Wer einen Link auf eine Seite mit illegalen Inhalten setzt, kann dafür haftbar gemacht werden. Das im September 2016 gefällte Linkhaftungs-Urteil des Europäischen Gerichtshof wurde letzte Woche vom Landesgericht Hamburg angewandt. Wir haben bei dem Experten für digitales Urheberrecht David Pachali nachgefragt, was dies konkret bedeutet und welche Auswirkungen sich dadurch für die Zukunft der Netzwelt ergeben.
Wenn Webseiten-Betreiber auf Internetseiten mit rechtswidrigen Inhalten verlinken, können sie laut dem Europäischen Gerichtshof nun dafür abgemahnt werden. Dieses Linkhaftungsurteil hat nun auch das Landgericht Hamburg zum ersten Mal angewendet und einem Anbieter von Lehrmaterial eine Abmahnung von 1.000 Euro zukommen lassen. Nach Anfragen der Heise Gruppe wollte jedoch nicht einmal das Landgericht selbst die Rechtmäßigkeit seiner Online-Inhalte für rechtsverbindlich erklären. Um genauer zu verstehen, was das Urteil nun eigentlich beinhaltet, hat uns der Redaktionsleiter der Website iRights.info seine Einschätzungen dazu mitgeteilt.
Das Urteil bezieht sich auf eine gewerblich betriebene Website mit „Gewinnerzielungsabsicht“. Können Sie erklären, welche verschiedenen Akteure darunter fallen? Ein privat geführter Blog, der Einnahmen über Bannerwerbung oder Affiliate-Links generiert? Eine Geschäftswebsite, die nur als Visitenkarte genutzt wird und über die primär nichts verkauft wird? Oder andersrum gefragt, wer fällt nicht darunter und muss sich erstmal keine Sorgen machen, wohin er von seiner Website aus verlinkt?
David Pachali: Allgemeingültige Regeln gibt es leider noch nicht. Bislang gibt es ja nur zwei Entscheidungen in genau diesem Zusammenhang: Eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg und eine Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom September, auf die sich das Landgericht Hamburg beruft — oder zumindest glaubt, sich berufen zu können.
Es ist vielleicht hilfreich, sich vor Augen zu führen, wie es zu der Rechtsprechung überhaupt kam: Bei dem Fall am EuGH ging es um ein reichweitenstarkes Klatsch-Portal eines Verlagsunternehmens. Da war es so, dass die Seite auf Fotos verlinkte, die bei einem Filehoster unerlaubt veröffentlicht waren. Als die Fotos dort gelöscht wurden, tauchten sie anderswo wieder auf und die Seite verlinkte auch dorthin. Damit war es relativ eindeutig: Die Seite weiß, was sie tut, und verlinkt dennoch auf Urheberrechtsverletzungen.
Entscheidend ist nach diesem Urteil daher die Kenntnis oder das „Kennenmüssen“: Müsste ein Seitenbetreiber wissen, dass die verlinkten Inhalte Urheberrechte verletzen – und tut er es dennoch? Bei Seiten mit „Gewinnerzielungsabsicht“ kann man nach Ansicht des EuGH vermuten, dass sie von Urheberrechtsverletzungen wissen müssten. Der EuGH hat dann noch versucht, zumindest private Nutzer aus der Schusslinie zu nehmen. Aber da tut sich natürlich ein riesiger Graubereich auf.
In diesem Graubereich hat das Landgericht Hamburg dann noch einmal sehr schnell zugunsten von Rechteinhabern entschieden. Da ging es um eine Website, auf der der Betreiber auch Lernmaterial gegen Geld anbot. Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg war das ausreichend für die „Gewinnerzielungsabsicht“. Es soll dabei nicht auf den konkreten Link ankommen, sondern die Website als ganze. Einen ähnlichen Graubereich gibt es zum Beispiel bei Creative-Commons-Lizenzen zur nicht-kommerziellen Nutzung. So unbefriedigend es ist: Wer sonst darunter fällt und Kenntnis haben müsste, müssen dann weitere Gerichtsentscheidungen zeigen.
Bezieht sich das Urteil auf die Setzung eines Hyperlinks auf ein konkretes Objekt (z.B. Foto, Video, Text), eine Unterseite, oder auf die ganze Webpräsenz?
Bei der Entscheidung des Landgerichts Hamburg ging es um einen Link, der direkt auf eine Unterseite mit der Rechtsverletzung führte. In dem Fall vorm Europäischen Gerichtshof führte der Link auf eine Zwischenseite und man musste sich noch mal weiterklicken. Wie tief man da prüfen soll, kann derzeit leider niemand mit Sicherheit sagen.
Wie kann ich denn überhaupt erkennen ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt?
Das wüsste ich auch gerne. Denn sehr häufig ist selbst für geübte Augen gar nicht ohne Weiteres zu erkennen, ob auf einer Website Urheberrechte verletzt werden. Nur selten ist das relativ deutlich. Wenn zum Beispiel auf einer Website mit so einer Südsee-Adresse Kinofilme massenhaft kostenlos bereitstehen, wird es wohl nicht mit rechten Dingen zugehen.
Aber das erwähnte Urteil des EuGH beschränkt sich nicht auf „offensichtliche“ Rechtsverletzungen, bei denen sich dieser Eindruck unmittelbar aufdrängt. Wer verlinkt, soll vielmehr aktiv nachforschen. Aber selbst, wer zum Beispiel bei einer anderen Website nachfragt, ob dort alles OK ist, kann nicht sicher sein, dass nicht doch irgendwo Urheberrechte verletzt werden. Es könnte ja zum Beispiel in der Lizenzkette ein Fehler passiert sein. Diese Prüfpflicht ist aus einer sehr speziellen Konstellation entstanden, aber in der Praxis ist das ziemlich weltfremd.
