Am 15. August fand im Café En Passant der Berliner Pub Talk zum Thema Debattenkultur und Umgang mit Hetze im Netz statt. Unter der Moderation von Irene Waltz-Oppertshäuser wurde nach der Fishbowl-Methode, also mit Einbezug des Publikums, diskutiert. Als Expertinnen waren Dr. Viola Neu von der Konrad-Adenauer-Stiftung und Ann Cathrin Riedel von LOAD e.V. dabei.
„If you fuck up Brexit, we will cut your fucking throat …“
Zum Einstieg in das Thema verliest Dr. Robert Grimm, Leiter der Ipsos Sozial- und Politikforschung, ein Zitat, welches auf Facebook an einen britischen Abgeordneten gerichtet wurde, und stellt daraufhin gleich eine der wichtigsten Frage der Debatte: Können wir diese Art der (politischen) Kommunikation auf sozialen Netzwerken wie Facebook, in einen Zusammenhang setzen mit den politisch motivierten Straftaten der letzten Wochen und Monaten, wie beispielsweise dem Mord an Walter Lübcke oder der Schießerei von El Paso?
Dr. Viola Neu, die sich als Wahl- und Parteienforscherin bei der Konrad-Adenauer-Stiftung mit politischen Debatten im Netz beschäftigt, und zu diesem Zweck zigtausende Kommentare gelesen hat, konstatiert dazu später, dass sich ein solcher Zusammenhang nicht objektiv feststellen oder mit Studien belegen lässt. Auch ohne Social Media hätten sich früher terroristische Vereinigungen formiert, ausgetauscht, Taten geplant und ausgeübt. Außerdem sei die Verrohung der Debattenkultur auf Social Media stark themen- und ortsbezogen. „Auf der Facebook-Seite von Helene Fischer ist alles nur voll mit Blumen und Herzchen“ so die Politologin, und andere Themen polarisierten ihrer Ansicht nach auch außerhalb von Social Media: „Wenn ich auf der Parkbank sitze und irgendwas mit Flüchtlingen vor mich hin murmele, werde ich dort genauso polarisieren, wie durch einen Beitrag im Netz“. Diesen Aspekt nimmt auch die zweite Expertin in der Runde, Ann Cathrin Riedel, Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik, auf, sie sieht einen Grund für die Verrohung der Debatte, beispielsweise auf den Social-Media-Seiten der politischen Parteien, auch darin, dass dort wenig bis gar keine Moderation stattfindet, da gerade Parteien zu wenig Arbeit bzw. Personal in Social Media investieren.
Meinungsfreiheit im Netz – und deren Grenzen
In ihrem ersten Statement betont Ann Cathrin Riedel, wie wichtig Meinungsfreiheit im Netz ist, „Hass ist nicht immer strafbar und eine Gesellschaft muss auch viel aushalten können“. Ein Gast der sich nach dem Fishbowl-Prinzip in die Debatte einschaltet, sieht diese grundsätzliche Meinungsfreiheit auf den sozialen Netzwerken heute nicht mehr gegeben. Der Mann, der sich selbst als „einer dieser Trolle im Netz“ bezeichnet, kritisiert die Praktiken der Social-Media Plattformen, die ihn laut eigener Aussage schon mehrfach aufgrund von, seiner Darstellung nach, nicht rechtswidrigen Kommentaren gesperrt haben sollen. Er sieht in diesen Praktiken die Ursache für politisch-motivierte Morde und Straftaten, da dadurch eine Verdrängung gewisser Meinungen und Haltungen aus dem öffentlichen Raum, und somit eine Radikalisierung auf Hinterzimmer-Plattformen, den sogenannten Dark Socials, stattfindet.
Dr. Viola Neu stellt daraufhin klar, dass zum einen strafbares Verhalten wie Diffamierung oder Beleidigung strafrechtlich beurteilt werden könne und zum anderen den Plattformen, als privatwirtschaftlichen Akteuren, das Recht zusteht, sozusagen auch nach eigenem Ermessen Kommentare und Beiträge zu löschen. An dieser Stelle driftet die Debatte kurz ab in eine Diskussion über die Definition der Plattformen als Netzwerke des öffentlichen Raums und deren damit verbundenen Rechte bzw. Pflichten zur Einschränkung bzw. Gewährleistung der Meinungsfreiheit. Hier wird deutlich, dass die gesellschaftliche Rolle der Social-Media-Plattformen nicht für alle Beteiligten gleich definiert, gleichzeitig jedoch ein relevanter Faktor für die geführte Diskussion ist.
„Die Reichweite von Hass im Netz wird von den konventionellen Medien stark überschätzt“
Beide Expertinnen relativieren jedoch auch diese Rolle und den Einfluss auf die Gesellschaft. „Die Reichweite von Hass im Netz wird von den konventionellen Medien stark überschätzt“, so Ann Cathrin Riedel. Und Dr. Viola Neu merkt an, dass auch generell die Reichweite mancher Kanäle immer schon überschätzt würde: „Wenn die FAZ etwas schreibt wird das als wichtig betrachtet, obwohl die Abonnentenzahl der FAZ unter der vieler Regionalblätter liegt“, bei Diskussionen im Netz sei das ähnlich, zumal sich ein Großteil der Nutzer sehr passiv verhalte und nicht nachweisbar beeinflusst wird. Einer der Gäste, ein Schweizer Journalist, sieht sich und seine Kollegen in der Pflicht, hassgefüllte Debatten im Netz nicht zusätzlich anzufeuern, indem man darüber berichtet. Er vermisst in allen Medien eine inhalts- und zukunftsorientierte Debatte.
Persönlicher Umgang mit Hass im Netz
Ein weiterer, lange diskutierter Aspekt ist der persönliche Umgang mit Hassnachrichten auf Social Media und ob man ankommen kann gegen „Armeen von Bots oder Trollen“? Aus wissenschaftlicher Sicht, so Dr. Viola Neu, gäbe es keine präzise Handlungsanweisung, da es Studien gäbe, nach denen Gegenrede zu Hass auf Social Media positive Effekte habe, jedoch auch solche, die keine oder sogar negative Effekte erkennen ließen. Es herrscht jedoch auch unter den meisten Gästen Konsens, im Zweifel seinen eigenen Standpunkt auf einer sachlichen Ebene klar zu machen. Persönliche Stellungnahmen, nach dem Vorbild von #ichbinhier, ermutigen andere Menschen, sich für eine humane und sachorientierte Debatte ohne Hass im Netz stark zu machen. Dies sei zudem wichtig, um demokratische Freiheit für alle zu ermöglichen, und den oft festgestellten Rückzug aus der Debatte zu verhindern.
Text: CC-BY-SA 3.0