Am Freitag, den 10. Februar, war Patrick
Leclercq zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation
mit politik-digital.de.
Der Nahost-Korrespondent der ARD
in Kairo beantwortete den Chat-Teilnehmern Fragen zu den ägyptischen
Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen, er sprach über die
Strategie des iranischen Präsidenten und das alltägliche
Miteinander von Christen und Moslems.

Moderator:
Herzlich willkommen aus dem ARD-Hauptstadtstudio zum tagesschau-Chat.
Unser heutiger Chat-Gast ist uns aus Kairo zugeschaltet. Ich begrüße
ganz herzlich Patrick Leclercq, den Nahost-Korrespondenten der ARD.
Thematisch soll sich in der kommenden Stunde alles um den Karikaturen-Streit
und dessen Auswirkung auf die Weltpolitik drehen.

glaeubiger: Hallo Herr Leclercq, diese Woche sind
"Spiegel" und "Focus" in Ägypten verboten
worden, wegen des Titelthemas Karikaturen-Streit. Wie schätzen
Sie diese Maßnahme der ägyptischen Regierung ein?

Patrick Leclercq: Das ist eine vorübergehende
Maßnahme. Sie wurde ergriffen, um den Fundamentalisten keine
zusätzliche Munition zu liefern.

costello: Wie hat sich die Lage in den
vergangenen Tagen verändert? Eher Beruhigung oder eher zunehmende
Eskalation? Oder beides?

Patrick Leclercq: Nach meiner Beobachtung
hat sich die Lage beruhigt, und das wird sich auch die nächsten
Tage so fortsetzen.

dann: Herr Leclercq, wie stark sind die
Ressentiments der Bevölkerung in Wirklichkeit? Stichwort Medienwirkung.

Patrick Leclercq: Die Moslems sind tatsächlich
schwer getroffen. Die bildhafte Darstellung des Propheten ist ein
klarer Verstoß gegen alle Regeln. Das versteht der kleine
Mann auf der Straße nicht.

huslah: Was denken Sie über die Karikaturen
des Propheten. Dürfte ich Ihre Meinung hören?

Patrick Leclercq: Man sollte sie ganz
einfach weglassen. Das erfordert der Respekt vor der anderen Religion.

kirchenaustreter: Wieso rasten die Menschen immer
gleich so aus? Hier in Europa dauert es z.B. ziemlich lange, bis
mal demonstriert wird.

Patrick Leclercq: Ich glaube, dass ein
großer Teil der weltweiten Demonstrationen von halbstaatlichen
Stellen organisiert wurde.

Burgund: Wenn man die Berichte über die Proteste
aufmerksam verfolgt, kommt man zu dem Schluss, dass wohl viele der
Protestierenden zusätzlich aufgestachelt werden. Wer schürt
diese Proteste? Mit welchem Ziel? Wird hier eine "Strategie
der Spannung" verfolgt?

Patrick Leclercq: Die Proteste werden
von Fundamentalisten in allen islamischen Ländern genutzt,
um ihre Ziele, nämlich rein religiös ausgerichtete Staaten,
weiter zu forcieren. Die Provokation war also ein willkommener Anlass.

Firework: Herr Leclercq, herrscht denn auch derzeit
keine Vergebungsbereitschaft bei den Moslems? Ich muss auch dazu
sagen, dass ich so manch einen Moslem verstehen kann: Über
heilige Dinge macht man keine Witze oder Karikaturen.

Patrick Leclercq: Es gibt DIE Moslems
genauso wenig wie DIE Christen oder DIE Hindus. Ein großer
Teil der Muslime ist friedlich gestimmt und man sollte sich nicht
von den Demonstranten irritieren lassen.

Dino: Für wie groß halten
sie den Einfluss von Mahmud Ahmadinedschad im Nahen Osten? Speziell
bezogen auf die Fragestellung, wie sehr er die aufgeheizte momentane
Stimmung durch den Karikaturenstreit für seine Ziele nutzen
kann.

Patrick Leclercq: Sein Einfluss steigt
täglich, weil er als geschickter Propagandist die Defizite
des Westens zu nutzen weiß, z.B. was die Palästinafrage
angeht.

costello: Gibt es auch kritische, reflektierte
Stimmen in den Medien der so genannten arabischen Welt? Wenn ja
– aus welchem Spektrum und mit welchem Inhalt?

