Am Dienstag, den 28.März
2006, war Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister
(CDU), zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de.
Er beantwortete Fragen zum
Ausgang der Landtagswahlen, zum umstrittenen hessischen Einbürgerungstest
und zu einem möglichen Einsatz der Bundeswehr bei der bevorstehenden
Fußball-WM.

Moderator: Heute begrüßen
wir im ARD-Hauptstadtstudio Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble.
Herr Schäuble hat zuletzt besonders zu den Themen Zuwanderung
und den Einsatz der Bundeswehr bei der bevorstehenden Fußball-WM
Stellung bezogen. Selbstverständlich ist unser Chat auch heute
wieder für Fragen aus anderen Themenbereichen offen. Herr Schäuble,
können wir beginnen?

Wolfgang Schäuble: Bitte, ja.

Musgries: Herr Schäuble, nach knapp vier
Monaten der neuen Bundesregierung werden nun langsam auch die Themen
angegangen, die für Konflikte innerhalb der großen Koalition
sorgen. Welche Themen gehören dazu und wo sehen Sie die größten
Differenzen gegenüber der SPD?

Wolfgang Schäuble: Wir haben ja die Gesundheitsreform
bei den Koalitionsverhandlungen zurückgestellt, weil wir dort
große Unterschiede haben. In dieser Woche beginnen die Gespräche
zwischen CDU/CSU und SPD. Außerdem müssen wir den Arbeitsmarkt
weiter flexibilisieren und in absehbarer Zeit muss der Finanzminister
mit den Arbeiten an der Unternehmenssteuerreform beginnen.

Uli12: Hallo Herr Schäuble. Wie bewerten
Sie den Ausgang der Landtagswahlen am Sonntag?

Wolfgang Schäuble: In Baden-Württemberg
gut, in Sachsen-Anhalt auch gut, in Rheinland-Pfalz sind wir natürlich
traurig. Aus der Sicht der Bundesregierung wird man allerdings sagen
können, dass alle drei Landtagswahlergebnisse eher eine Bestätigung
der Politik von Angela Merkel sind.

Moderator: Auch wenn Rot und Schwarz hat in absoluten
Zahlen verloren haben?

Wolfgang Schäuble: In absoluten Zahlen haben
alle verloren, weil die Wahlbeteiligung so traurig niedrig ist.
Aber das hat wohl auch damit zu tun, dass weniger Streit, der von
allen immer gefordert wird, im Ergebnis zu weniger Wahlbeteiligung
führt.

Lennox: Sehr geehrter Herr Schäuble, verstehen
Sie, warum es eine Opposition zur Einführung von Einbürgerungstests
gibt? Sollte das nicht eines der normalsten Dinge sein?

Wolfgang Schäuble: Dass es unterschiedliche
Auffassungen, also Opposition gibt, ist völlig normal. Dass
man vor Erwerb der Staatsangehörigkeit etwas davon wissen sollte,
was diese Staatsangehörigkeit ausmacht, scheint mir auch normal
zu sein. Für viele Dinge müssen wir unsere Fähigkeiten
nachweisen, warum nicht für den Erwerb der Staatsangehörigkeit.

E-Woman: Hallo Wolfgang, durch die Möglichkeit
des Trainierens von Antworten ist der Einbürgerungstest doch
wenig aussagekräftig. Wo wird da die Geisteshaltung geprüft?

Wolfgang Schäuble: Auch mit dem Trainieren
von Antworten lernt der Bewerber etwas über unser Land. Und
das ist der Sinn der Sache.

S.Haber: Können Sie mir zwei deutsche Mittelgebirge
nennen?

Wolfgang Schäuble: Den Harz und den Schwarzwald.

pompardine: Hallo Herr Schäuble! Ich halte
die Einbürgerungstests ja an sich für eine gute Idee,
aber wenn man sieht, dass nicht mal Deutsche, vor allem Schüler,
diese Fragen zum größten Teil beantworten können,
fange ich an zu zweifeln! Was denken Sie darüber?