David Pachali ist Redaktionsleiter der Webseite iRights.info. Er ist außerdem als freier Journalist und Experte für Urheberrecht in der Netzpolitik tätig. Weitere Infos: http://david.pachali.net/
Angenommen, ich überprüfe die Website, auf die ich verlinken will, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt. Was passiert, wenn der Websitebetreiber im Nachhinein illegale Inhalte online stellt bzw. mit seinen Inhalten gegen das Urheberrecht verstößt. Müsste ich in bestimmten Zeiträumen die Website und ihre Inhalte kontrollieren, um mich abzusichern?
Auch das kann im Moment niemand mit Sicherheit sagen.
Bezieht sich die Entscheidung nur auf Webseiten oder auch auf Links, die man in Social Media postet?
In den beiden Entscheidungen spielte Social Media keine Rolle. Für die Betreiber sozialer Netzwerke gilt meist ein sogenanntes Haftungsprivileg, solange sie nicht wissen, was ihre Nutzer posten. Für die Nutzer selbst macht es aber keinen großen Unterschied, ob sie Links auf einer Website setzen oder in sozialen Netzwerken. Von daher ist die Frage bei Social Media dieselbe: Müsste, wer öffentlich postet, von Urheberrechtsverletzungen wissen, weil er mit „Gewinnerzielungsabsicht“ handelt?
Zusätzlich ist bei sozialen Netzwerken relativ ungeklärt, ab wann dort eine „Öffentlichkeit“, so wie das Urheberrecht sie versteht, erreicht ist. Unter Umständen kann sie sich auch ergeben, wenn man technisch betrachtet nicht „öffentlich“ postet. Andererseits: Wenn man bedenkt, dass bei Social Media schon bislang vieles ungeklärt war, passiert relativ wenig. Die Warnungen vor Abmahnwellen waren meist etwas vorschnell, auch wenn es natürlich immer wieder Probleme gibt. Meine Twitter-Timeline war auch schon vor den Link-Urteilen zu gefühlt einem Drittel illegal oder halblegal.
Wenn nicht mal das Landgericht Hamburg auf Anfrage eine rechtsverbindliche Erklärung über die einwandfreie Rechtmäßigkeit seiner Inhalte abgegeben kann oder will, wie soll man vorgehen, wenn man eine Anfrage eines anderen Webseiten-Betreibers erhält?
Die Anfrage von Heise Online beim Landgericht Hamburg zeigt ja auf kluge Weise, wie schnell man nach dieser Entscheidung in der Realsatire landet. Ich würde so eine rechtsverbindliche Erklärung als angefragter Website-Betreiber auch nicht abgeben.
Wie würden Sie nun weiter vorgehen – Ist es erstmal sicherer, bis auf weitere Rechtsprechungen, alle Links zu entfernen?
Sicherer wäre es, aber vor allem würde ich jetzt nicht in Panik verfallen. Man könnte vorsichtshalber auch die Kommunikation über das Internet einstellen und die Kulturtechnik der Verlinkung zu den Akten legen. Die Frage ist doch: Zu welchem Preis? Wenn Websitebetreiber aus Angst keine Links mehr setzen, gibt es ein ernstes Problem für die Meinungs- und Informationsfreiheit. Das hat auch der EuGH nach meiner Meinung zu wenig bedacht. Diese Gefahr ist in dem Urteil angelegt, auch wenn das Landgericht Hamburg in dem konkreten Fall vielleicht einfach falsch entschieden hat. Aber es muss sich noch herausschälen, was daraus in der Praxis für Website-Betreiber folgt.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung? Worauf können wir uns einstellen?
Die Entscheidung des Landgerichts war ja eine einstweilige Verfügung — eine Art Eilverfahren, aus dem man letztlich noch keine allgemeinen Regeln ableiten kann. Wie weit die Prüfpflichten bei der Verlinkung reichen, musste das Gericht nicht weiter erörtern, weil der Webseitenbetreiber erklärt hatte, dass er zu Prüfungen gar keinen Anlass sehe und die Entscheidung so akzeptiert hat.
Ich erwarte, dass es da in naher Zukunft weitere Entscheidungen geben wird. Es ist immerhin möglich, dass die Gerichte die Link-Prüfpflicht dann zumindest wieder auf ein halbwegs praktikables Maß zurechtstutzen und sich der Schaden durch das EuGH-Urteil in Grenzen hält. Außerdem hoffe ich auf die normative Kraft des Faktischen.
Titelbild: Pixabay, CC0 bearbeitet
Portrait: Bereitgestellt von David Pachali, Copyright: Mika Redeligx
Das kann man nicht sagen, das müssen weitere Entscheidungen zeigen, wir hoffen, man sollte nicht in Panik verfallen, wir vertrauen auf die normative Kraft des Faktischen usw.
Selten habe ich einen Bericht gelesen, der so schwammig formuliert ist.
Hallo Eberhard,
das liegt in der Natur der Sache. Das Urteil des EuGH hat eine neue Situation geschaffen und vor allem Unsicherheit. Und so eine Entscheidung eines Landgerichts ist nun mal kein Gesetz, das allgemeingültige Regeln aufstellt.