Patrick Leclercq: Die gibt es natürlich
in den Reihen der Intellektuellen, Künstler, bis hinein in
die hohe arabische Geistlichkeit.

yavuzph: Herr Leclercq, haben die Pressemitteilungen
der islamischen Verbände in Europa und auch aus Deutschland
Auswirkungen auf die Muslime in den betroffenen Ländern? Oder
werden diese überhaupt nicht wahrgenommen?

Patrick Leclercq: In den überregionalen
Zeitungen und auch in den Medien, die überregional und international
arbeiten, finden solche Stimmen selbstverständlich Beachtung.
Auch die Vielzahl an arabischen Nachrichtenkanälen reflektiert
durchaus solche Stellungnahmen.

Moderator: Aber bekommen die einfachen
Demonstranten auf der Straße diese Stimmen überhaupt
mit?

Patrick Leclercq: Die Demonstranten auf
der Straße sind in der Regel sicher nicht an versöhnlichen
Tönen interessiert, sondern wollen erst mal ihren Unmut und
ihre Wut zum Ausdruck bringen. Sie sind aber nur ein kleiner Teil
der arabischen Welt.

randolph: Wieso regen die Muslime sich eigentlich
nicht so auf, wenn im Namen ihres Glaubens Unschuldige in die Luft
gejagt werden?

Patrick Leclercq: Die Frage ist völlig
berechtigt, wird aber spätestens seit der Regelmäßigkeit
solcher Anschläge im Irak auch hierzulande immer lauter gestellt.
Selbst im Irak gibt es jetzt diese Diskussion.

liggelow: Wie empfinden Sie die Situation jetzt
persönlich als Journalist? Ist man Ihnen gegenüber zurückhaltender
oder aggressiver?

Patrick Leclercq: Für mich persönlich
hat sich bisher nichts geändert. Man muss allerdings sicher
in einigen unserer Berichtsgebiete in Zukunft noch etwas vorsichtiger
und umsichtiger vorgehen.

tobias1: Herr Leclercq, ich habe folgende Stellungnahme
gehört: "Der Islam ist die größte Bedrohung
für den Weltfrieden und es besteht die Gefahr eines 3. Weltkrieges
". Teilen Sie diese Auffassung?

Patrick Leclercq: Das halte ich für
sehr unüberlegt – derartige Bedrohungsszenarios zeugen nicht
von sehr viel Überlegtheit und auch Verständnis für
andere Teile dieser Welt.

talentfrei23: Herr Leclercq, empfinden Sie die
Veröffentlichung dänischer Karikaturen in deutschen Medien
als taktlos? Wird der Begriff Pressefreiheit hier verwendet, um
über den Sachverhalt hinweg zu täuschen, dass möglicherweise
seitens der Medien verantwortungslos gehandelt wurde?

Patrick Leclercq: Im Zuge der journalistischen
Information kann man durchaus darüber diskutieren, auch in
Deutschland zumindest die Anmutung solcher Karikaturen darzustellen.
Allerdings muss dabei eine Einordnung stattfinden, damit die Verletzung
der religiösen Gefühle der Muslime verhindert wird. Eine
Veröffentlichung ganz alleine und unkommentiert, sozusagen
1:1 halte ich für falsch.

s.tustra: Kann man eigentlich ein Ziel formulieren,
auf das die Proteste ausgerichtet sind? Man hat nicht den Eindruck,
als sei es mit einer Entschuldigung getan.

Patrick Leclercq: Das Ziel sollte sicher
auch in dieser Debatte auf allen Seiten die religiöse Toleranz
sein. Leider scheint es mir so, dass sich doch einige fundamental
religiöse und politische Richtungen einfach des Anlasses bedienen,
um ihre Ziele zu verfolgen.

Dino: Gibt es einen nachweisbaren Zusammenhang
zwischen der Rolle der gewaltbereiten Muslime und ihrer sozialen
Stellung in der Gesellschaft? Sind es oft unzufriedene oder ärmere
Menschen, oder sind sie aus allen sozialen Schichten?

