Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen steht. Der Titel “Mehr Fortschritt wagen” klingt erst einmal vielversprechend – doch wie viel digitalen Fortschritt plant die neue Regierung wirklich und wie sieht es mit der realpolitischen Umsetzbarkeit aus?
Wir werfen einen Blick auf die digitalen Vorhaben der neuen Regierung in vier Kategorien: Verwaltung, Infrastruktur, Bildung und E-Government. Gemeinsam mit Expert*innen bewerten wir die Zielsetzung und den Umsetzungsrahmen der Strategien für die beginnende 20. Legislaturperiode.
Überblick Koalitionsvertrag
Deutlich ist: Digitalisierung rückt im neuen Koalitionsvertag so stark in den Mittelpunkt wie nie zuvor. In fast allen thematisierten Bereichen spielt das Digitale mehr oder weniger eine Rolle. Zahlreiche Beschleunigungen, Reformen und Gesetze sollen auf den Weg gebracht werden – dafür werden Kompetenzen gebündelt und mehr Geld investiert. Als einige positive und konkrete Beispiele sind die Verwaltungsdigitalisierung mit dem Vorhaben Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen zu nennen oder auch die schnellere Umsetzung des Digitalpakt Schule, damit die geplanten Gelder ankommen, aber auch Infrastrukturprojekte wie der Glasfaserausbau nehmen eine zentrale Rolle in dem Vertrag ein.
Dennoch sind einige Vorhaben noch relativ unkonkret formuliert, wie z.B. die Frage wie hoch ein “zusätzliches Digitalbudget” ausfallen könnte und wer über die Mittelverteilung entscheiden wird. Denn ein von vielen Seiten gefordertes Digitalministerium wird es vorerst nicht geben und auch der bisherige Posten von Dorothee Bär (CSU) als Staatsministerin für Digitalisierung wurde gestrichen – diese Zuständigkeit wird der neue Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) übernehmen müssen.
Ministerium für Digitales und Verkehr
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wurde mit Beginn der neuen Regierung umbenannt in “Ministerium für Digitales und Verkehr” (BMDV). Das Verkehrsressort soll zur wichtigsten Adresse fürs Digitale werden, dazu soll es auch ein Budget bekommen, dass über alle Ministerien koordiniert werden darf.
Neben der Namensänderung verändert sich auch einiges strukturell: Die bisherige Abteilung für Digitalpolitik des Wirtschaftsministeriums wechselt zu zwei Dritteln in das BMDV. Trotzdem bleiben die meisten Referate und der Großteil des Personals im Wirtschaftsministerium. Das bedeutet, dass weniger als die Hälfte der Mitarbeiter*innen das Haus wechseln. Das Ministerium unter Wissing ist zukünftig auch für Telekommunikation, sowie die Fach- und Rechtsaufsicht über die Bundesnetzagentur zuständig.
Aber weitere Digitalkompetenz bekommt der FDP-Minister erst einmal nicht. Die Position des Bundes-CIO (Beauftragte*r der Bundesregierung für Informationstechnik) hat die neue Innenministerin Nancy Faeser (SPD) inne und muss sich in punkto Digitalisierung maßgeblich um die Erneuerung der Verwaltung kümmern. Das Bildungsministerium bleibt für den Digitalpakt der Schulen zuständig. Beim Thema KI ist das Wirtschaftsministerium der Ansprechpartner.
Die Vorhaben der Ampel-Regierung
1) Thema: Bildung
Gemeinsam mit Dejan Mihajlović (Lehrer, Vorstand bei D64, Referent Demokratiebildung) haben wir über den neuen Koalitionsvertrag in Punkto Bildungsdigitalisierung gesprochen und über das, was die neue Regierung seiner Meinung nach angehen sollte (weitere Interviews mit Expert*innen zu den geplanten Vorhaben werden folgen).
“Grundsätzlich sehe ich einige positive Ansätze im Koalitionsvertrag wie z.B. die Investition in sozial benachteiligte Schulen und habe das Gefühl, dass in die einzelnen Bubbles hineingehört wurde und so an vielen Stellen die richtigen Dinge erkannt wurden – dennoch habe ich sehr viel Skepsis gegenüber dem Koalitionsvertrag”.
Mihajlović hebt hervor, dass insbesondere Transformationsprozesse wie im Bildungsbereich mehr als eine Legislaturperiode benötigen. Er hat nicht das Gefühl, dass sich gefragt wurde, wohin Deutschlands Bildungsweg überhaupt gehen soll und was wirklich gewollt wird,
“sondern die politischen Vorhaben lediglich Reaktion auf Probleme sind, die kurzfristig gesehen werden. Das heißt es ist kein Gestalten, keine Vision sichtbar”.
Ein Projekt der Ampel-Koalition betrifft u.a. den Digitalpakt. Dieser soll beschleunigt und entbürokratisiert werden, damit geplante Mittel bei den Schulen künftig schneller ankommen. Für Mihajlović fehlt das Konzept und die Nachhaltigkeit dahinter. Der Ausbau von finanziellen Mitteln ist gut, jedoch ist zur Verfügung gestelltes Geld nicht die Lösung des Problems.
“Konkret bedeutet das, dass auf schulinterner und kommunaler Ebene Prozesse unterstützt werden müssen und dort investiert werden muss. Die Autarkien der Schulen müssen ausgebaut werden und eigne Pläne entwickelt. Investition bedeutet nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch Schaffung von personellen Ressourcen und insbesondere Zeit für Schulentwicklung muss an der täglichen Tagesordnung stehen”.