Wolfgang Schäuble: Die Vorbereitung auf einen
solchen Test führt dazu, dass man etwas lernt, was man bisher
nicht weiß. Auf die Weise bekommt man Kenntnisse von unserem
Land, die jemand, der hier geboren und aufgewachsen ist, so nicht
nachzuweisen braucht.

michael schäfer: Ich komme aus Berlin und
mich bewegt die mögliche Abschiebung der Familie Aydin. Die
Familie lebt schon lange hier und ist gut integriert. Die 17-jährige
Tochter Hayriye wurde letzte Woche sogar von Bundespräsident
Horst Köhler für ihr soziales Engagement ausgezeichnet.
Gibt es für diese Familie noch Hoffnung?

Wolfgang Schäuble: Zuständig für
die Entscheidung ist das Land, nicht die Bundesregierung. Deswegen
muss ich mich etwas zurückhalten. Das Problem liegt darin,
dass die Eltern, soweit ich es verstanden habe, früher falsche
Angaben gemacht haben. Ob man deshalb ein Kind, das hier lange aufgewachsen
ist, abschieben muss, das ist genau das Problem.

CDUwähler: Wäre ein Bewerbungsgespräch,
in dem entsprechende Fragen gestellt werden, nicht geeigneter um
eine richtige Haltung gegenüber unseren Werten zu überprüfen?

Wolfgang Schäuble: Das ist der Weg, den zurzeit
Baden-Württemberg geht. Nun müssen die Länder ihre
Erfahrungen austauschen, um zu einer gemeinsamen Position zu kommen.

Moderator: Ist Deutschland nun eigentlich ein
Einwanderungsland oder nicht?

Wolfgang Schäuble: Ich kann mit dem Begriff
nicht viel anfangen, weil unterschiedliches darunter verstanden
wird. Natürlich findet ständig Einwanderung nach Deutschland
statt. Aber klassische Einwanderungsländer sind solche, die
sich die Menschen aussuchen, die zu ihnen kommen dürfen. Und
das war bisher nicht die Situation in Deutschland.

Moderator: Noch einmal zur niedrigen Wahlbeteiligung:

Werner11: Welche Ursachen hat diese Politikverdrossenheit?

Wolfgang Schäuble: Ich weiß nicht,
ob es Politikverdrossenheit ist. Man könnte ja auch unterstellen,
die Leute seien mit den Verhältnissen so zufrieden, dass sie
nicht einmal zur Wahl gehen wollen. Das ist dasselbe Problem, wie
die Debatte über Streit oder Konsens. Auf der einen Seite sagen
die meisten, die Parteien sollten nicht so viel streiten sondern
mehr an einem Strang ziehen. Aber wenn sie dann in einer großen
Koalition zusammenerarbeiten wird gesagt, mangels Alternativen sei
es ja langweilig.

Student-xy: Guten Tag! Andere Staaten haben bereits
Einbürgerungstests, in wie weit kann Deutschland auf die Erfahrung
dieser für sich selber zurückgreifen beziehungsweise sich
mit diesen Staaten austauschen?

Wolfgang Schäuble: Wir tun das. Und in der
Tat berufen sich die Befürworter von Tests auf die positiven
Erfahrungen anderer Länder.

Monne: Oftmals verlassen Politiker die Diskussionsrunde,
wenn Rechtsradikale anfangen zu reden. Wann gibt es endlich eine
Offensive, in welcher dem Radikalismus inhaltlich die Argumente
genommen werden und zwar spürbar in der ganzen Bundesrepublik?

Wolfgang Schäuble: Ich finde, die Wahlergebnisse
vom letzten Sonntag zeigen, dass wir in der Bekämpfung des
Rechtsradikalismus erfolgreich sind. Entgegen manchen Befürchtungen
sind sie überall klar an der 5 Prozent-Grenze gescheitert.
Und das ist der beste Weg, Rechtsradikale zu bekämpfen: Dafür
zu sorgen, dass sie keine Unterstützung in der Bevölkerung
finden.

