Die Deutsche Telekom möchte das umstrittene Vectoring als Übergangstechnologie einsetzen, um kurzfristig schnelleres Internet bei geringeren Investitionskosten anbieten zu können. Wo liegen die Vor- und Nachteile und was ist Vectoring eigentlich?
Anstatt den Glasfaserausbau weiter voranzutreiben, möchte die Deutsche Telekom – das größte Telekommunikationsunternehmen Deutschlands – nun in Vectoring investieren. Konkurrenten und Verbände üben jedoch scharfe Kritik. Re-Monopolisierung, langfristiger Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Fehlinvestition in eine veraltete Technologie lauten ihre Einwände. Ist Vectoring also nur ein Hemmschuh gegenüber dem Heilsbringer Glasfaser? Mittlerweile haben sich insgesamt 25 deutsche und europäische Wirtschaftsverbände in einem Brief direkt an die EU-Kommission und Digital Kommissar Günther Oettinger gewandt. Neben vielen ITK-Branchenorganisationen wie BREKO und VATM, wenden sich aber auch der Deutsche Landkreistag, Digitale Gesellschaft e.V., der Deutsche Bauernverband und der Deutsche Landfrauenverband gegen die Vectoring-Pläne von Bundesnetzagentur und Telekom. Gegenstimmen kommen also nicht nur von Seiten der direkten Telekom-Konkurrenz. In dem gemeinsamen Schreiben sprechen sie sich gegen den Antrag der Telekom aus. Eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ist in Planung. Was ist also dran an diesem Vectoring und woher rührt die große Kritik?
Vectoring: Was ist das?
Vectoring ist ein technischer Lösungsansatz, der aktuelle Datenübertragungsmethoden optimieren soll. Mithilfe der Technologie kann die bestehende Telekommunikationsinfrastruktur, welche vorwiegend auf Kupferleitungen aufbaut, aufgewertet werden. Laut Telekom könnte das zu einer Steigerung der Datendurchsatzraten von bis zu 100 Mbit/s im Download und 40 Mbit/s im Upload führen. Ein deutlich höherer Wert als bei vielen alternativen Methoden – zum Vorteil für VerbraucherInnen. Doch wie ist das möglich?
Bisher stellen sogenannte „Übersprechungseffekte“ einen limitierenden Faktor für einen optimalen Datendurchsatz dar. Mithilfe von Vectoring können nun gegenseitige Störsignale in den betroffenen Hauptkabeln gefiltert und höhere Durchsatzraten erzielt werden. Klingt zunächst ganz hervorragend!
Dennoch hat der Einsatz von Vectoring einen deutlichen Nachteil. Wirtschaftlich rentiert sich der Einsatz von Vectoring erst, wenn er flächendeckend erfolgt. Sind mehrere Technologien von verschiedenen Anbietern gleichzeitig in einer Hauptleitung im Einsatz, sinken die Optimierungseffekte von Vectoring – Durchsatzraten blieben ungewiss. Kundenfreundliche Vertragsangebote könnten auf einer solchen Basis nur schwerlich realisiert werden. Um alleinigen Zugang zu den etwa 8.000 Hauptverteilern des deutschen Telekommunikationsnetzwerkes zu erhalten, hat sich die Deutsche Telekom deshalb am 23. November vergangenen Jahres mit einem ersten Konsolidierungsantrag an die Bundesnetzagentur gewandt. Nur so könne ein wirtschaftlicher und flächendeckender Einsatz von Vectoring gewährleistet werden.
Moment, ein einzelner Netzbetreiber, Zugriff auf einen gesamten Hauptverteiler? Ja, hier werden die Probleme von Vectoring deutlich. Sie beziehen sich vor allem auf die Frage nach dem Wettbewerb. Bisher besteht dieser nämlich zwischen Netzanbietern und wäre nun durch die Zusage der Bundesnetzagentur zumindest beeinflusst. Das bemängeln auch Konkurrenten und protestieren gegen den am 07. April veröffentlichten Vectoring-II Antrag.
„Telekom-II Antrag“?
Die Bundesnetzagentur gibt sich gegenüber dieser Kritik diplomatisch. Forderungen und konstruktive Vorschläge wurden ausführlich im neuen Entscheidungsentwurf beachtet. In der Pressemitteilung der Bundesnetzagentur führt Jochen Homann, Präsident der Regulierungsbehörde, dazu aus: „[…] Wir kommen auch nach nochmaliger intensiver Analyse zu dem Schluss, dass ein Vectoring-Ausbau der Nahbereiche hilft, den Breitbandausbau zu fördern. Es werden weder der Wettbewerb außer Kraft gesetzt noch werden andere Technologien ausgebremst.“
Vor dem Hintergrund der weitreichenden Kritik habe die Bundesnetzagentur den neuen Antrag entschärft. Hierzu sei Wettbewerbern die Möglichkeit eingeräumt worden, Nahbereiche ebenfalls durch die Vectoring-Technologie zu erschließen. Dadurch sei der Wettbewerb weiter gewährleistet, so die Bundesnetzagentur. Mitbewerbern werde außerdem ein hochwertiges Vorleistungsprodukt angeboten, sollten sie aus Hauptverteilern gedrängt werden. Außerdem verweist die Bundesnetzagentur auf die neuesten Ausbau- und Investitionszusagen der Deutschen Telekom, welche vor dem aktuellen Antrag noch nicht feststanden. Nun wolle sich die Telekom aber einseitig dazu verpflichten, bis 2018 alle Nahbereiche auch wirklich mit Vectoring zu erschließen. Der Antrag sei deshalb an die europäische Kommission übermittelt worden. Sollte die Kommission keine Einwände gegen den Vorschlag vorbringen, steht dem Antrag nichts mehr entgegen.