Patrick Leclercq: Das ist ein Zusammenhang,
der ja schon am 11. September hergestellt wurde, der sicher im Kern
auch nicht zu leugnen ist. Das zeigen auch die großen Demonstrationen
in bettelarmen Ländern wie dem Jemen und anderswo.

Apfelsaftschorle: Wer demonstriert eigentlich
täglich da? Die Menschen haben doch auch Arbeit und Familie
wie in anderen Erdteilen und dadurch nur wenig Zeit für Demonstrationen?

Patrick Leclercq: Die Zeit nehmen sie
sich, weil die Beleidigung für sie eine sehr große ist
und sie bis ins Mark getroffen sind.

thorstenl: Lässt die Tatsache, dass Muslime
nie oder nur sehr selten gegen terroristische Aktivitäten,
die im Namen des Islam geschehen, demonstrieren, den Schluss zu,
dass es sich in Wirklichkeit nicht um die Beleidigung der Person
Mohammed, sondern um einen Hass auf den Westen im allgemeinen dreht?

Patrick Leclercq: Die Erfahrungen früher
aus der Kolonialzeit, später aber auch in der Palästinenserfrage
und jüngst bei der Besetzung des Irak haben tatsächlich
bei einem Teil der Bevölkerung in den arabischen Ländern
zu einem eher negativen Bild des Westens geführt. Man sollte
das aber nicht verallgemeinern sondern eher den Dialog suchen.

Moderator: Wie soll ein solcher Dialog
konkret aussehen? An was für Maßnahmen denken Sie?

Patrick Leclercq: Ein solcher Dialog
findet im Moment beispielhaft schon auf der Ebene der Kirchen statt,
z.b. wie ich weiß, in Deutschland sogar auf der Ebene der
Gemeinden. Und auch hierzulande gibt es christliche Pfarreien, die
dieses seit Jahren mit den Moslems praktizieren.

costello: Die Muslime sind bis ins Mark
getroffen, sagen Sie. Aber eine reflektierte gesamtgesellschaftliche
Diskussion ist nicht möglich? Das geht doch bei uns auch!

Patrick Leclercq: Da haben Sie sicher
recht. Sie müssen aber den arabischen Gesellschaften einfach
noch Zeit geben.

s.tustra: Die nächste Reaktion in der Kette
ist ja leider, dass die anti-islamistische Einstellung gerade in
Deutschland gestärkt wird. Ist das den Demonstranten bewusst
oder eventuell sogar beabsichtigt?

Patrick Leclercq: Ich denke, dass das
den meisten Demonstranten nicht unbedingt bewusst ist. Ihre Möglichkeiten,
sich darüber ein aktuelles Bild zu machen, sind im Regelfall
auch eher begrenzt.

yavuzph: Glauben Sie persönlich daran, dass
islamische Geistliche oder Großmuftis, Imame und Sheichs überhaupt
noch einen theologischen oder persönlichen Einfluss auf Muslime
und deren Denken haben? Zum Beispiel Al-Azhar-Uni?

Patrick Leclercq: Ja, unbedingt. Fast
täglich verlassen "Fatwas" Kairo und gehen in die
ganze Welt.

Neuhier: Ist man in der arabischen Welt eigentlich
auch in der Lage, zwischen dem, was eine Karikatur darstellt, und
dem, was sie eigentlich ausdrücken will, zu differenzieren?
(Es ging ja nicht um eine religiöse Darstellung Mohammeds,
sondern um aus westlicher Sicht durchaus nachvollziehbare Kritik
und Ängste).

Patrick Leclercq: Sobald es um die Darstellung
des Propheten geht, setzt nach meiner Einschätzung jegliche
Differenziertheit aus. Ein Moslem versteht das einfach nicht.

interessierte: Gab es eigentlich auch Proteste
in den arabischen Ländern, als von höchster politischer
Stelle der Holocaust geleugnet wurde? Oder wurde darüber nur
nicht berichtet?

Patrick Leclercq: Es wurde darüber
nur wenig berichtet. Proteste größerer Art hat es meines
Wissens nach nicht gegeben.