Wenzel: So bekämpfen wir sie auf der politischen
Schiene, aber wie wollen sie rechtsradikale Jugendliche von ihrem
falschen Weg abbringen?

Wolfgang Schäuble: Durch Argumente, durch
Vermittlung von politischen Inhalten, die nicht radikal sind und
durch öffentliche Ächtung von Rechtsradikalismus.

admiralitaet: Welche Legitimation hat eine Landesregierung
bei unter 50 Prozent Wahlbeteiligung?

Wolfgang Schäuble: Wahlen sind Wahlen. Wer
nicht wählt, trifft auch eine Entscheidung – und akzeptiert,
dass die Mehrheit der anderen verbindlich ist. Das ist das Grundgesetz
der Demokratie. Im Übrigen müssen diejenigen, die nicht
wählen, sich die Frage stellen, wie es mit ihrem Demokratieverständnis
steht.

TKS: Hallo Herr Schäuble. Ich würde
Sie gerne fragen, ob es nicht auch andere Möglichkeiten gibt,
um zu "messen", wie gut sich eine eingewanderte Person/Familie
in unserer Gesellschaft integriert (hat)?

Wolfgang Schäuble: Natürlich gibt es
viele Möglichkeiten. Bei vielen stellt sich die Frage gar nicht.
Aber bei denjenigen, die eben nicht mit dem deutschstämmigen
Teil der Bevölkerung kommunizieren ist es schon richtig, ein
bisschen genauer danach zu schauen, ob sie denn überhaupt mit
uns zusammen leben wollen.

Moderator: Was halten Sie vom Vorschlag Stoibers,
sich am Modell USA zu orientieren, sprich: Interviews mit anschließenden
Prüfungen?

Wolfgang Schäuble: Das ist eine Möglichkeit,
die sich ja nicht nur in den USA gut bewährt.

B. Wunden: Zur Einwanderung: Wäre es nicht
besser, einen europäischen "Verteilungsschlüssel"
einzuführen? Denn schließlich halten Italien und Spanien
mit ihrer Arbeit illegale Einwanderer auch davon ab nach Deutschland
zu kommen.

Wolfgang Schäuble: Es gibt eben Menschen,
die möchten nach Finnland und nicht nach Portugal. Und deswegen
wird es mit einem europäischen Einwanderungsschlüssel
nicht ganz einfach sein. Aber diejenigen, die aus Verfolgung Zuflucht
suchen, die könnten schon solidarisch in Europa verteilt werden.
So wie wir das auch in Deutschland zwischen den Bundesländern
machen.

jsmo: Wie stellen sie sich den Bevölkerungsschutz
in 5-10 Jahren vor?

Wolfgang Schäuble: Das ist eine etwas umfassende
Frage, denn die Bedrohungen – sei es durch Naturkatastrophen, sei
es durch neue Epidemien oder auch durch den internationalen Terrorismus
– sind ungeheuer vielfältig. In einer Zeit, in der sich durch
die wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen alle Verhältnisse
rasend schnell ändern, müssen wir immer daran arbeiten,
optimalen Schutz auch gegen neue Bedrohungen zu gewährleisten.
Aber konkret kann man das für die nächsten zehn Jahre
nicht vorhersagen, weil letzten Endes die Zukunft immer ungewiss
ist.

Moderator: Zwei Fragen mit ähnlichem Tenor:

Heitmann: Herr Schäuble, muss ich bei einem
Bundeswehreinsatz zur Fußball-WM etwa an schwer bewaffneten
Soldaten vorbei ins Stadion gehen?

PeterPan: Wird die Bundeswehr während der
WM im Inland eingesetzt werden? Ist das wirklich nötig?

