Das überlastete Faxgerät in den Gesundheitsämtern während der Corona-Pandemie ist zum Symbolbild für die Missstände bei der Digitalisierung der deutschen Verwaltung geworden. Laut dem DESI-Report der EU-Kommission von 2020 belegt Deutschland Platz 20 von 27 im Bereich digitaler öffentlicher Dienste.
Wir werfen einen Blick auf die Top drei Kernprobleme, die dringend von der neuen Bundesregierung in der 20. Legislaturperiode angegangen werden müssen.
Wie steht Deutschland da?
Die Ansprüche der Bürger*innen an einen digitalisierten Staat haben sich insbesondere durch die Pandemie noch einmal verstärkt. Das alltägliche Selbstverständnis auch Verwaltungsleistungen wie z.B. die Beantragung von Kindergeld digital in Anspruch nehmen zu können erhöht sich zunehmend. Allerdings fehlen hierfür Digitalisierungsstrukturen wie diverse Studien der letzten Zeit deutlich machen.
Laut einer aktuellen Untersuchung des European Center for Digitial Competiviveness (ECDC) verlor Deutschland im vergangenen Jahr weiter an digitaler Wettbewerbsfähigkeit und landet im Ranking auf dem vorletzten Platz. Der Studienleiter des Berichts spricht sogar von einer digitalen Rückentwicklung Deutschlands.
Das Problem an dieser Entwicklung ist, dass die Bürger*innen bald dem Staat vielleicht nicht mehr zutrauen Leistungsfähigkeit in der Digitalisierung zu zeigen und diese auszubauen. E-Government ist auf die Akzeptanz ihrer Bürger*innen angewiesen, doch wenn digitale Infrastrukturprojekte wie beispielsweise die Behördennummer 115 initiiert werden, diese aber nicht genutzt oder gar bekannt sind – konnten offensichtliche Ziele und Anstrengungen seitens der Regierung nicht erreicht werden. Grundlegende Probleme wie zu langsamer Breitbandausbau kommen noch dazu.
Doch was sind die Kernprobleme der Verwaltungsdigitalisierung?
1. Zentralismus vs. Föderalismus
Die Pandemie hat für einen stärkeren Blick auf digitale Verwaltung gesorgt. Aber auch schon vor Corona war klar, dass Deutschland hinter anderen Staaten hinterherhinkt. Allerdings ist die Verfügbarkeit von digitalen Angeboten in Behörden eine Voraussetzung für eine funktionierende Verwaltung. Länder, in denen die Digitalisierung zentralstaatlicher organisiert ist, sind oft erfolgreicher unterwegs als föderale Systeme, zumindest wenn man auf die EU blickt. E-Government setzen beispielsweise Estland, Malta oder Österreich erfolgreich um.
Estlands Verwaltung war relativ kleinteilig gegliedert, bis es 2017 zu einer Reformierung der Gebietskörperschafen kam. Aus 213 wurden 79 selbstverwaltete Gemeinden, davon 15 Städte und 64 ländliche Gemeinden. Diese Gemeinden tauschen sich stetig untereinander aus und sind trotz dessen autonom tätig. Außerdem verfügen Staatsbeamte über ein eigenes Internetportal, über das sie vernetzt sind, für den Kommunalbereich soll bald eines eingeführt werden. Und auch Grundvoraussetzungen wie eine Breitbandabdeckung von 95 Prozent der Haushalte sind in Estland gegeben. Der Staat finanzierte mit Unterstützung der EU kostenlose Internetschulungen und kann so seit 2015 die flächendeckenden Internetzugänge gewährleisten.
Wichtig ist auch das digitale Mindset der Esten. Sie vertrauen e-Lösungen, was die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zusätzlich begünstigt. Die Nutzung der elektronischen Verwaltung ist also vorrangig. Bürger*innen haben Zugang über ein zentrales Staatsportal. Dort können alle fast alle administrativen Vorgänge erledigt werden und mit einer offiziellen E-Mail-Adresse, kann jede*r auch mit der Verwaltung kommunizieren.
Ganz anders in Deutschland: Hier wird die Verantwortung auf verschiedene Ebenen delegiert, sodass sich Arbeitsprozesse verlangsamen. Föderalismus ist eine Bremse. Im neusten E-Government Monitor 2021 der Initiative D21 wird als ein zentrales Ergebnis hervorgehoben, dass es z.T. deutliche Unterschiede in den digitalen Verwaltungsleistungen zwischen den Bundesländern gibt, insbesondere zwischen Stadtstaaten und Flächenländern.
Ein Beispiel für die Föderalismusproblematik auf Verwaltungsebene ist das Onlinezugangsgesetz (OZG) und dessen Umsetzung. Das Gesetz verpflichtet Bund, Länder und Kommunen bis spätestens Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Der Aufbau eines Bundesportals inklusive Nutzerkonto ist vorgesehen, sowie die Verknüpfung von Verwaltungsportalen von Bund und Ländern in einen einheitlichen Portalverbund.
In der Praxis bedeutet das: Über 6.000 Verwaltungsleistungen auf allen Ebenen werden in 575 OZG-Leistungsbündel zusammengefasst und müssen digitalisiert werden. Die Herausforderung der Umsetzung liegt in den geteilten Zuständigkeiten von Bund und Ländern. Von den 575 Leistungen, fallen lediglich 115 in die alleinige Verantwortung des Bundes, für die die zuständigen Ressorts Verantwortung tragen. Hingegen ganze 370 Leistungen zwar durch den Bund gesetzlich geregelt sind, aber von den Ländern vollzogen werden müssen. Weitere 90 Leistungen fallen auf die Kommunen.