Achim: Ist es nicht vor diesem Gesichtspunkt –
dass Sie die arabische Welt noch nicht für offen genug für
eine gesellschaftliche Debatte halten – nicht gerade wichtig, dass
"der Westen " seine Haltung zu zentralen Werten wie der
Meinungsfreiheit bekräftigt bzw. verteidigt?

Patrick Leclercq: Ich persönlich
– das habe ich auch schon mehrfach gesagt – bin natürlich der
Meinung, dass wir am Begriff der Meinungsfreiheit nicht rütteln
sollten.

johannsen: Was, denken Sie, wird passieren, wenn
die EU und die USA bewusst noch mehr solcher Karikaturen veröffentlichen?

Patrick Leclercq: Dann werden die Proteste
wieder aufflammen, weil hier vorausgesetzt wird, dass eine klare
Absicht dahinter stecken würde.

Domenico: Stimmt es, dass die Bilder der Karikaturen
den Menschen in Ägypten nicht gezeigt werden? Das heißt,
in den Medien, Zeitschriften etc.?

Patrick Leclercq: Das stimmt so nicht.
In Ägypten sind die Karikaturen in den letzten Wochen in einer
großen Wochenzeitung abgedruckt worden und waren zu sehen.

Bender-robot: Dem Westen wird immer vorgeworfen,
er würde mit zweierlei Maß messen. Die islamische Welt
scheint das ja nun aber auch zu tun, sogar noch viel extremer. Was
ist ihre Meinung dazu?

Patrick Leclercq: Das ist sicher so,
aber es wird uns nicht weiter führen, wenn wir jeweils nur
immer Interesse daran haben, den anderen vorzuführen.

jox: Denken Sie, dass es zu immer mehr
Konflikten zwischen den beiden Kulturkreisen kommen wird? Es gibt
nun mal wirklich große Unterschiede!

Feanor: Besteht die Möglichkeit, dass es
infolge dieser Glaubendifferenzen zu einem Flächenbrand im
Nahen Osten kommt?

Patrick Leclercq: Den Krieg der Kulturen
sehe ich bisher nicht. Mir scheint es eher so, dass man nach dem
Zusammenbruch des eisernen Vorhangs schon seit Jahren verzweifelt
auf der Suche nach neuen Feindbildern ist. Im Kern glaube ich aber
an keinen Flächenbrand.

Lord Knut: Heißt Verteidigung der Meinungsfreiheit
zwingend, dass wir uns auch künftig als "frei " betrachten,
die religiösen Gefühle frommer Moslems zu verletzen? Bedeutet
Zusammenrücken in einer globalisierten, vernetzten Welt nicht
auch, stärker als bislang auf die Empfindungen anderer Kulturkreise
Rücksicht zu nehmen?

Patrick Leclercq: Ich rate in diesem
Zusammenhang zu weniger Aufgeregtheit und Schaum vor dem Mund. Es
ist bis zum heutigen Tage so, dass sich die meisten Menschen aus
beiden Kulturkreisen durchaus eher freundschaftlich begegnen.

frankfurter: Wie tief ist Judenhass tatsächlich
in den arabischen Gesellschaften verankert?

Patrick Leclercq: Durch die Gründung
des Staates Israel gibt es in der arabischen Welt bis zum heutigen
Tage große Ressentiments. Es sind eben die fundamentalistischen
Hardliner, die versuchen, solche Stimmungen zu nutzen, um gegen
den Staat Israel zu agitieren.

jw: Verstehen die Menschen denn, dass
europäische Zeitungen selbstbestimmt entscheiden, was sie drucken?
Dass also einzelne private Akteure provozieren und kein staatlicher
Einfluss dahinter steckt. Sind Menschen in autoritärer Staaten
in der Lage, hier zu differenzieren?

Patrick Leclercq: Das ist von Land zu
Land sicher verschieden. In einem Staat, wo die Meinungsfreiheit
relativ groß ist, wie z.b. Libanon, verstehen das die Menschen
sehr wohl. In anderen, die seit Jahrzehnten von Diktatoren regiert
werden, natürlich nicht.

FriendofJews: Man muss sich nur mal die arabischen
TV-Sender ansehen, da schaudert’s einen (soviel zur arabischen Meinungsfreiheit).