Wolfgang Schäuble: Kein Mensch hat je daran
gedacht, die Fußballstadien durch die Bundeswehr zu schützen.
Worum es geht ist, dass die Bundeswehr bestimmte Fähigkeiten,
die nur sie hat, etwa im ABC-Schutz, für den Notfall bereit
hält und zur Verfügung stellt. Darüber hinaus könnte
die Bundeswehr die Polizei an anderer Stelle soweit entlasten, dass
wir notfalls mehr Polizisten für den Schutz der Stadien aber
auch der öffentlichen Plätze, an denen Fernsehübertragungen
stattfinden, zur Verfügung haben.

Zweiniger: Wie kann eine ohnehin schon unterdurchschnittlich
finanzierte, nicht polizeilich ausgebildete Bundeswehr während
der Fußballweltmeisterschaft die Polizeiorgane sinnvoll unterstützen?

Wolfgang Schäuble: Auf dem Balkan tut sie
das auch, und in Afghanistan ebenso. Warum soll sie das nicht auch
in Deutschland können?

Sonne: Wie sicher ist die Fußball-WM, vor
allem das Public Viewing? Was passiert, wenn dort jemand eine Bombe
zündet?

Wolfgang Schäuble: Nach menschlichem Ermessen
ist die Fußball-WM gut geschützt. Aber die Herausforderung
ist angesichts der vielen Public-Viewing Veranstaltungen riesengroß.
Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass eine Bombe gezündet
wird. Aber hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.

FLo7: Wie sehen Sie derzeit das Problem der Rechtsradikalität
im Fußball?

Wolfgang Schäuble: Nicht besonders. Schließlich
sind im Fußball so viele Stars aus anderen Kontinenten – auch
in der Bundesliga – eingesetzt. So dass die Gefahr von Nationalismus
und Rassismus nicht groß sein kann.

syrakuse: Thema Fußball-WM: Wie steht es
um die IT-technische Ausstattung der Polizeien in Bund und Ländern?
Datenaustausch gewährleistet? Insbesondere bei Einsatz an "offenen"
Versammlungsplätzen (Big Screens)?

Wolfgang Schäuble: Die Polizeien von Bund
und Ländern sind fortlaufend dabei, ihre technischen Ausstattungen
weiter zu entwickeln. Angesichts der rasanten Entwicklung in der
Informationstechnologie ist man da nie am Ende. Aber für die
Fußball-WM sind wir gut vorbereitet.

jsmo: Wenn Bundeswehr zur WM eingesetzt werden
soll, so heißt das, dass die Möglichkeiten und Strukturen
des Schutzes der Bevölkerung in ihrer aktuellen Form nicht
ausreichen – trifft dies zu und wie soll hier Abhilfe geschaffen
werden?

Wolfgang Schäuble: Die Bundeswehr wird nur
das tun, was sie nach dem Grundgesetz darf. Aber das wird sie auch
tun. Da die Fußball-WM Sicherheitsherausforderungen in einer
bisher nicht gekannten Größenordnung stellt – insbesondere
beim Public Viewing – ist es ja nur vernünftig, dass alle Verantwortlichen
sich bemühen, das menschenmögliche an Vorkehrungen zu
leisten.

Moderator: Im Zusammenhang mit der Diskussion
um den Einsatz der Bundeswehr bei der WM war oft davon die Rede,
worauf Sie angeblich hinaus wollen: Es war die Rede vom „amerikanischen
Modell“ oder von der Bundeswehr als „stiller Reserve
der Polizei“. Trifft das zu?

Wolfgang Schäuble: Die Aufgaben von Polizei
und Bundeswehr sind unterschiedlich. Das bleibt auch in der Zukunft
so. Aber die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit
sind durch die Entwicklungen in der globalisierten Welt sehr fließend
geworden. War der elfte September 2001 ein Fall der inneren oder
der äußeren Sicherheit? Die UNO hat ihn jedenfalls als
"kriegerischen Akt" gemäß der Charta der Vereinten
Nationen gewertet.

