Die 4Ks (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und Kritisches Denken) sind eine Antwort auf die Frage, was Menschen können müssen, wenn problemlösungs- und kommunikationsorientierte Arbeit immer bedeutsamer wird. Die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an der Gestaltung von Schule ist eine Möglichkeit, diese Fähigkeiten der Zukunft zu vermitteln.
Dass Digitalisierung, Automatisierung und Globalisierung die Gesellschaft und damit die Bildung vor neue Herausforderungen stellen, ist hinreichend klar. Auf die Frage, wie man diesen Herausforderungen begegnen könne und welche Fähigkeiten bei Menschen auf ihrem Bildungsweg besonders entwickelt werden sollen, identifizierte die Partnership for 21st Century Learning am Anfang des Jahrtausends die “4Cs” als Teil der “21st century skillls”.
Diese lassen sich praktischerweise in 4Ks im Deutschen übersetzen (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und Kritisches Denken) und sind hier bereits mit der Betonung auf das Digitale wunderbar beschrieben. Diese Kompetenzen bilden im Prinzip das ab, was Menschen können müssen, wenn Maschinen schwere, monotone und auf abrufbarem Wissen basierende Arbeiten übernehmen und problemlösungs- und kommunikationsorientierte Arbeit immer bedeutsamer wird. Es ist deshalb die feste Meinung der Autorin, dass alle innovativen Projekte an Schulen und Hochschulen eine Verantwortung haben, besonders diese Kompetenzen zu fördern.
Das Beteiligungsprojekt aula dient vor allem dem praktischen Erleben von Demokratie und erlaubt Schülerinnen und Schülern, ihre eigenen Ideen zu Unterricht, Schulräumen und Regeln vorzustellen, gemeinsam zu entwickeln, abzustimmen und verbindlich umzusetzen. So wird den Schülerinnen und Schülern nicht nur mehr Mitbestimmung ermöglicht, sondern es werden auch gleichzeitig die wesentlichen Kompetenzen des 21. Jahrhunderts gefördert. Im Folgenden geht es darum zu zeigen, wie mit aula die 4Ks eingebunden und entwickelt werden können und wie der restliche Unterricht davon profitieren kann.
1. Kollaboration
Das gesamte aula Projekt dient in erster Linie der kollaborativen Entscheidungsfindung und dem praktischen Erfahren von Demokratie. Dabei wird besonderer Wert auf eine Form der kollaborativen Ausarbeitung von Ideen gelegt, die vor allem digital gut funktioniert. Zu einer einmal eingestellten Idee können von anderen Teilnehmern Verbesserungsvorschläge gemacht werden. Diese Verbesserungsvorschläge können von Allen positiv oder negativ bewertet werden. Die Autoren der Idee sehen dadurch, welche Verbesserungsvorschläge besonders beliebt sind und ihrer Idee viele Stimmen hinzufügen würden. Sie können ihren Ideentext dahingehend ändern, dass sie die Verbesserung einarbeiten. So kommt ein demokratisch kollaboratives Schreiben zustande. Durch die Bewertungsfunktion ist der Mechanismus “klüger”, als eine bloße Sammlung ungewichteter Verbesserungsvorschläge. Die Kollaboration wird hier genutzt, um stichhaltige, komplexe Ideen zu entwickeln, obwohl die einzelnen Teilnehmenden nicht über viel Erfahrung in diesem Bereich verfügen. Digitale Kollaboration gibt hier einen Mehrwert.
Zudem fördert aula die Kollaboration zwischen den verschiedenen Beteiligten des Schulgeschehens. Schon bei der Einführung müssen zwischen Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonal, Elternvertretung und Schulleitung Verträge geschlossen und Interessen verhandelt werden. Verschiedene Interessensgemeinschaften entstehen aus Einzelnen, die vorher nicht viel miteinander zu tun hatten. Diese Kollaboration ist zielgerichtet und bereitet auf die Gestaltung zukünftiger Interessensgemeinschaften vor.
2. Kreativität
Wenn man mit jungen Menschen im demokratiepädagogischen Bereich arbeitet, fällt schnell eine etwas auf: Es gibt eine gewisse Hemmung, eigene Ideen zu entwickeln. Vielen Schülerinnen und Schülern fällt es schwer, sich eine ideale Schule vorzustellen. Selbst wenn die Aufgabe lautet sich die ultimative Schule ohne Beschränkungen vorzustellen, kommen häufig Anregungen zur Verbesserung der Situation auf den Toiletten oder zu überdachten Fahrradständern. Auch wenn das durchaus reale Problematiken der Schülerinnen und Schüler sind, fällt doch auf, dass sie zunächst wenige komplexe und weitreichende Ideen entwickeln. Auch Jugendverbände der Gewerkschaften beklagen, dass die jungen Auszubildenden kaum Wünsche zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen äußern.
