2000 Bundestags-Hausausweise für Lobbyisten? Das sagt noch lange nichts über den Inhalt von Lobbying aus. Juliane Petrich plädiert anstelle von verbindlichen Lobbyregistern für “Digital Public Affairs”. Bürgerinnen und Bürger sollen hierbei mittels Sozialer Medien einbezogen werden. Dafür braucht es aber auch klare Regeln.
Verdeckt, diskret, nicht-öffentlich: Vor wenigen Jahren war die Arbeit der Lobbyisten mit diesen drei Worten vermutlich noch hinreichend beschrieben. Fand Interessenvertretung früher weitgehend hinter verschlossenen Türen statt, wird heute mehr Wert auf die Legitimation der Lobbyisten durch ein transparenteres und öffentlicheres Agieren gelegt. Doch die neu entfachte Debatte um ein verpflichtendes Lobbyregister zeigt: Noch immer wird Lobbyismus als illegitime, ja sogar illegale Form der politischen Einflussnahme verstanden und mit Korruption, Bestechung, respektive heimlicher Macht in Verbindung gebracht. Für dieses Misstrauen sind nicht zuletzt zahlreiche Skandale in der Vergangenheit verantwortlich – umstrittene Seitenwechsel, fragwürdige Parteispenden, Bestechungsvorwürfe.
Natürlich ist Kritik an derartigen Fällen durchaus berechtigt. Intransparenz ist einer von mehreren Gründen für die Politikverdrossenheit in Deutschland. Gegen ein verbindliches Lobbyregister ist also per se sich nichts einzuwenden – das sehen auch die meisten Lobbyisten so. Allerdings sollte man nicht glauben, dass mit einem solchen Instrument echte Transparenz geschaffen werden kann. Die aktuelle Debatte lässt außer Acht, dass der Besitz eines Hausausweises den Lobbyisten letztlich nur vereinfachten Zugang in den Bundestag verschafft. Was sagen 2000 Hausausweise über die Anzahl der geführten Gespräche und deren Inhalte aus? Zudem kann ein Lobbyist seine Anliegen auch an den Politiker bringen, ohne den Bundestag überhaupt betreten zu müssen: einschlägige Cafés und Restaurants bieten genügend Alternativen.
Es ist also Aufgabe der Lobbyisten selbst, mehr Licht ins Dunkle zu bringen: Gerade die neuen Medien bieten eine einzigartige Möglichkeit, für mehr Transparenz und Offenheit in der politischen Interessenvertretung zu sorgen. Das Social Web erlaubt nicht nur Interaktion und Produktion nutzergenerierter Inhalte, sondern konstituiert sich durch Authentizität, Öffentlichkeit und Transparenz.
Lösung: Digital Public Affairs
Ein Konzept, das versucht genau diese Mechanismen des digitalen Diskurses nutzbar zu organisieren, ist das in den letzten Jahren viel diskutierte Feld der Digital Public Affairs. Im Gegensatz zum Lobbying im konventionellen Sinne, das auf direkte, punktuelle und diskrete Beeinflussung zielt und gleichzeitig die Allgemeinheit auszuschließen versucht, wird die Öffentlichkeit hier explizit in den interessengeleiteten Diskurs einbezogen. Ob Facebook, Twitter oder Youtube – sie alle haben den Dialog zum primären Funktionsprinzip erhoben. Lobbyisten können direkt mit ihren Zielgruppen in den Austausch treten, sie können Politiker und ihre Community nicht nur informieren, sondern auch involvieren und letztlich mobilisieren – das ganze unter Beobachtung einer interessierten Öffentlichkeit. Dieses Charakteristikum kann als wesentliches Merkmal der Disziplin und wichtigste Neuerung zu den klassischen Public Affairs gesehen werden. Der transparente Austausch bietet dabei nicht nur die Chance auf breite Unterstützung für die eigenen Interessen, sondern hilft, dem negativen Image des Lobbyismus entgegenzuwirken. Interessenvertretung kehrt im Social Web zu ihrem ursprünglichen Gedanken zurück: Heterogene Gruppen treffen aufeinander und vertreten ihre Anliegen im direkten Dialog. Der Wettstreit um das beste Argument wird offen und nachvollziehbar ausgetragen – das schafft Vertrauen und Transparenz.
Das birgt gleichzeitig auch Herausforderungen: Das politische Gespräch findet nicht mehr unter vier Augen statt, jedes Wort ist sichtbar und kann anders gedeutet werden. Wer sich für Digital Public Affairs entscheidet, muss sich also an einige Regeln halten.
- Die Identität des digitalen Lobbyisten muss jederzeit deutlich ersichtlich sein.
- Interessen und Ziele müssen offengelegt werden.
- Auch die Quellen sämtlicher Informationen, die über Social Media verbreitet werden, müssen nachvollziehbar sein.
- Die Regeln der Web 2.0 Community müssen eingehalten werden. Verlinkungen auf Online-Beiträge anderer Nutzer gehören zum guten Ton.
- Mit Kritik muss der digitale Lobbyist gleichermaßen offen umgehen. Kommentare unbeantwortet zu lassen oder zu löschen, widerspricht der Logik von Digital Public Affairs.
Die vorangegangen Ausführungen haben gezeigt: Mit einer professionellen Digital Public Affairs-Strategie und einer klaren Policy können Lobbyisten zu einem positiveren Image und mehr Transparenz in der Interessenvertretung beitragen und damit langfristig erfolgreicher sein. Was die aktuelle Debatte um ein verpflichtendes Lobbyregister betrifft: Es ist richtig, auf die bisher noch nicht in Angriff genommenen Regulierungsaufgaben des Staates hinzuweisen und die Öffentlichkeit dahingehend aufzuklären. Trotzdem ist klar, dass zwischenmenschliche Interaktionen nicht en détail überwacht werden können. Eine einseitig negative Darstellung des in der Demokratie notwendigen Alltagsgeschäfts der Interessenvertretung birgt die Gefahr, dass eine ablehnende Haltung gegenüber Lobbyisten weiter gestärkt wird – und diese dann wieder aus den Hinterzimmern agieren
Bild: Kamyq, freie Nutzung