Finity: Sind Sie der Meinung, man sollte die Bundeswehr
auch nach der WM in Bereichen der inneren Sicherheit einsetzen?

Wolfgang Schäuble: In dem Sinne, dass die
Bundeswehr dort tätig sein muss. Wo die Möglichkeiten
der Polizei erschöpft sind, halte ich es für richtig,
dafür die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

pompardine: Wie sicher ist das Verfahren zur Einstellung
der Sicherheitskräfte zur WM hinsichtlich der Herausfiltrierung
von Rechtsradikalen und Hooligans ohne bekannte Vorbestrafung?

Wolfgang Schäuble: Auf bitten des Organisationskomitees
werden diejenigen, die im Stadionbereich tätig sind, anhand
vorhandener Karteien überprüft. Aber wer bisher nicht
auffällig geworden ist, kann dabei auch nicht erkannt werden.

Levent: Herr Schäuble, glauben Sie nicht,
dass ein Militäraufgebot zur WM in Deutschland, ein "falsches"
Bild der Deutschen vermittelt?

Wolfgang Schäuble: Nein. Es gibt kein Land,
in dem der Einsatz der Armee im Inneren so begrenzt ist wie in Deutschland.
Wenn wir also tun, was alle anderen machen, schaffen wir kein falsches
Bild.

Moderator: Zwei ähnliche Fragen:

UKvsD: Warum wird nicht endlich in Deutschland
eine Berufsarmee eingeführt? Brauchen wir den ganzen Block
von Pflichtdienst und alternativem Zivildienst? Mit einer Berufsarme
würden doch ganz andere Qualitätsmaßstäbe freigesetzt.

Browser: Warum gibt es nicht die Berufsarmee?
Ist das bisherige System nicht längst überholt angesichts
neuer Herausforderungen?

Wolfgang Schäuble: Im internationalen Vergleich
kann sich die Bundeswehr mit der Mischung aus Berufs- und Zeitsoldaten
und Wehrpflichtigen durchaus sehen lassen. Durch die Wehrpflicht
finden viele überdurchschnittlich qualifizierte Bewerber auch
den Weg in die Laufbahn des Berufs- oder Zeitsoldaten. Im Übrigen
ist durch die Wehrpflicht die Armee in unserer demokratisch verfassten
Gesellschaft gut verankert.

Moderator: Zu den Unruhen in Frankreich:

Regierungsinspektor: Welche Maßnahmen können
wir in Deutschland ergreifen, damit solche brenzligen Situation
in Bezug auf die Jugendlichen nicht auch bei uns vorkommen?

Wolfgang Schäuble: Ich glaube die Situation
in Deutschland ist mit der Lage in den französischen Banlieus
nicht zu vergleichen. Aber auch wir werden alles tun müssen,
um die Menschen ausländischer Abstammung möglichst gut
zu integrieren. Was die aktuellen Auseinandersetzungen um die französische
KündigungsschutzGesetzgebung angeht, sehe ich keine Parallelen
zu Deutschland. Im Übrigen haben wir ja die Möglichkeit
von zweijährigen Probezeiten, was Frankreich jetzt einführen
möchte.

gengenbach: Überwachungskameras schützen
nicht vor Verbrechen! Dass haben wir ja jetzt bei der Überwachung
der Kanzlerwohnung gesehen. Wie stehen sie dazu?

Wolfgang Schäuble: Ich habe bisher nicht
gehört, dass in der Kanzlerwohnung ein Verbrechen verübt
worden sei. Im Übrigen haben Videokameras manchmal schon eine
abschreckende Wirkung. Vermutlich wäre etwa die Zahl der Ladendiebstähle
durchaus größer, wenn es keine Videoüberwachung
gäbe.

nk: Wie schätzen Sie die Diskussion über
die Abgeordnetengehälter ein? Kollege Merz hat sich ja ausdrücklich
dagegen ausgesprochen.