Stau auf dem Weg zum schnelleren Internet?
Auf der Seite der VerbraucherInnen ist der Einsatz der Übergangstechnologie, Vectoring, zunächst sehr vielversprechend. Haushalte in Nahbereichen die kurzfristig nicht mit höheren Bandbreiten durch Glasfasernetze versorgt werden könnten, sind klare Profiteure der Technologie. Kurzfristig schnelleres Internet: Vectoring schafft hier Abhilfe.
Aus der Perspektive der Verbände und Konkurrenten sind die Reaktionen und Zugeständnisse der Bundesnetzagentur aber lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn der Zugang zu Hauptverteilern bedeutet eine massive Einflusssteigerung der Deutschen Telekom. Daher ist es einseitig, an dieser Stelle mit der Restriktion der Vectoring-Technologie zu argumentieren und darauf zu pochen, dass ein optimaler Einsatz der Technologie nur gewährleistet werden kann, wenn er flächendeckend durch einen einzelnen Netzbetreiber umgesetzt wird. Zudem stellt sich die Frage, ob hier die Unternehmensanteile der Bundesrepublik Deutschland an der Deutschen Telekom (14,3 Prozent) Einfluss auf die Entscheidung hatten. Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Verbands der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), vertritt die Interessen von etwa 100 Telekommunikations- und Multimediaunternehmen. Er verdeutlicht in einer Pressemeldung: „[…] Grundsätzlich gestattet die BNetzA weiterhin nach fast 20 Jahren erfolgreichen Wettbewerbs erstmals einem Unternehmen den weitgehend monopolistischen Einsatz einer Technologie“.
Selbstverständlich sind Unternehmen darauf angewiesen Übergangstechnologien zu nutzen, um Gewinne zu erwirtschaften und weiter in den Ausbau der Glasfaserinfrastruktur zu investieren. Probleme entstehen aber, wenn einzelne Markteilnehmer von Regulierungsbehörden bevorteilt werden. Hier eröffnet sich beispielsweise in „Maßnahmenpunkt 11“ der Breitbandstrategie der Bundesregierung ein deutlicher Widerspruch: „Bei der konkreten Ausgestaltung der Anreizmechanismen wird die Bundesregierung im Interesse des Wettbewerbs darauf achten, dass niemand vom Netzzugang ausgeschlossen wird und das Prinzip der Nicht-Diskriminierung gewahrt bleibt. Auch dürfen die Regelungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen im Markt führen.“ Vor diesem Hintergrund der Telekom dennoch den Zugang zu Hauptverteilern zuzusprechen und Wettbewerber mit Vorleistungsprodukten zu vertrösten, ist daher problematisch.
Die Breitbandstrategie der Bundesregierung zielt zudem darauf ab, eine zukunftsfähige Netzmodernisierung sicherzustellen und zu beschleunigen. Kupferstrecken sollen dabei gezielt durch Glasfaserausbau ersetzt und Fehlinvestitionen vermieden werden. Entgegen dieser Zielsetzung eröffnet die Bundesnetzagentur nun den Einsatz von Vectoring. Durch die Möglichkeit, bei geringeren Investitionskosten schneller Gewinne zu erzielen als durch den Ausbau von Glasfasernetzen, werden Alternativen zum Vectoring gehemmt. Auch Wettbewerber der Telekom werden aktiv in ihren Glasfaserausbauplänen gebremst, da eine parallele Investition in Glasfaser- und Kupferleitungen nicht wirtschaftlich ist. Die Integration von Vectoring in die Telekommunikationsinfrastruktur führt deshalb schließlich zu einer Abnahme der Investitionen in die deutschen Glasfasernetze. Deren flächendeckender Ausbau verzögert sich so weiter. Vor dem Hintergrund des steigenden Bedarfs nach noch schnelleren Internetverbindungen, ist das ein Problem. Die fehlenden Investitionen in die Glasfaserinfrastruktur entwickeln sich dann auch zum langfristigen Nachteil für Nahbereiche. Insgesamt sollte der neue Vectoring-II Antrag daher kritisch betrachtet werden. Hier gilt es, Vor- und Nachteile des Vectoringeinsatzes für den Wettbewerb der Telekommunikationsbranche, den langfristigen Breitbandausbau in Deutschland und schließlich für VerbraucherInnen abzuwägen.
Titelbild: (011): 200 pair telephone cable model of corpus callosum by brewbooks via flickr is licensed under CC BY-SA 2.0