Mit der interdisziplinären Forschungs-Convention für den wissenschaftlichen Nachwuchs unter 30 Jahren brachten das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) am 5. Dezember 2019 junge Talente aus Hochschulen, Startups, Stiftungen und Forschungseinrichtungen in der Factory am Görlitzer Park in Berlin zusammen. Wir haben uns einzelne Veranstaltungen genauer angeschaut.
KI & Sci-Fi Gesellschaftsentwürfe
Für Dr. Isabella Hermann von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ist klar: Die Berichterstattung über Künstliche Intelligenz (KI) skandalisiert. Im Negativen wie im Positiven. Tendenziell aber negativ.
Ein Grund dafür sind gängige Narrative in popkulturellen Sci-Fi-Filmen. Diese vermitteln teilweise das Gefühl, dass Künstliche Intelligenz prinzipiell jede intellektuelle Aufgabe verstehen oder lernen kann. Deswegen haben Roboter in Filmen auch meistens humanoide Züge. Abgesehen davon konstruieren Sci-Fi Filme sehr oft den Konflikt zwischen Mensch und Maschine, in dem meistens die Maschinen so intelligent werden, dass sie die menschliche Existenz als irrational und überflüssig erachten. Fertig ist die Dystopie.
Übertreibung ja, aber nur im Film
Sollten Sci-Fi-Filme also den Status quo von KI-Entwicklung thematisieren? „Nein, denn Filme erzählen Geschichten über Menschen, nicht über Technik, und die sollen spannend sein“, hält Frau Hermann fest. KI wird dabei als Metapher oder Trope benutzt. So stellt die Entwicklung von KI menschliche Sehnsüchte wie die Erschaffung von Leben und im Umkehrschluss die Urangst der Fremdbeherrschung und des Kontrollverlusts dar. Auch gesellschaftliche Themen wie Diskriminierung, Emanzipation oder Empathie(verlust) werden mit Hilfe der KI-Metapher thematisiert. Viele Filme portraitieren KI als allmächtige Instanz, die mystisch und magisch verklärt wird. All diese Narrative sind auf der Kinowand unterhaltsam und haben deswegen ihre Daseinsberechtigung. Verlassen diese Ideen allerdings den Kinosaal und werden Bestandteil einer öffentlichen Debatte, in der nicht zwischen Wirklichkeit und Fiktion differenziert wird, ist das allerdings ein Problem.
Gestaltung von Technik ist eine gesellschaftliche Aufgabe
„KI-Science-Fiction-Diskurse verzerren den KI-Diskurs“, sagt Isabella Hermann, denn KI steht nie für sich alleine, hinter ihr stehen immer Menschen. Dementsprechend sind die Menschen auch für die Beantwortung der Fragen verantwortlich, die KI basierte Techniken hervorrufen. Diese drehen sich vor allem um ein Thema: Macht. Ob staatliche, wirtschaftliche oder gesellschaftliche. Beschäftigt man sich mit einer Scheindiskussion, anstatt mit dem realen Einfluss von KI auf die Menschheit, lässt man dringende Probleme wie Datenschutz, Data Bias oder Transparenz außer Acht. „Fatal“, meint Hermann.
KI für den Menschen
Durchgeführt durch Kassandara Becker und Anna-Katharina Viehstädt vom deutschen roten Kreuz, wurde die Veranstaltung interaktiv gestaltet. Ziel war es, den Teilnehmer*innen ein Gefühl dafür zu geben, wie ein KI-basiertes Belohnungs- und Bestrafungssystem die Beiträge für die gesetzliche Krankenkasse automatisch erhöhen oder senken könnte.
Dafür wurden die Teilnehmer*innen auf einem „Beitragszahlenstrahl“ hin und her gelotst. Ausschlaggebend dafür waren verschiedene Ereignisse, die im echten Leben auftreten könnten, wie beispielweise der Verlust des Partners oder der Partnerin, welcher negative psychische Auswirkungen auf den Versicherten hat.
Skepsis regiert
Danach wurden die Teilnehmer*innen gefragt, ob sie dieses System als gerecht empfinden bzw. sogar gerechter, als das momentane. Die Antworten waren mehrheitlich negativ. Die meisten Diskutant*innen halten KIs noch nicht ausgereift genug, um solch gravierende Entscheidungen zu treffen. Vielen waren der Meinung, dass diese Aufgaben nie von Maschinen übernommen werden dürfen, egal wie intelligent sie sind. Maschinen sollten niemals über menschliche Schicksale entscheiden. Darüber hinaus wurde festgehalten, dass dieses System wahrscheinlich solche Menschen bevorteilen würde, die sowieso schon privilegiert sind, denn ein gesunder Lebensstil korreliert mit Bildung und finanziellen Mitteln. Nur wenige Teilnehmer*innen sahen die Regelung mit KI-basierten Techniken als fair an. Wer risikoreicher lebt, sollte auch mehr bezahlen müssen, so die Aussage eines Diskutanten.
KIs nachhaltig Nutzen
In Raum 2 ging es unter dem Titel “10 Tactics for 2030“ um Nachhaltigkeit. Die vielen jungen anwesenden Wissenschaftler*innen wurden von den Leiterinnen Helene von Schwichow und Katrin Fritsch aufgefordert, sich eine Idee auszudenken, die KI für eine nachhaltige Zukunft nutzt. Die Wissenschaftler*innen lieferten acht konkrete Taktiken für eine bessere Welt im Jahre 2030. Dabei schien vor allem der enorme Energieverbrauch, der beim Trainieren aber auch bei der Nutzung von KIs oder dem Internet anfällt, die Teilnehmer*innen zu beschäftigen, wie sich in ihren Ideen zeigte. Diese reichten von einer App, die Lebensmittelverschwendung durch klug gewählte Rezepte vermeiden soll, bis hin zu der Einrichtung einer Beratungsstelle für Nachhaltigkeit, an welche sich KI-Entwickler*innen wenden können sollen.
