Soziale Medien politisieren – das war zumindest die Erwartung an soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, die unsere politische Informationsgesellschaft revolutionieren sollten. Die Ergebnisse einer neuen Studie deuten auf das Gegenteil hin: trotz steigender Nutzerzahlen im Netz bleibt Politik zunächst „offline“.
Die Möglichkeiten der „neuen Medien“ für die Politik scheinen zunächst außerordentlich: unmittelbare Nähe zum Wähler, geringe finanzielle Aufwendung für Kampagnen und vor allem die Möglichkeit, auch die Politikverdrossenen zu erreichen, die sonst um Parteistände einen großen Bogen machen. Das Forschungsprojekt „Politische Kommunikation in Zeiten von Social Media“ von Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, und dem Meinungsforschungsinstitut YouGov untersuchte die Rolle sozialer Netzwerke in der politischen Informationsbeschaffung von Bürgern. Insgesamt 704 Personen wurden zwischen 2013 und 2015 zu ihrem politischen Verhalten in Sozialen Netzwerken befragt. Die Online-Befragung erfolgten zu fünf verschiedenen Zeitpunkten, um Tendenzen im Zusammenhang mit politischen Ereignissen wie der Bundestagswahl 2013 oder der Europawahl 2014 festzustellen.
Schauplatz politischer Diskussion bleibt „offline“
Immer mehr Deutsche nutzen Facebook und Twitter. Ihre politische Bildung beziehen sie aber lieber weiterhin aus konventionellen Medien, wie Fernsehen, Radio, Tageszeitungen oder Online-Nachrichtenportalen. Facebook und Twitter werden hingegen „selten“ bis „nie“ zur Informationsbeschaffung genutzt. Die Nutzer, die sich tatsächlich via Facebook und Twitter über aktuelle politische Ereignisse informieren oder sogar aktiv online verbreiten und diskutieren, bilden eine Minderheit im Netz. Es sind vor allem die politikinteressierten und jüngeren Nutzer: im Jahr 2015 waren es 17,9% der 18 bis 40-Jährigen und nur 8,3% der 40 bis 60-Jährigen.
Auch die hohe Beliebtheit von Facebook und Twitter ist kein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit. Mehr als zwei Drittel aller Facebook Nutzer haben noch nie einen politischen Artikel verfasst, geteilt oder „geliked“. Nur ein Drittel der Befragten gibt an, bei Facebook auf neue Informationen zu stoßen. Ein reger politischer Austausch fand dort während des Studienzeitraums nur in politisierten Zeiten statt. So konnte die Studie zur Bundestagswahl 2013 und zum Beginn der Flüchtlingskrise 2015 eine Zunahme politischer Kommunikation in Sozialen Medien nachweisen. Tweeten, liken und kommentieren dienen also weiterhin primär dem Unterhaltungswert. Trotz der leicht steigenden Tendenz von Nutzern, die sich „häufig“ oder „sehr häufiger“ politisch auf Facebook oder Twitter informieren, bleibenn Gespräche mit Familie, Freunden oder auch Kollegen und Nachbarn die primäre Diskussionsform.
Zwischen Demokratie und Unglaubwürdigkeit
Fazit ist: Der Mehrwert sozialer Medien für eine demokratische Informationsgesellschaft bleibt vorerst gering. Warum ist das so? Die Studie zeigt, dass das Problem sozialer Medien wohl gerade in ihrer Demokratiefähigkeit liegt. Die uneingeschränkte Möglichkeit der Partizipation bedeutet für die Mehrzahl der Nutzer auch weniger Glaubhaftigkeit der online verbreiteten Informationen und Meldungen. Im Durchschnitt wurden soziale Medien als „eher unvertrauenswürdig“ eingestuft, während die traditionellen Medien erneut besser abschneiden. Eine weitere Einschränkung im Nutzwert neuer Medien bleibt die sinkenden, dennoch bedeutende Zahl von Nicht-Nutzern: im Jahr 2015 nutzten 54% der deutschen Bevölkerung Facebook und 11,8% Twitter.
Besorgniserregend erscheinen außerdem die sogenannten „Filterbubbles“, in denen sich Nutzer bewegen. Die meisten Menschen suchen auch online nach politisch-ideologisch Gleichgesinnten. Bei Facebook funktioniert das durch eigenes Selektieren, wie zum Beispiel dem Folgen bestimmter Personen und Parteien oder dem Hinzufügen und Löschen von Freunden, aber auch durch eine fremdbestimmte Auswahl durch Algorithmen, die einem möglichst passende Seiten und Artikel vorschlagen soll. Der Anteil der Facebook-Nutzer, die bereits Kontakte blockiert oder gelöscht haben, weil diese zu viele politische Beiträge veröffentlicht oder eine andere politische Meinung im Netz vertreten haben, hat sich zwischen 2013 und 2015 deutlich vergrößert. Die entstehenden „“Informationsblasen“ verzerren das Bild von Meinungsvielfalt im Netz und verringern die kritische Auseinandersetzung mit anderen Ansichten.
Das alles bedeutet nicht, dass soziale Medien nicht politisieren können. Seiten wie Facebook und Twitter haben die Möglichkeiten politischer Kommunikation grundlegend verändert – nur scheinen vor allem die Menschen daraus Nutzen zu ziehen, die bereits politisch interessiert und aktiv sind. Neben den politisch Desinteressierten sorgen die hohe Zahl der Nicht-Nutzer sowie Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Netzwerke dafür, dass die politische Informationskultur in Deutschland derzeit weitgehend den traditionellen Medien überlassen bleibt.
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