Patrick Leclercq: Durch Sender wie Al
Jazeera und später auch Al Arabia hat sich da aber auch einiges
geändert. Eine so umfassende und schnelle und unzensierte Berichterstattung
wäre vor 15 Jahren noch völlig undenkbar gewesen.

pokemon: Wie schaut es denn mit der Entwicklung
hinsichtlich der Ausübung christlichen bzw. jüdischen
Glaubens z.B. im Iran, Saudi Arabien etc. aus? Wird diese Toleranz
der Muslime auch diskutiert??

Patrick Leclercq: Das kann man mit einem
klaren Nein beantworten.

FriendofJews: Hat das ganze Theater nicht auch
etwas Positives darin, dass man sieht, was für ein Hass ans
Tageslicht kommt, und wir wissen, woran wir eigentlich sind?

Patrick Leclercq: Ich glaube nicht, dass
dieser Hass tatsächlich so durchgängig ist. Ich lebe seit
vielen Jahren in der Region und habe Erfahrungen, die eigentlich
eine andere Sprache sprechen.

mokassi: Ist die Abbildung des Propheten im Koran
tatsächlich verboten? Soweit ich weiß, gibt es zahlreiche
Miniaturen, in denen der Prophet abgebildet wurde.

Patrick Leclercq: Die Diskussion darüber,
besonders wenn es in die Details geht, ist sicher kontrovers. Die
allgemeine Auffassung aber sagt, dass es so ist.

Philipp Ströhle: Sie sind schon lange in
dieser Region. War es abzusehen, dass es früher oder später
zu solch einem "Kampf der Kulturen " kommen könnte?

GPK: Wie lange noch zum "Clash of
Civilisations "? Oder haben Sie wirklich Hoffnung, dass dieser
verhindert werden kann? Wenn ja, wie?

Patrick Leclercq: Es ist in den letzten
Jahren, insbesondere nach der Besetzung des Irak, zu einer Verschärfung
der Kritik am Westen gekommen. Auch die Hilflosigkeit des Westens
gegenüber dem Palästinaproblem hat sicher dazu beigetragen.
Das hat bei vielen Menschen in der Region zur Flucht in die Religion
geführt

M.Bieniakonski: Ist es überhaupt möglich,
die islamische Welt als eine Einheit anzusehen, wie es in Medien
häufig getan wird? Sollte man nicht viel stärker differenzieren
zwischen Staaten wie Algerien und Iran?

Patrick Leclercq: Seit Nassers Versuch,
einen arabischen Nationalismus zu installieren, ist es zweifellos
so, dass sich viele arabische Staaten sehr weit auseinander entwickelt
haben und es deshalb nur hilfreich sein kann, tatsächlich von
Fall zu Fall zu differenzieren. Algerien ist da sicher ein sehr
guten Beispiel, weil da die Bevölkerung sehr viele unterschiedliche
Erfahrungen machen musste.

sven: Haben Sie Angst vor der Muslimbruderschaft,
die eigentlich illegal ist, und trotzdem bei Ihnen in Kairo im Parlament
sitzt? Der Einfluss dieser Organisation ist doch sehr groß
und ihre antiwestliche Haltung seit 1928 nicht neu… Auch die Gewalt
zur Wahl in Ägypten sagte da sehr viel aus: alte Methoden,
alte Ziele.

Patrick Leclercq: Es ist sicher so, dass
bei tatsächlich richtig freien Wahlen die Moslembruderschaft
mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Mehrheit bekommen würde.
Wer denn nun von sich behauptet, die demokratischen Ziele hochzuhalten,
muss dann auch dieses akzeptieren.

Der Araber: Was denken Sie, könnten die Karikaturen
zu einer Eskalation im iranischen Atomstreit führen?

Patrick Leclercq: Die iranische Propaganda
ist geschickt genug, um den Vorfall genau zu diesem Zweck auszunutzen.
Wir haben es seit kurzem mit ideologisch hoch erfahrenen Revolutionswächtern
zu tun.

kocht: Es gibt ja Hinweise darauf, dass
die USA – wie vor dem Irakkrieg – auf geschickte Art und Weise zweifelhafte
Beweise für den Bau einer iranischen Atombombe lanciert. Für
wie wahrscheinlich halten Sie eine militärische Eskalation
dieser explosiven Stimmung im Nahen Osten bzw. vor allem im Iran?

