische und lösungsorientierte Forschung sowie Programme zu diesem Thema.
Auch Josephine Ballon von HateAid fordert einen „feministischen Reflex“ im Internet. Sie kritisiert, dass Frauenrechte im digitalen Raum zu wenig Aufmerksamkeit erhalten und dass feministische Außenpolitik zu wenige digitale Aspekte berücksichtigt. Ballon betont, dass das Internet und soziale Medien weltweit zum wichtigsten gesellschaftlichen Debattenraum geworden sind, in dem Wahlen entschieden, Informationskriege geführt und soziale Bewegungen geboren werden. Eine feministische Außenpolitik müsse anerkennen, dass Sicherheit im Internet ein Menschenrecht ist und Maßnahmen ergreifen, die besonders Frauen* im digitalen Raum schützen: „Denn ihre digitale Sicherheit wird ein wesentlicher Faktor für ihre gesellschaftliche Teilhabe sein.”
Die Organisation der Vereinten Nationen, UNESCO, warnt ebenfalls vor den Gefahren geschlechtsspezifischer Desinformation und hat einen Maßnahmenkatalog entwickelt. Darin werden Forderungen an Regierungen, soziale Medien und andere digitale Plattformen gestellt, um geschlechtsspezifische Desinformation zu bekämpfen. Dazu gehört beispielsweise die Einführung von Sanktionen gegen diejenigen, die geschlechtsspezifische Desinformation verbreiten. Es wird auch die Notwendigkeit einer speziellen Ausbildung für Strafverfolgungsbehörden, Staatsanwälte und Richter betont, um effektiv gegen diese Art der Desinformation vorgehen zu können. Des Weiteren wird gefordert, dass digitale Plattformen, die die Verbreitung geschlechtsspezifischer Desinformation möglich machen, zur Verantwortung gezogen werden können. Dafür soll die Auswirkung finanzieller Sanktionen gegen diese Plattformen untersucht werden. Sie sollen außerdem zur Transparenz verpflichtet werden, indem sie ihre Algorithmen offenlegen. Zudem soll die Entwicklung algorithmischer Lösungen für geschlechtsspezifische Desinformation vorangetrieben werden. Die UNESCO fordert außerdem eine jährliche Risikobewertung der Auswirkungen auf Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter, um ein umfassenderes Verständnis der Problematik zu erlangen und weitere Maßnahmen entwickeln zu können.
Auch die Bundesregierung beabsichtigt, sich in der Digitalstrategie 2022 mit „neuen Perspektiven und Denkansätzen wie der feministischer Digitalpolitik“ auseinandersetzen. Allerdings fehlen konkrete Pläne zur Umsetzung. Dr. Ellen Ehmke, Senior Expertin im Thema Ungleichheit der Robert Bosch Stiftung, stellt fest: „Das Ziel ist gut, aber die Frage, wie es jetzt umgesetzt wird, bleibt in der Strategie offen.“
Text: CC-BY-SA 3.0
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