Online-Plattformen spielen in den vergangenen Jahren eine immer wichtigere Rolle dafür, welche Medieninhalte Bürger*innen angezeigt werden und letztendlich dadurch auch, welche Inhalte konsumiert werden. Doch was bedeutet die neue Rolle dieser Gatekeeper für die Verbreitung von Informationen, für die Medien als Institution und letztlich für unsere Demokratie?
Der erste Text dieser Reihe widmete sich dem Wechselverhältnis vom politischen zum Medienakteur. Der darauf folgende Text thematisierte die politische Kommunikation in der Mediendemokratie und wie sich diese durch das Internet und durch Soziale Netzwerke verändert. Der dritte Text ging der Frage nach, inwiefern dadurch klassische Öffentlichkeitsverständnisse noch angebracht sind. In diesem Text geht es nun um neue Formen der Gatekeeper.
Eine Funktion vom Journalismus ist es, Informationen aufzunehmen, zu selektieren, einzuordnen und weiter zu verbreiten. Vereinfacht ausgedrückt: Was in den Nachrichten gezeigt oder in der Zeitung abgedruckt wird, entscheiden die Medienvertreter*innen. Sie bestimmen über die Reichweite einer Nachricht.
Mit dem Aufkommen der neuen Medien kann nun eine direkte Interaktion des politischen Akteurs mit Nutzer*innen eingegangen werden. Mit dem eigenen YouTube Kanal oder dem Twitter Profil können eigene Botschaften verbreitet werden und die Rezipient*innen können auf diese direkt reagieren. Die Einbahnstraßen Kommunikation vom politischen Akteur über die Medienakteure hin zur Öffentlichkeit(en) ist nicht mehr der einzige Weg der Informationsverbreitung.
Jedoch ist mit der direkten Interaktion noch keine Reichweite gegeben. Um diese zu erhalten, müssen Nachrichten, Botschaften und Narrative einen gewissen Mehrwert für die Rezipient*innen enthalten. An dieser Stelle greifen neue Logiken. Anders, als bei der klassischen Informationsverbreitung, in der die Rezipient*innen die Informationen quasi passiv erreichen, müssen Sie in den Social Media-Weiten aktiv die Informationen und Informationsquellen suchen und sich eine Gruppe an “Zulieferern” (gefolgten Seiten, abonnierte Kanäle, etc.) selbst zusammenbauen. Proaktives Handeln ist Voraussetzung.
Dennoch erreichen auch im Digitalen Beiträge die Rezipient*innen, ohne das diese bewusst aktiv werden müssen. Beispielsweise erscheinen auf der Timeline auf Facebook Nachrichtenbeiträge von gefolgten Fanpages, auf Twitter lassen sich unter Hashtags Beiträge aus Medien entdecken, die man selbst nicht aufgesucht hätte und auf YouTube wird einem am Ende eines Videos bereits das nächste vorgeschlagen. Verantwortlich hierfür sind die den Portalen zugrundeliegende Algorithmen.
Wie die Nutzer*innen Informationen und Inhalte präsentiert bekommen, was sie oder er sieht und was nicht, in welcher Reihenfolge etwas gezeigt wird und in welchen Kontext dies gebracht wird – all dies „entscheiden“ Algorithmen. Sie berechnen eine mögliche Relevanz von Inhalten und bestimmen anhand individueller Eigenschaften der Nutzer*innen, was ihnen angezeigt oder vorgeschlagen wird. Algorithmen sind eine neue Form der Gatekeeper.
Klassischerweise entscheiden Medienvertreter*innen anhand gewisser Kriterien über die Verbreitung und Einordnung von Inhalten. Ähnlich verhält es sich mit den Algorithmen. Auch diese “entscheiden” anhand von nicht-öffentlich einsehbaren Kriterien über Reichweite und Aufmerksamkeit. Diese Entscheidungen werden anhand nüchterner Berechnungen getroffen, können aber oftmals auch durch Targeting beeinflusst werden.
Problematisch daran ist, dass Algorithmen auch immer einer Filterfunktion gleichkommen, sie die Meinungsbildungsprozesse so beeinflussen und dass es große Konzerne wie beispielsweise Facebook oder Google sind, die diese Algorithmen entwickeln und kontrollieren. Als gewinnorientierte Unternehmen sind sie den Eigentümer*innen bzw. den Aktionär*innen verpflichtet. Diese verfolgen andere Interessen als vermeintlich „öffentliche“ Interessen. Jederzeit können auch die Eigentümer*innen der Plattformen wechseln oder sich die Nutzungsbedingungen ändern. Es besteht das Risiko, das dann auch die Algorithmen geändert werden. Dies relativiert sich aber wiederum dadurch, dass auch die meisten Medienbetriebe gewinnorientierte Unternehmen sind.
Zusammenfassend bedeutet dies, dass neben den Medienakteuren als klassische Gatekeeper mit
den Algorithmen eine neue Form der Gatekeeper in Erscheinung getreten sind. So entscheiden nun auch neue Logiken über Reichweite und Aufmerksamkeit. Zudem war es nie so einfach mit politischen Akteuren in direkte Interaktion zu treten und die Gatekeeper zu umgehen. Die Möglichkeiten, wie uns Inhalte und Beiträge erreichen sind in den vergangenen Jahren deutlich vielfältiger geworden.
Was bedeutet dies nun für die Gesellschaft? Einerseits ist zu begrüßen, dass die politische Partizipation auch ressourcenschwache Akteure gefördert wird, solange diese in ihrer Außenkommunikation die Logiken der Algorithmen berücksichtigen – vorausgesetzt diese Logiken sind in Ansätzen bekannt. So können eigene Netzwerköffentlichkeiten gebildet werden. Andererseits sind so auch Radikalisierungsprozesse möglich. Die aus den USA mittlerweile auch in
Deutschland angekommene verschwörungsidologische QAnon Bewegung ist ein warnendes Beispiel. Die Attentäter von Halle und Hanau können der Bewegung zugerechnet werden.
Auch hier zeigt sich, muss die Gesellschaft Lernprozesse durchmachen. In einer hoch durch Medien geprägten Gesellschaft ist Medienkompetenz eine nicht zu vernachlässigende Tugend. Das Internet im Allgemeinen und Soziale Netzwerke im Besonderen ändern demokratische und partizipative Spielregeln – und das nicht nur im positiven. Am Ende hängt es jedoch davon ab, wie und von wem diese neuen Kommunikations- und Austauschkanäle genutzt werden.
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Text: CC-BY-SA 3.0