Mit dem Fortschreiten der Technik werden neue Human Enhancement-Technologien entstehen und sie werden in verstärktem Maße eingesetzt werden. Dadurch ergeben sich neue Chancen, sowohl für den einzelnen Anwender, wie auch für die Gesellschaft. Auf der anderen Seite ergeben sich aus neuen Technologien auch neue Herausforderungen für das Zusammenleben in der Gesellschaft. Diese Chancen und Herausforderungen lohnt es genauer zu beleuchten.
Der Begriff Human Enhancement bezeichnet verschiedene Technologien, die zur (Selbst-) Erweiterung und Optimierung von Menschen eingesetzt werden. Die Technologien, die in diesem Zusammenhang am häufigsten genannt werden, sind mechanische Erweiterungen, Medikamente, die zur Leistungssteigerung genutzt werden, und gentechnische Verfahren. Die beteiligten Akteure reichen dabei von Forschungseinrichtungen und dem Militär bis zu DIY-Cyborgs und Transhumanisten, die von einer Evolution hin zu einer neuen Spezies mit Hilfe von Technik träumen.
Träume von einer besseren Zukunft
Human Enhancement weckt verschiedenste Träume und Hoffnungen. Mit Hilfe neuer technischer Entwicklungen sollen sich alle Probleme der Menschheit lösen lassen, so die Vision. Körperliche Gebrechen und Alterungsprozesse werden durch Medizin und Mechanik aufgehoben. Geringe geistige und emotionale Fähigkeiten werden durch Neuroenhancement verbessert und eröffnen neue Möglichkeiten. Spätestens wenn wir nur noch Bewusstsein in einer Maschine sind, werden alle Geschlechter-, Rassen-, oder ökonomischen Ungleichheiten aufgehoben.
Dieser glorreichen Zukunftsvision stehen einige Befürchtungen entgegen. Manche beziehen sich auf spezielle Themen, wie Doping im Sport. Andere sind viel breiter und umfassen die gesamte Enhancement-Debatte.
Menschen und Übermenschen
Befürwortern von Human Enhancement hoffen, dass durch die Technik soziale Gräben überbrückt werden. Wenn alle Menschen durch Technologie auf ein gleiches Level an Leistungsfähigkeit gehoben werden, so die Theorie, haben alle die gleichen Chancen auf Teilhabe. Kritiker befürchten jedoch genau das Gegenteil, weil viele Enhancement-Technologien darauf ausgelegt sind, die Leistung des Einzelnen im Konkurrenzkampf zu verbessern.
Neue Technologien werden tatsächlich oft zuerst in sozial privilegierten Schichten genutzt, wie früher Computer oder Mobiltelefone. Wenn diese Schichten auch leistungssteigerndes Enhancement als erste nutzen, können sie sich noch größere Vorteile verschaffen. Die Technologien würden dann nicht zu einer größeren Annäherung, sondern im Gegenteil zu einer größeren Kluft zwischen verschiedenen sozialen Schichten führen. Je nachdem wie radikal diese Entwicklung ist, könnte die Kluft unüberbrückbar werden und (hier treffen sich die Kritiker mit enthusiastischen Transhumanisten) gleichsam statt einer Klassen- eine Rassen-Gesellschaft entstehen, bei der die Verbesserten die volle Kontrolle und Hoheitsgewalt besitzen und ihre Macht nicht teilen wollen. Aber auch das ist nur eine mögliche Zukunftsvision. Ihr wird entgegengehalten, dass neue Technologien in der Regel schnell billiger werden und sich dann schnell verbreiten. Gerade kompaktere Technologien können so neue Möglichkeiten schaffen, wie das Beispiel der Handynutzung in Entwicklungsländern zeigt.
Human Enhancement zur Leistungssteigerung
Wie sehr trifft diese Diskussion eigentlich das Problem? Schaut man sich bisherige Entwicklungen an, hat es bis jetzt noch keine Technologie gegeben, die für sich alleine für den Aufstieg oder Fall einer Bevölkerungsgruppe gesorgt hätte. Genauso wenig lässt sich das eine Persönlichkeitsmerkmal bestimmen, das entscheidend für den persönlichen Erfolg ist. Technologien haben natürlich einen Einfluss auf Entwicklungen. Aber auch z.B. Erziehung, Rohstoffvorkommen, Umweltbedingungen, Bildung oder materielle Grundausstattung.
Enhancement-Begeisterten wird oft vorgeworfen, sich nicht für die Entwicklung der gesamten Gesellschaft zu interessieren. Das vorrangige Ziel sei die Selbstoptimierung und gemacht werde, was möglich ist. Probleme würden dabei aus einer rein technischen Perspektive angegangen und der gesellschaftliche Kontext außen vor gelassen.