Das zeigt, dass vor allem Länder und Kommunen die größte Last in der Umsetzung tragen müssen. Zu Beginn des Jahres wurde ein Dachabkommen unterzeichnet, um die Länder mit weiteren 1,4 Mrd. EU finanziell bei der Umsetzung zu unterstützen. Jedoch muss jedes Land Lizenzen erwerben, um Schnittstellen bereitzustellen und auch Betriebs- und Weiterentwicklungskosten werden entstehen. Daraus können nicht abzuschätzende Folgekosten entstehen.
Darüber hinaus sind alle Maßnahmen an das „Einer für Alle“-Prinzip gebunden. Das bedeutet, dass ein oder mehrere Länder eine Leistung zentral entwickeln und anderen zur Verfügung stellen und lokal anpassen. Doch auch hier liegt wieder ein Problem, denn wenn es nur zu geringfügigen lokalen Anpassungen kommen soll, müssen auch die Verwaltungsvorschriften entsprechend angepasst werden.
2. Politisches Commitment und Vision notwendig
Aus der Föderalismuskritik ergibt sich ein zentrales und übergeordnetes Problem: in Bund, Ländern und Kommunen muss insgesamt eine einheitliche Strategie entwickelt werden, um die Verwaltungsdigitalisierung voranzubringen. Der IT-Planungsrat, der sich die Gestaltung der digitalen Verwaltung auf die Fahne geschrieben hat, hat beispielsweise kein konkretes Konzept für eine strategische Umsetzung in den nächsten 5-10 Jahren, erklärt Dr. Ludewig. Die politischen Verantwortlichen müssen hier anknüpfen und müssen bereit sein eine Strategie und einen konkreten Umsetzungsplan zu entwickeln.
Erste Anreize scheint die neue Ampel- Regierung umsetzen zu wollen, wie das präsentierte Sondierungspapier zeigt: die Verwaltungsverfahren sollen sich in ihrer Entscheidungsdauer halbieren und die Leistungsfähigkeit des föderalistischen Systems soll durch eine zielgenauere und verbindliche Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen erhöht werden. Wie genau das umgesetzt werden soll, wird aus dem Papier nicht deutlich.
3. Kapazität und Kompetenz von Personal
„Verwaltungsdigitalisierung ist weit mehr als eine App einzuführen“, betont Sabine Smentek (Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik (CIO Berlin) auf dem Zukunftskongress von Wegweiser.
Um eine erfolgreiche Digitalisierung innerhalb der Verwaltung durchzuführen sind sowohl komplexe technische als auch organisatorische Veränderungen notwendig. Und deshalb ist es wichtig, sich auf die Menschen zu fokussieren, die diese Prozesse steuern und mit den neuen digitalen Instrumenten umgehen müssen. Dieses Bild zeichnet auch die Studie des Centre for Digital Governance: die befragten Behörden sehen den größten Handlungsbedarf in den kommenden 5 Jahren in den verwaltungsinternen Maßnahmen der Digitalisierung, wie z.B. e-Akte (48,1%) und einer demografieorientierten Personalpolitik (33,8%).
Wie kann die Steigerung der digitalen Kompetenz des Personals nun aussehen? Grundsätzlich ist es wichtig, dass ein Verständnis für die digitalen Prozesse vorherrscht, um die Arbeit optimieren zu können. Das beginnt bereits im Gesetzgebungsprozess und inner-parlamentarischen Verständnis für Möglichkeiten und Durchführbarkeit von Maßnahmen. Insbesondere sind aber Angebote und Schulungen notwendig, die den Mitarbeiter*innen der Behörden unterstützt und an die Hand nimmt. Auch das Verstehen von Fachbegriffen wie z.B. KI oder IoT gehören zum neuen Behördendeutsch dazu.
Die Grundlage der digitalen Kompetenz ist die Veränderungsbereitschaft der Menschen und ihnen potenzielle Sorgen zu nehmen. Deshalb zählt gute Kommunikation sowohl intern als auch extern.
Fazit: Die To-Do Liste ist lang
Die Digitalisierung ist wohl eine der bedeutendsten Herausforderungen für unsere Verwaltung und klar ist auch, dass das Problem- und Aufgabenportfolio groß ist. Corona hat zunehmend Druck auf Politik und Verwaltung aufgebaut, sodass eine Verwaltungstransformation jetzt dringend passieren muss. Benötigt wird eine klare politische Agenda, die es schafft, Kompetenzen aufzubauen, rechtliche Rahmenbedingungen und Anreize für neues und altes Personal zu setzen.
Während der Recherche zu diesem Artikel ist die Vielschichtigkeit der Thematik sehr schnell deutlich geworden und auch, dass die Bundesregierung bereits einige Gesetze auf den Weg gebracht hat und es eine Reihe von Projekten und Ansätzen gibt, wie z.B. das Normen-Screening-Plus, die FITKO oder der Ausbau eines behördenübergreifenden Portalverbunds.
Wichtig ist es schlussendlich nicht nach zu vielen Lösungen zu suchen, sondern sich zu fokussieren, um der Verwaltungsdigitalisierung kein Tempolimit zu verpassen.
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Text: CC-BY-SA 3.0