Wenn niemand etwas sieht, was tatsächlich allgegenwertig ist, dann ist das das Werk der Content-Moderatoren. Die Dokumentation THE CLEANERS geht gegen das Ignorieren an und schafft dabei vor allem eins: Erschrecken und Desillusion vor einer doppelbödigen Gesellschaft.
Ich sehe was, was du nicht siehst…
Im Jahr 2014 veröffentlichte der Islamische Staat ein Video, in welchem die Enthauptung des US-amerikanischen Journalisten James Wright Foley gezeigt wird. Es handelt sich nicht um das einzige Video, das gezielt der strategischen Zermürbung dient. Es steht aber auch exemplarisch für alle jene Bilder, die den Blick des Voyeurs auf sich ziehen und zugleich der sozialen Selektion unterliegen. Videos der eskalierenden Gewalt, der übermäßigen Sexualisierung, Bilder des Missbrauchs von Kindern oder Erwachsenen sowie der Tierquälerei verbreiten sich jedoch sekündlich viral über alle sozialen Netzwerke. Den Schutz vor solchen Videos bieten sogenannte Content-Moderatoren, deren Alltag in der Filterung sozialer Netzwerke vor derartigen Bildern besteht.
Dieser Alltag der Content-Moderatoren, die Konfrontation mit den abstoßenden Seiten der Gesellschaft, arbeitet der Film THE CLEANERS (2018) auf. Die Dokumentation der Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck widmet sich der Arbeit und bildet dabei fast beiläufig und zugleich zentral die Schrecken der Gesellschaft ab, die sich hinter den sichtbaren Seiten der sozialen Plattformen verbergen.
Faszination und Schrecken des Bösen: „Es war ein Mädchen, etwa sechs Jahre alt –…“
Der Film begleitete fünf Content-Moderatoren in Manila (Philippinen). Es handelt sich um den weltweit größten Outsourcing-Standort für Content Moderation. Hier arbeiten die Mitarbeiter zehn Stunden täglich an der Filterung digitaler Inhalte. Der Film bildet deren Alltag ab. Es wird selbst nichts kommentiert, sondern deren Kommentar collagenhaft zusammengestellt. Dabei sind es zwei Seiten, die der Film aufarbeitet: Das Böse, dass seit jeher fasziniert und das sich in jedem Teil des gesellschaftlichen Korpus bewegt. Wie viele freiwillige Zuschauer gab es bei der Hinrichtung Foleys, aus Faszination und Schrecken?
Dem steht jedoch der Einblick in das Leben der Mensch entgegen, die sich diesem Schrecken in ihrer alltäglichen Arbeit aussetzen. Vor diesem Hintergrund verliert das Böse seine Faszination und das, was übrig bleibt, ist die bittere Erkenntnis einer kaputten Gesellschaft. Der persönlichen Überforderung, dem Erschrecken und der Abneigung gegen die Inhalte dieser Bilder steht nur der lapidare Verweis auf den Arbeitsvertrag entgegen. Hierin offenbart sich die Absurdität des sauberen Netzwerkes 2.0.
Die Digitale Müllabfuhr: Der Alltag der Content-Moderatoren
Content-Moderatoren werden zum Synonym der digitalen Abfallbehälter, deren tägliche Arbeit in der Beseitigung des sozialen Mülls besteht. Was geschieht jedoch, wenn der Arbeitsalltag sein Ende nimmt? Diejenigen, welche die Gesellschaft von diesem digitalen Abfall befreien, sind ihm selbst schutzlos ausgeliefert. Die langsame Verzweiflung, die sich breit macht, wenn jeder Tag davon erfüllt ist, das zu sehen, was offiziell niemand sehen soll. Das wachsende Misstrauen gegenüber dem Umfeld und das zermürbende Gefühl, dem schutzlos ausgeliefert zu sein. Psychologische Betreuung ist in diesem Umfeld eher die Ausnahme als die Regel.
Auch aus diesem Grund bildet der Film nicht nur deskriptiv den Alltag von Menschen ab, die sich mit jenen dunklen Seiten der Gesellschaft befassen müssen. Es ist vor allem der Schrecken, der sich durch die Doku zieht: THE CLEANERS legt die Seiten der Gesellschaft frei, die aus dem alltäglichen Diskurs ausgeschlossen worden sind. Es handelt sich um die zensierte Wahrheit, oder das, was von ihr übrig bleibt. Unter dem Ausschluss dieser Schattenseiten, kann sich der Einzelne weiterhin der perfekten Illusion des sozialen Netzwerks hingeben. Den Schatten ausblendend, bleibt das Licht der lebendigen Konstruktion einer makellosen Identität der Generation X. Der Film zeigt die bittere Wahrheit, das Internet als Pool derjenigen, die von der Gesellschaft ausgeschlossen sind. In der Anonymität der globalen Netzwerke leben Wahnsinnige, Gewalttäter, Rassisten und andere Stehengebliebene auf. THE CLEANERS zeigt in verstörender Weise, dass dieses Verschwinden das Resultat der menschlichen Zensur ist.
Der Film lässt den Zuschauer in diese Maschinerie der Zensur eintauchen. Es ist die Faszination des Bösen, die jedoch nur solange besteht, bis die Einsicht folgt, die Realität vor sich zu haben. Es handelt sich um die verborgenen Seiten der Gesellschaft, deren sie sich selbst entledigen will. Es bleibt das bedrückende Bild dieser Gesellschaft zurück, die sich selbst noch nicht verstanden hat. Die Arbeit an dem Symptom lässt die Ursache nicht verschwinden: Kaputt.
Titelbild: © THE CLEANERS, bearbeitet