Die Bewegung wird als neoliberal und egozentrisch bezeichnet. Ein Vorwurf, der sich auch auf die gesamte Diskussion beziehen lässt. Denn die Leistungsfähigkeit wird sowohl von Gegnern als auch Befürwortern als allein ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg angesehen, andere Faktoren, wie etwa soziale Fähigkeiten, werden außer Acht gelassen. Die Frage wäre dann nur noch, ob alle die Möglichkeit haben sollen, ihre eigene Leistungsfähigkeit so zu steigern. Vielleicht sollte die Debatte aber auf einer viel grundlegenderen Ebene geführt werden: Wollen wir eine Gesellschaft, in der es vor allem darum geht, möglichst leistungsfähig zu sein, egal um welchen Preis?
Selbstoptimierung um jeden Preis?
Manchmal geht es aber nur um das Wohlbefinden einzelner Nutzer und nicht um den gesellschaftlichen Kontext. Als erstes stellt sich dann die Frage: Warum will man sich überhaupt optimieren? Für manche ist das Motiv für die technische Veränderung nicht so sehr die Optimierung im Sinne einer Anpassung an die Leistungsgesellschaft. Stattdessen geht es um Selbstverwirklichung und die Erweiterung der Sinne und Möglichkeiten.
Für die Meisten dürfte jedoch die Verbesserung im Vordergrund stehen. Bei einigen wenigen, radikalen Vertretern geht es letztlich sogar um als minderwertig betrachteten menschlichen Körper, hin zu einem besseren Maschinenkörper. Sie machen aber nur einen kleinen Teil derer aus, die sich verbessern wollen.
Ein viel häufigerer Grund dürfte allerdings die Anpassung an einen äußeren Konkurrenzdruck sein. Wenn man das Gefühl hat, in einer auf Leistung ausgelegten Gesellschaft nicht mithalten zu können, scheint Leistungssteigerung eine sinnvolle Option. Wenn manche Menschen anfangen sich zu optimieren, steigen damit nach und nach die Standards. Das kann dann dazu führen, dass Enhancement zum Beispiel von Arbeitgebern erwartet wird und Menschen sich genötigt sehen, sich gegen ihren Willen zu enhancen. Eine ähnliche Entwicklung hat sich schon bei Mobiltelefonen gezeigt. Mittlerweile kommt man ohne Handy kaum noch zurecht. Freunde und Arbeitgeber erwarten, dass man ständig erreichbar ist. Um dem vorzubeugen hilft wahrscheinlich eher ein generelles Umdenken und Entschleunigung statt dem Verbot einzelner Techniken.
Auch in der Technologie selbst können Gefahren stecken. Komplexe technische Erweiterungen müssen meist von außen steuer- und wartbar sein. Wenn es Zugriffsmöglichkeiten von außen gibt, wird die Technik immer auch angreifbar. Wer sich zum Beispiel einen über Funk auslesbaren Chip (RFID) einpflanzt oder seine Vitaldaten aufzeichnet, muss damit rechnen, dass auch andere (gegen den eigenen Willen) das Gerät auslesen können. Teilweise ist die Gefahr aber nicht so offensichtlich. Auch Geräte wie zum Beispiel Herzschrittmacher haben oft Zugangsmöglichkeiten von außen. Diese Zugangsmöglichkeiten sind notwendig, um die Funktionsfähigkeit zu kontrollieren und im Notfall Fehler ohne schwere invasive Eingriffe zu beheben. Solche Geräte vollkommen unhackbar zu machen ist extrem schwer, vielleicht unmöglich. Ist das ein Risiko, das man in Kauf nehmen muss?
Gute und böse Technik
Der amerikanische Technikhistoriker Melvin Kranzberg hat den Satz geprägt „Technik ist weder gut noch böse; noch ist sie neutral“. Er meint damit, dass das Ergebnis bestimmter Techniken immer von dem Kontext abhängt, in dem sie genutzt werden. Wenn Techniken verwendet werden, haben sie einen Einfluss auf ihre Umgebung und dieser Einfluss muss nicht immer der sein, der beabsichtigt wurde.
Das trifft auch auf die verschiedenen Human Enhancement-Technologien zu. Weder werden sie den Untergang der Menschheit herbeiführen, noch werden sie unsere Welt zu einem strahlenden Utopia machen. Je nach dem Kontext, in dem sie angewendet werden, können sie zu einer besseren, wie zu einer schlechteren Welt beitragen.
Eines wird jedoch geschehen: Mit dem Fortschreiten der Technik werden neue Human Enhancement-Technologien entstehen und in verstärktem Maße eingesetzt werden. Von daher ist es wichtig, sich möglichst früh mit der Entwicklung auseinanderzusetzen und nicht erst dann regulierend einzuschreiten, wenn die Entwicklung längst an den Regelungen und Lebenskonzepten vorbeigezogen ist.
Bild: 311/365: Cargando las pilas von Andres Nieto Poras unter CC by SA 2.0 via flickr