Patrick Leclercq: Ich glaube, dass uns
die Frage der iranischen Atomanlagen bis hin zu einem militärischen
Schlag trotz aller Dementis in der kommenden Zeit sehr wohl beschäftigen
wird.

Moderator: Wir haben noch fünf Minuten.
Schon jetzt eine Entschuldigung an dieser Stelle, dass wir nicht
alle Fragen berücksichtigen können. Es liegen noch weit
über hundert unbeantwortete Fragen vor…

nina_S: Wie erklären Sie sich, dass es in
Ägypten gegenüber anderen Staaten der arabischen Welt
die Lage so "ruhig " ist?

Patrick Leclercq: Das hängt ganz
schlicht damit zusammen, dass der Sicherheitsapparat, sprich: Polizei
und Militär, immer ein Auge auf mögliche Unruhen und Demonstrationen
haben.

adabartist: Wie ist eigentlich die Resonanz in
Israel zu diesem Thema: Gibt es eine grundsätzliche Stellungnahme
zu Karikaturen aus den Reihe der Orthodoxie?

Patrick Leclercq: Da bitte Entschuldigung,
das kann ich Ihnen aber hier aus der arabischen Welt nicht mit letzter
Sicherheit beantworten.

Lebesgue: Sie sagten, dass man den arabischen
Gesellschaften Zeit lassen sollte. Ist es aber überhaupt realistisch,
dass in den arabischen Gesellschaften auch so etwas wie eine Aufklärung
stattfinden wird?

brians: In meiner Zeitung stand geschrieben: Es
gibt keine Aufklärungstradition im Islam. Stimmt das so?

Patrick Leclercq: Im Zuge der Globalisierung
haben die arabischen Gesellschaften nach meiner Ansicht nur zwei
Chancen: Sie müssen sich entweder mit diesen ganzen Fragen
ab der Aufklärung intensiver beschäftigen oder sie werden
zwangsweise auf einem der hinteren Plätze weltweit landen.

apol: Eine etwas provokative Frage: Wie erklären
Sie sich, dass Sie auf der einen Seite behaupten, "dass sich
die meisten Menschen aus beiden Kulturkreise sich durchaus freundlich
begegnen ", Sie aber weiterhin schreiben, dass die Moslembruderschaft
bei richtig freien Wahlen wohl eine Mehrheit der Stimmen bekommen
würde (ich möchte hier auch noch auf den Wahlerfolg der
Hamas in den Palästinensergebieten verweisen).

Patrick Leclercq: Ich denke, das ist
kein Widerspruch. Ein freundlicher Umgang miteinander ist die eine
Seite, eine stramme religiöse Überzeugung muss dem nicht
unbedingt widersprechen.

Moderator: Die Zeit ist fast um. Eine
letzte Frage nach Kairo:

ARD-Zuschauer: Sie sind mit Peter Dudzik der wohl
erfahrenste Kriegsberichterstatter der ARD. Aber warum haben Sie
nun Ihren warmen und sicheren Chefredakteursposten wieder gegen
die kugelsichere Weste eingetauscht? Was zieht Sie immer wieder
in Krisengebiete? Ist es wirklich das sprichwörtliche Wasser
aus dem Nil?

Patrick Leclercq: Nach vielen Jahren
spannender Programm- und Verwaltungsarbeit in Deutschland ist, glaube
ich, bei mir einfach wieder die Reporterneugier durchgebrochen –
und das mache ich jetzt.

Moderator: Eine Stunde ist vorüber.
Es liegen noch jede Menge Fragen vor, die aus Zeitgründen leider
nicht mehr von Patrick Leclercq beantwortet werden können.
Im Namen der User von tagesschau.de bedanke ich mich bei Herrn Leclercq,
dass er sich die Zeit genommen hat. Den vielen Chat-Teilnehmern
danke ich für die rege Diskussion.
Unser nächster Chat ist am kommenden Donnerstag, den 16. Februar
um dreizehn Uhr. Dann wird die FDP-Bundestagsabgeordnete und ehemalige
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum tagesschau-Chat
ins ARD-Hauptstadtstudio kommen.