Wolfgang Schäuble: Friedrich Merz wehrt sich
dagegen, dass Abgeordnete andere Einkünfte offen legen sollen.
Darüber wird das Verfassungsgericht entscheiden müssen.

alleswasrechtist: Wie sieht die Zukunft des Beamtentums
aus?

Wolfgang Schäuble: Wir werden auch in Zukunft
für die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben ein leistungsfähiges
Beamtentum brauchen, mit dem wir in der Vergangenheit gut gefahren
sind. Das schließt eine Modernisierung, die im Übrigen
auch immer stattgefunden hat, natürlich nicht aus.

nele: Herr Schäuble, ist Bürokratieabbau
für Bürger und Verwaltung noch Ihr Thema?

Wolfgang Schäuble: Ja, für die Bürger
schon deswegen, weil sie sich über zuviel Bürokratie zu
recht ärgern. Und deshalb bemühen wir uns auch in der
Verwaltung, möglichst viel Bürokratie abzubauen.

Fewnaf: Rente: Wie viel Sinn macht private Vorsorge?
Wenn jemand als Vorsorge fürs Alter ein Haus kauft, kann es
ihm wieder weggenommen werden, wenn er arbeitslos wird. Finden Sie
einen solchen Eingriff des Staates rechtens? Betriebswirtschaftlich/bürokratisch
ist eine solche Maßnahme auf jeden Fall unsinnig, da der Staat
das Haus zwar einkassiert, aber dem arbeitslosen Vorbesitzer Miete
zahlen muss (evtl. sogar für ein anderes Haus).

Wolfgang Schäuble: Ich denke, dass das Prinzip
richtig ist, dass die Gemeinschaft der Steuerzahler einem Menschen
nur dann hilft, wenn er selbst nicht in der Lage ist, sich zu helfen.
Deswegen ist private Vorsorge für das Alter durchaus richtig.
Denn es geht ja darum, die gesetzliche Rente zu ergänzen und
dabei wird dann Erspartes nicht angerechnet.

sebastian80: Sie wissen, dass das Renten- und
das Krankenversicherungssystem in Deutschland definitiv kollabieren
werden. Die "Korrekturen", die momentan geplant sind,
verzögern den Zusammenbruch nur. Warum handelt die Politik
seit über 30 Jahren nicht entsprechend? Was kann getan werden,
um die Politik in Deutschland handlungsfähiger und -williger
zu gestalten?

Wolfgang Schäuble: Politik handelt fortlaufend,
um unsere gesetzlichen Sicherungssysteme an die demografische Entwicklung
anzupassen. Das ist das eigentliche Problem, dass der Anteil älterer
Menschen – vor allem auch durch steigende Lebenserwartung – größer
und der Anteil jüngerer kleiner wird. Gegen diese Veränderung
beziehungsweise die sich daraus ergebenden Konsequenzen gibt es
in der Öffentlichkeit viel Widerstand, weshalb mutige Reformkonzepte
oft vom Wähler nicht belohnt werden. Wenn man entschlossenere
Reformen will, muss man sich mit den politischen Debatten und bei
den Wahlen dafür entsprechend engagieren. Einen anderen Weg
gibt es in der Demokratie nicht.

Florian Bott: Noch eine Frage zum Gesundheitssystem:
Welche Reaktion würde die Bundesregierung zeigen, wenn die
Mehrheit der deutschen Ärzte ihre Kassenzulassung zurückgeben
wird, falls den Ärzte-Streik-Forderungen nicht nachgegeben
würde?

Wolfgang Schäuble: Ich denke, es wir immer
genügend Ärzte geben, die bereit sind, kranken Menschen
zu helfen. Man sollte im Übrigen die Probleme von Ärzten
immer auch ein wenig vergleichen mit den Nöten von Menschen,
die keinen Arbeitsplatz haben.

Don_Mulli: Lieber Herr Schäuble, der Spiegel
berichtete kürzlich über die von der damaligen Bundesregierung
zurückgewiesene Überführung des so genannten "Bremer
Taliban" aus Guantanamo. Kann ich mir sicher sein, dass unter
Ihrer Führung die Geheimdienste und das Innenministerium anders
entschieden hätten?