Schulen haben seiner Meinung nach zu wenig Spielraum und eine Verbindung aus den verschiedenen Ebenen ist notwendig, um einen Transformationsprozess voranzubringen.
Im Folgenden zusammengefasst die wichtigsten Vorhaben im Koalitionsvertrag zu den einzelnen Bereichen:
Vorhaben | Ziel | Umsetzung |
Förderung Rahmenbedingungen Hochschulen | Starke Wissenschaft und Forschung | Bildungsförderung |
Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken | Rahmenbedingungen für Hochschulen und Wissenschaft stärken | Bundesprogramm „Digitale Hochschule“ sollen breitere Konzepte für den Ausbau innovativer Lehre, Qualifizierungsmaßnahmen, digitale Infrastrukturen und Cybersicherheit gefördert werden |
Digitalpakt Schule | Länder und Kommunen bei Digitalisierung des Bildungswesens unterstützen | Mittelabruf beschleunigen, entbürokratisieren, Digitalpakt 2.0 auf den Weg bringen, digitale Lern- und Lehrmittelausbau |
Aus- und Weiterbildung in Gesundheit und Pflege | Digitale Kompetenzen in Ausbildung der Gesundheits- und Pflegeberufe | Bereits während Ausbildungszeit Digitalkompetenzen fördern |
Ausbau Medienkompetenz Kinder | Medienkompetenz bereits ab Kindesalter | Digitale Ausstattung in frühkindlicher Bildung |
Digitales Kinderchancenportal | Portal mit Leistungen für Bildung und Teilhabe ins. für Kinder
|
Einkommensbegriff bis Mitte 2023 angleichen, Portal aufbauen mit BMBF |
2) Thema: Verwaltung (interne Verwaltungsdigitalisierung/ Behörden)
Vorhaben | Ziel | Umsetzung |
Agile und digitale Verwaltung | Problemlösungsorientierter, Denken aus Nutzungsperspektive | Ressort- und behördenübergreifende agile
Projektteams und Innovationseinheiten mit konkreten Kompetenzen ausstatten |
Einstellungsvoraussetzungen flexibilisieren | Mehr Fokus auf praktische Berufserfahrung | Digitalisierung als Kernbestandteil der Ausbildung für Arbeit in Behörden |
Digitale Arbeitsbedingungen schaffen | Förderung Personalaustausch | Einstellungsvoraussetzungen flexibilisieren in Richtung praktischer
Berufserfahrungen und stärken das Instrument des Altersgeldes. Die Digitalisierung wird zu einem allgemeinen und behördenübergreifenden Kernbestandteil der Ausbildung |
Weiterentwicklung OZG | Zeitgemäße und handhabbare Verwaltung | Folgefinanzierung, Standardisierung, EfA-Umsetzung, Stärkung FITKO |
Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren | Effizienteres und digitalisiertes Arbeiten in und mit Behörden | Behörden mit notwendiger Technik ausstatten, IT-Schnittstellen zwischen Bund und Ländern
standardisieren und das digitale Portal für Umweltdaten öffentlich nutzbar machen |
Qualität der Gesetzgebung verbessern/ Digitalcheck | Vorab-Prüfung von Gesetzen und dessen Möglichkeit der digitalen Ausführung | Zentrum für Logistik errichten, digitales Gesetzgebungsportal einrichten |
3) Thema: Infrastruktur (Technologiestandort Deutschland)
Vorhaben | Ziel | Umsetzung |
Ausbau Infrastruktur | Planungs- und
Genehmigungsverfahren modernisieren, entbürokratisieren und digitalisieren sowie die Personalkapazitäten verbessern |
Bürger*innen einbinden, Planung soll schneller und effektiver passieren |
Glasfaserausbau | flächendeckende Versorgung mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard bis 2025 | Tempo beim Infrastrukturausbau durch schlanke digitale Antrags- und
Genehmigungsverfahren, Normierung alternativer Verlegetechniken, Aufbau eines bundesweiten Gigabit-Grundbuchs |
Digitale Wirtschaft | Digital Markets Act (DMA) | Förderung digitale Start-Ups, Bundeskartellamt stärken, Zukunftsfonds einrichten, KMUs stärken… |
Zusätzliches Digitalbudget | Gesamten Digitalisierungsprozess durch mehr Budget schneller umsetzen können | ? |
Sichern der digitalen Souveränität | digitalen Souveränität
|
u.a. Recht auf Interoperabilität und Portabilität sowie
das Setzen auf offene Standards, Open Source und europäische Ökosysteme, etwa bei 5G oder KI |
Verbesserte Nutzung Daten und Datenrecht | Datenzugang verbessern | Aufbau eines Dateninstituts |
Technologiestandort Deutschland | Digitale Schlüsseltechnologien ausbauen | Investition in KI, DLT, Stärkung IPCEIs usw. |
4) Thema: E-Government (extern/ Bürger*innen)
Vorhaben | Ziel | Umsetzung |
Moderner Staat | Vorausschauendes arbeiten für Bürger*innen | Staatliches Handeln soll schneller und effektiver werden, wirtschaftliche wie
gesellschaftliche Innovationsprozesse befördern und einbinden |
Bürger*innen stärker einbinden | Neue Formen des Bürgerdialogs einführen, z.B. Bürger*innenräte | Petitionsverfahren digitalisieren |
Parteiengesetz reformieren | Parteiengesetz reformieren
|
digitale Beschlussfassungen und im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen digitale Wahlen ermöglichen |
Photo by Scott Graham on Unsplash
Text: CC-BY-SA 3.0