Psychologen sprechen hierbei von “erlernter Hilflosigkeit”. Als Anpassung an ein vergleichsweise autoritäres System können viele Schülerinnen und Schüler nicht mehr so gut visionäres Denken entwickeln. Dies aber ist eine Voraussetzung für Kreativität. Um neue Wege zu finden, muss man erstmal Ziele definieren. Das Wünschen-Können ist eine Kernkompetenz der Zukunft, da es die Triebfeder der Innovation ist. Da aula vor allem der Umsetzung eigener Ideen dient, bietet es Raum, das eigene visionäre Denken Schritt für Schritt zu erweitern. Wenn Schülerinnen und Schüler sich darüber unterhalten, was an ihrer Schule besser werden kann, inspirieren sich gegenseitig und werden mutiger.
Die Ergebnisse des Projekts bringen Kreativität dadurch hervor, dass sie die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler mit den bisherigen Rahmenbedingungen der Schule kollidieren lassen. Ein Beispiel für ein solches Zusammentreffen zweier Welten und die daraus resultierende Kreativität entstand in Freiburg, als in aula positiv über einen “Smartphone-Tag” abgestimmt wurde. An diesem Tag mussten alle Lehrerinnen und Lehrer das Smartphone irgendwie sinnvoll in ihren Unterricht einbinden. Von Sport bis Musik entstanden so neue und innovative Unterrichtskonzepte, die ohne die Einmischung der Schülerinnen und Schüler so nicht zustande gekommen wären.
3. Kritisches Denken
Bevor eine Idee bei aula in die Abstimmung kommt, kommt sie auf den Tisch der Schulleitung. Diese vergleicht die Idee mit dem Vertrag, der zuvor mit der Schulkonferenz aufgesetzt wurde. Darin sind die Grenzen und Freiheiten der Beteiligung durch die Schülerinnen und Schüler definiert. Eine neue Idee wird verbindlich umgesetzt, wenn sie mit geltendem Recht inklusive des Schulgesetzes vereinbar ist, sich nicht in die Personalpolitik der Schule einmischt, kostenneutral ist, etc. Bei jeder neuen Idee gibt es also viele Punkte zu beachten, bevor die Schulleitung grünes Licht gibt. Um all diese Punkte diskutieren und einarbeiten zu können, gibt es eine zweiwöchige Ausarbeitungsphase für jede Idee. Darin werden sowohl online wie auch offline Fragen und Verbesserungsvorschläge für die Idee formuliert.
Wenn man eine Idee sieht, wie z.B. mehr Fahrradständer, dann liegt es erstmal nahe, zuzustimmen und zu sagen: “Ja, das ist eine gute Idee, das will ich, lasst uns darüber abstimmen”. Das aula-Projekt ist aber so angelegt, dass es eine explizite Phase gibt, in der an die Idee kritische Fragen formuliert werden müssen. “Was kostet das?”, “Wie bezahlen wir dafür?”, “Wo werden die Ständer aufgestellt?”, “Aus welchen Materialien sollen sie sein?”, “Haben wir dann noch genug Platz zum Fußball spielen?”.
Dieser Prozess, der am Anfang stärker von Lehrkräften begleitet und nach und nach immer selbstständiger ablaufen soll, fungiert als ein mentaler Entschleuniger. Denn nicht alles in der digitalisierten Welt wird schneller. Je mehr Information und Freiheit wir haben, desto mehr müssen wir ab und an innehalten und reflektieren. Diese Kompetenz wird mit aula explizit angesprochen. Die eigenen Ideen hinterfragen, kritische Fragen an sich selbst stellen, mehrere Aspekte und Perspektiven eines Problems in Betracht ziehen. Hierfür ist neben der Möglichkeit online Verbesserungsvorschlägen zu formulieren, vor allem die aula-Stunde wichtig. Hier können sich die Beteiligten noch einmal in kleineren Gruppen (Zum Beispiel dem Klassenverbund) auseinandersetzen, diskutieren und Hilfestellung durch andere bekommen. Denn in der mündlichen Auseinandersetzung bekommen auch weniger engagierte Schülerinnen und Schüler das kritische Hinterfragen von Ideen mit.
Ein weiterer Aspekt des kritischen Denkens findet sich auf interpersoneller Ebene. Es gibt die Möglichkeit, bei der Abstimmung die eigene Stimme zu delegieren, sprich sie nicht selbst zu nutzen, sondern an jemanden zu übertragen. Wenn man sich selbst nicht genug mit einem Thema auskennt, keine Zeit für Beteiligung oder einfach kein großes Interesse für den Ausgang einer Abstimmung hat, kann man die eigene Stimme an eine Person delegieren, die einem selbst kompetenter, engagierter oder zeitlich flexibler erscheint. Dabei werden Schülerinnen und Schüler zur Reflektion darüber gezwungen, wie gut sie sich selbst mit einem Thema auskennen, wer kompetent und vertrauenswürdig ist und ob diese Person ihre Stimme nach einer gewissen Zeit noch angemessen vertritt. Diese Fähigkeiten sind zentral ganz besonders in repräsentativer Demokratie. Sie verbessern die Qualität der Beteiligung und die Repräsentation der Wählerinteressen. Sie geben jungen Menschen außerdem ein Gefühl für ihre eigenen Kompetenzen und das Vertrauen, das andere in sie setzen können und erhöhen so die Selbstwirksamkeit.
