Die neue Spaltung scheint primär keine Ressourcen-Kluft zu sein, sondern eine Wissens- und Bewusstseinslücke. „Nur weil man in der 4. Klasse schon ein Handy hat, bedeutet das nicht, dass man etwas von Big Data oder KI verstehen wird“, sagt Pierre Laurent, der jetzt bei einer Waldorf Schule im Silicon Valley arbeitet und früher selbst einmal bei Microsoft und Intel war.

Entwickler*innen enthalten ihren eigenen Kindern ihre Produkte vor, weil sie wissen, dass Apps Urinstinkte im Menschen ansprechen, die einen hohen Abhängigkeitsfaktor haben. Dieses Wissen sollte bei der Digitalisierung des Bildungsbereich miteinberechnet werden. Was wird schon und was sollte getan werden, um ein Bewusstsein zu bilden?

Einsicht ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung 

Tristan Harris, ein ehemaliger Google-Mitarbeiter, hielt einen TedX Talk zum Thema bewusstes und sinnvolles Nutzen von sozialen Medien und Smartphones. Er weiß, dass Smartphones nicht mehr verschwinden werden, das würde er auch nicht wollen. Harris wünscht sich lediglich, dass Technologie für den Menschen gemacht wird, statt ihn auszunutzen. Sein Ziel ist, dass man sich zunächst seines eigenen Konsums bewusst wird, um diesen anschließend willentlich zu ändern (oder eben auch nicht).

Stanford-Dozent Fogg, der ein viel beachtetes Konzept entwickelt hatte, wie App-User immer wieder zur Nutzung der Apps verleitet werden, ist überzeugt, dass es schwieriger ist, Programme zu entwickeln, die ein Verhalten verhindern sollen, als welche zu kreieren, die zu bestimmtem Handeln ermutigen. Deswegen scheinen neue Programme nicht die Lösung zu sein; vielmehr sollte man sich selbst weniger Versuchung aussetzen.

Zum Beispiel kann man durch Einstellungen Details, die die Apps anziehender wirken lassen, ausstellen. Diese Details sind schließlich kein Zufall, sondern bewusst ausgesucht, warum sie also nicht bewusst ausblenden? Die roten Benachrichtigungen auf blauem, grünem oder gelbem Hintergrund sind besonders kontraststark, welches die Versuchung vergrößert, sie anzuklicken, um sich dann, obwohl man es nicht vorhatte, im kontinuierlich aktualisierten Feed oder der neuesten Story zu verlieren. Harris‘ Lösung ist, den Bildschirm schwarz-weiß einzustellen. Tatsächlich ist der Reiz überraschend schnell weg.

In Zukunft kein Profit mehr

Der wichtigste Schritt sei es aber, den Werbesektor vom Profit zu entkoppeln. Als Analogie benutzt Harris den Energiesektor in den USA, der unabhängig vom Gewinn Strom erzeugt. So sollten, laut Harris, auch soziale Medien unabhängig von Profit, Menschen miteinander verbinden. Wenn Apps nicht mehr den Anreiz hätten, so viele Anzeigen wie möglich zu schalten, um den Gewinn zu vergrößern, würden sie auch für die Nutzer*innen weniger Versuchungen einprogrammieren, um diese so lange wie möglich von der App zu „überzeugen“ – um Foggs Wort zu benutzen.

Harris hat weitere Vorschläge gemacht, die sich sicherlich nicht alle umsetzen lassen, da sie nicht dem Business-Modell vieler Apps entsprechen, bei denen Werbung und Gewinn weiterhin untrennbar bleiben. Eine solche Idee lautet, dass verschiedene Homescreens auf unseren Handys zu mehr Autonomie bei unserem Verhalten führen würde. Darunter versteht er zum Beispiel einen Morgen-Screen, der uns nur die Uhrzeit anzeigt und uns vielleicht noch Podcasts spielen lässt. Benachrichtigungen würden erst ab einer eigens definierten Uhrzeit laden. So müsste man nicht jedes Mal der Versuchung widerstehen, doch noch kurz eine Mail zu checken. Man würde es bewusst mit dem Arbeitsbeginn machen. Ein Abendscreen dimmt die Farben und schickt weniger oder keine Push-Nachrichten, damit man nicht mehr abgelenkt wird.

Mehr zahlen, weniger Werbung

Eine Möglichkeit, Medien vom Werbe-Profit zu trennen, wäre, sie kostenpflichtig zu machen. Facebook hat von Anfang an versprochen, dass die Plattform immer kostenlos bleiben würde. Doch vielleicht wären, zumindest bei Angeboten wie digitalem Journalismus oder beim Streaming, einige Nutzer*innen bereit zu zahlen, um das Angebot werbefrei zu genießen. Neben Spotify Premium und Netflix, gibt es jetzt auch YouTube Premium, bei Online-Spielen kann man Upgrades kaufen. Viele Menschen würden sich wahrscheinlich ärgern, wenn sie auf ein Mal für Apps oder Abos zahlen müssten. Doch vielleicht könnte man auf diesem Weg den inoffiziellen Vertrag zwischen Entwickler*in und Endnutzer*in transparenter und ehrlicher gestalten? Man würde nicht mehr versuchen, das Angebot so attraktiv wie möglich zu gestalten, damit die Zeit maximiert wird, sondern so angenehm und nützlich oder produktiv. Gerade jüngere User stehen einem digitalen Bezahlmodell aufgeschlossen gegenüber. 

Diese Herangehensweise birgt dennoch das nächste (oder ursprüngliche) Problem: kostenpflichtige Apps könnten die Zugangs-Kluft wieder aufreißen. Man kann sich vorstellen, dass nur Wohlhabende willens und in der Lage sind, dafür Geld auszugeben.

Fazit

Die neue Kluft scheint die Gesellschaft weiter zu trennen. Sie spaltet Konzentrierte und Unkonzentrierte, und laut den Statistiken beeinflusst der sozio-ökonomische Hintergrund die Nutzung.  Wenn die Entwickler*innen immer mächtigere Programme entwickeln, ihre Kinder aber davor schützen, dann scheint es momentan so, als würde es zu einer weiteren Benachteiligung sozial Schwächerer kommen. Um dies zu verhindern, müssten wir entweder die fehlende Motivation für konzentriertes Arbeiten als Gesellschaft in Kauf nehmen und dies als neue Normalität bezeichnen – oder wir fördern verstärkt einen bewussten Umgang in allen Gesellschaftsbereichen durch Aufklärung und Stärkung der Autonomie gegenüber digitalen Mechanismen und Angeboten.

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