Es taucht aber auch offen Fragen für die Zukunft auf: Wie können wir Nachhaltigkeit messen? Wie lassen sich KIs am energieeffizientesten programmieren? Können, wir Künstliche Intelligenzen vielleicht sogar nutzen, um KIs umweltfreundlicher zu machen? Fragen auf die die Workshopteilnehmer*innen noch keine Antwort haben, aber voller Begeisterung und Wissensdrang auf der Suche sind.
Digitalisierung der Sexualität
Der Vortrag der Wissenschaftlerin Yuefang Zhou zum Thema „Intimate relationships with humanoid robots: are we both ready?“ zeigte, dass auch die menschliche Sexualität nicht unberührt von den Entwicklungen der Digitalisierung und KIs bleiben wird. Im Gegenteil. Es gibt immer mehr Möglichkeiten, die eigene Sexualität über, durch oder sogar mit moderner Technik auszuleben. Zhou schildert, wie in den letzten und kommenden Jahren aus leblosen Sexpuppen mit Hilfe von AI sprechende und sich bewegende Sexroboter wurden und werden sollen. Einen dieser Prototypen namens „Harmony“ durfte die Wissenschaftlerin persönlich kennen lernen und berichtete, wie authentisch die Stimme der AI klang und schockierend echt sich die Silikonhaut des Roboters anfühlte. Steuern lässt sich diese Roboter-Lady durch eine App, sie regiert auf Berührungen und kann sogar ihren Hals und Mund bewegen. Der Roboter, der die Ungestümheit und „messyness“ von Sex zwischen zwei Menschen vollständig imitieren kann, ist aber noch in weiter Ferne.
Dabei betont Zhou aber, dass es nicht das Ziel sei, menschliche Interaktion abzulösen. Ihr ginge es vielmehr darum, Menschen, die Probleme mit echten sozialen Interaktionen haben, eine Möglichkeit zu geben, ihre Sexualität auszuleben und mit den Robotern Sex zu üben. Ein KI betriebener Sex-Roboter soll 15.000 $ kosten und nächstes Jahr auf den Markt kommen. Ihre Forschungsergebnisse zur Intimität zwischen Mensch und Roboter hat Yuefang Zhou gemeinsam mit Martin H. Fischer in dem Buch „AI I Love you„ festgehalten.
Gesellschaftliche Zukunft mit KI
Wo liegt die Zukunft der KI-Forschung und was sind die gesellschaftlichen Implikationen die wir mitdenken müssen? Dieser Frage widmeten sich Lena-Sophie Müller, Sophie-Charlotte Fischer, Christine Regitz, Frithjof Nagel und Marina Weisband in einer Podiumsdiskussion. Einigkeit bestand darin, dass das in den Massenmedien von KI gezeichnete Bild von einem Schwarz-Weißdenken geprägt ist. Großen Einfluss darauf habe die Unwissenheit vieler Autor*innen, über diese nicht mehr allzu neue Technik. Das was wir heute KI nennen war früher schlicht Statistik, die wir heute zu einer allmächtigen Gottheit verklären, so Weisband.
Gleichzeitig herrscht neben der Unsicherheit gegenüber KI auch ein großes Vertrauen in die Technik, vor allem unter jungen Menschen oder in Notsituationen. Das kann ein gesellschaftlicher Fortschritt sein, solange wir uns der Notwendigkeit bewusst bleiben, dass wir weiterhin angehalten sind unseren „gesunden Menschenverstand“ zu nutzen. Eine vollständige Verantwortungsübertragung auf KI kann und darf nicht möglichsein.
Durch die Automatisierung von bestimmten Aufgaben, wird es dem Menschen möglich sein, sich wieder mehr auf seine kreativen und kritischen Kompetenzen zu besinnen. Der Mensch der Zukunft wird KI als Werkzeug nutzen, dafür bedarf es jedoch einer umfassenden technischen Bildung, die am besten bereits heute Teil der Schule sein sollte. Deutschland hat auf diese Gebiet massive Nacharbeit zu leisten, bisher haben nur drei Bundesländer Informatik zu einem verpflichtenden Schulfach gemacht und Lehrer*innen dafür sind nach wie vor Mangelware. Sollte sich daran nichts ändern, wird Deutschland in den kommenden Jahren technisch und wirtschaftlich abgehängt werden.
Zuletzt sprachen die Teilnehmer*innen noch über die Diversität bzw. die mangelnde Diversität in der Informatik-Branche und wie im Bereich der KI immer mehr Frauen und nicht-weiß-cis-hetero Menschen einen Platz für sich finden. Gleichzeitig keimt damit auch die Hoffnung, dass mehr Diversität in der Entwicklung sich positiv auf die problematischen Bias von KI auswirken könnte, welche oft vor allem Minderheiten oder Frauen ausschießen.
KIs sind die Zukunft und es ist letztlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, kommende Generationen die bestmögliche Nutzung dieser Technik im Einklang mit unseren Werten zu ermöglichen.
Titelbild: Cai Schultz
Bild der Ideen aus dem Workshop: Sarah Merz
Illustrationen: Susanne Asheuer
Text: CC-BY-SA 3.0