4. Kommunikation
Da so ziemlich alles Kommunikation ist, muss dieses Ziel spezifiziert werden. Im Rahmen der relevanten Kompetenzen für die Zukunft ist hier die Fähigkeit zur zielgerichteten und effektiven Kommunikation gemeint, also die Wahl von angemessenem Kanal und Sprache unter den spezifischen Konventionen des jeweiligen Mediums. Die Kommunikation bei aula soll nachhaltig sein und findet deshalb auf einer Vielzahl von Kanälen statt. Online werden Ideen schriftlich eingestellt und mit schriftlichen Verbesserungsvorschlägen versehen. Dabei hat aula keine “Kommentarfunktion”, wodurch besonders die Kompetenz des problemlösungsorientierten Feedbacks gefördert wird, die vielen Online-Diskussionen abgeht. Zu Ideen lassen sich nur Verbesserungsvorschläge einstellen. Die beginnen stets mit dem gedachten Satz: “Ich stimme deiner Idee zu, aber nur wenn…”. Diese Fähigkeit wird im Unterricht im Rahmen des aula-Projekts geübt. Diese Art der Online-Kommunikation erlaubt Problemlösungsprozesse, die einen Anfang und ein Ende haben und dabei den Ideengeber nicht beleidigen. Das unterscheidet sie, beispielsweise, von einer Facebook-Diskussion.
Ansonsten findet die Kommunikation bei aula aber auch ganz explizit auf Offline-Kanälen statt. So gibt es im Optimalfall zum Beispiel eine regelmäßige aula-Stunde, in der Ideen mündlich vorgestellt und weiterentwickelt werden. Zu Zwecken der Werbung für die eigene Idee oder eine anstehende schulweite Abstimmung werden auch Plakate geklebt, Snapchat-Stories gebaut, WhatsApp-Nachrichten verschickt, Lautsprecher-Durchsagen gemacht und Mund-zu-Mund-Propaganda betrieben.
Die Vielfalt der Kanäle wird im Lehrleitfaden betont und gezielt genutzt. Das fördert bei Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit, einen für eine Aufgabe geeigneten Kanal zu suchen und ihn effektiv einzusetzen. Wann braucht eine Frage zu einer “Idee” eine persönliche Unterredung mit der Schulleitung? Was muss hingegen transparent bei der Schulversammlung angesprochen werden? Welche Informationen sollten schriftlich und welche lieber über den Lautsprecher verbreitet werden? Wie nutzen wir das schwarze Brett effektiv? Nur im Ausprobieren erleben Schülerinnen und Schüler die feinen Unterschiede zwischen verschiedenen Formen schriftlicher und mündlicher Kommunikation. Teilnehmer, die die deutsche Sprache noch lernen, können dabei andere Ausdrucksformen bevorzugen, als eloquente Muttersprachler. Die Hauptsache ist, dass alle eine eigene Ausdrucksform finden und einem kritischen Vergleich unterziehen können.
Dies war ein grober Überblick, wo aula beispielhaft Kompetenzen fördert, die nicht nur in anderen Unterrichtsfächern, sondern auch in der beruflichen Zukunft und dem sozialen Leben der Schülerinnen und Schüler hoch relevant ist. Da das Projekt stets aktuelle Probleme rund um die Schule behandelt, tauchen viele Spezialfälle auf, die die eine oder andere Kompetenz auf andere Weise fördern. So mussten die Schülerinnen und Schüler in Freiburg eine zu niedrige Wahlbeteiligung analysieren und eigenständig Maßnahmen dagegen entwickeln; in Nottuln mussten sie ihre Lehrerinnen und Lehrer von den Vorteilen des Systems überzeugen; in Jena muss aula mit den anderen Möglichkeiten der Beteiligung verzahnt werden.
Kollaboration, Kreativität, Kommunikation und kritisches Denken werden in erster Linie da erlernt, wo gemeinsam Verantwortung getragen wird. Diese Kompetenzen können nicht erworben werden, wenn sie nicht angewandt werden müssen und Verantwortung kann nicht gelernt werden, wenn sie nicht gegeben wird.
Es ist deshalb wichtig, das scheinbare Risiko der Verantwortungsabgabe an Schülerinnen und Schüler zu wagen. Das Risiko, dass sie in der digitalisierten Welt ohne die Fähigkeit zum vernetzten Problemlösen dastehen und mit Computerprogrammen um Arbeit konkurrieren müssen, ist weit größer. Deshalb lohnt es sich, diese Kernkompetenzen immer wieder mit all ihrem vielschichtigen Inhalt zu betrachten und die eigene Lehre und eigene Projekte zu hinterfragen:
Fördere ich die Fähigkeiten, die in diesem Jahrhundert dringend gebraucht werden?
Titelbild by: FotoEmotions, CC0 Public Domain, on pixabay.com– Eigene Bearbeitung
Text: CC-BY-SA 3.0