Nora Gourmelon promoviert an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Fachbereich Informatik. Sie ist Teil des AI Grids, das talentierte Nachwuchsforscher*innen mit KI-Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt. Kürzlich hat sie den KI-Newcomer*innen Award 2023 im Bereich Natur- und Lebenswissenschaften gewonnen, der im Rahmen des KI-Camps von der Gesellschaft für Informatik an junge Forscher*innen unter 30 Jahren für innovative Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz verliehen wird.
Am Lehrstuhl für Mustererkennung forscht die FAU-Doktorandin an „grüner KI“ und analysiert mithilfe bestimmter Algorithmen schmelzende Gletscher. Die Auszeichnung trägt dazu bei, dass sie sich auch als Informatikern für Biodiversität und Klimaschutz engagieren kann.
Im Interview mit politik-digital spricht die junge Forscherin über ihre Arbeit mit KI und dessen Rolle im Bereich der Forschung.
Westerhoff: Frau Gourmelon, ihren Arbeitsschwerpunkt beschreiben sie so: „Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Gletscher, einer riesigen Masse aus blauem Eis, die sich kilometerweit hinzieht. Mit meiner Forschung leiste ich einen kleinen Beitrag dazu, solche Wunder der Natur zu schützen.“ Können Sie uns ihre Arbeit noch einmal genauer erklären?
Gourmelon: In meiner Doktorarbeit analysiere ich schmelzende Gletscher. Satellitenbilder zeigen, an welcher Stelle das Eis abbricht und im Ozean landet. Bislang mussten Wissenschaftler diese Fotos von Hand auswerten. Mithilfe von KI können wir automatisiert viel mehr Bilder in viel kürzerer Zeit auswerten. Da uns so wesentlich mehr Daten zur Verfügung stehen, können wir erfassen, wie sich die Gletscherfront im Lauf der Jahre verändert. Mit diesen Informationen können Klimamodelle genauere Aussagen über unser zukünftiges Klima treffen. Auf solchen Daten beruht auch der Bericht des Weltklimarats.
Westerhoff: Ausgezeichnet wurden Sie insbesondere aufgrund des innovativen und interdisziplinären Ansatzes ihrer Forschung. Was ist so neu und innovativ? Und welche Rolle spielt KI dabei?
Gourmelon: Um die Grenze zwischen Gletscher und Ozean zu identifizieren, passe ich herkömmliche KI-Modelle an die Besonderheiten von Radar-Satellitenbildern von Gletschern an. Dafür haben meine Forschungsgruppe und ich einen Datensatz erstellt und veröffentlicht. Zusammen mit meinen KI-Modellen lassen sich so zukünftige Studien zu KI-Modellen in diesem Forschungsbereich vergleichen und reproduzieren.
Westerhoff: Immer mehr KI-Experten, darunter auch ein ehemaliger Top-Entwickler von Google, warnen nun vor den Gefahren der KI. Wie sehen Sie das auf ihren Bereich der Forschung bezogen?
Gourmelon: In meinem Forschungsbereich bewerte ich KI als vollkommen unkritisch. Wir automatisieren Prozesse, die bisher mühsam quasi „von Hand“ erledigt wurden. Durch unsere digitalen Methoden lässt sich die Klima-Forschung viel schneller vorantreiben.
Westerhoff: Öffentlich werden auch Forderungen nach stärkeren Regulierungen und Maßnahmen lauter. Ausschüsse des EU-Parlaments verabschiedeten erste Entwürfe für ein weltweites KI-Gesetz. Was glauben Sie, sind solche Maßnahmen auch für die Forschung sinnvoll?
Gourmelon: Das kommt auf den Bereich der Forschung an. Meine Forschung fällt beispielsweise laut dem Entwurf für das weltweite KI-Gesetz unter die risikofreie Kategorie. Diese umfasst KI-Systeme, die keine Sicherheitskomponente eines Produkts darstellen, kein Risiko für die Gesundheit und Sicherheit bergen sowie keine Grundrechte beeinträchtigen können. Diese Kategorie soll laut des Entwurfs keinerlei obligatorischen Regulierungen unterliegen.
Westerhoff: Was glauben Sie, wie sich KI in der Forschung, aber auch in der Gesellschaft entwickeln wird? Würden Sie einen Ausblick wagen?
Gourmelon: Momentan fokussiert sich die Forschung stark darauf, große, breitgefächerte Modelle wie ChatGPT zu entwickeln. Ich vermute deshalb, dass diese Modelle künftig auf kleinere Gebiete maßgeschneidert werden, um ihre Genauigkeit zu optimieren.
Meiner Einschätzung nach wird KI in der Zukunft noch stärker in unser tägliches Leben integriert sein. Die Qualität von Produkten wird sicher optimiert und es wird Fortschritte bei zum Beispiel der Verkehrsplanung geben.
Foto: Unsplash von Cassie Matias.
Text: CC-BY-SA 3.0