Wolfgang Schäuble: Wir haben uns für
die Freilassung von Herrn Kuraz eingesetzt und auch erklärt,
dass er nach Deutschland zurückkehren kann, obwohl er nicht
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Ich denke, dass das
bald der Fall sein wird.

Moderator: Was heiß bald?

Wolfgang Schäuble: Das kann ich so genau
jetzt nicht sagen. Aber die Bundeskanzlerin hat ja auf ihre Bitte
nach Freilassung eine positive Reaktion der amerikanischen Seite
erfahren.

Marcel_Goette: Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,
es gibt Diskussionen, nach denen die Legislaturperiode des Bundestags
auf fünf oder mehr Jahre verlängert werden soll. Halten
Sie dies für richtig?

Wolfgang Schäuble: Ich persönlich finde
vier Jahre ausreichend, aber fünf Jahre ist auch okay. Von
einer längeren Zeitspanne habe ich nicht gehört.

olivares: Werden während der WM Mannschaftsquartiere
wie USA, Iran, Saudi-Arabien besonders geschützt?

Wolfgang Schäuble: Alle Mannschaftsquartiere
werden besonders geschützt. Und natürlich gibt es besonders
gefährdete Mannschaften, zu denen die von Ihnen genannten gehören.
Auf diese wird dann besonders aufgepasst, hoffentlich.

Helmuth Bohl: Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,
wird es in Deutschland je eine Vereinfachung des Steuersystems geben?
Können Sie eine Schätzung in Jahrzehnten abgeben, bis
wann damit gerechnet werden kann?

Wolfgang Schäuble: Ich hoffe noch in diesem
Jahrzehnt.

Debattant: Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr.
Schäuble. Seit der Ablehnung der EU-Verfassung bei den Referenden
in Frankreich und den Niederlanden steckt Europa in der Krise. Welche
Perspektive hat der europäische Integrationsprozess? Sollte
Ihre Idee eines Kerneuropas wiederbelebt werden?

Wolfgang Schäuble: Das kann sein, dass es
dazu kommt. Ich denke, wir müssen uns nach der Einführung
der europäischen Währung in den nächsten Jahren vor
allem darauf konzentrieren, in der Außen- und Sicherheitspolitik
neue europäische Gemeinsamkeit zu entwickeln. Wenn die Menschen
in Europa begreifen, dass europäische Einigung für unser
aller Sicherheit notwendig ist, werden wir auch wieder mehr Zustimmung
für das europäische Projekt bekommen und so die gegenwärtige
Krise überwinden können. Das wird allerdings auch notwendig
sein, dass sich die europäische Ebene nicht in alle Bereiche
einmischt. Vermutlich, werden auf diesem Weg einige europäische
Länder voran gehen in der Hoffnung, dass die anderen später
nachfolgen. Das kann man dann, wenn man will, als Kerneuropa bezeichnen.

Moderator: Zum möglichen Kongo-Einsatz:

JFK: Die Bundesrepublik steht finanziell sehr
schlecht da. Warum müssen ausgerechnet wir den größten
Teil der Soldaten stellen? Wer trägt die Kosten? Kann nicht
die Weltpolizei Großbritannien sich auch beteiligen?

Wolfgang Schäuble: Das ist ein gemeinsamer
europäischer Einsatz, bei dem wir keinen größeren
Anteil tragen, als unserem Verhältnis in Europa entspricht.
Die Briten machen übrigens in Afghanistan sehr viel mehr als
wir.

Regierungsinspektor: Energiepolitik: Wir streben
in Europa eine gemeinsame Energiepolitik an, wie sieht dann der
faktische Verzicht von Atomstrom aus?

Wolfgang Schäuble: Ich halte davon wenig.
Weil ja die anderen Länder überall auf der Welt nicht
auf die friedliche Nutzung der Kernenergie verzichten wollen. Insofern
ist ein nationaler Alleingang immer problematisch. Aber in der Frage
haben die beiden Partner der großen Koalition unterschiedliche
Vorstellungen.

UN-Beobachter: Kann die EU langfristig ein Instrument
der kollektiven Sicherheit darstellen, das der NATO Aufgaben abnehmen
kann (auch operativ)? Eigentlich sollte die NATO als Verteidigungsbündnis
keine Krisenbewältigung durchführen. Ist das eine Lücke
für die EU?

Wolfgang Schäuble: Die EU kann teilweise
Aufgaben wahrnehmen, die sonst auch die NATO machen könnte.
Auf dem Balkan tut sie das schon. Aber auch die NATO werden wir
zur Krisenbewältigung brauchen, weil in der NATO Europäer
und Amerikaner zusammengeschlossen sind. Mit dem Ende des Kalten
Kriegs haben sich die Bedrohungslage und damit auch die Einsatznotwendigkeiten
für die NATO grundlegend verändert.

s: Herr Schäuble, WM, Kongo, Afghanistan,
Balkan: Stößt die Bundeswehr nicht langsam an ihre Grenzen?

Wolfgang Schäuble: Die Bundeswehr ist durch
die vielen Einsätze stark belastet. Aber beispielsweise in
Kongo ist nur ein kleines Kontingent vorgesehen, von nur vier Monaten.

Horace T. West: Laut „Spiegel“ hat
die Bundesrepublik im Korruptionsranking weiter an Boden verloren.
Welche Maßnahmen gedenkt der Innenminister zu ergreifen, um
der Korruption in unserem Land Einhalt zu gebieten? Abgesehen davon,
dass es oft bei uns als Kavaliersdelikt angesehen wird, ist ja wohl
das wichtigste Problem, dass man hierzulande nicht mit allzu intensiver
Strafverfolgung rechnen muss.

Wolfgang Schäuble: Die Strafverfolgungsbehörden
der Länder, die dafür zuständig sind, verfolgen Korruption
mit großem Nachdruck und wachsendem Erfolg. Wir haben die
Gesetze zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität allgemein
verstärkt und das ist auch nicht ohne Wirkung geblieben.

Browser: Herr Schäuble, wie unterstützt
die deutsche Bundesregierung die Opposition in Weißrussland?
Welche Maßnahmen sind ihrer Meinung nach nötig, um ein
auf den Menschenrechten basierendes System zu forcieren?

Wolfgang Schäuble: Die europäische Union
hat ja Sanktionen gegen Weißrussland, wegen der Wahlmanipulation
und der Unterdrückung der Opposition, beschlossen. Daran beteiligt
sich die Bundesrepublik Deutschland. Und es ist auch richtig, dass
wir solche Maßnahmen nicht im nationalen Alleingang, sondern
im europäischen Verbund treffen.

JFK: Glauben Sie, unsere Mannschaft wird Weltmeister?

Wolfgang Schäuble: Als Fußballfan hofft
man immer auf den Erfolg der eigenen Mannschaft. Wunder gibt es
immer wieder und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Moderator: Das waren 60 Minuten tagesschau-Chat.
Viele interessante Fragen sind eingegangen, die wir leider nicht
alle berücksichtigen konnten. Dennoch vielen Dank an alle,
die mitgemacht haben. Besonderen Dank auch an Sie, Herr Schäuble,
dass Sie heute Zeit für unsere User hatten. Nächster Gast
bei uns ist Konrad Schily. Er ist MdB der FDP und wird am Donnerstag,
den 6. April zum tagesschau-Chat ins ARD-Hauptstadtstudio kommen.
Beginnen werden wir pünktlich um 13 Uhr.

Wolfgang Schäuble: Ich bedanke mich für
das Interesse und für viele interessante Fragen. Jedenfalls
ist es besser zu diskutieren, als nicht zur Wahl zu gehen.